Autor Thema: Swanson  (Gelesen 127114 mal)

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Offline Craddock

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Re: Swanson
« Antwort #60 am: 27.01.2011 17:06 Uhr »
Er hätte bei Eddowes genauso dicht dran sein können, wie bei MJK denn nur wenige Meter vom Tatort entfernt gab es eine ungenutzte Unterführung, sowie mehrere leerstehende Häuser. Er hätte vor der Tat mit Eddowes dort hingehen können, oder sie direkt nach der Tötung dort hinbringen können - das hätte bloß wenige Sekunden gedauert. Danach hätte er so lange an ihr herumschnippeln können, wie er gewollt hätte. Er wollte offensichtlich nicht, sonst hätte er sie nicht dort getötet, wo man sie fand. Ich denke, er hat genau so getötet, wie er es wollte (wenigstens bei Eddowes und MJK). Tut aber in diesem Thread eigendlich nix zur Sache, woll?
LG, Jörn the Whopper

Morgen Jörn!

Ach, solangs nicht obsessiv wird hat mich Off-Topic noch nie gestört  :biggrin:
Wenn, dann hätte er sie nach dem Mord da hinbringen können, vor dem Mord denke ich, wollte er dem Opfer gerne das Gefühl vermitteln, die Situation zu kontrollieren. An sich hast du aber Recht, er hätte das nach dem Mord machen können - vorausgesetzt er wusste von der Unterführung und den Gebäuden. Selbst wenn er aus Whitechapel kam und die Gegend gut kannte, muss das nicht bedeuten, dass er jeden Zentimeter kannte. Außerdem muss man in der Situation erst einmal auf die Idee kommen, die Leiche zwecks Schnippelei irgendwo hinzutragen - ich nehme eher an, er ging eben einfach so vor wie immer. MJK wurde in der Nacht in der sie starb ja auch zweimal mit Männern gesehen, die sie offenbar mit in ihr Zimmer genommen hat. Insofern war die Indoor-Situation für den Ripper dann wohl einfach nur ein glücklicher Zufall (Gott klingt das in dem Zusammenhang bescheuert).

Letztlich gehts mir aber nur darum, dass man die Lebensumstände in ein Profiling mit einbeziehen sollte. Der Ripper hatte vermutlich gar keine andere Möglichkeit als so vorzugehen, wie er vorging. Die Methode hat sich bewährt, also blieb er dabei. Räumlichkeiten, in die er das Opfer locken konnte, hatte er vielleicht nicht (und eventuell auch nicht das Naturell, um überhaupt als charmanter Verführer aufzutreten - was wiederum auch kein Indiz für einen Tätertyp oder den Intelligenzgrad ist, schließlich können auch kluge Menschen im Gespräch schüchtern sein). Der Transport nach der Tötung erschien ihm vielleicht als zu risikoreich oder er wollte einfach gleich zur Tat schreiten. Bisher hat es gut funktioniert und bei Eddowes kam er ja auch sehr weit. MJK war ein Glücksfall. Insgesamt lässt sich aus der Vorgehensweise in Verbindung mit den Lebensumständen der Zeit nicht ableiten, zu welcher Gruppe er gehörte, und wenn man da die falsche Entscheidung trifft, hat man nichts weiter als ein falsches Profil. Wahrscheinlicher ist sowieso, dass er ein Mischtyp war. Und außerdem - auch intelligente Täter können impulsiv vorgehen, auch "dumme" Täter können planen. Argumente lassen sich für beide Sichtweisen aufführen, und wie genau ein Profil ist, kann man ohnehin erst feststellen, wenn man einen Verdächtigen hat, mit dem man es vergleichen kann. Ein echter Polizeibeamter würde sich auch heute noch nicht ausgehend von einem Profil auf Tätersuche begeben, sondern es lediglich als unterstützendes Element betrachten. Ich denke, wir sollten da dasselbe tun und uns nicht zu sehr darauf versteifen. Wie sagt zum Beispiel John Douglas selbst (frei aus dem Gedächtnis, Fehler gehen auf meine Kappe): "Ein Profil ist letztlich nichts anderes als eine Meinung. Es ist keine Wissenschaft, es ist eine Kunst." Und der Ripper ist aufgrund all dessen, was wir nicht von ihm wissen, ein äußerst widerspenstiges Stück Leinwand.

Zum Rest vom Fest! (und back to topic :yahoo:)
Die ursprüngliche Liste endet bei McKenzie, aber Coles scheint dann ja doch hinzugefügt worden zu sein. Warum? Ich meine mich auch zu erinnern, dass Swanson irgendwann man geäußert haben soll, Coles sei ein Opfer des Rippers gewesen, aber ich kann mich da genauso gut vertun. Mal sehen, ob ich das noch irgendwo finde...
Da ich im Grunde aber eigentlich immer zur einfachsten Lösung neige, würde ich aber Lestrades Schlussfolgerung den Vorzug geben. Die Tatsache, dass bei McKenzie und Coles keine Zahlen angeführt sind, deutet eigentlich auch darauf hin, dass die beiden zwar in der engeren Auswahl waren, letztlich aber doch Zweifel blieben, ob man sie demselben Täter zuschreiben kann. Durchaus möglich, dass die damaligen Ermittler diesbezüglich auch schwankten und es mal so, mal so betrachteten. Interessant wäre auch noch zu wissen, wie die Liste entstanden ist. Hat Swanson sie allein erstellt oder entstand sie gemeinsam mit andren Ermittlern? Saß man gemeinsam um einen Tisch und diskutierte die Situation, war sich bei den Opfern 1-7 einig und unschlüssig, was McKenzie und Coles anging? Emma Smith wundert mich ehrlich gesagt ein bisschen, die wäre so ziemlich die letzte, die ich in die Liste aufnehmen würde...

Offline Lestrade

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Re: Swanson
« Antwort #61 am: 27.01.2011 23:50 Uhr »
Jörn, Craddock!

