Autor Thema: Jacob Levy  (Gelesen 308430 mal)

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Offline Lestrade

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Re: Jacob Levy
« Antwort #330 am: 18.10.2016 15:50 Uhr »
Hallo Arthur,

Wir können uns ja denken, dass es noch weitere Zeugen als die uns bekannten gab, welche eben nicht zur Polizei gingen oder von ihnen gefunden wurden. Ein Beispiel könnte der Zeuge im Seaside Home sein. Es wäre ja denkbar, dass er sich erst viel später entschloss zur Polizei zu gehen oder aber, diese kamen ihm später auf die Spur. So um den Herbst 1890 führte die Polizei erneut Befragungen durch. Bei so etwas zum Beispiel, hätten man weitere Zeugen finden können.

Ich habe jetzt nicht erneut nachgelesen aber ich meine, Nathan Shine war damals 18 Jahre jung. Das Alter, einfach Angst oder eben Angst selber verdächtigt zu werden, könnte ihn oder auch andere abgeschreckt haben. Ich sage es dir ganz ehrlich, ich möchte nicht in eine solche Situation geraten… da würde auch mir der Arsch auf Grundeis gehen…

Dennoch gefällt mir diese Shine Anekdote, wie sie nun auch immer zustande gekommen sein mag. Seine Beschreibung, welcher er von Schwartz via Zeitung gelesen haben könnte, deckte sich vielleicht mit seiner. Aber er sah noch mehr, vielleicht das Gesicht des Mannes, mit dem Messer über dem Opfer (Stride) als auch die längeren Haare. Wie dem auch sei… Falls wahr, dann können wir möglicherweise auch etwas daraus ableiten… nämlich, dass BS Man dann tatsächlich ihr Killer war und somit wahrscheinlich Jack the Ripper. Das wiederum würde uns sehr, sehr viel über die Persönlichkeit des Rippers sagen, dass er wirklich sehr risikoreich agierte und mehr Glück als Verstand hatte… vermutlich könnten wir auch sagen, dass Shine oder jemand mit ähnlicher Sichtung, eher unwahrscheinlicher der Zeuge im Seaside Home war… denn würde ein Zeuge, egal ob jüdisch oder nicht, in einem solchen Falle überhaupt zurückziehen können…? Die Polizei hätte gesagt: Sie haben einen Mord gesehen, zwischen der Tötung und ihrer Sichtung lagen vielleicht 1-2 Sekunden, da passt kein Blatt Papier mehr zwischen, überlegen sie, ob sie damit leben wollen…

Der Zeuge muss ihn irgendwo gesehen haben aber so, dass er die Möglichkeit hatte und auch für sich verantworten konnte, ihn nicht dem Galgen auszuliefern… vorausgesetzt auch immer, was der Zeuge selber über die Mordserie wusste und wie er das alles einordnen und verstehen konnte. Er hätte nicht wissen müssen, dass dieser Zeuge bereits länger ein Hauptverdächtiger war, er hätte nicht wissen müssen, dass es eine Reihe von Umständen gab, die diesen Mann schwer belasteten… dazu müssen wir auch in Betracht ziehen, dass der Verdächtige selber, bei einem willigen Zeugen, hätte zusammenbrechen können, vor der Polizei und vor dem Gericht. Dazu wäre es nicht nötig gewesen, über einer Leiche stehend gesehen worden zu sein.

Mir gefällt mein Beispiel mit dem Miller´s Court. Der Verdächtige traf auf den Zeugen im Durchgang zum Miller´s Court als er den Tatort verließ und der Zeuge zu den Klos oder zur Wasserstelle im Court wollte. Vor so einer Aussage eines Zeugen, hätte er möglicherweise kapituliert, gerade auch dann, wenn es nicht das erste Mal gewesen wäre, dass er an einem Tatort gesichtet wurde oder gesichtet worden sein könnte, siehe PC vom Mitre Square und Packer.

Was auch immer mit Shine war, die Geschichte könnte wahr sein aber beweisen werden wir es wahrscheinlich nie können. Sollten wir jedoch einmal Fotos oder unbekannte Beschreibungen des Verdächtigen sehen, dann würden wir eventuell Shine “vertrauen“, sollte derjenige lange Haare getragen haben.

Btw.:

Heute lass ich bei Pat Marshall bezüglich der Kosminskis folgendes;

I do not think he was low class as he came from a successful family both brothers being master tailors and one being a freemason.

Von einem Freimaurer wusste ich bisher nichts…

Gruß Lestrade.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Offline Arthur Dent 2

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Re: Jacob Levy
« Antwort #331 am: 29.10.2016 11:24 Uhr »
Hallöle,

ich habe mal die Karte mit dem geographischen Profil Jacob Levys aktualisiert:

Offline Arthur Dent 2

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Re: Jacob Levy
« Antwort #332 am: 29.10.2016 17:50 Uhr »
Hallo zusammen!

Nach der Karte habe ich auch noch einmal die Zusammenfassung über Jacob Levy aktualisiert.


MfG, Arthur Dent

Offline Arthur Dent 2

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Re: Jacob Levy
« Antwort #333 am: 29.10.2016 17:52 Uhr »
Jack the Ripper – Tatverdächtiger Jacob Levy



Jacob Levy
wurde 1856 als Sohn des Metzgers Joseph Levy und seiner Frau Caroline im Londoner Eastend geboren, lebte und arbeitete im Viertel und wurde 1890 aufgrund der Folgen einer fortschreitenden psychischen Erkrankung in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, wo er 1891 starb. Als Todesursache wurde in den Akten ein fortschreitender Verfall infolge einer Syphilis angegeben.
Jacobs Frau Sarah soll den Anstaltsakten zufolge nach der Einweisung gesagt haben, Levy habe beinahe sie und ihr Geschäft ruiniert, früher sei er ein guter Geschäftsmann gewesen. Aber er schlafe nun nachts nicht mehr, sondern wandere oft für Stunden ziellos umher. Auch befürchte er, jemandem etwas anzutun. Er höre Geräusche und Stimmen, die ihm befehlen und ihn zwingen Taten zu begehen, die er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne.

Zu einem Verdächtigen im Fall der Whitechapel-Morde wurde Jacob Levy durch die Recherche zeitgenössischer Ripperologen in den Unterlagen der Nervenheilanstalten in und um London. Sie suchten darin nach jener Person, die in den Texten der hochrangigen Polizeibeamten Chief Constable Mcnaghten, Assistant Commissioner Anderson und Chief Inspector Swanson als der mutmaßliche Ripper erwähnt werden, und dessen Leben in einer Irrenanstalt geendet haben soll. Vier Verdächtige wurden gefunden: Aaron Kosminski, David Cohen, Hyam Hyams und Jacob Levy. Auf Levy treffen zahlreiche Aussagen der Polizisten und Zeugen sowie des modernen Profilings zu. 


Beruf Metzger:

Im Census und im London Business Directory ist als Beruf von Jacob Levy Metzger angegeben.

Für moderne Profiler ist das Töten von Tieren am Anfang der mörderischen Karriere typisch für die Biographie von Serienkillern, ein Metzgerjunge wächst damit auf und kann seine pathologische Veranlagung durch seine Berufswahl zugleich entwickeln, ausleben und kaschieren. 
Angesichts der Art der Verletzungen bei den Opfern gehen Gerichtsmediziner und Polizei damals wie heute davon aus, dass JTR zumindest grundlegende anatomische Kenntnisse besaß und auch bei schlechtem Lichtverhältnissen sicher mit einem Messer umgehen konnte. Kenntnisse über Anatomie und das Zerlegen von Körpern hatten damals vor allem beruflich damit beschäftigte Gruppen wie Chirurgen oder Schlachter - demnach könnte JTR also Metzger gewesen sein. Dies war z.B. die Meinung von Dr. Frederick Gordon Brown, der Catherine Eddowes untersuchte, und auch von Dr. George Bagster Phillips, der Annie Chapman obduzierte.
Die Tatwaffe soll Gerichtsmedizinern zufolge eine lange, schmale, gerade Klinge gehabt haben, wie sie typisch zum professionellen Zerlegen von Körpern ist, z.B. sog. Amputationsmesser von Chirurgen oder ähnliche Metzgerklingen wie z.B. ein Tranchiermesser.
Der Kehlenschnitt deutet ebenfalls auf einen Metzger hin, der es gewohnt ist, so das Schlachtvieh zu töten. Das Töten geschah schnell und effizient, die Verstümmelungen wurden post mortem zugefügt und von Opfer zu Opfer umfangreicher - womit das Töten vor allem Mittel zum Zweck, das eigentliche Ziel hingegen offenbar das Eröffnen und Ausweiden des Unterleibs der Opfer war. Organentfernungen unter Zeitdruck und bei sehr schlechten Lichtverhältnissen, ohne sich total mit Blut zu versauen, spricht für Erfahrungen im Schlachterhandwerk.
Ein Indiz dafür ist auch, dass der Ripper seine Opfer i.d.R. bis zur Bewusstlosigkeit bzw. zum Kreislaufkollaps würgte, bevor er das Messer ansetzte. Offenbar wusste er aus Erfahrung, dass ansonsten das Blut aus den Arterien kräftig spritzen würde, es so aber relativ langsam aus den Wunden rann. Dies verhinderte, dass er selber allzusehr vollgeblutet wurde und erleichterte die Entnahme der Organe, die ansonsten in ein Meer von Blut getaucht gewesen wären.


Motiv Syphilis:
Irgendwann vor 1886 muss sich Jacob Levy mit Syphilis angesteckt haben, die dann 1891 als Todesursache diagnostiziert wurde - vermutlich hat er sie sich wie viele Männer bei einer Prostituierten eingefangen.
Der Zeitraum ergibt sich zurückgerechnet aus dem statistischen Verlauf der Erkrankung: Da er im August 1890 in die Nervenheilanstalt City of London Asylum at Stone in Kent eingeliefert wurde, wo er ein Jahr später an den Folgen der Syphilis starb, dürfte die Krankheit spätestens im ersten Halbjahr 1890 in ihr letztes Stadium eingetreten sein, wobei Levy aber schon die beiden Jahre zuvor unter den Auswirkungen der Krankheit gelitten haben dürfte.
 
Die Infektion mit Syphilis durch eine Prostituierte wird von modernen Profilern als plausibles Motiv für die Morde von JTR angesehen: Es erklärt die Wahl der Opfer und die Verstümmelungen im Unterleib.
Darüber hinaus führte unbehandelte Syphilis zu einer chronischen Hirnentzündung. Sensitive oder psychische Veränderungen wurden von den Ärzten damals oft beschrieben, so u.a. auch Gewaltausbrüche, eine übermäßige Steigerung der Libido und verschiedene Arten von Wahrnehmungsveränderungen.
Gut möglich, dass der Ripper sich zuerst gar nicht bewusst dafür entschieden hatte, auf Prostituiertenmord zu gehen, sondern dass die erste Tat eine Affekthandlung war, als er zufällig erneut auf eine Prostituierte traf, die ihn an die Überträgerin erinnerte, und seine ganze Wut über die Infektion wieder hochkam. Weil ihm diese erste Tat Befriedigung verschaffte, zog er danach dann regelmäßig los. Somit könnte zum Beispiel Martha Tabram sein erstes Mordopfer gewesen sein, auf die "nur" eingestochen wurde, noch ohne sie auszuweiden (s.u.). 


Auswahl der Opfer:
Es gab weit über 1200 Gelegenheitsprostituierte in Whitechapel, die ohne Schutz durch einen Zuhälter nachts auf den Straßen nach Kunden suchten - und sie waren eine häufige Ansteckungsquelle für Syphilis.

JTR hatte damit nicht nur eine große Auswahl an potentiellen Opfern. Prostituierte vom Straßenstrich sind auch leichte Opfer, weil sie für das Sexgeschäft freiwillig mit fremden Männern an Orte gehen, wo sie mit ihnen allein sind, und dem Mörder damit auch noch unbeabsichtigt helfen, einen geeigneten Tatort zu finden. Eine zeitaufwendige und vor allem riskante Ausspähung und Verfolgung potentieller Opfer ist nicht notwendig, da sie in der Öffentlichkeit auf Freier warten und oft sogar selber auf potentielle Kunden zugehen.


Nähe zu Opfern:
Die Adresse von Jacob Levys Eltern lautete Middlesex Street 111, er selbst war im Jahr der Morde laut Kelly's London Business Directory von 1888 in der Middlesex Street 36 gemeldet.
Alle kanonischen fünf Opfer von JTR waren verarmte Gelegenheitsprostituierte, die alle in Armenunterkünften in einem kleinen Umkreis nur etwa 300-400 Meter nordöstlich von Levys Adresse übernachteten und in einem fußläufigen Oval um seinen Lebensmittelpunkt herum getötet wurden. Martha Tabrams letzte Adresse war Satchell's Lodging House in der George Street etwa 300 Meter östlich von der der Middlesex Street (s.u.).

Jacob Levy ist damit in der von modernen Profilern ermittelten Comfort Zone von JTRs Aktivitäten aufgewachsen und wohnte auch als Erwachsener noch dort. Er kannte sich also seit Kindertagen bestens in Whitechapel aus, fiel dort nicht auf und wusste sich angemessen zu verhalten.
Sowohl für die zeitgenössischen als auch die modernen Ermittler war JTR mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Einheimischer mit guter Ortskenntnis, was es ihm ermöglichte, sich schnell und unauffällig zu bewegen und die Polizeistreifen zu meiden, um bei seinen Taten und auf der Flucht nicht erwischt zu werden und relativ schnell von der Straße zu verschwinden.
Als einheimischer Metzger hatte Levy nahegelegene Rückzugsmöglichkeiten, die ein Versteck für blutverschmierte Kleidung und Messer boten. Blut an seiner Kleidung und Messer waren wegen seines Berufes alltäglich und erklärbar, nicht schon per se verdächtig. Organe der Opfer konnten unter Metzgerware getarnt werden.
Außerdem gab es in der Middlesex Street den Petticoat Lane Street Market der Schneider, der eine große Auswahl an günstiger Second-Hand-Kleidung zum Wechseln bot - und genau dort will der Zeuge George Hutchinson den Verdächtigen vom Kelly-Mord erneut gesehen haben (s.u.).


Verbindung zu Zeugen:
Im Census der Jahre 1851, 1861 und 1871 ist für eben diese Middlesex Street 36 der Metzger Hyam Levy eingetragen, der dort mit seiner Frau Frances und seiner Familie wohnte, 1881 ist dann seine Witwe Frances als Haushaltsvorstand und Metzger eingetragen. Die beiden sind laut Casebook die Eltern jenes Joseph Hyam Levy, der später als Zeuge zum Mord an Catherine Eddowes vernommen wurde. Joseph Hyam Levy arbeitete 1888 selbst als Metzger kaum 50 Meter von Jacob Levy entfernt in der Hutchinson Street 1, einer Gasse, die in die Middlesex Street mündet.

Mehrere Levys, die sich nicht nur in unmittelbarer Nachbarschaft befanden und der gleichen Branche angehörten, sondern nacheinander auch dieselbe Metzgerei betrieben: Es ist so gut wie sicher, dass sie sich zumindest gekannt haben.

Laut einer Ausgabe des Ripperologist von 2012 sollen Joseph Hyam Levy und der Ripper-Verdächtige Jacob Levy sogar verwandt gewesen sein:
Isaac Ben Hyam Levy und seine Frau Sarah hatten sechs Kinder: Hyam, Esther, Elias, Moss, Joseph und Elizabeth.
Hyam heiratete eine Frances Naphtali, und sie hatten sieben Kinder: Isaac, Naphtali, Sarah, Joseph, Elias, Henry und Elizabeth. Dieser Joseph Levy sollte später ein wichtiger Zeuge im Falle Jack the Rippers werden.
Hyams Bruder Joseph heiratete 1848 Caroline Solomon. Beide hatten 8 Kinder: Jane und Rebecca (aus Carolines erster Ehe), Hannah, Elizabeth, Issac, Abraham, Jacob und Moss. Dieser Jacob Levy sollte später ein Verdächtiger im Fall Jack the Rippers werden.
Jacob Levy wurde 1856 geboren als Sohn von Joseph Levy und Caroline Levy (geb. Solomon).
Im Census 1861 sind er und seine Familie in der Middlesex Street 111 geführt.
Joseph Hyam Levy lebte zu dieser Zeit in Petticoat Lane 36 (Middlesex Street). Er heiratete 1866 Amelia Lewis und zog mit ihr in die Hutchinson Street 1. Dort hatte er seinen eigenen Laden.
Am 25. November 1872 starb Josephs Vater Hyam Levy. Sein Geschäft übernahmen seine Witwe Frances und seine Töchter Sarah und Elizabeth. Nach dem Census 1881 führte Frances auch dann noch das Geschäft weiter.
Am 23. April 1879 heiratete Jacob eine Sarah Abrahams. Laut Census von 1881 wohnte er mit ihr und seinen zwei Söhnen in der Fieldgate Street 11. Ein paar Jahre später aber übernahm er in der Middlesex Street 36 das Geschäft seiner Tante Frances, Mutter des Zeugen Joseph Hyam Levy.
Joseph Hyam Levy und Jacob Levy waren demnach Cousins.
Machte der Zeuge Joseph Levy bei der Vernehmung zum Mordfall Eddowes deshalb so merkwürdige Andeutungen und den Eindruck, er wisse mehr als er zugeben wollte (s.u.)?


