Hi Isdrasil,
Das wir auch immer auf irgendeine Weise Verständigungsprobleme haben müssen...
Keine Bange! Die laßen sich ja klären. Sie zeigen aber sehr deutlich, wo die Probleme beim Lesen der Texte liegen. Wenn wir in unserer Muttersprache schon aneinander vorbei reden, wie schwerer ist es erst für uns, 120 Jahre alte Texte, noch dazu in einer Fremdsprache, richtig zu interpretieren?
Ich stelle allerdings beim Stöbern in englischsprachigen Foren fest, daß die dort mitunter selbst vor Interpretationsproblemen stehen.
Ich habe auch nicht gemeint, dass die Tasche mit dem Bund des Rockes oder der Jacke verbunden sei - ich meinte, dass die Tasche an ihrem oberen Bund an der Jacke angenäht gewesen sein könnte.
Aha!
Das hatte ich tatsächlich anders betrachtet. Jetzt dürfte es endlich klar sein.
Dann überlege ich mal in dieser Richtung weiter. Hinzu kommt, daß ich mich auch in Sachen „pocket“ etwas auf dem Holzwege befand. Aber ein Nachschlagen unter
http://dict.leo.org brachte mich wieder auf den Pfad der Erkenntnis zurück.
Denn, siehe da:
pocket hat mehrere Bedeutungen, u. a. ganz einfach allgemein
Tasche, egal,welcher Art, natürlich auch die von dir vermutete
Jackentasche, die in diesem Fall mMn aber wenig Sinn macht (Erklärung folgt), dann hätten wir noch
Geldbeutel, was mir im Diskussionsfalle mittlerweile am wahrscheinlischsten erscheint und im weitesten Sinne ist es eine
schlitzartige Aussparung – letzteres dürfte aber nicht gemeint sein, denn dann hätte man bestimmt nicht gesagt, daß die Tasche „getragen“ wurde.
Und damit komme ich zu deiner Frage:
Oder wie interpretierst du den Satz "was worn under the skirt"?
Wörtlich! Dort steht eindeutig
“unter dem Rock“ und nicht
“an der Jacken- oder Manteltasche befestigt und unter den Rock gestopft“.
mEn handelte es sich entweder um so eine Art Geldbeutel, und ich erinnere mich auch, eine ähnliche Diskussion in einem englischsprachigem Forum (eventuell sogar im Casebook) gelesen zu haben. Dort wurde diese Tasche auch in diesem Sinne interpretiert.
Hinzu kommt eine praktische Überlegung: eine Jackentasche, die noch an der Jacke angenäht in den Rock gestopft wird, ist hinderlich. Jedesmal, wenn man die Jacke (Mantel) auszieht, zieht man die Tasche raus oder reißt sie sogar ein. Nicht praktisch, nicht sinnvoll.
und Chandlers differierende Aussage spielt hier eine sehr wichtige, wenn nicht sogar entscheidende Rolle.
Weshalb es Zeit wird, näher nach zu forschen. Das
Sourcebook zitiert ja nur aus der
Times, weshalb ich zu Vergleichszwecken jetzt aus dem
Daily Telegraph - FRIDAY, SEPTEMBER 14, 1888 zitieren werde:
“Joseph Chandler ….
I obtained some sacking to cover it before the arrival of the surgeon, …After the body had been taken away I examined the yard, …. They were lying near the feet of the woman”
Wie vermutet – er schaute erst nach,
nachdem die Leiche weg war. Und davor deckt er sie sogar zu! Möglicherweise hat er deshalb die Gegenstände gar nicht erst gesehen.
Ebenso verwunderlich ist, daß er, obwohl er die Gegenstände erst nach dem Entfernen der Leiche gesehen haben will, Chandler offenbar aussagte, sie „
lagen neben den Füßen der Frau“ – wie kam er dazu? Hat er das nur vermutet? Sich erinnert, wo und wie die Leiche lag? Damals wurden nämlich noch nicht die Konturen mit Kreide nachgezeichnet. Oder hat er die Gegenstände doch schon früher wahr genommen? Eventuell nur unbewußt?
Ah – auch die Aussagen in Sachen „pocket“ und „Blutspuren hinten am Rock“ lesen sich hier etwas anders als in der
Times. Zitat: „
A large pocket was worn under the skirt (attached by strings)” – man beachte den Zusatz “
befestigt mit Schnüren”. Daraus schließe ich nun aber wirklich, daß die Tasche mit Schnüren nur am
Rock und somit garantiert nicht an der Jacke befestigt war.
Nächstes Zitat, ebendort: „
Deceased wore a black skirt. There was a little blood on the outside.” – Aha! outside –
außen, aber nicht unten / unterhalb. Schon wieder ein Mythos weniger!
Kommen wir nun zu Dr Philips Aussage, so wie wir sie im
Daily Telegraph finden: „
Mr. George Baxter Phillips …. searched the yard and found a small piece of coarse muslin, a small-tooth comb, and a pocket-comb, in a paper case, near the railing.” Da haben wir zum einen ja eine Zahnbürste, was übrigens auch Chandler aussagte, und ich somit annehme, daß der Reporter der
Times einfach nicht alles mitschrieb, und zum zweiten finden wir hier ja den berühmten „railing“ Fehler. Andrerseits muß ich gestehen, daß mir nicht die Originalausgabe der Zeitung, sondern nur das Transkript aus dem Casebook vorliegt. Möglicherweise entstand der Fehler beim Abtippen und im Original steht eventuell doch „paling“.
Na, Isdrasil, wäre das nicht mal eine Recherche wert?
Wie aus meinen Ausführungen bisher ersichtlich,
sind wohl eher die unterschiedlich genauen Ausführungen der berichtenden Reporter verantwortlich für Mißinterpretationen als tatsächlich unterschiedlich gemachte Aussagen von Zeugen.Und abschließend: egal, welcher Zeitungs-Aussage wir Glauben schenken, es bleibt die Frage:
was hat eigentlich Dr Philips bewogen, eine Ordnung zu sehen?JE