Ich vermute, dass es ihm lediglich wichtig war, irgendwo so lange wie möglich ungestört zu bleiben. Als Kelly ihm einen geschlossenen Raum anbot, dürfte er dies als Glücksfall angesehen haben. Sein Gehör dürfte stets auf Hochtouren gearbeitet haben. Letztendlich war Kelly eine Art Grundidee und das Ziel seiner Phantasie, seiner eigentlichen Vorstellung, denke ich. Sie umzusetzen musste er lernen aber geholfen hat ihn wohl eher der Zufall am Ende im Fall Kelly. Nichols sollte wohl auch eher hinter dem Tor verschwinden, vor dem sie lag. Eddowes hätte er sicherlich besser verschwinden lassen können. Entweder hatte er nicht die Kraft zum transportieren oder er war so in Rage und Eile, durch den "mißlungenen" Stride Angriff kurz vorher, dass er sich darüber gar keine Gedanken machen konnte. Wenn er allerdings so wachsam war, warum hörte er dann nicht Schwartz seine Schritte, falls er auch der erste Mann und somit der Ripper gewesen war? Schwartz könnte ein Leisetreter gewesen sein und der zweite Mann lediglich, durch das diesmal zum Schreien gekommen Opfer, alarmiert worden sein. Meines Erachtens schaute er, was er aus der jeweiligen Situation machen konnte. Er war noch irgendwie planlos. Was konnte er auch erwarten? Prostituierte arbeiteten auf der Straße, Eingänge, Hinterhöfe, Gassen kamen überwiegend in Frage. Blieben Bordelle, die er wohl von vornherein ausschloß oder Damen mit einem eigenen Zimmer aber dies dürfte die Ausnahme gewesen sein. Und Logierhäuser waren keine Orte, genau wie Bordelle, in denen er mit den Opfern "alleinsein" konnte.

Wäre schön Craddock, wenn du die Quelle mit Swanson und Coles ausfindig machen könntest. Die Umstände, unter denen die Liste verfasst wurde, werden uns wohl verborgen bleiben. Emma Smith verwundert mich auch sehr. Wäre Annie Millwood dafür erschienen, hätte ich es verstanden. Sie soll ja ähnliche Verletzungen erlitten haben wie Martha Tabram und wurde 4-5 Wochen vor Emma Smith attackiert. Ada Wilson gar nur eine knappe Woche vorher. Innerhalb von ca. 5 Wochen drei Frauen, von denen Swanson nur die nimmt, die von mehrere Personen angegriffen wurde und die mit dem Einzelangreifer herausläßt. Dies finde ich an dieser Liste am bemerkenswertesten.
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Offline Lestrade

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Re: Swanson
« Antwort #62 am: 28.01.2011 11:50 Uhr »
Ich habe eine Idee, warum Swanson Emma Smith mit in die Liste aufnahm.

Eine Hayes, die unter der gleichen Adresse (18 George Street, Spitalfields) wie Emma Smith lebte, sagte im Smith Inquest aus. Und zwar folgendes:

“deposed to seeing Mrs. Smith in company with a man at the corner of Farrant-street and Burdett-road. The man was dressed in a dark suit and wore a white silk handkerchief round his neck. He was of medium height, but witness did not think she could identify him.”
 
Die Times druckte dieses hier:

“... she had last seen Emma Smith between 12 and one on Tuesday morning (3rd April, 1888), talking to a man in a black dress, wearing a white neckerchief. It was near Farrant-street, Burdett-road. She (Hayes) was hurrying away from the neighbourhood, as she had herself been struck in the mouth a few minutes before by some young men. She did not believe that the man talking to Smith was one of them. The quarter was a fearfully rough one. Just before Christmas last she had been injured by men under circumstances of a similar nature, and was a fortnight in the infirmary.”

Hayes wurde bereits im Dezember 1887 von mehreren Männern attackiert. Ein Gemisch aus Margaret Hames/Hayes und einer gewissen Lillie Herbert (Tot Fay) könnte zu der bekannten "Fairy Fay" geworden sein, die angeblich am Boxing Day (26.12.1987) zerstückelt gefunden wurde. Und zwar nach Verlassen eines Pubs des Mitre Square in einem dunklen Gehege nahe Commercial Street. Es sieht so aus, als wenn es sich genau um die Hayes handelt, die quicklebendig in Smith Inquest aussagte. Da es zu der "Fairy Fay" Zeit, keine zerstückelte Leiche gab, könnte man von einer "Ausschmückung" des Hayes Falles ausgehen. Eine Legende also.

Hayes selbst, wurde kurz vor der Smith- Attacke von einer Gang belästigt und machte obige Aussage über die Sichtung bei Emma Smith. Smith könnte genauso wie Hayes von einer Gang attackiert worden sein und unmittelbar danach eben von jenem Mann angesprochen worden sein. Den sie, als soeben von mehreren Männern attackiert und noch schockiert, ebenfalls für ein Mitglied dieser Gang gehalten haben könnte. Dies muss aber nicht der Fall gewesen sein. Ihre schlimmen Verletzungen, könnte nur durch einen einzigen, anwesenden Mann verursacht worden sein, der nichts mit den anderen "Räubern" zu tun hatte. Smith selbst erinnerte sich nur an einen "Neunzehnjährigen" und wurde eigenen Angaben zu folge, hier attackiert:

"Smith had pointed out where the attack had occurred, which was outside the Taylor Brothers Mustard and Coca Mill, at the corner where Brick-lane, Osborne-street, Old Montague-street, and Wentworth-street converged"

Ich erinnere an die Ereignisse bei Stride in der Berner Street. Hier wurde auch eine Frau attackiert und unmittelbar danach erschien ein weiterer Mann auf der Bildfläche. Entweder ging man hier mit 2 oder mehreren Personen vor oder aber, der Täter nutzte, wenn möglich, Notsituationen seiner Opfer aus.

Swanson könnte davon ausgegangen sein, das Emma Smith von der durch Hayes beschriebenen Person allein angegriffen wurde, nachdem eine Gang dort für Angst und Schrecken gesorgt hatte. Eine ähnliche Situation könnte er in der Berner Street vorgefunden haben. So erscheint Swanson´s zweiter Mann in jener Nacht viel interessanter als vorher.