Kriminelle Vorgeschichte:

Am 10. März 1886 wird Jacob Levy laut Eintrag beim Central Criminal Court zu 12 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er zusammen mit zwei anderen Männern dem Metzgermeister Hyman Sampson Fleisch gestohlen hatte. Als Sampsons Adresse wird im Polizeibericht Middlesex Street 35 genannt, seine Metzgerei lag zwei Jahrzehnte lang in der Parallelstraße Goulston Street 58.

Eine kriminelle Vorgeschichte ist modernen Profilern zufolge typisch für Serienmörder.
Der Ort des Diebstahls liegt in JTRs Comfort Zone, zwischen den Tatorten des Double Event. Zudem wurde ein Stück von Eddowes blutverschmiertem Rock in der Tatnacht am Hauseingang des Gebäudes Wentworth Buildings 108-119, Goulston Street, gefunden, unter dem berüchtigten antisemitischen Graffiti (von dem allerdings unklar ist, ob es von JTR stammte). Falls Jacob Levy der Ripper war, so könnte die Platzierung ein Versuch gewesen sein, die Polizei in die falsche Richtung weiter nach Osten zu lenken - weg von ihm in der Middlesex Street.
Auch Rache an seiner Gemeinde, die sich wegen des Diebstahls von ihm abgewandt hatte, könnte möglich sein, denn laut Superintendent Thomas Arnold wohnten viele Juden dort.

Im Ripperologist stand einmal, dass es strenge Regeln in der jüdischen Gemeinde für den geschäftlichen Umgang miteinander gab, und dass ein solcher Diebstahl wohl dazu geführt hätte, dass ihm der Jewish Council die Lizenz entzogen hätte. Damit hätte seine Frau Sarah, um die Familie zu ernähren, auch nach Jacobs Entlassung 1887 das Geschäft allein weiterbetreiben müssen. In der Tat taucht später seine Frau als Geschäftsinhaberin im Census auf.
Für Jacob hätte das nun zur Folge gehabt, dass er gezwungen gewesen wäre, auf andere Art seinen Anteil am Familieneinkommen zu verdienen.

Wenn Jacob den Shop in der Middlesex Street 36 nicht mehr selber betreiben durfte, musste er seitdem offensichtlich bei Bekannten und Verwandten in deren Geschäften oder in den Schlachthöfen arbeiten. Dadurch konnte er seinen Teil zum Familieneinkommen beitragen und stand zugleich wegen seines immer asozialeren Verhaltens unter einer gewissen Aufsicht. Das dürfte eine ziemliche Schmach und Erniedrigung für ihn gewesen sein.

Wenn wir nun betrachten, wo diese Arbeitsplätze gewesen sein könnten, finden wir nicht nur die observierte Butcher's Row mit einem Schlachthaus dahinter in der Harrow Alley, sondern auch noch das Harrison, Barber & Co Slaughterhouse in der Winthrop Street, in der Parallelstraße vom Nichols-Tatort in der Buck´s Row nur rund 100 Meter entfernt. Dort wurde auch über Nacht gearbeitet, damit die Kunden morgens frisches Fleisch hatten. Diese Metzger zerlegten also routinemäßig Körper unter schlechten Lichtverhältnissen - so wie der Ripper.
Die angestellten Metzger hatten damals i.d.R. ihr eigenes Arbeitswerkzeug (so wie dies auch in anderen Branchen üblich war bzw. bis heute ist), nahmen es zur Arbeit mit und am Feierabend wieder mit nach Hause. Dazu würde passen, dass einige Zeugen den mutmaßlichen Ripper mit einem Päckchen in der Hand gesehen hatten (s.u.).


Anzeichen psychischer Zerrüttung:
Bereits kurz nach seiner Verurteilung begeht Levy im April 1886 einen Selbstmordversuch im Holloway Prison, der jedoch scheitert.
Am 21. Mai 1886 wird er aufgrund des Suizidversuchs und seltsamer Murmeleien für geisteskrank erklärt und in das Essex County Asylum überführt. In den Akten dort wurde festgehalten, er habe gejammert, Irresein sei in seiner Familie erblich, schon sein Bruder habe Selbstmord begangen.
Am 3. Februar 1887 wird Levy dann wieder aus der Anstalt als "geheilt" entlassen.

Offenbar war die Verurteilung so traumatisierend, dass sie zu einem Zusammenbruch führte - vermutlich weil nun sein Ruf in der Gemeinde schwer beschädigt war und die Gefängnisstrafe negative Auswirkungen auf sein Geschäft und seine sozialen Beziehungen hatte.
Diese Entwicklung ist ein deutliches Indiz der beginnenden psychischen Zerrüttung mit der Bereitschaft zu Grenzüberschreitung, kriminellem Verhalten und Gewalt (wenn auch zunächst gegen sich selbst gerichtet).


Möglicher finaler Stressauslöser:
Am 18. Mai 1888 wird Jacob Levys Mutter Caroline beerdigt.

Nachdem seine Verurteilung und Einweisung bereits seine sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen beschädigt haben dürfte, und auch seine Ehe davon und von der Syphilis belastet gewesen sein wird, stirbt nun auch noch eine der wichtigsten Bezugspersonen eines Menschen.
Für moderne Profiler ist dies ein klassischer Stressauslöser zum Start in eine mörderische Karriere. Ziel der Aggression wird diejenige Gruppe, der der Täter die Verantwortung für sein Schicksal gibt: die Prostituierten von Whitechapel, bei denen er sich mit Syphilis angesteckt hat.




Die Mordserie


Dienstag, 7. August 1888: Martha Tabram im George Yard
Tabram wurde im Treppenhaus des George Yard Buildings 37 vermutlich das erste Opfer von JTR.
Tabram war auf einer Kneipentour mit ihrer Bekannten Mary Ann Connely ("Pearly Poll") und zwei Soldaten. Gegen 0 Uhr trennten sich die Pärchen um Sex zu haben, Connely ging mit dem Corporal zur Angel Alley, und Tabram verschwand mit dem Private in den George Yard.
Gegen 1.40 Uhr stieg das Ehepaar Elizabeth und Joseph Mahoney das Treppenhaus zu ihrem Zimmer hinauf und sah nichts. Auch als Elizabeth Mahoney es kurz darauf wieder durchquerte, um in einem Shop in der Thrawl Street etwas zu Essen zu kaufen, lag Tabram noch nicht da.
Tabram wurde mit einem Stich ins Herz getötet und mit insgesamt 39 Messerstichen in Brust und vor allem Unterleib traktiert. Sie lag auf dem Rücken, ihre Kleider waren hochgeschoben und ihre Beine gespreizt, ebenso wie bei den kanonischen Ripper-Opfern.
Gefunden wurde die Leiche auf dem Absatz des ersten Stocks gegen 4.45 Uhr durch Bewohner John Saunders Reeves, nachdem bereits Bewohner Alfred George Crow gegen 3.30 Uhr Tabram für einen schlafenden Obdachlosen gehalten hatte. Damit muss die Tatzeit zwischen 1.45 Uhr und 3.30 Uhr liegen. Reeves suchte eine Polizeistreife und fand Constable Thomas Barrett auf seiner Runde.

Der Soldat dürfte wohl der Letzte gewesen sein, der Tabram lebend gesehen hat, konnte aber weder von "Pearly Poll" noch von Constable Barrett bei Gegenüberstellungen identifiziert werden, obwohl letzterer auf seiner Streife durch die Wentworth Street gegen 2 Uhr einen Private der Grenadier Guard am Nordende des George Yard stehen sah und ihn ansprach. Der Private sagte dem Polizisten, er warte auf einen Kameraden, der mit einem Mädchen unterwegs sei, darauf ging Barrett weiter seine Streife, bis er drei Stunden später von Reeves zum Tatort gerufen wurde.
Der unbekannte Soldat könnte also den Mord verübt haben, dennoch war er aber wahrscheinlich nicht der Täter: Rund zwei Stunden für Sex mit einer älteren, unattraktiven Prostituierten an einem öffentlich zugänglichen Ort erscheint doch ein ziemlich langer Zeitraum. Wenn sie so lange im Treppenhaus von Nr. 37 gewesen wären, wäre wohl auch das Ehepaar Mahoney oder ein anderer Bewohner auf beide gestoßen.
Zudem hätte ein blutbefleckter Mörder wohl kaum in unmittelbarer Nähe des Tatorts auf seinen Kameraden gewartet und so entspannt auf Polizist Barrett reagiert. Barrett jedenfalls kam nichts an ihm und seinem Verhalten verdächtig vor. Wahrscheinlicher ist, dass sich Tabram nach 1.45 Uhr noch mit einen anderen Mann - eben dem Ripper - in den George Yard zurückgezogen hat.

Erkenntnissen der modernen Kriminologie zufolge stammt das erste Opfer eines Serientäters oft aus seinem näheren räumlichen Umfeld. Tabrams letzte bekannte Adresse war Satchell's Lodging House in der George Street, und die Kneipentour endete vor den George Yard Buildings.
Jacob Levys Heim in der Middlesex Street 36 liegt nur rund 300 Meter oder etwa 3-4 Minuten Fußweg von beiden Orten entfernt.
Der Profiler William Eckert: "Nachdem der erste Mord geschehen war, in dessen Nähe der Mörder wahrscheinlich lebte, zog er weiter." In diesem Fall in die Buck's Row.


Freitag, 31. August 1888: Marie Ann Nichols in der Buck's Row
Nichols übernachtete zuletzt im White House Nachtasyl in der Flower and Dean Street 56.
Gegen 2.30 Uhr wurde Nichols zuletzt lebend gesehen von ihrer Bekannten Emily Holland an der Ecke Osborn Street / Whitechapel High Street, fast einen Kilometer vom Tatort entfernt, bevor sie betrunken auf der Whitechapel Road weiter Richtung Osten wankte.
Bis ca. 3.20 Uhr kamen nacheinander die Polizisten Neil, Thain und Kirby auf ihren Runden durch die Buck's Row, ohne etwas Verdächtiges zu sehen. Gegen 3.45 Uhr fanden dann Charles Andrew Cross und Robert Paul auf ihrem Weg zur Arbeit die Leiche von Nichols vor dem verschlossenen Tor zu Brown's Stable Yard (vermutlich hatte der Täter vergeblich versucht, mit ihr in den Hof zu gelangen). Die Tatzeit muss also zwischen 3.20 Uhr und 3.45 Uhr betragen.

Cross war als erster und allein am Tatort, bis Paul kurz darauf dazustieß. Somit könnte Cross der Täter gewesen sein, zumal alle Tatorte JTRs auf den Wegen zwischen seiner Adresse in der Doveton Street 22, seiner Arbeit als Fleisch-Auslieferer in der Broad Street und dem Wohnort seiner Mutter in der Nähe der Berner Street lagen.
Allerdings hätte Cross, als er die Schritte von Paul hörte, einfach nach Westen verschwinden können, ohne erkannt zu werden, statt auf ihn zu warten: Es sind rund 100 Meter vom östlichen Ende der Buck's Row bis zum Tatort und es war noch dunkel. Bis zu den Querstraßen im Westen als Fluchtwege sind es nur wenige Meter. Stattdessen wartete er auf Paul, wies ihn erst auf den am Straßenrand liegenden Körper hin und ging mit Paul einen Polizisten suchen. Auch wäre wohl aufgefallen, wenn Cross, der erste am Nichols-Tatort, auch an den Morgen der Morde von Annie Chapman und Mary Jane Kelly zu spät zur Arbeit gekommen wäre, denn sein Job begann bereits um vier Uhr morgens - jene Tatzeiträume liegen jedoch deutlich später (s.u.).
Außerdem war er nicht nur vor den Morden ein unbescholtener Mann, der 20 Jahre lang zuverlässig denselben Job innehatte, er lebte auch noch mehr als 30 Jahre nach dem Ende der Serie als freier und gesunder Bürger weiter, ohne irgendwie einschlägig aufzufallen. Daher war Cross wohl eher nicht der Ripper.

Was Jacob Levy betrifft: Der Tatort ist zwar rund 1300 bis 1400 Meter und damit etwa 16-18 Minuten Fußweg von Levys Adresse in der Middlesex Street 36 entfernt.
Aber Nichols übernachtete im White House Nachtasyl in der Flower and Dean Street 56, und trieb sich bis 2.30 Uhr in der Umgebung der Hauptverkehrsader Whitechapel High Street herum, beides nur rund 300 Meter von Levys Adresse entfernt.
Es ist auch kriminologisch plausibel, dass JTR auf seiner Jagd die Zentren des Straßenstrichs aufsuchte und beobachtete, ob ein potentielles Opfer in ruhigere Nebenstraßen abbog, um ihr dahin zu folgen. Einer dieser Prostituierten-Treffs war die Umgebung von Whitechapel Station / London Hospital. Zudem erscheint es vernünftig, diesmal nicht allzu nah beim eigenen Heim zuzuschlagen.

Vielleicht war JTR auch gar nicht auf seine eigenen vier Wände als sichere Zuflucht nach den Taten eingeschränkt, sondern konnte an verschiedenen Orten unauffällig von der Straße verschwinden - Detective Inspector Henry Cox von der City Police schrieb über den observierten Verdächtigen im Ripper-Fall: "He occupied several shops in the East End".
Möglicherweise konnte JTR die Straßen schnell verlassen, indem er nach der Tat in Shops von Verwandten oder Freunden verschwand.
Im Fall von Jacob Levy und der Buck's Row könnte dies der Zigarrenhändler John Levy gewesen sein, der in der Whitechapel Road 254 in den 1880ern einen Cigar Shop betrieben hatte, und neben dessen Shop nach dem Double Event ein blutiges Messer gefunden wurde (s.u.).

Ende 1888 scheint John Levy, bereits im Seniorenalter, einer Gertrude Smith einige Zimmer in seinem früheren Shop vermietet zu haben, welche die Räume als illegales Bordell nutzte, zumindest zeitweise. Es gab einen polizeilich festgehaltenen Vorfall um einen illegalen Bordellbetrieb von Gertrude Smith, in den ein N. Cohen und Aaron Davis Cohen (später David Cohen) verwickelt waren, der wohl in der 254 Whitechapel Road Ende November/Anfang Dezember 1888 stattfand.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch ein Bericht von Polizeichef Warren:
Home Office Report by Charles Warren dated September 19, 1888: "A brothel keeper who will not give her address or name writes to say that a man living in her house was seen with blood on him on the morning of the murderer. She described his appearence and where he might be seen - when detectives came near him he bolted, got away and there is no clue to the writer of the letter."
Die Adresse des Shops in der Whitechapel Road 254 ist nur etwa 400 Meter oder 4-5 Minuten vom Tatort Buck's Row entfernt. War Levy der Ripper, hätte er also auf dem Weg zum oder vom Shop auf Nichols treffen und sich nach der Tat dort verstecken können. 

Interessant an der Metzger-Theorie ist zudem, dass sich in der Nähe von mindestens zwei Tatorten Schlachthäuser befanden: Da in diesen auch über Nacht gearbeitet wurde, hätte ein Metzger dort als Einkäufer für sein Geschäft auftreten oder als Schlachter arbeiten können. Das Tragen seiner Arbeitsgeräte und blutverschmierter Arbeitskleidung wäre dort nicht per se verdächtig gewesen.
Das Schlachthaus in der Harrow Alley, Eingang von der Butcher's Row, lag nicht nur nahe Tatort Mitre Square, sondern passt auch auf den Butcher's Row Suspect (s.u.).
Und das Harrison, Barber & Co Slaughterhouse in der Winthrop Street lag in der Parallelstraße zum Tatort Buck´s Row.


Samstag, 8. September 1888: Annie Chapman in der Hanbury Street
Chapman verbrachte ihre letzten Nächte in der Crossingham's-Unterkunft in der Dorset Street 35.
Gegen 1.50 Uhr verließ sie das Asyl Richtung Norden in die Brushfield Street.
Gegen 5.30 Uhr am frühen Morgen wurde Chapman zum letzten Mal lebend gesehen, und zwar von der Zeugin Elizabeth Long. Unmittelbar vor dem Tatort in der Hanbury Street 29 soll sie laut Longs Aussage mit einem Freier gesprochen haben: "Willst du?" - "Ja."
Long beschreibt den Verdächtigen wie folgt: Knapp 40 Jahre alt, etwas größer als Chapman, dunkler Mantel und tief ins Gesicht gezogener dunkler Hut, fremdländisches Aussehen.
Etwa zur selben Zeit geht Albert Cadosch aus dem Nachbarhaus Nr. 27 in seinen Hinterhof zur Toilette, als er danach ins Haus zurück will, hört er vom Hof nebenan zunächst ein leises "No" und wenige Minuten später bei seinem Aufbruch zur Arbeit etwas gegen den Zaun stoßen.
Gegen 6 Uhr wurde Chapmans Leiche im Hinterhof vom Hausbewohner John Davies entdeckt.
Die Tatzeit liegt also zwischen 5.30 Uhr und 6 Uhr, und die Zeugin Long hat damit wohl den Ripper bei Chapman gesehen.

