Hallo Lestrade!
Arthur, du traust Jacob Levy ein komplexeres Denken zu...
Was hat das Bedürfnis eines Serienkillers, Angst und Schrecken zu verbreiten, mit komplexem Denken zu tun? Man braucht doch nicht viel Grips, um Drohungen auszusprechen und sich die Folgen auszumalen. Unterschätze mal nicht die Fähigkeiten von psychisch Kranken oder von intellektuell minderbemittelten Gewohnheitsverbrechern, die sind in ihren „Fachgebieten“ trotzdem oft noch zu recht „cleverem“ Verhalten fähig – das hat weniger mit abstrakter analytischer Intelligenzleistung zu tun als mit praktischer Lebenserfahrung.
Die Gedanken des Rippers waren offensichtlich zumindest noch klar genug, um die bereits alarmierten Frauen in trügerischer Sicherheit zu wiegen und die Beats der Polizisten im Auge zu behalten, was es ihm trotz der erhöhten Präsenz und Aufmerksamkeit ermöglichte, ihnen nach der Tat zu entkommen.
Und Levy scheint ja auch lange genug noch ausreichend klar im Kopf gewesen sein, dass man ihn nicht bereits 1888 wieder in eine Anstalt steckte, sondern unseres Wissens erst 1890.
H&B Crackers, einige Angestellte in der Winthorp Street und evtl. in der Tabard Street nahe Borough Road. Ein enormer Zeitgewinn. Schlachter, egal welcher Art, waren eh nach dem Chapman Mord hoch eingestuft und in aller Munde. Hier wieder der "denkende" Jacob Levy.
Da magst du aus abstrakt analytischer Perspektive recht haben. Aber hast du nicht unmittelbar zuvor gesagt, du glaubst nicht, dass er noch zu komplexerem Denken fähig gewesen wäre? Inwiefern spräche dann eine dumme Handlung oder Fehleinschätzung gegen meine These? Sogar Menschen, die sich ansonsten clever verhalten, begehen mal eine Dummheit oder machen eine Fehleinschätzung. Und wir reden hier von einem psychisch Kranken.
Vielleicht hatte der Briefeschreiber auch einfach nur eine persönliche Abneigung gegen (einzelne oder alle) horse cracker, und da bot es sich einfach an, aus slauterer eben horse slauterer zu machen, als er sich gegen seine eigene Identifizierung entschied.
Ein y ist kein Täterwissen.
Habe ich auch nie behauptet – mal abgesehen davon, dass ich diesen Einwand nicht verstehe, da man die Kenntnis des eigenen Namens wohl beim Täter voraussetzen kann, sollte er nicht an Amnesie leiden.
Scherz beiseite: Das y ist für mich einfach ein Indiz.
Ich sehe lediglich eine mögliche Verbindung des Briefes zu Jacob Levy, unter anderem weil Jacob Levy ein kurzer Name ist, der unter die Schwärzung passen würde, und weil Levy auch mit einem y endet, ebenso wie der Name, der da mal gestanden haben könnte. Mehr nicht.
Hier nochmal kurz die Ähnlichkeiten zwischen der Selbstbeschreibung im Brief und dem Eintrag aus Jacob Levys Patientenakte:
Brief:
"I do wish to give myself up
I am in misery with nightmare
(...)
I done what I called slaughtered her
but if anyone comes I will surrender
but I am not going to walk to the station by myself"
Levys Akte:
"Says he feels a something within him, impelling him to take every thing he sees.
Feels that if he is not restrained he will do some violence to some one
(...)
He is suffering from mania says that he feels compelled to do acts contrary to the dictates of his
conscience by a power which he cannot withstand"
Ich denke, die Ähnlichkeiten in der psychischen Verfassung sind durchaus zu erkennen.
Täter dieser Art reden nicht über ihren Geisteszustand, schon gar nicht, wenn sie Mörder sind. Das ist kaum zu erwarten.
Kannst du das mit irgendwelchen kriminologischen oder psychologischen Quellen belegen?
Ich teile zwar auch die Ansicht des FBI, dass jener Tätertyp vermutlich eher nicht mit der Polizei kommunizieren würde – aber ganz ausschließen kann man sowas ja nicht, das sind ja nur statistische Erkenntnisse, die etwas über Wahrscheinlichkeiten aussagen.