Was haltet ihr von dieser Möglichkeit? Könnte dies Swanson´s Grund für die Aufnahme von Emma Smith in seiner Liste gewesen sein?
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Jack the Whopper

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Re: Swanson
« Antwort #63 am: 28.01.2011 21:43 Uhr »
Lestrade, ich bin beeindruckt! Aber immer der Reihe nach, ich muss erst noch meine Off-Topic-Obsession ausleben :-)
Zitat
Wenn, dann hätte er sie nach dem Mord da hinbringen können, vor dem Mord denke ich, wollte er dem Opfer gerne das Gefühl vermitteln, die Situation zu kontrollieren. An sich hast du aber Recht, er hätte das nach dem Mord machen können - vorausgesetzt er wusste von der Unterführung und den Gebäuden.
Moin Craddock! Was hätte dagegen gesprochen, sie vor dem Mord dorthin mitzunehmen? Ich denke Orte wie Hinterhöfe, Unterführungen und leerstehende Häuser waren „normale“ Orte für Sex mit Prostituierten, ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass eine der Frauen stutzig geworden wäre. Ob der Ripper das Gebäude und die Unterführung kannte, oder nicht, in Anbetracht der Tatsache, dass er Eddowes direkt davor getötet hat, dürfte er die Unterführung (die übrigens in einen ungenutzten Hinterhof führte) ja gesehen haben. Und selbst, wenn er nicht gewusst hätte, wo die Unterführung hinführt, muss man doch sagen, dass diese sich so oder so in jedem Falle als die sicherere Variante erwiesen hätte. Ich meine ALLES wäre besser gewesen als das „freie Feld“! Aber anscheinend wollte er es so, als hätte er der Welt sagen wollen „jetzt erst Recht – mitten auf einem öffentlichen Platz – vor den Nasen all eurer schlecht verkleideten Pokizisten!“ So kommt es mir wenigstens vor…
Zitat
Ein echter Polizeibeamter würde sich auch heute noch nicht ausgehend von einem Profil auf Tätersuche begeben, sondern es lediglich als unterstützendes Element betrachten. Ich denke, wir sollten da dasselbe tun und uns nicht zu sehr darauf versteifen.
Ich stimme dir 100 %ig zu!!!
Zitat
Ich vermute, dass es ihm lediglich wichtig war, irgendwo so lange wie möglich ungestört zu bleiben.
Lestrade, genau das kommt mir ja komisch vor! Es hätte viele Möglichkeiten gegeben. Hätte er das gewollt, hätte er sicherlich leerstehende Häuser und ungenutzte Hinterhöfe benutzt. Falls er nicht aus Whitechapel war, hätte er am Tag sicherlich die Gegend erkundet um seine kranken Phantasien bei Nacht auch richtig ausleben zu können. Mir kommt es so vor, als hätte der Ripper gewollt, dass die Frauen genau dort gefunden werden, wo sie auch lagen, und das so bald wie möglich nach der Tat…
So, jetzt zurück zum eigendlichen Thema:
Zitat
Ich erinnere an die Ereignisse bei Stride in der Berner Street. Hier wurde auch eine Frau attackiert und unmittelbar danach erschien ein weiterer Mann auf der Bildfläche. Entweder ging man hier mit 2 oder mehreren Personen vor oder aber, der Täter nutzte, wenn möglich, Notsituationen seiner Opfer aus.
Swanson könnte davon ausgegangen sein, das Emma Smith von der durch Hayes beschriebenen Person allein angegriffen wurde, nachdem eine Gang dort für Angst und Schrecken gesorgt hatte. Eine ähnliche Situation könnte er in der Berner Street vorgefunden haben. So erscheint Swanson´s zweiter Mann in jener Nacht viel interessanter als vorher.
Sehr interessante Überlegung! Auf diesen Zusammenhang wären wohl nur die wenigsten gekommen! Gewalt gegen Frauen (und Gewalt im Allgemeinen) war alltäglich im East-End. Der Ripper könnte auch jemand gewesen sein, der in dunklen Ecken lauerte und auf Gelegenheiten wartete den „Retter“ zu spielen, bevor er zuschlug. Da hätte man jetzt wieder unendlich viele Möglichkeiten zu spekulieren…



Jack the Whopper

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Re: Swanson
« Antwort #64 am: 28.01.2011 21:45 Uhr »
Ich möchte auch noch mal etwas allgemeines zu Anderson und Swanson sagen. Ich persönlich finde beide absolut unsympatisch! :-)
Beide wirken wie zwei überhebliche Prahlhänse, die nachträglich darauf hinweisen wollten, dass man alles richtig gemacht hat, dass es nur am Scheitern anderer lag, dass JtRs richtiger Name nicht allgemein bekannt geworden ist. OK, Swansons Randbemerkungen waren nicht für die Allgemeinheit bestimmt, aber es gibt viele Menschen, die sich die Wahrheit so lange zurechtbiegen, bis sie selbst zufrieden damit sind. Was sagte Anderson über den „Dear Boss“ Brief? Angeblich hätte er genau gewusst, welcher Schmierfink von Journalist  ihn geschrieben hat. Dann frag ich mich doch, warum dieser Jemand nicht genauso im Kittchen gelandet ist, wie die Frau, die man für das gleiche Vergehen verurteilt hatte. Ich tippe mal darauf, dass es nicht die Spur eines Beweises dafür gab, dass Bulling (oder sonst jemand) diesen Brief geschrieben hat. Der Verdacht bestand offensichtlich, einen Beweis gab es anscheinend aber nicht (weshalb McNaghten mit seinem Kommentar zum Journalisten, der für diesen Brief verantwortlich gewesen sein soll, auch deutlich vorsichtiger war, was seine Formulierung anging).
Was Kosminski angeht, hab ich ein ähnliches Gefühl. Wurde der Verdächtige wirklich identifiziert? Hat der Zeuge tatsächlich gesagt : Ja, das ist der Mann, den ich in jener Nacht gesehen habe“? Oder hat er vielleicht gar nichts gesagt, aber die verantwortlichen Polizisten fanden, dass sein Blick mehr gesagt hatte als 1000 Worte? Hat er vielleich sogar gesagt „Nein, das ist er nicht“, aber man war der Meinung, dass seine Reaktion das Gegenteil bewies? War es womöglich eine Unterstellung, dass der Zeuge einen Glaubensbruder decken würde, die aus Frustration über das Scheitern der Aktion gemacht wurde? Ich halte es durchaus für möglich, dass Anderson und Swanson in ihrer Eitelkeit die Tatsachen ein bisschen verdreht haben… Vielleicht haben sie ihre persönliche Meinung, oder ihren persönlichen Eindruck als Tatsache hingestellt…
Ist alles nur Spekulation! Vielleicht biege ich mir ja gerade meine Wahrheit zurecht, bis ich zufrieden damit bin! :-)
LG, Jörn


Offline Lestrade

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Re: Swanson
« Antwort #65 am: 29.01.2011 01:12 Uhr »
Hallo Jörn!