Da die Tatzeit bereits nahe der beginnenden Morgendämmerung und dem wieder einsetzenden "Berufsverkehr" in den Straßen liegt, hatte JTR nicht viel Zeit, aus der Öffentlichkeit zu verschwinden, bevor es richtig hell wurde.
Der Tatort ist rund 700 Meter oder etwa 8-9 Minuten Fußweg von Levys Adresse in der Middlesex Street 36 entfernt.

Interessant ist ein bekannt gewordener Zwischenfall im Prince Albert Pub an der Ecke Brushfield Street / Steward Street, etwa 200 Meter südwestlich vom Tatort:
Am frühen Morgen tauchte laut Aussagen der Inhaberin Mrs. Fiddymont ein Mann auf, dessen Erscheinung Mrs. Fiddymont und ihrer Kundin Mary Chappell Angst machte: Er trug einen dunklen Mantel, hatte seinen Hut tief ins Gesicht gezogen, sein Hemd war gerissen und er hatte offenbar Blutflecken auf seinem rechten Handrücken. Als er bemerkte, dass er kritisch beäugt wurde, drehte er sich weg, trank sein Bier in einem Zug aus und verließ den Pub sofort wieder. Mary Chappell folgte dem Mann in die Brushfield Street, stellte fest, dass er Richtung Bishopsgate ging und wies den Passanten Joseph Taylor auf den Mann hin.
Die drei wurden später von der Polizei zu zwei Gegenüberstellungen geladen, aber unter den vorgeführten Verdächtigen erkannten sie den Mann nicht wieder.
Bemerkenswert daran ist, dass nahe der Brushfield Street die Sandy's Row geradewegs zur Middlesex Street hinunter führt.


10. September 1888: Erster Tatverdächtiger "Leather Apron"
Bei den Befragungen der Polizei erzählten Prostituierte, dass sie Angst vor einem gewalttätigen Mann hätten, der Schutzgeld von ihnen erpresse und sie schlage, und der wegen seiner Lederschürze  den Spitznamen "Leather Apron" hätte. Die Ermittlungen führten zu einem polnischen Juden namens John Pizer, ein Schuhmacher, der jedoch für die fraglichen Tatzeiten Alibis aufweisen konnte und später von allen Anschuldigungen freigesprochen wurde.

Interessant sind bei Pizer aber die Übereinstimmungen mit späteren Zeugenaussagen: Er war Jude, mittleren Alters (38 Jahre), knapp 1,70 groß und hatte einen schmalen Oberlippenbart. Und Lederschürzen trugen nicht nur Handwerker, sondern auch Metzger.

Hinzu kommt, dass Serienmörder den Erkenntnissen der modernen Kriminologie zufolge oft schon vor ihren Morden durch andere Straftaten auffällig werden, darunter auch Raub. Es ist daher gut möglich, dass JTR vor seinen Morden bereits Prostituierte bedroht bzw. ausgeraubt hat. 
Jacob Levy war ein verurteilter Dieb, von dem seine Frau Sarah bei seiner Einweisung in die Irrenanstalt sagte, er hätte nicht nur begonnen, das Geld der Familie zu verschwenden, sondern auch fremder Leute Eigentum mitgehen zu lassen.
Zwar ist von Jacob Levy kein Übergriff auf eine Prostituierte nachgewiesen, aber es gab vor der Mordserie Überfälle auf Prostituierte, die möglicherweise frühe Taten des Rippers gewesen sein könnten: Zum Beispiel wurde Ada Wilson in der Nacht vom 27. auf den 28. März 1888 von einem Unbekannten an ihrer Haustür angegriffen: Der Täter verlangte von der Gelegenheitsprostituierten Geld, und als Wilson sich weigerte, zog er ein Messer und stach es ihr in den Hals. Wegen ihrer Schreie, die die Nachbarn alarmierten, flüchtete der Täter - das rettete ihr vermutlich das Leben.
Interessant ist die Täterbeschreibung, die Ähnlichkeiten mit anderen Zeugenaussagen in der Mordserie von JTR aufweist: Etwa 30 Jahre, knapp 1,70 groß, heller Schnauzbart, dunkler Mantel und breiter Hut.

Zudem würde der Zeitraum dieser Taten auf den ersten Bekennerbrief vom 24. September 1888 passen (s.u.). Darin schreibt ein vermeintlicher Schlachter an Polizeichef Warren, er sei verantwortlich für "all die Morde in den letzten sechs Monaten" - die kanonischen Opfer einschließlich Tabram umfassten damals aber gerade einen Zeitraum von wenigen Wochen. Mit jenen früheren Überfällen wäre es tatsächlich etwa ein halbes Jahr.


24. September 1888: Der erste Bekennerbrief
Durch die Grausamkeit der Morde und die Sensationsberichterstattung der Zeitungen nahm die öffentliche Aufmerksamkeit sprunghaft zu und Hysterie breitete sich in Teilen der Bevölkerung aus.  In der Folge davon erreichten Dutzende angebliche Bekennerbriefe die Polizei und die Presse.
Der erste davon war an Polizeichef Sir Charles Warren selbst adressiert, seine Existenz wurde damals geheim gehalten. Er lautete:

"Dear Sir,
ich würde gerne aufgeben, ich befinde mich in einem Albtraum. Ich bin der Mann, der alle diese Morde in den letzten sechs Monaten begangen hat. Mein Name ist (mit der Zeichnung eines Sargs unkenntlich gemacht). Ich bin ein Schlachter und arbeite bei (mit zwei Balken unkenntlich gemacht). I have found the woman I would that is Chapman and I done what I called slautered her (?). Aber wenn jemand kommt, werde ich aufgeben. Aber ich werde nicht von selbst zur (Polizei-)Station gehen. Hochachtungsvoll (mit der Zeichnung eines Sargs unkenntlich gemacht)."
Rückseite:
"Haltet das Viertel sauber, oder ich werde ihm einen Besuch abstatten. (Zeichnung eines Messers) Dies ist das Messer, mit dem ich die Morde begangen habe. Es hat einen schmalen Griff mit einer langen Klinge, beide Seiten scharf."

Die meisten Bekennerbriefe wurden von der Polizei schon damals als geschmacklose Scherze von Trittbrettfahrern abgetan, nur wenige wurden ernst genommen. Selbst die berühmt gewordenen Briefe, in denen der Mörder sich angeblich den Namen "Jack the Ripper" gab (der "Dear Boss"-Brief und die "Saucy Jacky"-Postkarte) werden inzwischen für Fakes gehalten und sollen aus der Feder ebenjenes Sensationsreporters Thomas Bulling von der Central News Agency stammen, welche die Briefe der Polizei übergab.

Jener erste Brief aber erscheint bemerkenswert: Erstens bezeichnet sich der Autor selbst als Schlachter. Zweitens ist er nicht verhöhnend, sondern scheint der Hilferuf eines kranken Menschen zu sein, der in einer tiefen inneren Zerrissenheit gefangen ist - so wie der Zustand Jacob Levys bei der Einlieferung ins Irrenhaus von seiner Frau beschrieben wurde.
Der Satz mit Chapman ist aufgrund seiner Formulierungen und der fehlenden Satzzeichen verwirrend, aber "and I done what I called" könnte bedeuten: "und ich habe getan, was mir befohlen wurde" - was ein Hinweis auf die befehlenden Stimmen sein könnte, die ein Wahnkranker oft hört, und von denen Levys Frau sprach.
Betrachtet man sich die sargförmige Schwärzung an der Stelle, wo der Briefschreiber angeblich zum ersten Mal seinen Namen übermalt hat, so scheint darunter etwas ähnliches wie "leaffray" oder "leadfray" gestanden zu haben - und das würde von der Wortlänge sowie von den Oberlängen und  Silhouetten einiger Buchstaben passen auf unseren Metzger Jacob Levy:
l e  a  d  f r a y
l a co b  l e v y


Sonntag, 30. September 1888: Nacht des Double Event
Mord an Elizabeth Stride in der Berner Street 40/42, und etwa 45 Minuten später an Catherine Eddowes auf dem Mitre Square.

Stride übernachtete bis zu ihrem Tod im Armenasyl in der Flower and Dean Street.
Zwischen 0.35 Uhr und 0.45 Uhr sahen mehrere Zeugen (Polizist William Smith, Anwohner James Brown, Zeuge Israel Schwartz) Stride mit einem Mann in der Nähe des Berner Street Clubs. Beschrieben wird er übereinstimmend als knapp 1,70 groß, etwa 30 Jahre alt, heller Teint, Schnauzbart, dunkler Mantel und Schirmmütze. Polizist Smith bemerkte zudem ein Päckchen in seiner Hand.
Der aus Norden von der Commercial Road vorbeikommende Israel Schwartz will sogar eine Auseinandersetzung wahrgenommen haben, weswegen er schnell weitergegangen sei, sagte er später der Polizei. Der Mann habe die Frau am Tor zum Dutfields Yard zu Boden geworfen, die Frau habe kurz aufgeschrien. Als er zurückgeblickt habe, sei gerade ein anderer Mann mit einer Pfeife aus dem nahen "Nelson"-Pub gekommen und es habe eine kurze verbale Auseinandersetzung mit dem Verdächtigen gegeben, bis der Verdächtige "Lipski" gerufen habe. Da sei der andere auf Schwartz zugegangen und Schwartz sei aus Angst weggelaufen.
Gegen 1 Uhr dann wurde Strides Leiche vom Verwalter des Clubs, Louis Diemschütz, im Torweg des Dutfield Yard neben dem Club gefunden. Im Gegensatz zu den anderen Opfern wurde ihr nur die Kehle durchgeschnitten, aber offenbar wegen der Störung durch die Zeugen keine Verstümmelungen des Unterleibs mehr vorgenommen.

Als plausibelste Interpretation dieser Szene scheinen Schwartz und der Mann mit der Pfeife mitten in den Angriff des Rippers hineingeplatzt zu sein. Weil Schwartz schon auf der Flucht war, als der Pfeifenraucher auf die Straße kam, tat der Mörder offenbar so, als sei er ein unschuldiger Helfer und konnte den anderen Mann mit dem Ausruf "Lipski" davon überzeugen, dass der nach Süden flüchtende Schwartz der Angreifer gewesen sei, so dass "Pipeman" die Verfolgung von Schwartz aufnahm (leider konnte "Pipeman" nie identifiziert werden).
Lipski war ein Jude aus dem Viertel, der 1887 wegen Mordes verurteilt worden war - und sein Name war in antisemitischen Kreisen zum Schimpfwort gegen Juden im allgemeinen und zum Synonym für Mörder im speziellen geworden.
Indem der Mörder den einen Zeugen so auf den anderen hetzte, konnte er vom Tatort (vermutlich über die Gasse zur Batty Street, wo später blutige Wäsche gefunden wurde) schließlich nach Norden in die Commercial Road fliehen. Er wollte angesichts der Beinahe-Entlarvung mit ziemlicher Sicherheit zu seinem Versteck zurück - und in der Richtung, die er einschlug, liegt die Middlesex Street.
Da JTR aber sein eigentliches Ziel - die Verstümmelung - bei Stride nicht mehr umsetzen konnte, suchte er, als er sich wieder sicher fühlte, schließlich ein weiteres Opfer.

Eddowes und ihr Mann John Kelly lebten überwiegend im Armenhaus "Cooney's" in der Flower und Dean Street 55.
Gegen 1 Uhr wurde Eddowes aus der Ausnüchterungszelle der Polizeistation Bishopsgate Street entlassen und ging Richtung Süden, höchstwahrscheinlich die Houndsditch entlang zurück zur Aldgate High Street, wo sie den frühen Abend verbracht hatte.
Gegen 1.30 Uhr checkte Constable Edward Watkins auf Streife den Mitre Square, ohne etwas  Verdächtiges festzustellen.
Etwa um diese Zeit verließen Joseph Lawende, Harry Harris und Joseph Hyam Levy den Imperial Club, Duke Street, schräg gegenüber der Church Passage zum Mitre Square, und sahen einen Mann und eine Frau am Eingang der Passage in einem leisen Gespräch.
Der Zeuge Lawende beschrieb den Mann wie folgt: Etwa 30 Jahre alt, knapp 1,70 Meter groß, blasser Teint, heller Schnauzbart, durchschnittlicher Körperbau, graue Jacke, graue Stoffkappe und rötliches Halstuch, sah wie ein Seemann aus (wobei aber Seemänner selten "blassen Teint" haben).
Gegen 1.35 Uhr ging Constable James Harvey durch die Church Passage und schaute in den dunklen Mitre Square, sah jedoch nichts und kehrte auf seine Runde zurück.
Gegen 1.45 Uhr kam Constable Edward Watkins von der anderen Seite (Mitre Street) wieder durch den Hauptzugang in den Mitre Square und entdeckte beim Herumleuchten mit seiner Lampe die tote Eddowes in der dunkelsten Ecke liegen, vor dem Tor zu einem kleinen Hof (vermutlich hatte der Ripper gehofft, das Tor wäre offen).
Laut Inspector Robert Sagar von der City Police soll ein Polizist kurz zuvor gesehen haben, wie ein Mann aus der Mitre Street in östliche Richtung verschwand. Aufgrund der Sichtung dieses Mannes liefen anschließend Polizisten durch Gravel Lane und Stoney Lane, um Hinweise auf den Fluchtweg des Mörders zu finden - dieser Weg führt in die Middlesex Street und weiter in die Goulston Street. Einer davon war Detective Constable Daniel Halse, der mit zwei Kollegen gegen an der Ecke Houndsditch bei St. Botolph's Church stand und aufgrund der Alarmierung in den Mitre Square kam. Nachdem Halse Instruktionen zur Befragung der Anwohner gegeben hatte, eilte er zuerst in die Middlesex Street und, weil er dort niemanden sah, weiter in die Wentworth Street, wo er zwei Passanten überprüfte. Gegen 2.20 Uhr checkte er die Goulston Street, um nach vergeblicher Suche zum Mitre Square zurückzukehren.
Gegen 2.55 Uhr fand Constable Alfred Long auf seiner Runde ein Stück der blutigen Schürze von Eddowes im Hauseingang der Wentworth Dwellings 108-119, Goulston Street. Darüber an der Wand stand mit Kreide der Satz: "Die Juden sind die Menschen, die nicht grundlos beschuldigt werden." Long zufolge soll die Schürze auf seiner vorherigen Runde gegen 2.25 Uhr noch nicht dort gelegen haben. Ob das antisemitische Graffiti zuvor schon da gewesen war, wusste er nicht.

War Levy der Ripper, wäre er nach der unterbrochenen Tat an Stride in Richtung der Middlesex Street geflüchtet, um schnell von der Straße verschwinden zu können, dann aber mit oder ohne einen Zwischenstopp zuhause weiter Richtung Westen gezogen, wo er in der Houndsditch oder Duke Street den Weg von Eddowes kreuzte.
Die Berner Street ist rund 700 Meter oder etwa 8-9 Minuten Fußweg von Levys Adresse in der Middlesex Street 36 entfernt.
Die Strecke zwischen Berner Street und Mitre Square beträgt rund 1000 Meter oder etwa 12-15 Minuten Fußweg.
Die Strecke zwischen Mitre Square und Middlesex Street 36 beträgt rund 300 Meter oder etwa 3-4 Minuten Fußweg.
Jacob Levy hätte auch nach dem Mord an Eddowes zuhause einen Zwischenstopp einlegen können, um Blut, Messer, Gebärmutter und Niere loszuwerden und sich umzuziehen, bevor er die Schürze platzieren ging, um eine falsche Spur zu legen - oder er zog direkt weiter, weil er nicht direkt nach Hause zurückkehren konnte, z.B. weil ihm die Polizei zu dicht auf den Fersen war.
Die Strecke vom Mitre Square zur Goulston Street beträgt nur rund 500 Meter oder 6-7 Minuten. Entweder haben die Polizisten Halse und Long die Schürze gegen 2.25 Uhr übersehen, oder JTR hat sich zeitweise in einer Zuflucht versteckt, bevor er sie ablegte. Ein Umweg von rund einer dreiviertel Stunde durch die Straßen voller alarmierter Polizisten ist eher unwahrscheinlich - daher dürfte die Rückzugsmöglichkeit des Rippers in unmittelbarer Nähe gewesen sein. Die Ablage der Schürze könnte dann für ein Ablenkungsmanöver sprechen, das die Ermittler auf eine falsche Fährte locken sollte Richtung Osten, weg von der Umgebung Mitre Square und seiner Zuflucht.
Wenn Levy der Ripper war, hätte er damit aufgrund der Erkenntnis, zu nah an seinem Zuhause zugeschlagen zu haben, bewusst die Spur vom Grenzgebiet der City Police, wo er wohnte, weiter nach Osten in das Territorium der Metro Police gelenkt.
Vielleicht konnte er aber auch einfach nicht in die Middlesex Street 36 zurück, entweder weil er sich verfolgt fühlte, weil seine Frau noch wach oder gerade jemand in der Straße unterwegs war.
Die Strecke zwischen den Parallelstraßen Goulston Street und Middlesex Street beträgt weniger als 100 Meter oder etwa 1-2 Minuten Fußweg.

Daraus ergeben sich zwei interessante Möglichkeiten, wenn Levy der Ripper war:
Zur Zeit der Morde lebte laut Census von 1891 Jacobs Bruder Isaac Levy, ein Cigar Maker, in der Goulston Street 130, und die Geburt seiner Tochter 1888 ist unter derselben Adresse angegeben - dies ist nur einen Häuserblock vom Schürzenfund entfernt.
Zum zweiten bleibt noch die Alternative, dass Jacob weiter zum Cigar Shop von John Levy in die Whitechapel Road 254 flüchtete, um sich dort zu verstecken - direkt nebenan vor Nr. 253 wurde am Tag darauf von Thomas Coram ein blutiges Messer gefunden (s.u.).