Vor allem habe ich aber noch nie gehört, dass psychisch kranke Täter im Allgemeinen nicht über ihre Befindlichkeiten sprechen würden – im Gegenteil klagt doch so mancher dieser Täter in egozentrischer Manier und völliger Blindheit für die Leiden seiner Opfer, wie schlimm es ausgerechnet ihm doch gehe.
Ich muss da gerade an ein Zitat aus einem alten Spiegel-Artikel über die forensische Psychiatrie und ihre Insassen denken, das sich mir eingebrannt hat: "Großes Maul und den Hintern voller Tränen", so hatte ein Therapeut es zusammengefasst:
„Irgendwann", sagt der Patient, "kehrten sich bei mir die Phantasien um. Nun wollte ich jemanden töten, zerstückeln und das Fleisch essen." Er tat es. Solche Taten abscheulich zu finden ist wohlfeil - doch auch das Dämonische trägt menschliche Züge. "Die Insassen quälen sich durchgehend mit extrem wertenden und strafenden Selbstverurteilungen", sagt Fehlenberg. "Großes Maul und den Hintern voller Tränen", beschreibt der Beschäftigungstherapeut Volker Wagner seine Patienten.“
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13734281.htmlUnd wenn die Erkrankung bei JTR erst im Anfangsstadium war und sich nach und nach verschlimmerte, dann gab es ja zwischen den akuten Schüben zunächst noch klarere Phasen, in denen er seinen eigenen psychischen Verfall mit Schrecken bemerken konnte.
Ich musste während meiner Zivi-Zeit einige Menschen mit paranoider Schizophrenie in die Psychiatrie einliefern, und im Ich-dystonen Zustand waren die i.d.R. ein Häufchen Elend, das einem nur zu gern sein Leid klagte.
Der Brief sollte ein Fake sein, von jemanden, der einen geisteskranken Pferdeschlachter außerhalb aber nahe Whitechapel immitiert.
Möglich – aber dann hatte der Schreiber für die damalige Zeit eine Kenntnis von psychotischen Killern, die über den Wissensstand der allgemeinen Bevölkerung deutlich hinausging. Für die war so ein verrückter Killer doch einfach nur abgrundtief böse und höhnisch, aber kein selbst an seinem Zustand leidendes Wesen. Wir dürfen in der viktorianischen Epoche ja nicht moderne psychiatrische Erkenntnisse als Wissen voraussetzen.
Für die allermeisten Zeitgenossen damals galt der seelische Zustand solcher Menschen als Ich-synton – also dass sie sich eins mit ihren Gefühlen, Gedanken und Handlungen empfinden. Dabei sind Paranoid-Schizophrene überhaupt nicht immer eins mit sich selbst, sondern erfahren Ich-dystone Phasen, weil sie sich eben nicht eins mit ihren Gefühlen, Gedanken und Handlungen empfinden. Vielmehr kommt es ihnen vor, als würden diese ihnen aufgezwungen, akustische Halluzinationen werden als fremde befehlende Stimmen wahrgenommen, die sie zu Handlungen zwingen wollen, die sie eigentlich nicht tun wollen, und viele fallen nach einem akuten Schub in eine postschizophrene Depression. In den Ich-dystonen Phasen ist da natürlich extremer Leidensdruck und der Wunsch, dieser „Albtraum“ möge endlich enden.
Wieviele Zeitgenossen von JTR dürften das gewusst haben?
Deshalb halte ich unter all jenen Briefen, die JTR zugeschrieben werden, und die ich bisher kenne, diesen ersten neben dem „From Hell“-Brief am ehesten für kein Fake.
Wie schon gesagt: Die Wahrscheinlichkeit, dass keiner der Briefe echt ist, ist auch meiner Meinung nach recht hoch – dafür kann die Kriminologie gute statistische Gründe aus ihrer Erfahrung mit solchen Tätern anführen. Aber wenn es dennoch echte Bekennerbriefe gab, habe ich jene beiden oben genannten Favoriten.
Soviel zu meinen Gedankengängen dazu. Vielleicht kannst du sie nun besser nachvollziehen, auch wenn du meine Hypothese nicht teilst.
MfG, Arthur Dent