All deine Überlegungen sind absolut berechtigt. Und ich würde sie auch nicht allzuweit wegtun.

Ja, Zeuge und Verdächtiger hätten sich auch nur gegenübergestanden haben können und einer nur "Oh Scheiße" gesagt haben.

Zu deiner Überlegung mit den anderen Orten. Klar, er hätte es einfach gewollt haben können, dass die Opfer so gefunden werden.

Ich allerdings tendiere eher dazu, dass Prostituierte mit diesem Mann, garnicht gerne, allzuweit vom Schuß verschwinden wollten. Was er auch immer auf den ersten Augenblick an sich gehabt haben könnte. Kelly würde dagegen sprechen aber war dieser Mann auch wirklich ihr Mörder oder lernte der Täter, irgend etwas an sich besser zu verbergen? Der Zeuge James Brown hörte Stride zu einem Mann sagen:

"No, not tonight, some other night"

Wenn es denn stimmt, warum sollte eine Prostituierte einen Freier ablehnen? Das dort nicht die Chippendales herumliefen, dürfte den Damen bekannt gewesen sein. Und wie weit spielte der Alkoholpegel der Frauen, bei dieser Entscheidung ein Rolle? Waren Smith und Stride nüchterner und machten sie deshalb dem Ripper das Leben schwerer? Smith überlebt zunächst, Stride weist ihn ersteinmal zurück...

Schade, dass du meinen Doni unsympathisch findest... :negative:
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Offline Craddock

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Re: Swanson
« Antwort #66 am: 29.01.2011 03:18 Uhr »
Gute Nacht die Herren!

Hinsichtlich der Tätermentalität kann man wohl, genauso wie über alles andre in dem Fall, spekulieren bis der Sargschreiner kommt. Möglich ist alles, vor allem, da wir ja noch nicht einmal mit absoluter Sicherheit wissen, wie der Modus Operandi des Typs aussah. Ich tendiere nach wie vor eher dazu, dass er die Wahl des Platzes völlig der Prostituierten überlies und für ihn selbst nur zählte, dass er ein paar Minütchen mit dem Opfer hatte. Man wird da wohl auf keinen grünen Zweig kommen, bis ein anderer außer Maybrick gesteht  :biggrin:

Zu der Swanson-Coles Sache hab ich nix gefunden... eventuell hab ichs einfach nur falsch memoriert.

Lestrade, du solltest deinen Ansatz mal an einen der Überripperologen schicken, das sieht sehr interessant aus. Aber vergiss nicht, dir einen Teil der Tantiemen sichern zu lassen. Von den zeitlichen Aspekten her würde es passen. Eventuell war da jemand bei der Recherche schlampig oder hat bewusst ausgeschmückt, um uns eine schöne Legede zu liefern. Die Idee mit dem schimmernden Ritter find ich auch nicht schlecht. Ich frage mich nur, ob Smith den dann wirklich mit einem der Angreifer verwechselt hätte. Immerhin dürften die anfänglichen Aggressoren doch schnell den Rückzug angetreten haben, als Jack der Samarither auf der Bildfläche auftauchte. Anders ist es in der Berner Street, da halte ich so ein Szenario durchaus für möglich... Eventuell hat dann Kosminski später den Preis dafür bezahlt...

Jörns Meinung über die Herren Anderson und Swanson stimme ich zu 50% zu. Anderson geht für mich gar nicht, bei Swanson bin ich aber zu strafmildernden Einwänden bereit. Ich hab irgendwo schon mal erwähnt, dass ich und Donny keine Freunde mehr werden, aber immerhin muss ich Swanson zugute halten, dass er nicht die Art von Dampfplauderer ist wie sein Kumpel Bobby. Mit Andersons kryptischen Hinweisen aus seiner Biografie und dem Blackwood´s Magazine allein wär nicht viel anzufangen, Swanson präzisiert die Sache immerhin ein wenig. Auch wenn aus seinen Notizen nicht hervorgeht, was denn er selbst von dem Verdächtigen hielt. Wahrscheinlich ist, dass er Andersons Meinung teilte, aber vollkommen sicher kann man nicht sein. Swansons Erklärung in der Judenfrage unterscheidet sich aber deutlich von der seines Chefs.

Im Blackwood´s Magazine taucht zum Beispiel der Satz auf:
"And the conclusion we came to was that he and his people were low-class Jews, for it is a remarkable fact that people of that class in the East End will not give up one of their number to Gentile justice."

Ich denke, das dürfte einen ziemlich genauen Einblick in Andersons Betrachtung der Juden allgemein geben ... und ihn zudem nicht unbedingt sympathischer machen. Diese etwas fragwürdige Sicht könnte in Anderson  dann auch die Überzeugung festgesetzt haben, dass der Zeuge den Verdächtigen sofort, ohne zu zögern identifizierte und sich dann weigerte, den Mitjuden an den Galgen zu bringen.

Swanson ist da eigentlich wesentich moderater in seiner Beschreibung des Ganzen:
"Because the suspect was also a Jew and also because his evidence would convict the suspect and witness would be the means of murderer being hanged which he did not wish to be left on his mind…"

Er erwähnt zwar, dass dasselbe Religionsbekenntnis eine Rolle spielte, gibt aber auch an, dass ein weiterer Grund - und ich Wahrheit wohl der Hauptgrund - die Tatsache war, der Verdächtige könne durch ihn an den Galgen kommen und der Zeuge sich gar nicht so sicher war, ob es wirklich der Mann war, den er gesehen hat. Dass er ebenfalls Jude war, mag eine Rolle gespielt haben, aber wohl eher keine so große, wie es uns speziell Anderson Glauben machen will.

Mein Lieblinsbulle ist sowieso Edward Reid. Der übrigens recht interessante Sachen über die Juden in Whitechapel gesagt hat:
"During the whole time that I had charge there I never saw a drunken Jew. I always found them industrious, and good fellows to live among."

Wenn ich jetzt mal überlege, ob Reid oder Anderson mehr mit den Leuten auf der Straße zu tun hatte, komme ich zu einem recht klaren Schluss, in wessen Meinung ich da mehr Gewicht lege. Und außerdem:

"It still amuses me to read the writings of such men as Dr. Anderson, Dr. Forbes Winslow, Major Arthur Griffiths, and many others, all holding different theories, but all of them wrong. I have answered many of them in print, and would only add here that I was on the scene and ought to know."