Bemerkenswert ist, dass es am Tatort im Mitre Square sehr dunkel war: Die Streifenpolizisten mussten ihre Lampen verwenden, um in den Ecken überhaupt etwas erkennen zu können. JTR hatte nur etwa 10 Minuten für die Verstümmelungen, die noch umfangreicher als bei den vorherigen Opfern waren. Insbesondere die Entfernung von Gebärmutter und Niere in der Dunkelheit zeugen davon, dass der Ripper offenbar Übung darin hatte, einen Körper bei schlechtem Licht schnell mit einem Messer zu zerlegen. Auch dies deutet auf einen Metzger hin, eine Ansicht, die u.a. Dr. Frederick Gordon Brown vertrat, der Eddowes Leiche untersuchte.

Merkwürdigerweise taucht in den Berichten über die Coroner-Untersuchung zu Strides Tod der wichtige Zeuge Israel Schwartz gar nicht auf.
Und bei der Coroner-Untersuchung zu Eddowes Tod wurde dem Zeugen Joseph Lawende verboten, den Verdächtigen öffentlich genauer zu beschreiben - offenbar aus ermittlungstaktischen Gründen.
Dies deutet darauf hin, dass die Polizei glaubte, eine heiße Spur zu haben.
Zumal Lawendes Begleiter Joseph Hyam Levy bei der polizeilichen Vernehmung und gegenüber der Presse den Eindruck gemacht hatte, mehr zu wissen, als er zugeben wollte. So soll er beim Anblick von Eddowes und dem Mann zu seinen beiden Begleitern gesagt haben, wenn er solche Charaktere sehe, wolle er nicht alleine nach Hause gehen, und man solle den Hof beobachten (!).
Als er beim Verhör gefragt wurde, ob er denn Angst gehabt habe, antwortete er kryptisch: nicht wirklich um sich. Frage: "What was there terrible in their appearance?" - Antwort: "I did not say that." - Frage: "Your fear was rather about yourself?"- Antwort: "Not exactly." (!)
Joseph Hyam Levys Verhalten könnte dadurch erklärt werden, dass er den Mann erkannt hatte und decken wollte - vielleicht war es sogar sein Verwandter Jacob Levy gewesen.


1. Oktober 1888: Messer-Fund in der Whitechapel Road
In der Nacht nach dem Double Event fand Thomas Coram gegen 0.30 Uhr vor der Whitechapel Road 253 ein in ein Taschentuch eingewickeltes blutiges Messer, das er der Polizei übergab - jedoch konnten die obduzierenden Ärzte nicht bestätigen, ob dies die Waffe des Rippers war.

Interessant ist in diesem Zusammenhang aber: Wie bereits erwähnt hatte in den 1880er Jahren John Levy in der Whitechapel Road 254 einen Cigar Shop. Er war laut Census der Bruder von Fanny, Lewis und Samuel Levy von den Levys aus der Mitre Street 29, und sie waren Ripperologen zufolge wahrscheinlich Cousins des Zeugen Joseph Hyam Levy - somit war vermutlich auch Jacob Levy mit diesen Levys verwandt (s.u.).
Und Lewis Levy hatte in den 1860ern in Mitre Square 8 gewohnt - dahinter fand man vor dem verschlossenen Hinterhoftor die Leiche von Catherine Eddowes (!).

War Jacob Levy der Ripper, kannte er sicher den Hinterhof im Mitre Square und könnte gehofft haben, er wäre offen. Nach dem Double Event hätte er, weil er sich nicht zuhause verstecken wollte oder konnte, zuerst in Richtung seines Bruders in der Goulston Street und dann weiter zum Shop von John Levy in die Whitechapel Road 254 flüchten können, um sich dort relativ weit von den Tatorten weg zu verstecken, und könnte das blutige Messer davor weggeworfen haben.


Polizei-Razzia bei Metzgern im Oktober:
Die Polizei führte in den folgenden Wochen (3.-18. Oktober) in der Umgebung des Mitre Square Haus-zu-Haus-Befragungen durch. Der stellvertretende Polizeipräsident Robert Anderson schrieb, dass man alle Männer des Viertels überprüft habe, die den Zeugenaussagen entsprachen und sich blutbefleckter Kleidung entledigen konnten.
Die Polizei durchsuchte auch 76 Metzgereien und Schlachtereien im Viertel und überprüfte alle Personen, die in den letzten sechs Monaten dort beschäftigt waren, verschiedene Verdächtige wurden unter Beobachtung gestellt.

Interessanterweise folgte nach dem Double Event die längste Pause zwischen den Ripper-Morden von fast sechs Wochen. Ursache dafür könnte der Ermittlungsdruck durch die Behörden gewesen sein, was für die Annahme spricht, dass die Polizei mit der Untersuchung des Metzger-Milieus rund um Aldgate High Street dem Ripper näher kam, so dass er vorerst pausieren musste, bis die polizeilichen Aktivitäten in seinem Umfeld wieder zurückgingen.
 

Freitag, 9. November 1888: Mord an Mary Jane Kelly im Miller's Court
Kelly verließ in ihrer letzten Nacht mehrmals ihr Zimmer im Miller's Court, Dorset Street 26, und kehrte mit verschiedenen Freiern wieder dorthin zurück, nachdem sie den frühen Abend mit ihrem Exfreund Joseph Barnett verbracht hatte.
Gegen 23.45 Uhr sah ihre Nachbarin Mary Ann Cox, wie Kelly mit einem Kunden auf ihr Zimmer ging. Zwischen 0.30 Uhr und 1 Uhr hörten Cox und Nachbarin Catherine Picket sie singen.
Ihre Nachbarin Elisabeth Prater kehrte gegen ein Uhr zurück, wartete erst 20 Minuten vor dem Eingang zum Court auf einen Mann und ging, als er nicht kam, noch für zehn Minuten in McCarthys Laden nebenan. Gegen 1.30 Uhr stieg sie die Treppen zu ihrem Zimmer direkt über Kellys hinauf, ohne dort Licht zu sehen oder etwas zu hören, und ging zu Bett.
Der Zeuge George Hutchinson, ein Bewohner des Victoria Home in der Commercial Street, ging am 12. November zur Polizei und sagte aus, dass er seine Bekannte Mary Jane Kelly am 9. November gegen 2 Uhr in der Commercial Street getroffen habe.
Kurz darauf sei sie mit einem Kunden an ihm vorbei zurück auf ihr Zimmer gegangen. Weil der Mann sein Gesicht vor ihm habe verbergen wollen, sei er beiden gefolgt und habe rund eine dreiviertel Stunde den Hof beobachtet, jedoch ohne etwas Verdächtiges wahrzunehmen. Gegen 3 Uhr sei er schließlich gegangen.
Hutchinson beschrieb den Mann als etwa Mitte 30, knapp 1,70 Meter groß, blasser Teint, dunkle Augen und Haare, dünner gezwirbelter Schnurrbart, jüdisches Erscheinungsbild, mürrisches Aussehen, dunkler Mantel, dunkler Hut, kleines Päckchen in seiner Hand.
Sarah Lewis, die gegen 2.30 Uhr zu ihrer Bekannten Mrs. Keyler im Miller's Court ging, um dort zu übernachten, sah gegenüber dem Hofeingang einen Mann stehen - dabei handelte es sich vermutlich um Hutchinson.
Zwischen 3.15 Uhr und 3.45 Uhr hörten sowohl Lewis wie auch Elizabeth Prater einen leisen, unterdrückten Schrei vom Hof her: "Mord!"
Gegen 6 Uhr hörte Nachbarin Marie Ann Cox Schritte im Hof.
Gegen 7.30 Uhr klopfte Nachbarin Catherine Picket an Kellys Tür, um sich einen Schal zu leihen, aber nichts regte sich.
Gegen 10.45 Uhr schließlich wurde Kellys Leiche von Hausverwalter Thomas Bowyer entdeckt, der die Miete eintreiben sollte.

Theoretisch könnte Hutchinson der Täter gewesen sein, der nach dem Verschwinden des Kunden gegen 3 Uhr selbst zu Kelly ging - nur: warum hätte er dann bei der Polizei auftauchen und sich mit dem Geständnis seines "Stalkings" verdächtig machen sollen? Inspektor Abberline hielt ihn für glaubwürdig.
Plausibel wäre aber, dass der von Hutchinson beschriebene Kunde nach 3 Uhr ging - und dass erst der nächste Besucher Kellys der Ripper war. Dann wäre Hutchinsons Beschreibung unbrauchbar.
Bemerkenswert ist jedoch, dass Hutchinson aussagte, er glaube denselben Mann später noch einmal gesehen zu haben, und zwar am 11. November in der Petticoat Lane / Middlesex Street - wo Levy wohnte und es den Straßenmarkt mit günstiger Second-Hand-Kleidung gab.
Wenn JTR die Person war, die von Cox gegen 6 Uhr im Hof bemerkt wurde, muss er beim Verlassen des Tatorts unter Zeitdruck gestanden haben, weil es langsam hell wurde.
Falls Levy der Ripper war: Der Tatort in der Dorset Street 26 ist rund 500 Meter oder nur etwa 5-6 Minuten Fußweg von der Middlesex Street 36 entfernt.

Ein merkwürdiger Vorfall ereignete sich etwa eine Stunde nach der Entdeckung von Kellys Leiche:
London Times, 10. November 1888:
"A Mrs Paumier, a young woman who sells roasted chestnuts at the corner of Widegate-street, a narrow thoroughfare about two minutes' walk from the scene of the murder, told a reporter yesterday afternoon a story which appears to afford a clue to the murderer. She said that about 12 o'clock that morning a man dressed like a gentleman came up to her and said, "I suppose you have heard about the murder in Dorset-street?" She replied that she had, whereupon the man grinned and said, "I know more about it than you." He then stared into her face and went down Sandy's-row, another narrow thoroughfare which cuts across Widegate-street. Whence he had got some way off, however, he vanished. Mrs Paumier said the man had a black moustache, was about 5ft 6in, high, and wore a black silk hat, a black coat, and speckled trousers. He also carried a black shiny bag about a foot in depth and a foot and a half in length."

Falls JTR so wie manch anderer Serienmörder das Bedürfnis hatte, zu den Tatorten zurückzukehren oder gar bei der Entdeckung der Morde unter den Schaulustigen zu stehen, um sich einen zusätzlichen Kick zu holen: Die Beschreibung des Mannes von Mrs. Paumier als knapp 1,70 m groß mit Schnurrbart passt zu anderen Zeugenaussagen.
Und - interessant für die Jacob-Levy-These - der Verdächtige ging nach seiner Provokation die Sandy's Row hinab, die in die Middlesex Street mündet.

Merkwürdig war nach den Coroner-Untersuchungen zum Double-Event auch die Anhörung im Fall Kelly: Sie wurde im Distrikt Shoreditch vom dort zuständigen Richter vorgenommen und nicht in Whitechapel, mit der seltsamen Begründung, zuständig sei der Ort der Aufbahrung, nicht der Tatort. Sie wurde bereits am 12. November eröffnet, mit sich nicht zuständig fühlenden Geschworenen, in hohem Tempo durchgepeitscht und schon am selben Tag wieder abgeschlossen. Richter Roderick Macdonald sagte: "Wenn die Geschworenen allein zu der Todesursache zu einem Ergebnis kommen, so ist das alles, was sie zu tun haben."
Zeugen oder Beweismittel zur Strafverfolgung sollten nicht weiter öffentlich thematisiert werden - wahrscheinlich aus ermittlungstaktischen Gründen, weil man einen Tatverdächtigen nicht warnen wollte, während er unter Beobachtung stand, um ihn auf frischer Tat stellen zu können.
In H. L. Adam's Serie "The People on Scotland Yard and its Secrets" von 1912 zitiert der Autor  Assistant Commissioner Anderson: "Sir Robert Anderson has assured the writer that the assassin was well known to the police, but unfortunately, in the absence of sufficient legal evidence to justify an arrest, they were unable to take him. It was a case of moral versus legal proof. The only chance the police had, apparently, was to take the miscreant red-handed…"


"Butcher's Row Suspect"
Nach diesem Mord begann die City Police damit, mehrere Monate lang einen Tatverdächtigen bei der Butcher's Row zu observieren.
In einem Zeitungsinterview (City Press, 7. January 1905) sagte Robert Sagar von der City Police, dass man nach dem Kelly-Mord einen Mann unter Beobachtung gestellt habe, der in der Butcher's Row arbeite und von dem man annehme, dass er der Ripper sei, und dass dieser Mann letztendlich von seinen Leuten in ein Irrenhaus eingeliefert worden sei.

Butcher's Row war kein offizieller Straßenname, so wurde wegen der vielen Metzger und der dahinter liegenden Schlachterei jener Abschnitt der High Aldgate Street genannt, der an der Einmündung der Middlesex Street liegt, wo Jakob Levy wohnte (sie stellt die Grenze zwischen City of London und Whitechapel sowie zwischen den beiden Polizei-Distrikten dar).
Auch Detective Inspector Henry Cox (City Police) wurde ein Jahr später in einem Zeitungsartikel (Thomson’s Weekly News, 1. December 1906) zu den Observationen zitiert, ohne jedoch den genauen Ort zu nennen. Cox: "The man we suspected was about five feet six inches in height, with short, black, curly hair, and he had a habit of taking late walks abroad. He occupied several shops in the East End, but from time to time he became insane, and was forced to spend a portion of his time in an asylum in Surrey. (...) While the Whitechapel murders were being perpetrated his place of business was in a certain street, and after the last murder I was on duty in this street for nearly three months." (beim Hinweis auf Surrey könnte eine Verwechslung mit dem Verdächtigen Ostrog aus Macnaghtens Memorandum vorliegen).
Cox erzählte auch, er habe den Verdächtigen nachts auf einem Streifzug verfolgt: Nachdem dieser sein Haus verlassen habe, sei er die Leman Street in Richtung St. Georges in the East hinab gegangen - die Straße verläuft nur etwa 100 Meter östlich von der Einmündung der Middlesex Street und der Goulston Street in die Aldgate High Street nach Süden (!).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, was Detective Inspector Cox zur Überwachung des Tatverdächtigen sagte. Zur Verschleierung der Observation, die der jüdischen Gemeinde nicht verborgen blieb, behaupteten die Polizisten, die Schneider auf Beschäftigung von Minderjährigen zu überwachen: "We told them we were factory inspectors looking for tailors and capmakers who employed boys and girls under age." Dies könnte sich auf den Petticoat Lane Street Market mit seiner Bekleidungsindustrie oder den "Khazar Mark" in der Parallelstraße Goulston Street beziehen, wo Schneidermeister Arbeitskräfte rekrutierten.

Die Maßnahmen der City Police deuten darauf hin, dass die Indizien sie in dem Verdacht bekräftigten, es bei JTR mit einem einheimischen Metzger in der Umgebung von Aldgate High Street, Middlesex Street oder Goulston Street zu tun zu haben. Vielleicht war es sogar Jacob Levy, der beobachtet wurde - doch leider sind weder die genaue Adresse noch der Zeitraum der Observationen bekannt.
Allerdings schrieb das Aberdeen Weekly Journal bereits am 16. November 1888: "The Central News is enabled to state that several houses at which the murderer is believed to call on occasionally are under the closest police surveillance."

Wenn Jacob Levy der Ripper war, könnte sich dies neben seiner Schwester Elizabeth, Middlesex Street 87, und seinem Bruder in der Goulston Street auch auf die anderen Metzger der Butcher's Row beziehen. Denn sowohl Jacob Levy als auch der Zeuge und mutmaßliche Verwandte Joseph Hyam Levy sollen Geschäftsverbindungen in der Butcher's Row gehabt haben. Vermutlich kauften sie auch in der dortigen Schlachterei ein. Levy könnte sogar wegen seines ruinierten eigenen Geschäfts zeitweise dort oder in einem anderen Shop gearbeitet haben.


Nähe von mutmaßlichen Verwandten zu den Tatorten
Detective Inspector Henry Cox von der City Police schrieb über den observierten Verdächtigen: "He occupied several shops in the East End."

Jacobs Schwester Elizabeth und ihr Ehemann Isaac Barnett, ein Milchmann, hatten ihren Shop in der Middlesex Street 87. Ein Butcher namens Moses Levy hatte seine Metzgerei in Middlesex Street 134 - möglicherweise war dies Jacobs Bruder Moss.
Und Jacobs Bruder Isaac Levy lebte in der Goulston Street 130 - nur einen Gebäudekomplex entfernt von dem Hauseingang, in dem das blutige Teil von Eddowes Schürze gefunden wurde.
 