Ob ich da wohl zu viel hineininterpretiere, dass Anderson in der Aufzählung gleich als Erster genannt wurde? Da er weiter oben speziell auf die Juden hingewiesen hat, scheint ihm besonders Anderson ein Dorn im Auge gewesen zu sein und vor allem wohl nicht sein bester Freund. Ich neige dazu, auch in diesem Punkt seiner Menschenkenntnis zu vertrauen...

Offline Lestrade

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Re: Swanson
« Antwort #67 am: 29.01.2011 11:42 Uhr »
Diese ganze Sache mit Religion und Glauben ist mir hierbei immer sehr unangenehm. Ich stamme aus einer Umgebung, die überhaupt nichts mit Glauben am Hut hat. Ich bin ohne dem aufgewachsen. Aus meiner Familie bin ich im Prinzip der einzige, der an einen Gott glaubt. Diesen Glauben habe ich mir bereits als Kind angeeignet. Ich war dafür offen. Die Eltern meines Vaters stammten aus der Nähe von Stettin bzw. Kolberg also Westpommern, dem heutigen Polen. Dennoch, nichts mit Glauben und mütterlicherseits auch nicht. Aber einen "jüdischen Einschlag" würde ich meiner Familie nicht absprechen, gerade durch den Geburtsnamen meiner Mutter... Die "Freude" über einen "polnischen Juden", hält sich bei mir sehr in Grenzen aber dies ist hier ja kein Wunschkonzert, auseinandersetzen tue ich mich damit dennoch oder eben genau deshalb. Ja, ich denke, ich schreibe aus diesen Gründen hier.
Ich bin kein Geschichtsguru aber wenn ich mich recht erinnere, hatte die Rothschild- Familie doch einen gewissen Einfluss auf die Zahlungsfähigkeit Englands zu jener Zeit. Naja, ein paar saufende und klauende Juden gab es auch damals (Hyam Hyams, Joseph Isaacs) und welche, die in der Klapse landeten wie Jacob Levy oder David Cohen (und mit dem wäre ich nicht gerne allein gewesen). Oder siehe den Fall Lipski. Ich glaube Reid gerne, da sind vielleicht auch Freundschaften entstanden, ich könnte mir das gut vorstellen, genau wie er sie auch beschreibt. Aber wenn das Hirn nur Brei ist (also die Psyche durch was auch immer stark gestört), ist es doch egal, ob du Jude, Moslem oder Christ bist. Angerichtet haben könnte das jeder.  Es gab sicherlich auch nette Irren, Schotten, Waliser oder Skandinavier etc. mit dem Reid hätte dick Kumpel sein können. Reid´s Informationen sind wichtig, genauso wie die von Anderson, auch wenn da starke Ablehnung im Spiel war. Diese könnte Anderson beeinflusst haben aber auch die naive, schön verklärte Ansicht die Reid hatte, hätte ihn selber bei seiner Objektivität "hindern" können. Anderson und auch Reid hatten Einstellungen, der eine eine negative, der andere eine positive. Beide waren auf ihre Art voreingenommen.
Ich persönlich denke, die jüdische Bevölkerung war sehr interessiert an einem guten Zusammenleben. Sie wollten, wie jeder andere auch, einfach nur überleben und sich etwas schaffen. Aber sie mussten sich auch mit solchen Charakteren auseinandersetzen, wie man sie überall findet. Ich mag Juden, ganz einfach.
Ob allerdings der Anderson´Verdächtige oder eben Kosminski überhaupt noch aktiv in der jüdischen Gemeinschaft lebte, dazu gehörte oder gar verstoßen wurde, da wäre ich mir nicht sicher. Und ob er gar noch als solcher anerkannt wurde? Dies wäre allerdings noch lange kein Grund, ihn der Polizei oder dem Galgen auszuliefern.
Die Überripperologen wissen das alles selber, bin ich mir sicher. Dennoch danke Craddock. Mir reicht es, auf solchen Wegen wie ich mich hier präsentiere, was vielleicht manchmal zu beschmunzeln ist oder echt schräg daherkommt, im wahren Leben tatsächlich einen Serientäter ausfindig gemacht zu haben. Geschafft durch jahrelanges Auseinandersetzen mit schrägen Theorien wie diesen hier.
Reid allerdings halte ich für jemanden, der tatsächlich dem wahren Jack the Ripper gegenübergestanden haben könnte. Er gehört für mich zu den Beamten, den diesen Mann übersehen haben. Möglicherweise. Reid und Abberline sehe ich ganz oben in dieser Liste.
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Offline Lestrade

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Re: Swanson
« Antwort #68 am: 29.01.2011 13:21 Uhr »
Achso, Emma Smith finde ich auch deshalb interessant, um herauszufinden, warum bestimmt Personen behaupteten, dem Ripper fielen 7-8 oder 10 Frauen zum Opfer und wann sie anfingen und/oder aufhörten zu zählen. Swanson Liste wäre eben eine Variante dabei.

25. Februar 1888       Annie Millwood*
28. März 1888           Ada Wilson*
03. April 1888           Emma Smith
07. August 1888        Martha Tabram
31. August 1888        Polly Nichols
08. September 1888  Annie Chapman
30. September 1888  Liz Stride
30. September 1888  Catherine Eddowes
09. November 1888   Mary Jane Kelly
20. November 1888   Annie Farmer*
20. Dezember 1888   Rose Mylett*
Laufe Juni 1889        Elizabeth Jackson
17. Juli 1889             Alice McKenzie**
13. Februar 1891      Francis Coles**

* schließt Swanson aus bzw. wohl nicht wirklich in Betracht (genauso wie die Torsofunde)
** könnte Swanson als Opfer in Betracht gezogen haben

Ada Wilson und Annie Farmer überlebten und hätten ja auch zur Identifikation beitragen können, haben sie vielleicht ja auch.
Ada Wilson erinnert mich aufgrund der Burdett Street, "screams for help were heard proceeding from Maidman-street, Burdett-road" sehr an Hayes´ Statement zu Emma Smith Sichtung mit einem Mann (siehe anderen Post). Annie Millwood überlebt ja auch, starb dennoch kurze Zeit später.