Zusätzlich den möglichen Verbindungen Levys mit anderen Metzgern in der Butcher's Row gab es in JTRs Comfort Zone auch noch die Shops der Levy-Familie aus der Mitre Street, mit denen Jacob und Joseph Hyam Levy laut Casebook verwandt gewesen sein sollen:
Die Kinder der Zigarren- und Orangenhändler Ann und Barnett Levy aus der Mitre Street 29 ("Orange Market" am Mitre Square) John, Samuel, Lewis und Fanny hatten Adressen in der Nähe von JTRs Aktivitäten - sie waren höchstwahrscheinlich Cousins des Zeugen Joseph Hyam Levy, dessen Vater vor Jacob die Metzgerei in der Middlesex Street 36 gehabt hatte - somit war vermutlich auch Jacob Levy mit diesen Levys verwandt.
Der Orangenhändler Samuel Levy lebte erst in Mitre Street 17 und 23 und zog danach neben Joseph Hyam Levys Vater, Hyam Levy, in die Middlesex Street 39. 1888 kehrte Samuel dann als Orangenverkäufer wieder in die Mitre Street 20 zurück. Seine Schwester Fanny lebte weiter in der Mitre Street 29 (beim Tatort Mitre Square). Und der Zigarrenhändler John Levy hatte in den 1880ern einen Cigar Shop in der Whitechapel Road 254 - nahe den Tatorten Buck's Row und Berner Street sowie unmittelbar neben dem Messer-Fund von Thomas Coram nach dem Double Event vor Whitechapel Road Nr. 253.
Und Lewis Levy hatte in den 1860ern in Mitre Square 8 gewohnt - dahinter fand man vor dem
verschlossenen Hinterhoftor die Leiche von Catherine Eddowes (!).

Fazit: Waren die Levys von Mitre Street tatsächlich mit Jacob Levy verwandt, so rückt der verrückt gewordene Metzger durch die Adressen seiner Verwandten in die unmittelbare Nähe zu mehreren Tatorten und den Funden von Schürze und Messer.
War Jacob Levy der Ripper, kannte er sich dort besonders gut aus, hätte für seine Anwesenheit in den Straßen eine plausible Erklärung gehabt und Möglichkeiten, nach den Taten schnell aus der Öffentlichkeit verschwinden zu können, indem er bei ihnen Unterschlupf suchte. 


(...)
« Letzte Änderung: 29.10.2016 22:19 Uhr von Arthur Dent 2 »

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Re: Jacob Levy
« Antwort #334 am: 29.10.2016 18:06 Uhr »
Fortsetzung:


Mittwoch, 17. Juli 1889: Mord an Alice McKenzie in der Castle Alley
Police Constable Walter Andrews entdeckte gegen 0.50 Uhr in der Castle Alley den leblosen Körper von Alice McKenzie, etwa eine halbe Stunde, nachdem er das letzte Mal auf seiner Runde dort gewesen war. Zeugen der Tat gab es keine. Ihre linke Halsschlagader war durchtrennt, ihr Rock war hochgeschoben und der Unterleib mit einem Messer traktiert worden, allerdings waren die Verletzungen eher oberflächlich.

Die Polizisten und die Ärzte waren uneinig darüber, ob es sich um ein weiteres Ripper-Opfer handelte. Einiges passte ins Schema: McKenzie übernachtete in einem Armenhaus, war rund 40 Jahre alt, Prostituierte - und wurde im Zentrum von JTRs Morden getötet. Allerdings wurde ein anderes Messer benutzt, und zudem wurde sie nicht gewürgt, es gab auch keinen vollständigen Kehlenschnitt, die Wunden waren nicht so tief und der Unterleib war nicht ausgeweidet.
Der Täter hätte wahrscheinlich durchaus genug Zeit für weiterreichende Verstümmelungen gehabt, denn er war wohl diesmal nicht gestört worden. Indiz dafür: Obwohl es kurz geregnet hatte, war der Gehweg unter McKenzies Körper trocken, was bedeutet, dass sie wohl schon vor dem Schauer getötet wurde und somit einige Zeit unentdeckt dagelegen hatte. Möglicherweise war es ein Nachahmungstäter, der dem Ripper diesen Mord in die Schuhe schieben wollte.

Falls es doch JTR war, deutet alles darauf hin, dass er nicht mehr auf der Höhe seiner physischen und/oder psychischen Kräfte war - Folgen der fortschreitenden Syphilis?
Auch der große zeitliche Abstand zu den übrigen Taten fällt auf: JTR hatte eine sehr kurze Abkühlphase, so dass längere Pausen wohl nur durch widrige Umstände wie Krankheit, Einweisung oder Ermittlungsdruck der Polizei zu erklären sind.
Falls Jacob Levy der Täter war: Der Tatort ist nur 100-200 Meter oder 1-2 Minuten Gehweg von Butcher's Row und Middlesex Street entfernt.


"The crazy jewish Butcher"
Spätestens nach diesem Mord machte die Ripper-Theorie vom "verrückten jüdischen Metzger" die Runde, die von verschiedenen Presseorganen aufgegriffen wurde.

London Evening News And Post, 13. September 1889:
"The second man is now being watched. He is a resident of the East End, and has been for years. For a long time he has been acting in the most suspicious fashion. He has a business, to which he scarcely ever personally attends. He goes about drinking, and is to be met at all hours of the night in the streets all over the neighborhood. He enters his house at hours when his wife and family have long been at rest. No member of his family dare question him as to his ramblings. He knocks about among the lowest class of women at unearthly hours, although, according to general report, their very appearance is hateful in his sight. His hatred has been produced by physical suffering, for which, like most men of his class, he holds himself perfectly irresponsible. His habits are such as to give one the notion that he is not altogether in a fit position to be allowed to roam at will. Whether he has anything to do with any crime, it is, of course, impossible to say, but he is kept in view."

Offensichtlich war der Observierte ein im East End lebender Metzger, der sein Geschäft vernachlässigte, so wie auch Jacob Levys Frau beklagte. Er fing an zu trinken und streifte nachts umher, so wie Levys Frau gesagt hat. Er trieb sich bei Prostituierten herum, obwohl er sie hasste.
"His hatred has been produced by physical suffering, for which, like most men of his class, he holds himself perfectly irresponsible." - Und sein Hass kam von einer Syphilis-Infektion, wofür er die Schuld nicht bei sich, sondern bei anderen suchte.

Rochester Democrat And Chronicle, 16. September 1889:
"The London Police has a theory that Jack the Ripper is a crazy jewish butcher."

North Eastern Daily Gazette, 18. September 1889:
"A Detective's Views: We are watching now three men, besides the usual night-birds of Whitechapel. One man created some stir during the last murders under circumstances which I need not say anything about. He is a curious sort of fellow; in business, but not doing much to keep it going. His wife and daughter see to it, and he is out at all hours of the night. He says he is a member of the vigilance committee, but I can't answer as to that. No, I won't tell you his name, even if you do want to find out if he is a member or not. This man is out at all hours of the night, and he lets himself in some quietly that his wife does not know what time he really arrives home. She generally finds him in the shop when she comes down the morning. He is being watched, but we can't arrest him only on the suspicious we have. We must wait further developments."

Der Observierte vernachlässigte sein Geschäft, streifte nachts umher, und seine Frau wusste nicht, wann er zurückkam - das passt zu den Aussagen von Jacob Levys Frau bei seiner Einweisung.
"She generally finds him in the shop when she comes down the morning." - Die Erklärung dafür, warum seine Frau nichts bemerkt haben könnte: Sie schlief in der Wohnung, er im Shop. Auch das passt: Wenn JTR tatsächlich Familie hatte, dann muss er wohl woanders genächtigt haben als seine Frau, vermutlich wegen ehelicher Differenzen.
Seine Frau und Tochter kümmerten sich um das Geschäft - zwar war Levys Tochter Hannah 1889 erst vier Jahre alt, aber dafür wohnte laut Census von 1891 Sarahs jüngere Schwester Flora Abrahams mit im Haus, die vielleicht irrtümlicherweise als Tochter im Artikel auftaucht.

Sunday Chronicle, October 15, 1905:
"We found our man. He was engaged in a large way of business in the city of London, was married, had a family, and was generally respected. For some time he had been known as eccentric, and various escapades had caused his friends a good deal of anxiety. Frequently, as we learned later, he stayed out all night about the time when these outrages were committed. His description agreed with that of a man seen in Dorset-street, Whitechapel, on the night when Mary Jane Kelly was cut to pieces, and at that time he was very near to actual arrest by a policeman."

Der Observierte war in einer großen Geschäftsstraße tätig, und zwar in der City of London, nicht in Whitechapel (!). Dies klingt nach dem Butcher's Row Suspect, denn die Butcher's Row (und auch die einmündende Middlesex Street) gehörten bereits zur City of London. Er war verheiratet und hatte Familie, wie Jacob Levy. Er wurde seltsam und seine Eskapaden bereiteten seinen Freunden Sorge - auch das erinnert an den Verfall Levys mit Diebstahl, psychischer Erkrankung, Geschäftsvernachlässigung und schließlich dem nächtlichem Umherstreifen.



Das Ende


15. August 1890: Einlieferung ins Irrenhaus
Jacob Levy wird als geisteskrank in die Nervenheilanstalt City of London Asylum at Stone in Kent eingeliefert.
In der Krankenakte wird als Einweisungsgrund "Manie" eingetragen, an der er schon seit längerem leide. Er soll bei seiner Einlieferung noch in guter körperlicher Verfassung gewesen sein, seine Größe wird mit knapp 1,70 Meter und sein Gewicht mit 60 Kilo angegeben.
Seine Frau soll den Anstaltsakten zufolge nach der Einweisung gesagt haben, Levy habe beinahe ihr Geschäft ruiniert, früher sei er ein sehr guter Geschäftsmann gewesen. Aber er schlafe nun nachts nicht mehr, sondern wandere oft für Stunden ziellos umher. Auch befürchte er, jemandem etwas anzutun. Er höre Geräusche und Stimmen, die ihm befehlen und ihn zwingen Taten zu begehen, die er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne.
Merwürdigerweise soll Levy gesagt haben, dass schon sein Bruder Abraham Selbstmord begangen habe, indem er sich selbst die Kehle durchgeschnitten (!) habe. In den Akten steht: "Whether any near relative has been afflicted with insanity: Yes. Elder brother cut his throat." - Dabei hat er sich laut Casebook erhängt: Im Mai 1875 nahm sich Jacobs Bruder Abraham das Leben, weil er angeblich bei Pferderennen enorme Summen verloren hatte. Einem Zeitungsbericht nach fand Jacob selbst den erhängten Leichnam seines zwei Jahre älteren Bruders.
In den Akten heißt es über Jacob:
"Known patient several years: formerly shrewd business man, now quite incapable of carrying on the same, giving wrong change & money back for things bought. Says he feels a something within him impelling him to take everything he sees. Feels that if he is not restrained he will do some violence to some one. Complains of hearing strange noises.
Wife (Sarah Levy, 36 Middlesex St.) deposes that he has nearly ruined her business being quite incapable of taking care of money. Makes away with every penny he can put his hand on, orders goods indiscriminately & is continually taking other peoples goods carrying them off.
Wanders away from home for hours with out any purpose. Does not sleep at night raves and is continually fancying someone is going to do him bodily harm. (...) Has delusions as to his own importance, such as - it being in his power to give great grants of land & money."

Dass Levy sein Geschäft vernachlässigte, nachts umherstreifte und zugab, von inneren Stimmen zu Gewalttaten getrieben zu werden, ist ein gutes Indiz für eine mögliche Täterschaft. Ebenso die Größenwahnphantasien über seine eigene Bedeutung. 
Hinzu kommt die seltsame Aussage zum Tod seines Bruders: Hat Levy vielleicht in seiner psychischen Zerrüttung hier seine Vorliebe fürs Kehlenschlitzen verraten?
Dass er auch 1890 noch in guter körperlicher Verfassung war, legt jedenfalls nahe, dass er trotz seiner Erkrankung physisch zu den Morden fähig gewesen wäre.

In ihren Memoiren nannten die hochrangigen Polizeibeamten Macnaghten und Anderson beide als einen der Hauptverdächtigen im Ripper-Fall einen Juden, der in nächster Nähe zu den Opfern lebte und nach den Morden in eine Irrenanstalt eingewiesen wurde. Auch Major Arthur G.F. Griffiths schrieb in seiner Reihe "Mysteries of Police and Crime" 1898 von "a Polish Jew, a known lunatic who was at large in the district of Whitechapel at the time of the murders and who (...) was confined to an asylum" (das "polish" könnte eine Verwechslung mit Kosminski sein)
Chief Inspektor Swanson schrieb persönliche Anmerkungen in sein Exemplar von Andersons Memoiren, die den grundsätzlichen Sachverhalt bestätigten. Allerdings fügte er noch hinzu, dass der Verdächtige in einem "Seaside Home" von einem Zeugen erkannt worden sei und es ihm auch bewusst gewesen sei, dass die Polizei ihn identifiziert habe. Danach habe man ihn vorübergehend zu seinen Verwandten zurückgebracht, wo die Polizei ihn Tag und Nacht beobachtet habe, bevor er dann endgültig in eine Irrenanstalt gebracht worden sei, wo er schon bald verstorben sei.
Dies würde erklären, warum die Morde aufhörten.

Damit würde der von Ripperologen in den Akten von Colney Hatch gefundene gewalttätige Irre David Cohen als Verdächtiger ausfallen, denn nach bisherigen Erkenntnissen hatte er keine Verwandten. Eine weitere Diskrepanz: Die Zeugen beschrieben alle einen Mann mittleren Alters - David Cohen war damals aber erst 23 Jahre alt. Zudem wurde er bereits am 7. Dezember 1888 per Gerichtsbeschluss erst ins Whitechapel-Arbeiterkrankenhaus eingewiesen, und dann wegen seiner Unkontrollierbarkeit am 21. Dezember direkt weiter ins Irrenhaus Colney Hatch, wo er am 20. Oktober 1889 verstorben sein soll - die erste offiziell "Seaside Home" genannte Einrichtung wurde aber erst 1890 eröffnet.
(Allerdings vermuten einige Ripperologen, dass "David Cohen" auch ein Alias wie "John Doe" gewesen sein könnte, da es noch andere Namens-Unklarheiten in dem Fall gibt.)

Jabob Levys Einlieferungsdatum in die öffentliche Anstalt passt jedenfalls zum Zeitpunkt der angeblichen Identifikation von JTR in einem "Seaside Home" (s.u.), welche von Ripperologen auf Sommer 1890 angesetzt wird, da das Convalescent Police Seaside Home in Hove (bei Brighton) in diesem Jahr eröffnet wurde und in seinen Akten zwei Besucher ohne Namensnennung auftauchen.
Zwar wurde von Chief Inspektor Swanson als öffentliche Anstalt Colney Hatch ins Spiel gebracht, aber dies bezog er explizit auf Kosminski. Laut Researcher Steward Hicks soll Lady Anderson, die Ehefrau von Assistant Commissioner Robert Anderson, hingegen gesagt haben, der Ripper sei in einer Anstalt bei Stone gewesen.

Da Levy schon "seit längerem" an seiner Krankheit gelitten hatte, könnte er zuvor bereits in familiärer Betreuung und/oder einer privaten Einrichtung gewesen sein - so wie dies später von hochrangigen Polizisten über den Ripper-Verdächtigen erzählt wurde.
Die Polizei soll jedenfalls schon Ende 1888 alle privaten Sanatorien überprüft haben:
The Bristol Mercury, 29. Dezember 1888: "The Dublin Express London correspondent on Thursday gave as the latest police theory concerning the Whitechapel murderer, that he has fallen under the strong suspicion of his near relatives, who to avert a terribly family disgrace, may have placed him out of harm's way in safe keeping. As showing that there is a certain amount of credence attached to this story, detectives have recently visited all the registered private lunatic asylums, and made full inquiries as to the inmates recently admitted."

War Jacob Levy der Ripper, würde dies den Zeitraum von eineinhalb Jahren zwischen dem Kelly- Mord und seiner offiziellen Einweisung im August 1890 erklären.
Über Levy ist leider nur bekannt, dass er in Stone eingeliefert wurde, es gibt bisher keine Hinweise auf vorübergehende Unterbringungen woanders. Jedoch wäre es plausibel, dass sich zunächst seine Angehörigen um ihn kümmerten, bis sich sein Zustand so weit verschlechterte, dass er für sie nicht mehr zu bewältigen war, worauf sie ihn unter falschem Namen in ein privates Sanatorium steckten, bevor er von der Polizei entdeckt und identifiziert wurde.


Freitag, 13. Februar 1891: Mord an Frances Coles in Swallow Gardens
Coles traf gegen 1.45 Uhr in der Commercial Street auf ihre Bekannte, die Prostituierte Ellen Callagher. Sie liefen gemeinsam Richtung Minories und begegneten einen "brutalen Mann mit einer Baskenmütze", an den Callagher sich als einen früheren Kunden erinnerte. Sie will Coles gewarnt haben, dass der Mann ihr vor einiger Zeit ein blaues Auge geschlagen habe, und sie solle sich nicht mit ihm abgeben. Coles befolgte den Rat ihrer Freundin allerdings nicht und unterbreitete dem Mann ein Angebot, worauf die beiden ohne Callagher in Richtung Minories gingen.
Carmen Friday und die Brüder Knapton gingen kurz nach 2 Uhr morgens durch die Eisenbahn-Unterführung Swallow Gardens. Sie sahen eine Frau und einen Mann, die an der Ecke der Royal Mint Street standen. Gegen 2.15 Uhr dann entdeckte Police Constable Ernest Thompson auf seiner Runde unter der Eisenbahnbrücke die Prostituierte Frances Coles mit durchschnittener Kehle.
Die Justiz klagte später Coles gewalttätigen Freund Thomas Sadler an, der jedoch freigesprochen wurde, weil er ein Alibi hatte.
Verdächtigungen wie im Automn of Terror mit den Gerüchten um "Lether Apron" verbreiteten sich unter den Bewohnern des Eastends, laut Mundpropaganda sollte ein gewisser jüdischer Metzger namens "Jacobs" (!) der Mörder gewesen sein.
Benjamin Leeson schrieb in "Lost London: The Memoirs of an East End Detective" (1934):
"... a story circulated that the Ripper was a butcher, who wore blue overalls and a leather apron, and an English Jew named Jacobs, a perfectly harmless man, somehow attracted suspicion to himself. Possibly because, working in a slaughter house, he always wore a leather apron. People would point Jacobs out in the street as a suspected man, and more than once he had to run for it. I myself was often obliged to take him to the police station for protection. The thing so preyed on the poor fellow's mind that it finally caused him to lose his reason." 