Würde man einem Mann dem allen zuordnen, sind die einzelnen Phasen interessant. Erst ca. 6 Wochen (Februar- April 1888), dann 5 Monate (August bis Dezember 1888), wenige Wochen (Juni/Juli 1889) und dann erst wieder nach 1,5 Jahren (Februar 1891). Also erhebliche Pausen dabei.       

Die ersten drei Frauen überlebten ihre Angriffe zunächst bzw. ganz und gar. Ob hier bereits der Charakter "Leather Apron" am Werk war, kann ich natürlich nicht sagen aber diese Ereignisse könnten erste Versuche gewesen sein, Frauen zu töten usw.

Übrigens soll eine Frau namens Elizabeth Allen (Crossingham's lodging House, 35 Dorset Street) gerade zu diesem Charakter ein Statement abgegeben haben (wohl zu Reid selber), das eben auch die Statements von Eliza Cooper (auch das Lodging House, Dorset Street) und auch von Mary Ann Connolly glichen. Diese betrafen einen Mann nahe Buck´s Row.
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Jack the Whopper

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Re: Swanson
« Antwort #69 am: 29.01.2011 17:06 Uhr »
Ahoi!
Zitat
Er erwähnt zwar, dass dasselbe Religionsbekenntnis eine Rolle spielte, gibt aber auch an, dass ein weiterer Grund - und ich Wahrheit wohl der Hauptgrund - die Tatsache war, der Verdächtige könne durch ihn an den Galgen kommen und der Zeuge sich gar nicht so sicher war, ob es wirklich der Mann war, den er gesehen hat. Dass er ebenfalls Jude war, mag eine Rolle gespielt haben, aber wohl eher keine so große, wie es uns speziell Anderson Glauben machen will.
Und schon wären wir bei der nächsten Ungereimtheit angelangt, denn 1888 wurde kein Mörder mehr gehängt, wenn dieser geisteskrank war. Für Kosminski wäre die Aussage des Zeugen also kein Todesurteil gewesen. Ich denke, das hätte man Kosminski gesagt (in der Hoffnung, dass er gesteht) und auch dem Zeugen (so nach dem Motto "...es ist doch das Beste für den armen Irren, wenn man sich in einer entsprechenden Einrichtung um ihn kümmert"). Warum hätte der Zeuge also etwas derartiges befürchten sollen? Hmmm, Anderson und Swanson werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten...

Jack the Whopper

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Re: Swanson
« Antwort #70 am: 29.01.2011 17:12 Uhr »
Zitat
Der Zeuge James Brown hörte Stride zu einem Mann sagen:

"No, not tonight, some other night"
Hmm, ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass diese Frauen bei den Freiern an sich sonderlich wählerisch waren. Vielleicht aber, wenn diese irgendwelche "speziellen Praktiken" wollten. Stride könnte alles mögliche gemeint haben. Vielleicht war der Kerl auch ein Straßenprediger und hat sie nur zur Mitternachtsmesse eingeladen, haha... Ich denke nicht, dass der Ripper sooo abschreckend gewirkt hat.
LG, Jörn

Offline Craddock

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Re: Swanson
« Antwort #71 am: 29.01.2011 20:23 Uhr »
Anderson, Reid:

Ich denke, dass Reids insgesamt nur positives Resumee zu den Juden lediglich eine Antwort auf Andersons Pauschalurteil ist. Der Mann war von Anderson und seinen eindimensionalen Ansichten wahrscheinlich nur angewidert und hat dementsprechend reagiert, indem er ein ebenfalls pauschales, im Inhalt aber gegensätzliches Urteil abgab. Reid wusste wohl ganz gut, dass es auch mit Juden zu Problemen kommen konnte, er wollte aber dieses sehr negative Bild, das Anderson in seiner Veröffentlichung erzeugt hat, relativieren. Anderson hat eine ganze Bevölkerungsgruppe verunglimpft, indem er alle über einen Kamm scherte, Reid hat dieses Bild korrigiert, indem er die genau gegenteilie Position einnahm. Es geht um einzelne Menschen, nicht um ethnische oder religiöse Gruppen. Reid weist im Grunde also nur darauf hin, dass die Juden im East End im Grunde wollten, was alle andren auch wollten: In Frieden leben und sich eine Existenz aufbauen, soweit in der Gegend möglich.

Diese ewige Behaupterei, dass die Iren beispielsweise wesentlich unbeliebter waren als die Juden, ist in diesem konkreten Zusammenhang falsch und ärgert mich bisweilen richtig. Gerade nach dem Chapman-Mord und dem Aufkommen der Geschichten um Leather Apron schlug die Stimmung da nämlich extrem um. Es stimmt, die Juden wurden anfang mit relativ offenen Armen empfangen, diese armen Menschen, die vor Progromen flüchten mussten. Aber sehr schnell änderte sich diese Anschauung, spätestens als klar wurde, dass diese Leute ja dann auch irgendwo und irgendwie ihr Geld verdienen mussten. Und schon länger dort lebende Juden, die sich bereits etabliert hatten und ihre eigenen Geschäfte eröffneten, sahen es da vielleicht als ihre Pflicht ihren eben erst geflüchteten Gaubensbrüdern gegenüber an, ihnen den Vorzug gegenüber Einheimischen zu geben. Die Iren, Schotten und Schwarzen mögen zwar insgesamt in London schlechter angesehen worden sein, aber im East End zu dieser speziellen Zeit und in diesen speziellen Umständen, waren die Juden die Gruppe, mit der ich am wenigsten gern getauscht hätte.

Kosminski:

Andersons Behauptung, der Verdächtige sei bereits in eine Anstalt eingewiesen worden, bevor man ihn identifiziert hat, ist wohl ohnehin falsch. In diesem Fall wäre der Verdächtige gar nicht mehr zu belangen gewesen und selbst so etwas wie eine Gegenüberstellung wäre rechtlich wohl schon unmöglich gewesen. Wenn Aaron Kosminski also identifiziert wurde, dann auf jeden Fall vor seiner Einweisung nach Colney Hatch. Beweise hatte man nicht, sonst hätte man ihn festnehmen und verhören können. Alles was man offenbar hatte, war ein Zeuge, der ihn nicht identifizieren konnte. Alles in allem also ein recht dünnes Gemisch, das trotz Andersons und wohl auch Swansons Überzeugung, den Täter gefasst zu haben, recht zweifelhaft bleibt. Anderson ist und bleibt einfach ein Kandidat, mit dem ich mich nicht anfreunden kann. Er weist ja auch darauf hin, dass er geneigt sei, den Täter und den Journalisten, der den Dear Boss Brief geschrieben hat, zu nennen, falls die Herausgeber - er meint wohl das Blackwood´s Magazine - bereit wären, die Konsequenzen einer Verleumdungsklage zu tragen. Der Mann hatte also wohl alles - nur eben keine Beweise.