Coles war zwar auch eine Prostituierte, der die Kehle aufgeschlitzt wurde, allerdings wurde sie nicht zuvor gewürgt, sondern einfach zu Boden gerissen, das Messer soll ebenfalls ein anderes gewesen sein - der obduzierende Dr. Phillips hielt jedenfalls JTR nicht für den Täter.
Interessant ist allerdings, dass in gewissen Teilen der Bevölkerung Gerüchte über einen Metzger namens "Jacobs" die Runde machten, was doch sehr nach "Jacob" klingt.
Könnte vielleicht in bestimmten Kreisen schon länger der Verdacht bestanden haben, dass der Metzger Jacob Levy möglicherweise der Ripper war? War hier etwas durchgesickert und kursierte nun unter Leuten, die nicht wußten, dass der echte Verdächtige bereits in einer Anstalt war?


29. Juli 1891: Jacob Levys Tod
Levy stirbt an den Folgen der Syphilis in der Nervenheilanstalt Stone in Kent.
In den Akten steht als Todesursache: "General paralysis of the insane brought on by the serious sexually transmitted disease syphilis".

Macnaghten und Swanson bezeichneten den Verdächtigen in der Anstalt in ihren Aufzeichnungen zwar als "Kosminski", jedoch enthalten die Erinnerungen der Polizisten nachgewiesenermaßen einige Ungenauigkeiten, so dass sie sich mit dem Namen geirrt haben könnten, denn der in medizinischen Akten gefundene Aaron Kosminski war damals erst 23 Jahre alt und starb erst 1919 in der Anstalt, nicht schon bald nach der Einweisung, so wie Swanson glaubte.
Zudem schrieb Robert Sagar von der City-Police von einem Metzger, der observiert worden war, und Kosminski soll Haarschneider gewesen sein.
Vermutlich wurden einfach die Namen von ein paar verdächtigen Anstaltsinsassen durcheinander geworfen. Der nie an den Ermittlungen beteiligte Mcnaghten schrieb sein internes Memorandum 1894 und veröffentlichte seine Memoiren "Days of My Years" erst 1914 - Jahre nach den Ripper-Morden. Robert Anderson veröffentlichte seine Memoiren "The Lighter Side of My Official Life", in die Swanson seine privaten Anmerkungen machte, erst 1910.

Interessanterweise hatte Jacob Levys unmittelbarer Nachbar, der Butcher Hyman Sampson (den Jacob 1886 bestohlen hatte), seit 1881 einen angestellten Metzger namens Aaron Krotoski. Der heiratete Sampsons Tochter und betrieb schließlich nach Sampsons Tod 1887 den Butcher Shop zuerst mit Sampsons Witwe Elizabeth weiter, bevor er ihn irgendwann nach 1888 ganz von der Schwiegermutter übernahm. Als Sarah Levy schließlich ihren Butcher Shop aufgab, war Aaron Krotoskis Metzgerei die einzige an der Ecke Stoney Lane.
Aaron Krotoski - Aaron Kosminski: zwei für Engländer ungewöhnliche Namen, die ähnlich klingen, könnte da etwas in den Erinnerungen unserer Polizisten durcheinander geraten sein? Zwei jüdische Verdächtige, die kurz nacheinander im Irrenhaus landeten, der eine war ein Butcher, dem ein Aaron Krotoski nachfolgte, der andere hieß Aaron Kosminski.

Macnaghten schrieb sein Memorandum 1894 und war an den Ermittlungen im Ripper-Fall nicht beteiligt, er hatte seine Informationen also von seinen Kollegen, wahrscheinlich von Swanson, und der wiederum hatte sie vermutlich von den Kollegen der City Police, denn die Butcher's Row Observationen hatte ja die City Police betrieben.
Da die Polizei nach dem Double Event die Metzgereien und Schlachtereien im Viertel überprüft hatte und alle Personen, die in den letzten sechs Monaten dort beschäftigt waren, stand Aaron Krotoski mit Sicherheit auch auf ihren Listen.
Den Shop der Levys gab es nicht mehr, dort oben an der Ecke Stoney Lane war jetzt nur noch der Laden eines Aaron Krotoski. Könnte es bei Swanson und Macnaghten daher vielleicht zu einer Verwechslung bzw. Vermischung von Kosminski mit Levy gekommen sein?
Immerhin glaubte Swanson ja auch, der Verdächtige sei nicht lange nach seiner Einweisung verstorben, aber Kosminski lebte noch bis 1919, während Levy schon 1891 in der Anstalt starb. Dies deutet darauf hin, dass zwei Verdächtige verwechselt wurden. 

Eine weitere plausible Erklärung der Namens-Irritationen könnte im Verhalten der Verwandten des mutmaßlichen Mörders liegen: Wenn er von den Angehörigen zuerst in eine private Anstalt gesteckt wurde, als sie seinem Irrsinn und seiner Gefährlichkeit nicht mehr Herr wurden, wäre es gut nachvollziehbar, dass sie ihn unter einer falschen Identität irgendwo eingewiesen hatten, um ihn und die Familie zu schützen.
Das wäre dann so lange gut gegangen, bis es zur Überprüfung aller neuen Anstalts-Einlieferungen durch die Polizei und der erwähnten Gegenüberstellung mit Identifizierung im "Seaside Home" gekommen war. Die spätere endgültige Einweisung in ein staatliches Institut wäre dann zwar unter dem richtigen Namen erfolgt, aber die Namensverwirrung könnte immer noch in Polizeikreisen und -Berichten präsent gewesen sein und so zu den Irrtümern geführt haben.

Robert Anderson jedenfalls schrieb in seinen Memoiren: "Die einzige Person, die jemals einen guten Blick auf den Mörder werfen konnte, identifizierte ihn, aber als er erfuhr, dass der Tatverdächtige ein Glaubensbruder war, weigerte er sich, gegen ihn auszusagen."
Swanson bestätigte in seinen privaten Anmerkungen diesen Aspekt.
Bei diesem Zeugen könnte es sich somit um entweder um Joseph Hyam Levy, Joseph Lawende (beide Fall Eddowes) oder Israel Schwartz (Fall Stride) gehandelt haben. Da Macnaghten schrieb, dass der Verdächtige der Beschreibung jener Person entsprach, die am Mitre Square gesehen wurde, dürfte der Zeuge tatsächlich entweder Joseph Hyam Levy oder Lawende gewesen sein. Joseph Hyam Levy machte bei der Befragung kaum Angaben zum Verdächtigen und gab sich verschlossen, vermittelte aber den Eindruck, als wisse er mehr als er sagen wollte, während Lavende zunächst eine detaillierte Beschreibung abgab. Lawende war ein Handelsreisender aus Dalston, kein Bewohner Whitechapels, und dürfte JTR nicht gekannt haben, so dass er vermutlich bedenkenlos eine erste Aussage machte, zumal er den Mann anfangs nicht für einen einheimischen Juden, sondern für einen Seemann gehalten hatte.
Eine Erklärung für den Rückzieher des Zeugen könnte somit sein, dass Joseph Lawende schließlich von seinem Begleiter Joseph Hyam Levy bearbeitet worden war, nicht gegen den Glaubensbruder auszusagen, um ein Pogrom gegen die jüdische Gemeinde zu verhindern.
Dass die Polizei tatsächlich die konkrete Möglichkeit sah, über die Zeugen Lawende und Joseph Hyam Levy den Ripper zu überführen, belegt auch die Vorgehsweise bei der öffentlichen Coroner-Untersuchung zu Eddowes Tod, bei der Lawende verboten wurde, den Verdächtigen vor dem Publikum genauer zu beschreiben (s.o.).



1892: Ermittlungs-Ende

Die Akte Jack the Ripper wird von der Polizei offiziell geschlossen.

Dies würde zeitlich besser zu Jacob Levy passen als zu dem in den Memoiren erwähnten Kosminski, da Aaron Kosminski erst lange nach seiner Einweisung und seiner Verlegung nach Leavesden im Jahr 1919 starb. Auch der von Ripperologen in den Akten der Colney Hatch Nervenheilanstalt gefundene mögliche Verdächtige Hyam Hyams starb erst am 22. März 1913.
Im Mai 1895 schrieb die Pall Mall Gazette: "Mr. Swanson believed the crimes to have been the work of a man who is now dead."



Fazit

Die Theorie, dass JTR ein jüdischer Metzger war, der im Irrenhaus starb, erklärt den ansonsten merkwürdigen Schluss im Ripper-Fall: Nach dem Ende der Mordserie laufen die Ermittlungen angeblich ergebnislos aus, die Akte wird geschlossen - aber Jahre später erklären hochrangige Polizisten in ihren Memoiren oder Zeitungsartikeln, der Ripper wäre eigentlich identifiziert worden.

Nach dem Mord an Mary Ann Nichols verdichteten sich im Eastend schnell Gerüchte, dass die Morde von einem Juden mit dem Spitznamen "Leather Apron" verübt worden sein sollten, was so auch in den Zeitungen verbreitet wurde und schon zu ersten antisemitischen Aufwallungen und Kundgebungen führte.
Superintendent Thomas Arnold ordnete daher nach dem Double Event mit Erlaubnis von Polizeichef Charles Warren an, das Goulston Street Graffiti auf der Stelle zu entfernen, explizit aus dem Grund, um mögliche Pogrome gegen Juden zu verhindern. In seinem Bericht vom 9. November 1888 schreibt Arnold: "Ich bitte darum berichten zu dürfen, dass am Morgen des 30. September, dem Letzten, meine Aufmerksamkeit auf eine Aufschrift an der Wand des Eingangs zu Behausungen in der Goulston Street 108, Whitechapel gerichtet wurde, welche aus folgenden Worten bestand: 'Die Juwes sind [nicht] die Menschen, die nicht grundlos beschuldigt werden'.
Ich wusste, dass aufgrund der Verdächtigung eines Juden namens John Pizer, genannt ‚Leather Apron‘, der beschuldigt wurde, den kürzlich in der Hanbury Street verübten Mord begangen zu haben, ein starkes Gefühl gegen die Juden im Allgemeinen aufkam. Da das Gebäude, auf dem sich die Aufschrift befand, mitten in der Lokalität liegt, die hauptsächlich von dieser Religions-gemeinschaft bewohnt wird, war ich besorgt darüber, dass wenn die Aufschrift verbleibt, diese für einen Aufstand verantwortlich sein könnte. Daher habe ich erwogen, dass es wünschenswert sei, sie aufgrund der Tatsache zu entfernen, dass sie sich an einer Stelle befand, die gut von den Menschen einsehbar war, die dort hinein- und hinausgehen."

Falls man den Ripper tatsächlich durch einen Zeugen als verrückt gewordenen jüdischen Metzger identifizierte, hätte die Bekanntgabe demnach zu schrecklichen Übergriffen bis hin zum Pogrom gegen die jüdische Gemeinde in Whitechapel im Allgemeinen und seine Familie im Besonderen führen können. Denn an die Eröffnung eines Prozesses wäre schon wegen des Gesundheitszustands des Tatverdächtigen nicht zu denken gewesen. Und selbst wenn: Ob die dünnen Beweismittel für eine Verurteilung ausreichend gewesen wären, darf bezweifelt werden - ein Freispruch aus Mangel an Beweisen wäre aber verheerend gewesen.
Wegen der sowieso schon explosiven sozialen Lage, einem weitverbreiteten Antisemitismus und der aufgestauten Wut durch den Ripper-Terror wäre wohl zu erwarten gewesen, dass viele Menschen dann ihre Aggressionen an Sündenböcken ausgelassen hätten.
Die Behörden könnten daher zu dem Schluss gekommen sein, es sei angesichts der explosiven Situation im Eastend sicherer, den todkranken Irren stillschweigend in einer Anstalt verrotten zu lassen und lieber weiter zähneknirschend vor der Öffentlichkeit wie Versager in diesem Fall dazustehen, als eine Katastrophe im Viertel zu riskieren.




Geographisches Profil von Jacob Levy:

Offline Lestrade

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Re: Jacob Levy
« Antwort #335 am: 03.11.2016 18:03 Uhr »
Hey Arthur,

Hier ist noch ein Link zu einem Schreiben eines Pferdeschlächters an Warren im September 1888:

https://www.nationalarchives.gov.uk/documents/education/jacktheripper.pdf

Ich wurde heute darauf wieder via dem JTRForums aufmerksam. Es ist das Document 7: reference MEPO 3/ 142 (p .4 – 5) .

Im Zusammenhang zu Jacob Levy bzw. zu den Angaben von Sagar, scheint das doch interessant. Sicherlich kennst du auch diesen Brief, mir war er schlicht und einfach entfallen.

Lestrade.
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Offline Arthur Dent 2

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Re: Jacob Levy
« Antwort #336 am: 03.11.2016 18:41 Uhr »
Hi Lestrade,

danke für den Hinweis - das ist der erste Ripper-Brief, den die Polizei erhielt. Er wurde damals geheim gehalten.

Ich habe ihn bereits in meiner Zusammenfassung, wie du oben nachlesen kannst:

Zitat
24. September 1888: Der erste Bekennerbrief
Durch die Grausamkeit der Morde und die Sensationsberichterstattung der Zeitungen nahm die öffentliche Aufmerksamkeit sprunghaft zu und Hysterie breitete sich in Teilen der Bevölkerung aus.  In der Folge davon erreichten Dutzende angebliche Bekennerbriefe die Polizei und die Presse.
Der erste davon war an Polizeichef Sir Charles Warren selbst adressiert, seine Existenz wurde damals geheim gehalten. Er lautete:

"Dear Sir,
ich würde gerne aufgeben, ich befinde mich in einem Albtraum. Ich bin der Mann, der alle diese Morde in den letzten sechs Monaten begangen hat. Mein Name ist (mit der Zeichnung eines Sargs unkenntlich gemacht). Ich bin ein Schlachter und arbeite bei (mit zwei Balken unkenntlich gemacht). I have found the woman I would that is Chapman and I done what I called slautered her (?). Aber wenn jemand kommt, werde ich aufgeben. Aber ich werde nicht von selbst zur (Polizei-)Station gehen. Hochachtungsvoll (mit der Zeichnung eines Sargs unkenntlich gemacht)."
Rückseite:
"Haltet das Viertel sauber, oder ich werde ihm einen Besuch abstatten. (Zeichnung eines Messers) Dies ist das Messer, mit dem ich die Morde begangen habe. Es hat einen schmalen Griff mit einer langen Klinge, beide Seiten scharf."

Die meisten Bekennerbriefe wurden von der Polizei schon damals als geschmacklose Scherze von Trittbrettfahrern abgetan, nur wenige wurden ernst genommen. Selbst die berühmt gewordenen Briefe, in denen der Mörder sich angeblich den Namen "Jack the Ripper" gab (der "Dear Boss"-Brief und die "Saucy Jacky"-Postkarte) werden inzwischen für Fakes gehalten und sollen aus der Feder ebenjenes Sensationsreporters Thomas Bulling von der Central News Agency stammen, welche die Briefe der Polizei übergab.

Jener erste Brief aber erscheint bemerkenswert: Erstens bezeichnet sich der Autor selbst als Schlachter. Zweitens ist er nicht verhöhnend, sondern scheint der Hilferuf eines kranken Menschen zu sein, der in einer tiefen inneren Zerrissenheit gefangen ist - so wie der Zustand Jacob Levys bei der Einlieferung ins Irrenhaus von seiner Frau beschrieben wurde.
Der Satz mit Chapman ist aufgrund seiner Formulierungen und der fehlenden Satzzeichen verwirrend, aber "and I done what I called" könnte bedeuten: "und ich habe getan, was mir befohlen wurde" - was ein Hinweis auf die befehlenden Stimmen sein könnte, die ein Wahnkranker oft hört, und von denen Levys Frau sprach.
Betrachtet man sich die sargförmige Schwärzung an der Stelle, wo der Briefschreiber angeblich zum ersten Mal seinen Namen übermalt hat, so scheint darunter etwas ähnliches wie "leaffray" oder "leadfray" gestanden zu haben - und das würde von der Wortlänge sowie von den Oberlängen und  Silhouetten einiger Buchstaben passen auf unseren Metzger Jacob Levy:
l e  a  d  f r a y
l a co b  l e v y 


Aber ich hatte vor einiger Zeit beim Stöbern im casebook noch einen interessanten Leserbrief gefunden (hatte beim C&P dummerweise den Link vergessen, muss die Quelle noch mal suchen) - kennst du den?