Stride:

Mh, nach den ganzen Aussagen dürften in der Berner Street an dem Abend ja zwei Paare unterwegs gewesen sein. Ich hab jetzt nur schnell bei Casebook bei Stride´s Inquest nachgesehen. Hat Brown denn wirklich Stride gesehen oder das andere Paar? Die Blume hat er ja offenbar nicht gesehen, dabei wär die wohl das Merkmal, an das man sich am ehesten erinnert. Die Beschreibung der Statur des Mannes würde andererseits ganz gut passen.

Jack the Whopper

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Re: Swanson
« Antwort #72 am: 29.01.2011 22:41 Uhr »
@Lestrade
Ich mache einen halben Rückzieher, was meinen letzten Kommentar angeht. Vielleicht hatte der Mann mit dem Stride von Brown gesehen wurde (WENN es Stride war) ja irgendetwas abschreckendes an sich. Oder etwas, das er sagte machte ihr Angst. Das wäre doch eigendlich die perfekte Ausgangssituation für das, was sich vor dem Club in der Berner Street abspielte. Vielleicht gab Stride dem Mann (eventuell Kosminski???) in der Fairclough Street eine Abfuhr. Das wollte der "Kunde" (?) nicht auf sich sitzen lassen und wurde agressiv. Stride haut ab und geht in die Berner Street (dürften nur wenige Meter gewesen sein), der Mann lässt nicht locker und folgt ihr. Vor dem Club kommt es dann zum von Schwartz beobachteten Showdown. Aber was dann? War der Kunde so sauer, dass er Long Liz umbrachte? Oder hat er sie nur vermöbelt und ging danach stiften? Damit wären wir wieder bei dem Mann mit der Pfeife angelangt. Falls er der Mörder war, wäre der "Angreifer" so etwas wie eine Absicherung für ihn gewesen. Würde er selbst in Verdacht geraten, könnte er immer auf den Mann verweisen, der Stride angegriffen hatte. Damit, dass er erst noch Schwartz folgte verschaffte er sich fast so etwas wie ein Alibi, denn das letzte was Schwartz sah, war Liz auf dem Boden, attackiert von dem "Angreifer", sowie der Pfeifenmann, der sich (genau wie er) vom Tatort entfernte bevor Stride getötet wurde.
Ich sehe den Ripper nicht wirklich als jemanden, der sich vor seinen Taten noch Minuten lang in verschiedenen Straßen mit seinen zukünftigen Opfern zeigte, dehalb würde ich momentan eher auf den Pfeifenmann tippen. Dazu kommt die von dir aufgezeigte Möglichkeit einer Verbindung zu der Atacke auf Emma Smith. Falls das tatsächlich Swansons Grund war Smith mit in die Liste zu nehmen, war er vielleicht doch gar nicht so blöde, haha! Und da Ivor Edwards auch die Seaside Home Identifizierung in dieser Theorie unterbringen konnte, mach ich mir jetzt erstmal ein Guiness auf! Cheeers!

@Craddock!
Weisst du sicher, dass eine Gegenüberstellung rechtlich nicht möglich gewesen wäre, falls Klosi schon in einer Anstalt war? Das wäre ja schon wieder ein dicker Patzer... Kann man die rechtlichen Gegebenheiten heute noch irgendwo nachlesen? Irgendwie war ich immer davon ausgegangen, das Klosi sowieso verrückt war und es bei der Gegenüberstellung nicht mehr darum ging "Jack" vor Gericht zu bringen, sondern nur darum Gewissheit zu haben, ob er es nun ist oder nicht. Ich denke, nachdem die Polente soviel Schläge einstecken musste, hätte man auch gerne öffentlich kundgetan, dass die "gute Arbeit" der Polizei nicht ergebnislos war und der Ripper aus den Verkehr gezogen wurde...
LG, Jörn
 

Offline Craddock

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Re: Swanson
« Antwort #73 am: 30.01.2011 00:27 Uhr »
Nabend Jörn!

Ob mans noch irgendwo nachlesen kann, weiß ich nicht, ich beziehe mich nur auf einen Artikel von Stewart Evans. Der dürfte als Ex-Polizist und jemand, der die Polizeigeschichte sehr genau studiert hat, da durchaus als kompetent bezeichnet werden - zumal er ja auch nicht im Ruf steht, schlecht zu recherchieren. Den Artikel findet man hier: http://casebook.org/dissertations/dst-koz.html
Ich kopier mal Evans Szenario in Stichpunkten raus und erklär dann, warum ich es für das wahrscheinlichste Szenario halte:

   1. The witness must have been Lawende a City Police witness, in a City murder case.

Laut Evans ist es und war es immer üblich, dass sich die Zuständigkeiten einzig darauf bezogen, in wessen Gebiet ein Mord verübt wurde. Da der Verdächtige laut Swanson nach der Identifikation von der City Police überwacht wurde, muss der Mordfall, bei dem der Zeuge Zeuge war, der Fall Eddowes gewesen sein. Eine Überwachung wäre somit in den Zuständigkeitsbereich der City Police gefallen, egal auf welchem Gebiet das Verdächtige lebte. Zumal die Zuständigkeiten britischer Polizeibeamter offenbar ohnehin nicht auf ihre Gebiete beschränkt waren, sondern für das ganze Königreich galten. Gängige Praxis war es dabei wohl, dass die "heimische" Polizeieinheit lediglich informiert wurde, dass man Leute auf ihrem Gebiet hatte.

  2. The identification took place between 12 and 15 July 1890 at the time of Kosminski’s first attack of insanity, his short stay at the Workhouse, and whilst he was in the custody of the workhouse officials. (it would have been impossible to do after he had been committed to an asylum).