Hier:


Evening News
London, U.K.
9 October 1888

TO THE EDITOR OF "THE EVENING NEWS."
Sir -
Of the many theories that have been put forward as to the probable perpetrator of the East end tragedies, hardly any, to my mind, suggest the likeliest class of man to be capable of working in the silent, quick, and skilful manner that he evidently does, according to the medical evidence given at the various inquests. Having read the many letters in the "dailies" I feel that my views as to the manner of the committal and person committing them may be of some interest to you and your readers.

1. The person likely to commit an act of this description and in the peculiar manner, is a man who is thoroughly acquainted with and is practical in the Jewish method of slaughtering animals for human consumption, a business which is carried on in the immediate neighbourhood of the murders, and at the market in Deptford, which is in constant communication by rail or van with this locality at all hours day and night.
My reasons for assuming this is that only a man having a perfect knowledge of how to deliver a cut so effectually and with such certainty as in these cases must know exactly the kind of knife to use, and I know of no more suitable instrument than the knife used by a "Jewish cutter" when slaughtering sheep or oxen. These knives are from twelve to eighteen inches long in the blade, about one and a half to two inches wide, with square end, very rigid, strong back, and made of finest steel, sharpened upon a hone to a razor edge.
The mode of using it is as follows: The sheep or ox is cast turned on its back, the head drawn back to render the skin tense, the cutter is then called upon to do his work which is to cut the animal's throat with one heavy downward drawing cut, using the knife from heel to point so as to divide the whole of the vessels, windpipe and muscles, down to the vertebral column, the animal dying quickly and noiselessly from such a wound - a wound requiring to inflict upon so large an animal as an ox a perfectly suitable knife, skill and force to use it.

2. After the animal is dead the skin being removed by assistants from the abdomen of the carcass, a second person, called a "searcher," steps in and makes a longitudinal incision in the abdomen, immediately below the base of the chest, in this case a razor is used as a cutting instrument. The hand is passed through this opening, and two incisions are made in the diaphragm in order to pass the hand entirely round the cavity of the chest on either side, and feel for any attachment of the lungs to the walls of the chest. The organs of the abdominal cavity are examined by touch in a similar manner, and if it passes the examination as fit for Jewish consumption, it is marked by the searcher, and afterwards a sealer seals it with a small leaden seal.
In my opinion a man who has seen or carried out these functions has committed these crimes, from the fact of the certainty, cleanness, and depth of the cuts in the throats of the victims, the mutilations being so extensive, and evidently carried out by the sense of touch, for it is evident no light could have been used.

Should you publish this letter, I will conclude my argument in a second one tomorrow.
I am, &c.,
A Butcher.


MfG, Arthur Dent



P.S. Coole Quelle mit schönen Faksimiles der Dokumente - merci.

Offline Lestrade

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Re: Jacob Levy
« Antwort #337 am: 03.11.2016 19:25 Uhr »
Sorry Arthur,

Klaro, ich habe das bei dir gelesen, mit dem Sarg und dem Messer... und gleich wieder verdrängt... zu schnell überflogen... mir wurde der ganze Brief erst wieder bewusster, als ich ihn heute "leibhaftig" sah...

Der andere erwähnte Brief war mir auch verpufft aber der Begriff "Deptford" war mir noch gewahr. Da gab es hier mal eine Diskussion mit weiteren Anmerkungen dazu:

http://jacktheripper.de/forum/index.php?topic=1297.0

Post 8, von Shadow.

Er schreibt dort auch:

Manchester Guardian
10 September 1888
Another telegram last night states:-- A man was arrested at Deptford this afternoon on suspicion of being connected with the East End tragedy, but there is reason to believe he will be able to establish his innocence and will soon be released.


Vielleicht interessieren dich dort noch die anderen Angaben.

Und ja, es ist eine schöne Quelle mit diesen Dokumenten. Ich nutze sonst immer Anlage im Scotland Yard Investigates was Briefe anbelangt.

Lestrade.
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Offline Lestrade

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Cutbush und die Aldgate High Street!
« Antwort #338 am: 22.11.2016 16:42 Uhr »
Könnte interessieren:

Debra Arif beschäftigte sich noch einmal mit der Aldgate High Street. Es wurde darüber früher diskutiert, ob es 1888 eine 29 Aldgate High Street gab. PC Robinson hat davor ja die betrunkene Eddowes aufgefunden. 28 und 30 waren bekannt. Über die Jahre gab es immer wieder kleine Nummernänderungen, mir war das auch schon einmal auf der gegenüberliegenden Seite am östlichen Ende der Butchers Row aufgefallen. Die Nummer 29 gab es aber tatächlich in 1888, belegt durch einen William Hattersley, Eisenwarenhändler. Für 1891 war bekannt, dass Hattersley die Nummer 30 besetzte. Egal, wie sich die Nummern nun "verschoben", Eddowes wurde wahrscheinlich vor dem Geschäft von Hattersley aufgegriffen.

Die zweite Sache betrifft den Verdächtigen Thomas Haynes Cutbush. Offenbar war er eine Art Cousin von einem der Venables (John Luke) aus der 34 Aldgate High Street, gegenüber der Butchers Row. Die waren dort ebenfalls schon 1888 ansässig.

Macnaghten sagte:

Cutbush was the nephew of the late Supt. Executive.

Mein aktueller Stand ist, dass dies bisher nicht wirklich nachgewiesen werden konnte, ob Thomas Haynes Cutbush der Neffe des Polizeibeamten Charles Cutbush war.

Ich kam natürlich gleich ins Grübeln und auch ins Anzweifeln bestimmter Ansichten. Thomas Cutbush war ähnlich krank wie Aaron Kozminski und Jacob Levy. Er wurde kurz nach der Einweisung von Aaron Kozminski ebenfalls weggesperrt (März 1891 oder so).

Falls ich nicht falsch liege, wurde Thomas Cutbush in einem Ort geboren, der noch zum Land Surrey gehörte und es scheint auch Angehörige gegeben zu haben, die nach Australien auswanderten.

Dazu nun eben ein neu entdeckter Verwandter gegenüber der Butchers Row und das alle zusammen, ließ mich sofort an Sagar (Butchers Row Verdächtiger/ "ging eventuell nach Australien") und Cox (Surrey) denken.

Bei Sagar halte ich mich aber gerade daran fest, dass er von einem Mann mit "jüdischer Erscheinung sprach", gesehen von einm Konstabler am Mitre Square und diesen Hinweis mit dem PC bekamen wir ja auch via Macnaghten, Griffiths und Sims bezüglich Kosminski. Die Beschreibung eines Mannes mit schwarzen, lockigen Haaren lassen auch bei Cox an einen Ausländer denken.

Dennoch finde ich, dass dies alles wenigstens ein bemerkenswerter Zufall ist, eine Cutbush Verbindung gegenüber der Butchers Row gefunden zu haben.

Die andere Sache ist die, falls über den Polizisten Charles Cutbush auch eine Verbindung zu den Venables in der 34 Aldgate High Street bestand, dann wäre deren Shop gegenüber der Butchers Row für eine Observation durch die City Police (Sagar) sicherlich gut in Frage gekommen.

Die Venables hatten wohl auch einen Stallbereich an der Ecke Backchurch Lane/ Batty Gardens. Letztere verband die Berner Street (nahe Dutfields Yard) mit der Backchurch Lane.

Es ist immer wieder erstaunlich, was so alles aufgetan werden kann.

Liest aber selbst:

http://www.jtrforums.com/showthread.php?t=26588

Lestrade.
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Re: Jacob Levy
« Antwort #339 am: 13.12.2016 22:20 Uhr »
Hallo zusammen!

Ich habe zwar derzeit viel zu tun, aber einen Gedanken wollte ich noch etwas weiter ausführen:

Angesichts der ganzen Verbindungen in der jüdischen Gemeinde, der Umzüge, Änderungen von Namen, der neuen Nummerierung von Straßenzügen, der langen Verdächtigenliste, gewisser äußerlicher Ähnlichkeiten, der zahlreichen Einweisungen in Irrenhäuser sowie der Irrtümer und Widersprüche in den späteren Quellen glaube ich inzwischen, dass es bei der Nachbetrachtung des Falles bei unseren Polizisten in den folgenden Jahren zu einigen Verwechslungen zwischen Verdächtigen gekommen sein dürfte (falls sie nicht absichtlich Nebelkerzen warfen).


Macnaghten und Swanson bezeichneten den Verdächtigen in der Anstalt in ihren Aufzeichnungen zwar als "Kosminski", jedoch enthalten die Erinnerungen der Polizisten nachgewiesenermaßen einige Ungenauigkeiten, so dass sie sich mit dem Namen geirrt haben könnten, denn der in medizinischen Akten gefundene Aaron Kosminski war damals erst 23 Jahre alt und starb erst 1919 in der Anstalt, nicht schon bald nach der Einweisung, so wie Swanson glaubte.
Vermutlich wurden einfach die Namen von ein paar verdächtigen Anstaltsinsassen durcheinander geworfen. Der nie an den Ermittlungen beteiligte Mcnaghten schrieb sein internes Memorandum 1894 und veröffentlichte seine Memoiren "Days of My Years" erst 1914 - Jahre nach den Ripper-Morden. Robert Anderson veröffentlichte seine Memoiren "The Lighter Side of My Official Life", in die Swanson seine privaten Anmerkungen machte, erst 1910.

Interessanterweise hatte Jacob Levys unmittelbarer Nachbar, der Butcher Hyman Sampson (den Jacob 1886 bestohlen hatte), seit 1881 einen angestellten Metzger namens Aaron Krotoski. Der heiratete Sampsons Tochter und betrieb schließlich nach Sampsons Tod 1887 den Butcher Shop zuerst mit Sampsons Witwe Elizabeth weiter, bevor er ihn irgendwann nach 1888 ganz von der Schwiegermutter übernahm. Als Sarah Levy schließlich zwischen 1891 und 1894 ihren Butcher Shop aufgab, war Aaron Krotoskis Metzgerei die einzige an der Ecke Stoney Lane.
Aaron Krotoski - Aaron Kosminski: zwei für Engländer ungewöhnliche Namen, die ähnlich klingen, könnte da etwas in den Erinnerungen unserer Polizisten durcheinander geraten sein?
Zwei jüdische Verdächtige, die kurz nacheinander im Irrenhaus landeten, der eine war ein Butcher, dem ein Aaron Krotoski nachfolgte, der andere hieß Aaron Kosminski.

Macnaghten schrieb sein Memorandum 1894 und war an den Ermittlungen im Ripper-Fall nicht beteiligt, er hatte seine Informationen also von seinen Kollegen, wahrscheinlich von Anderson und/oder Swanson, und die wiederum hatten sie vermutlich von den Kollegen der City Police, denn die Butcher's Row Observationen hatte ja die City Police betrieben.
Da die Polizei nach dem Double Event die Metzgereien und Schlachtereien im Viertel überprüft hatte und alle Personen, die in den letzten sechs Monaten dort beschäftigt waren, stand Aaron Krotoski mit Sicherheit auch auf ihren Listen.
Den Shop der Levys gab es nicht mehr, dort oben an der Ecke Stoney Lane war jetzt nur noch der Laden eines Aaron Krotoski. In dieser Zeit wurden in der Straße übrigens die Gebäude mit neuen Hausnummern versehen, so dass z.B. aus der ehemaligen Middlesex Street 36 die Nr. 69 und aus der Nr. 35 die 67 wurde - dies dürfte in der Übergangsphase zu einigen Verwirrungen geführt haben. Könnte es bei Swanson und Macnaghten daher vielleicht zu einer Verwechslung bzw. Vermischung von Kosminski mit Levy gekommen sein?
Immerhin glaubte Swanson ja auch, der Verdächtige sei nicht lange nach seiner Einweisung verstorben, aber Kosminski lebte noch bis 1919, während Levy schon 1891 in der Anstalt starb. Dies deutet darauf hin, dass zwei Verdächtige verwechselt wurden. 

Ein weiterer Kandidat für eine Verwechslung von Jacob Levy und Aaron Kosminski könnte der Nachbar des Zeugen Joseph Hyam Levy gewesen sein: Laut Census von 1891 wohnte direkt neben Joseph Hyam Levy in der Hutchinson Street 2 ein in der Bekleidungsbranche tätiger Jacob Koski mit seiner Frau und Familie. Der Name Koski war extrem selten, und einige Ripperologen vermuten, dass er etwas mit den Kosminskis zu tun haben könnte:
Denn Koskis Nachbar Joseph Hyam Levy unterstützte 1877 die Einbürgerung eines Martin Kosminski. Dabei könnte es sich um jenen Martin Kosminski handeln, der mit seinen Brüdern Samuel und Jacob aus Kalisch eingewandert war, einer Region in Polen, zu der damals auch Klodawa, der Geburtsort von Aaron Kosminski, gehörte - und Aarons Verwandte waren ebenfalls in der Bekleidungsbranche.
Falls es also Verbindungen des Zeugen Joseph Hyam Levy zu gleich zwei Verdächtigen gab - zu Aaron Kosminski und zu Jacob Levy - hätte auch dies in den Erinnerungen der Polizisten zu Verwechslungen führen können.


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Re: Jacob Levy
« Antwort #340 am: 15.12.2016 20:57 Uhr »
Ich stimme mir dir überein, dass Jahre nach den Ereignissen, die Erinnerungen nicht immer, wenn nicht gar stets, korrekt waren. Dazu kommen natürlich auch die Entfassungen der Presseberichte, wie z.B. im Falle von Cox und Sagar, auch da kann es wiederum von anderer Seite zu inkorrekten Wiedergaben gekommen sein. Von alledem müssen wir, logischerweise, ausgehen. Dennoch denke ich, im Falle von "Kosminski", dass er DER Hauptverdächtige gewesen war. Sehr gut möglich, dass man ihm jedoch bestimmte Dinge im Nachhinein anhängte, welche nicht ganz der Wahrheit entsprachen. Die Anmerkungen von Swanson in den Memoiren sehe ich vielleicht auch als mögliche Korrekturen von Andersons Glaube.

Mein Eindruck ist, dass Swanson der erste war, der die Information über Kosminskis "Tod" erfuhr. Lady Anderson, die Frau von Robert Anderson bemerkte einmal, dass der Ripper in einer Anstalt in Stone, Kent eingeliefert worden ist. Sein Sohn Arthur Anderson gab einmal an:

"the man was an alien from Eastern Europe, and believed that he had died in an asylum"

Man kann sich natürlich eigentlich schwer vorstellen, dass Anderson nicht genau wusste, wo Kosminski gestorben ist, in Stone oder Colney Hatch. Dennoch könnte es möglich sein, dass Anderson bestimmten Leuten berichtetet, wider besseren Wissens:

"he was sent to Stepney Workhouse and then to Stone, Kent and I believe he died there"

Über so etwas hätte Swanson Kenntnis gehabt haben können und "verbesserte" Anderson dahingehend, dass er schrieb:

"he was sent to Stepney Workhouse and then to Colney Hatch and died shortly afterwards" 

Das gleiche mit:

"...because the suspect was also a Jew"

Wäre ja denkbar, dass Anderson nicht ganz sicher war, ob der Zeuge wirklich ein Jude war. Vielleicht irritierte ihn ein nichtjüdischer Name, wie ich das mit Frank Ruffel einmal erläuterte. Seine Mutter war zumindest eine jüdische Witwe und der Name könnte aus Holland stammen, wo es möglich war, eher als Nichtjude einen Jude oder Judin zu heiraten. Als Swanson "also" unterstrich, könnte er damit darauf aufmerksam gemacht haben. Wir wissen ja überhaupt nicht, was Swanson mit seiner Kopie der Anderson Memoiren vorhatte. Vielleicht wollte er es ja Anderson mit den Anmerkungen wieder zukommen lassen und das, obwohl es offenbar ein Geschenk von Abberline war. Vielleicht behauptete aber auch Abberline etwas anderes über Kosminski, was Swanson aber besser wusste, auch wenn der Tod im Falle von Kosminski, falls Aaron Kozminski, ein Fehlinformation war.

Ich bin gerade im Austausch mit Pat Marshall, du erinnerst dich vielleicht, dass Cox ein Bruder ihres Uropas war. Durch sie weiß ich z.B., dass Isaac Abrahams, Aaron´s Bruder, ein Freimaurer war und konnte einen Bericht lesen, der von Helen Singer, einer Schwester von Aaron, handelte. Helen Singer gab an, dass sie "viele Angehörige" in London hatten. Die Familie wanderte also in größeren Ausmaßen nach London mit der Zeit aus. Auch kam die Mutter, Golda, wohl mit der Mutter von Israel Lubnowski, dem Rabbi, nach London.

Wichtiger ist jedoch die Information, dass ihr Familienmitglied Cox einen Informanten im Ripper Fall hatte. Darüber hat Pat eine sichere Angabe. Die Adresse lautete 81 Greenfield Street, eine jüdische Herberge. Diese Adresse wurde kurze Zeit später eine Synagoge. Da wir ja wissen, dass die Kozminski Familie eng mit der Greenfield Street und der gegenüberliegenden Yalford Street verbunden waren, müssen wir in Betracht ziehen, dass Cox tatsächlich Aaron Kozminski observierte. Gegenüber der 81 Greenfield Street lag der Pub von Harry Fisher. Erinnern wir uns, was Cox bemerkte:

Day after day we used to sit and chat with them, drinking their coffee, smoking their excellent cigarettes, and partaking of Kosher rum.