Klare Beweise lagen offenbar nicht vor, nur ein aus den House-to-House-Searches hervorgegangener Verdacht, der durch Kosminskis erste Überstellung ins Workhouse reaktiviert wurde. Es gibt überhaupt keinen Hinweis, dass Kosminski jemals in Polizeigewahrsam war. Also ist unwahrscheinlich, dass der Transport des Verdächtigen von der Polizei durchgeführt wurde. Würde auch eine seltsame Formulierung von Swanson erklären, der schreibt: after the suspect had been identified at the Seaside Home where he had been sent by us with difficulty in order to subject him to identification. Sent, nicht taken, wie es für eine Polizeiaktion offenbar üblich gewesen wäre. Evans geht davon aus, dass der Transport vom Workhouse-Personal durchgeführt wurde, nachdem von Polizeiseite Druck ausgeübt wurde. Es gab nur einen Verdacht gegen Kosminski, nichts Konkretes, weshalb der Verdächtige, der zu der Zeit Patient wegen eines Wahnsinnsanfalls war, wohl nicht komplett an die Polizei übergeben worden wäre.

   3. The identification took place at the Convalescent Police Seaside Home at Clarendon Villas, Brighton.

Hier spekuliert er wohl genauso wie wir.  :biggrin:

   4. "…where he had been sent by us with difficulty in order to subject him to identification and he knew he was identified." – Swanson.

Siehe Punkt 2.

   5. "On suspect’s return to his brother’s house in Whitechapel he was watched by police (City CID) by day and night." – Swanson.

Der Verdächtige war nicht in einer Anstalt. Wäre er mit diagnostiziertem Wahnsinn in einer Anstalt gewesen, hätte man ihn nach der Gegenüberstellung wohl kaum ins Haus seines Bruders oder Schwagers gebracht, sondern eher zurück in die Anstalt. Laut Evans konnte ein diagnostizierter Wahnsinniger damals aber nicht mehr vor Gericht belangt werden und wurde deshalb von den Verantwortlichen der Antalten generell nicht mehr an die Polizei herausgegeben. Unser Verdächtiger ist aber laut Swanson ohnehin in die Obhut seines Bruders gegeben worden, wo er dann von der zuständigen Polizeieinheit überwacht wurde. In dem Fall die City Police.

  6. "In a very short time the suspect with his hands tied behind his back he was sent to Stepney Workhouse [4 February 1891] and then to Colney Hatch…" – Swanson.

Wir wissen nichts darüber, ob Kosminski mit gefesselten Händen irgendwohin gebracht wurde. Da dies aber der Zeitpunkt gewesen sein könnte, wo er seine Schwester mit einem Messer bedrohte und zudem noch von der Polizei überwacht wurde, ist es durchaus wahrscheinlich. Eventuell wurde die ohnehin observierende Polizei gleich alarmiert und hat ihn danach ins Workhouse weggeschafft.

Insgesamt jedenfalls beseitigt Evans Szenario alle Widersprüche, erklärt Unstimmigkeiten mit rechtlichen Notwendigkeiten und entlastet sogar Anderson ein bisschen. Über dessen Anstaltsbehauptung Evans meint, es sei eine bewusste Vereinfachung gewesen, um nicht zuviel erklären zu müssen. Und angesichts dessen, dass Scotland Yard nicht beweisbare Dinge der Öffentlichkeit nicht zugänglich machte, ist sie auch noch als Verschleierung zu sehen, weil allein davon die wahren Geschehnisse nicht ableitbar bzw recherchierbar gewesen wären. Durchaus möglich. Ich mag Anderson immer noch nicht, den Rest von Evans Überlegungen halte ich für richtig.

Offline Lestrade

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Re: Swanson
« Antwort #74 am: 30.01.2011 10:52 Uhr »
Ausführungen eines Stewart Evans haben einen hohen Stellenwert.

Sollte die Identifikation zwischen dem 12 und 15 Juli 1890 (währende der ersten Einweisung) durchgeführt worden sein, passt aber die "very short time" bis zur Einweisung im Februar 1891 nicht. Ich würde hier eher annehmen, dass die City Police vom Juli 1890 an, den Verdächtigen bereits observierte und eher im Januar 1891 die Identifikation stattfand, wo er eben bis zur zweiten Einweisung im Februar 1891 kurzzeitig weiter observiert wurde. Dann frage ich mich allerdings, warum Lawende der Zeuge gewesen sein m u s s. Warum hätte man so lange warten sollen mit Lawende? Zwei Varianten sehe ich ganz oben: Entweder man hatte schon länger einen Verdächtigen aber keinen Zeugen oder einen Zeugen und lange keinen Verdächtigen (plus diverse, von mir andere geschilderte Varianten und Umstände). Und darauf passt so Evans Möglichkeit nicht, wenn man Swanson´s "very short time" glauben schenkt. Alles zwar möglich aber nicht mit den Beteiligten, die hier aufgeführt werden. Meiner Meinung nach. Allein durch den PC vom Mitre Square, von dem man ja Glauben darf, dass er Angehöriger der City Police war, hätte man allein durch diesen "Zeugen" auf dem Gebiet der MET observieren dürfen. Da brauchte man Lawende nicht für. Evans beseitigt nicht alle Widersprüche. "Sent" oder "taken" hin- oder her. Der Verdächtige sollte sich einer Identifikation unterziehen und es schien, laut Swanson, nicht ganz so einfach, diese mit ihm durchzuführen. Es gab Schwierigkeiten. Welche, wissen wir nicht. Ich möchte darauf hinweisen, das Swanson´s Behauptung mit dem doch schnellen Ableben des Verdächtigen, einen Grund für die Schwierigkeiten darstellen könnte. Es wird selten dahingehend überlegt, ob der Verdächtige, falls es nicht Aaron Kosminski war, schlicht und einfach kurzfristig ernsthaft erkrankt war (auf welche Art auch immer) und es nicht einfach gewesen sein könnte, ihn aus dem Hause und der Pflege seines Bruders herauszuholen. Jemand, der vielleicht im hohen Fieber liegt, den könnte Angehörige (selbst wenn sie wissen, wie ernsthaft das Auftreten der Polizei gemeint ist), nicht einfach so der Polizei überlassen. Und dann wird aus dem gewöhnlich verwendeten "taken", eben ein weniger bürokratisches "sent" mit freundlicher Genehmigung des Bruders und behandelnden Arztes und/oder eines barmherzigen Geistlichen.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...