Es ist bekannt, dass es ab September 1890 bis zum Ende von 1890, kurz vor Aaron´s Einweisung, ein gewisser Joseph Tragheim ein Informant der Polizei unter der Adresse der jüdischen Herberge in der 81 Greenfield Street gewesen war. In diesem Fall war einer der Ermittler unser Harry Cox. Pat ist der Meinung, dass die Observation von Harry vielleicht doch später stattfand, als wir stets annehmen. Ich weiß jedoch nicht, ob eben jener Tragheim dieser Informant für den Ripper Fall war. Das alles zusammen, lässt jedoch eher in die Richtung denken, dass Cox tatsächlich Aaron Kozminski meinte und weniger jemand anderes. Bei der oben angeführten Aussage bezüglich Anderson, halte ich es jedoch auch für möglich, dass Jacob Levy auch auf den Zetteln der Ermittler stand und Anderson deswegen Stone und Colney Hatch durcheinander brachte. Das würde aber nichts daran ändern, dass er Kosminski meinte.
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Re: Jacob Levy
« Antwort #341 am: 23.12.2016 21:11 Uhr »
Hallo zusammen!


Ich habe da noch etwas Interessantes bezüglich Jacob Levy und der Middlesex Street gefunden:

Der Professor für Forensische Psychologie und Geographic Profiling David Canter vom International Centre for Investigative Psychology at The University of Liverpool erstellte für JTR ein geographisches Profil, in dem er zu dem Schluss kommt, dass JTRs Ausgangspunkt höchstwahrscheinlich in der Nähe der Middlesex Street lag.

Dazu sagte er z.B. 2013 in einem Interview:

"Die Morde wurden im Londoner Bezirk Whitechapel im East End begangen. Wenn man die Tatorte auf der Karte markiert, erkennt man, dass es ein Zentrum gibt, von dem aus der Mann operiert haben könnte. Dieses Zentrum ist nur ein paar Schritte entfernt von der Middlesex Street, wo der Kaufmann James Maybrick angeblich ein Apartment gemietet haben soll. Maybrick ist einer der Verdächtigen, da später ein Tagebuch gefunden wurde, das ihm gehört haben soll, und darin steht diese Adresse. Wenn das Tagebuch eine Fälschung ist, so war die angegebene Adresse sehr gut gewählt. "
https://www.brandeins.de/archiv/2013/privat/der-faehrtenleser/


http://www.davidcanter.com/


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Re: Jacob Levy
« Antwort #342 am: 23.12.2016 21:38 Uhr »
Ich habe auch mal die Karte mit meinem geographischen Profil aktualisiert.


Unter der Prämisse, dass Jacob Levy JTR war, und er nach dem Mord an Eddowes aus gewissen Gründen nicht zurück in die Middlesex Street 36 konnte, ergibt sich die plausible Möglichkeit, dass er stattdessen erst weiter in Richtung seines Bruders in die Goulston Street und dann weiter in Richtung seines früheren Lebensmittelpunktes floh: Richtung Fieldgate Street bzw. in Richtung des Hauses seines mutmaßlichen Verwandten John Levy, Whitechapel Road 254.

Es gibt gleich mehrere Gründe, warum er an seinem Butcher Shop in der Middlesex Street vorbeigerannt sein könnte:
- Ihm könnte klar geworden sein, dass er zu nahe an seinem Zuhause zugeschlagen hatte.
- Die Polizei könnte ihm zu dicht auf den Fersen gewesen sein, so dass er es für zu gefährlich gehalten hätte.
- Es war erst kurz vor zwei Uhr nachts - wesentlich früher als bei den anderen Taten: Seine Frau Sarah könnte noch wach gewesen sein, was er vielleicht am Licht im Haus sah.
- Es könnte jemand in der Straße unterwegs gewesen sein, der ihn kannte (eventuell sogar Joseph Hyam Levy?)

Hier die Karte:
« Letzte Änderung: 23.12.2016 22:15 Uhr von Arthur Dent 2 »

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Re: Jacob Levy
« Antwort #343 am: 24.12.2016 11:58 Uhr »
Der Professor für Forensische Psychologie und Geographic Profiling David Canter vom International Centre for Investigative Psychology at The University of Liverpool erstellte für JTR ein geographisches Profil, in dem er zu dem Schluss kommt, dass JTRs Ausgangspunkt höchstwahrscheinlich in der Nähe der Middlesex Street lag.

Dazu sagte er z.B. 2013 in einem Interview:

"Die Morde wurden im Londoner Bezirk Whitechapel im East End begangen. Wenn man die Tatorte auf der Karte markiert, erkennt man, dass es ein Zentrum gibt, von dem aus der Mann operiert haben könnte. Dieses Zentrum ist nur ein paar Schritte entfernt von der Middlesex Street, wo der Kaufmann James Maybrick angeblich ein Apartment gemietet haben soll. Maybrick ist einer der Verdächtigen, da später ein Tagebuch gefunden wurde, das ihm gehört haben soll, und darin steht diese Adresse. Wenn das Tagebuch eine Fälschung ist, so war die angegebene Adresse sehr gut gewählt. "

David Canter, als ein führender Profiler in England, hat einen anderen Ansatz bezüglich solcher Dinge als seine amerikanischen Kollegen! Der Kanandier Dr. Kim Rossmo sieht Jack the Ripper eher in der Flower and Dean Street, Canter die Basis eher in Middlesex Street. Die Nennung dieser Straßen ist aber eher als eine Art von Orientierung anzusehen, da die Bereiche natürlich mehrere Straßen bzw. ein kleines Gebiet umfassen. Wertigkeit erfährt die Middlesex Street aber eben auch durch James Maybrick, der mit dieser Straße in Verbindung gebracht wurde. Canter: It is the only reference in the diary to any specific location in the Whitechapel area, and, would you believe it, Middlesex Street is exactly in that area of Whitechapel that I mentioned, as shown in Figure 9.

Hier noch ein Video mit Canter:

https://www.youtube.com/watch?v=QCdskRH-B6s

Folgend noch ein Post, welches panopticon vor nahezu 6,5 Jahren erstellt hatte (der letzte Link funktioniert nicht mehr) :

Hallo zusammen!

(1) Ich weiß nicht, wer es schon kennt und habe auch noch keinen Link dazu im Forum gefunden (Sorry, wenn´s schon mal gepostet wurde!). Der Link unten führt direkt zu einem geographischen Profil von ´Jack the Ripper´, erstellt von Wesley English mit einer von ihm selbst erstellten Applikation für geographisches Profiling von Serienverbrechern. Infos über den Autor, seinen Background, seine Vorgehensweise und Software ist ohnedies der Seite zu entnehmen. Generell hat er, der zwar forensischer Psychologe ist, aber explizit darauf hinweist, kein Ripperologe zu sein, die Goulston Street nicht mit einbezogen, freundlicherweise aber unter der Anleitung einiger aus dem Casebook-Forum weitere Szenarien erstellt, die ich im Anschluss auch anfüge: 

Zunächst der Link zum klassischen Profil mit den Tatorten der kanonischen Fünf:
http://www.wesleyenglish.com/geoprofile/infamous-cases/jack-the-ripper

Hier findet sich ein Profil ohne Liz Stride:
http://www.wesleyenglish.com/wp-content/uploads/2010/02/Jack-the-Ripper-Alt-Geographic-Profile.png

Und hier eines der kanonischen Fünf inklusive Martha Tabram:
http://www.wesleyenglish.com/wp-content/uploads/2010/03/Jack-the-Ripper-Updated-6-Victims.png



(2) Hier ein weiteres geographisches Profil von ´Jack the Ripper´, erstellt  von D. Kim Rossmo, das in seinen Ergebnissen in etwa auch dem obigen ähnelt (Bild rechts zum Vergrößern klicken!): http://www.txstate.edu/gii/geographicprofiling.html

David Canter verweist aber auch auf andere Experten, die behaupten, dass je später es in der Nacht wird, desto weiter entfernt sich der Täter von seinem Wohnort. Wir wissen ja, dass Nichols, Chapman und Kelly "spät in der Nacht", fast im Morgengrauen (Chapman), ermordet wurden. Stride und Eddowes aber viel früher. Also im Falle von Stride, wäre der Täter nicht weit von seinem Wohnsitz entfernt gewesen. Bei solch einem Ansatz, wäre Jacob Levy aus der Middlesex Street als Täter in der Berner Street eher außen vor. In diesem Zusammenhang wären vielleicht auch die Tatorte, Eddowes, Kelly und Tabram zu dicht dran, weil er sich bereits zu diesen Zeitpunkten mit seinen Opfern weiter entfernt hätte. Ausnahme wäre hier Mackenzie.

Hier auch noch geographische Profilansichten, die bekannt sein dürften:

http://www.casebook.org/dissertations/robhouse-kosminski.html

(Sion Square ist aber verkehrt, wie Rob House schon vor einiger Zeit selber herausfand)

Im Falle von Aaron Kozminski ist die Theorie des sich von seinem Wohnsitz immer weiter entfernenden Täters, desto später es des Nachts wird, viel interessanter. Stride wurde viel früher als andere Opfer attackiert und die Wohnsitze seiner Geschwister Woolf, Isaac und Matilda lagen vom Dutfields Yard nur maximal 2-4 Minuten zu Fuss entfernt. Alle anderen Opfer dann doch ein Stückchen weiter.

Die frühe Attacke auf Stride ist schon ein bemerkenswerter Umstand, der besondere Beachtung finden sollte, wie ich finde. Das der Täter sich Nachts auf die Lauer legte ist klar und auch, dass er irgendwo einen Ausgangspunkt hatte, von dem er startete. Es liegt, glaube ich, in der Natur der Sache, im Laufe der Zeit in einer Nacht, sich stetig immer etwas weiter zu bewegen. Bei Stride schlug er recht früh zu, ein Indiz, dass er sich nicht weit von seinem Wohnort befand? Ich denke, dass ist gut möglich und macht Sinn. Für Jacob Levy, wenn er kurz nach Mitternacht sein Haus verlassen hätte, ist die Berner Street in St.George in the east vielleicht zu weit weg. In diesen genannten Zusammenhängen versteht sich.
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Re: Jacob Levy
« Antwort #344 am: 25.12.2016 11:50 Uhr »
Hallo Lestrade.

Erstmal: Frohe Weihnachten!


Zitat
Die Nennung dieser Straßen ist aber eher als eine Art von Orientierung anzusehen, da die Bereiche natürlich mehrere Straßen bzw. ein kleines Gebiet umfassen.

Darüber waren wir uns ja bereits in einer früheren Diskussion über das Geographic Profiling einig. Ich hatte damals ja selbst die Ergebnisse des Geoprofiling Programms gepostet, mit dem Wesley English gearbeitet hat, wie du dich vielleicht erinnerst.

JTRs Wirkungskreis ist mit weniger als einer Quadratmeile sehr klein und die Wege sind kurz - JTR konnte zu Fuß innerhalb weniger Minuten an jeden Punkt seines Wirkungskreises gelangen, daher zeigt so eine Wahrscheinlichkeitsverteilung bestenfalls einen Umkreis von vielleicht einem Hektar an, und damit mehrere Straßen und Häuserblöcke, an dem die Wahrscheinlichkeit für JTRs "Operationsbasis" besonders hoch ist.

Das Programm, mit dem English arbeitete, kam - wenig überraschend - zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit rund um die wichtigste Kreuzung im Viertel, die im inneren Bereich von JTRs Wirkungskreis liegt, besonders hoch ist:
Der Bereich rund um die zentrale Kreuzung Whitechapel High Street / Whitechapel Road / Leman Street / Commercial Street / Commercial Road.
In diesem Umkreis liegen Butcher's Row, Middlesex Street und Goulston Street.

Ich habe Canter jetzt angeführt, weil er diese Einschätzung bestätigt: Auch für ihn liegt das Zentrum in dieser Ecke des Viertels - und zwar unabhängig davon, ob Maybrick nun JTR war oder nicht: "Dieses Zentrum ist nur ein paar Schritte entfernt von der Middlesex Street."
Er schrieb explizit, als er noch nicht wusste, dass das Tagebuch eine Fälschung war:
"Wenn das Tagebuch eine Fälschung ist, so war die angegebene Adresse sehr gut gewählt."

Das Geoprofiling Programm von English zeigt zusätzlich noch einen recht breiten Bereich hoher Wahrscheinlichkeit entlang des Verlaufs der Whitechapel Road nach Osten und nach Norden rund um die Old Montague Street. Dieser Bereich ist dem Nichols-Mord in der Buck's Row geschuldet.
Bedenkt man nun "He occupied several Shops in the East End", und dass Levys alte Adresse die Fieldgate Street war und es John Levys Shop in der Whitechapel Road 254 gab, so würde diese Wahrscheinlichkeitsverteilung entlang der Whitechapel Road gut zu einem zweiten Zentrum, einer zweiten möglichen Zuflucht rund um seinen früheren Lebensmittelpunkt passen (daher die Aktualisierung meiner Karte mit den entsprechenden Punkten).


Zitat
David Canter verweist aber auch auf andere Experten, die behaupten, dass je später es in der Nacht wird, desto weiter entfernt sich der Täter von seinem Wohnort. Wir wissen ja, dass Nichols, Chapman und Kelly "spät in der Nacht", fast im Morgengrauen (Chapman), ermordet wurden. Stride und Eddowes aber viel früher. Also im Falle von Stride, wäre der Täter nicht weit von seinem Wohnsitz entfernt gewesen.

Angesichts der kurzen Wege im Viertel halte ich diese These für wenig plausibel. Sie passt vielleicht auf Täter, die einen größeren Wirkungskreis von vielen Kilometern und deutlich längere Wege im Stundenbereich haben - aber nicht auf einen Täter, der zu Fuß in wenigen Minuten an jedem Punkt seiner Aktivitäten sein konnte.
Da dürften die Faktoren, um wieviel Uhr konnte JTR in der konkreten Nacht zur Jagd aufbrechen sowie wieviel Glück oder Pech hatte er beim Suchen und Finden passender Opfer und Situationen, wesentlich mehr Einfluss auf die Tatzeit gehabt haben als die Länge des Weges zu den Tatorten: Wir reden hier von Differenzen in der Tatzeit von fast fünf Stunden im Vergleich zu Fußwegen von unter fünf bis zu zwanzig Minuten.
Hier eine Korrelation zwischen Tatzeit und Nähe des Tatorts zu JTRs Lebensmittelpunkt zu postulieren, ist m.E. Bad Science - reine Kaffeesatzleserei. Es gibt in diesem kleinen Wirkungskreis zahlreiche mögliche Faktoren, die einen wesentlich größeren Einfluss auf die Tatzeiten hatten als die viel zu kurzen Wegstrecken.


Zitat
Die frühe Attacke auf Stride ist schon ein bemerkenswerter Umstand, der besondere Beachtung finden sollte, wie ich finde. Das der Täter sich Nachts auf die Lauer legte ist klar und auch, dass er irgendwo einen Ausgangspunkt hatte, von dem er startete. Es liegt, glaube ich, in der Natur der Sache, im Laufe der Zeit in einer Nacht, sich stetig immer etwas weiter zu bewegen. Bei Stride schlug er recht früh zu, ein Indiz, dass er sich nicht weit von seinem Wohnort befand? 

Für mich gar nicht:
Es wäre psychologisch eher plausibel, dass er - solange er genug Zeit hat - nicht direkt vor seiner Haustür nach einem Opfer sucht, weil dann die Polizei in seiner unmittelbaren Nähe ermitteln würde, sondern dass er sich zuerst mal etwas von seinem Zuhause entfernt. Angesichts der kurzen Strecken war dies ja auch kein Problem.
Ausnahme ist laut Erkenntnissen der Kriminologie lediglich das erste Opfer eines Serientäters, das oft in der näheren Umgebung des Täters gefunden wird, wie du ja sicher weißt. Danach sorgt der Täter im Allgemeinen erstmal für etwas Abstand.
(Vielleicht war JTR aber an diesem Abend einfach ein Besucher des Berner Street Clubs - was eine simple Erklärung der früheren Tatzeit wäre. Auch über diese Möglichkeit hatten wir bereits gesprochen.)

Umgekehrt wird für mich daher ein Schuh daraus:
JTR sorgte vor den Morden erst für etwas Abstand von Zuhause - aber weil er bei Stride gestört wurde, flüchtete er zunächst in Richtung seiner Zuflucht.
Als er sich dann wieder etwas sicherer fühlte, gewann das Bedürfnis Oberhand, auch zum Abschluss zu bringen, was er angefangen hatte. Da das Bedürfnis durch die halbfertige Tat extrem hoch war und er auch wegen der drohenden Entdeckung der ersten Leiche weniger Zeit hatte, nutzte er höchstwahrscheinlich die nächstbeste Gelegenheit - und die dürfte dann näher an seiner Zuflucht gelegen haben als die erste.
Wenn der Druck hoch und die Zeit knapp ist, geht ein Täter i.d.R. höhere Risiken ein, als wenn er Zeit und noch relative Sicherheit hat.


MfG Arthur Dent
« Letzte Änderung: 25.12.2016 12:14 Uhr von Arthur Dent 2 »