Hi
Ich sträube mich noch ein wenig dagegen, von einem militärischen Versagen gleich auf eine Nichteignung für Kommandoposten zu schließen. Bei dem Posten des Polizeichefs kommt es doch auf völlig unterschiedliche Vorgehensweisen und Charakterzüge an…demnach müsste man ja davon ausgehen, dass Alexander der Große oder Julius Cäsar auch großartige Polizeichefs gewesen wären – bei Beiden kann ich dies aber nicht gerade unterstreichen. Daher möchte ich bei einer Diskussion um die polizeilichen Fähigkeiten Warrens nicht unbedingt seine militärische Laufbahn zu Rate ziehen (die übrigens auch nicht komplett von Fehlschlägen durchzogen war).
Der Streit mit dem Innenminister war eigentlich vorprogrammiert und zeigt nur Warrens Ehrgeiz, den er in seine ihm auferlegte Aufgabe steckte – nämlich das Polizeisystem neu zu organisieren und aufzumöbeln. Vieles, was auch heute noch Anwendung findet, hat seinen Ursprung in Warrens Tätigkeit. Dass es zu Reibereien kommt, wenn ein erzkonservativer Minister die Änderungen in den Wind schlägt und von Eigenbrötlerei spricht, ist wohl kein Verdienst von Warren selbst – im Prinzip hätte es doch bei jedem eingesetzten „Reformator“ Stress gegeben, wenn er nicht ein absoluter Speichellecker gewesen wäre…
Auch das Versagen im Ripperfall ist Warren nicht zuzurechnen, denn es war lediglich ein Resultat eines völlig vernachlässigten, unterbezahlten, falsch ausgestatteten und demotivierten Polizeiapparates, der sich über Jahre gerade so über Wasser gehalten hatte. Das Ansteigen der Polizeibeamten zur Zeit der Rippermorde zeigt doch, wie plötzlich Geld in die Kasse gepumpt wurde, um ein größeres Übel abzuwenden und den Zorn des Volkes zu lindern. Und wer bestimmt mit über den Haushalt? Richtig! Der Innenminister! Warren hat doch nur das zur Verfügung gestellte Budget verwendet, die Höhe und die jahrelange Vernachlässigung des East Ends jedoch haben sich ganz alleine die Regierung und der Innenminister zuzuschreiben – kein Wunder, dass er sich über einen aufwiegelnden Sündenbock freute, der noch dazu durch den Bloody Sunday ein wenig unbeliebt bei den kleinen Bürgern war.
Die Zusammenarbeit mit Warren wurde von Zeitgenossen wie Sir Robert Anderson auch wie folgt beschrieben:
I may here say at once that, though I was warned by many, including officers who had served under him in South Africa, that " I could never get on with Warren," my relations with Sir Charles were always easy and pleasant. During all my official life I never failed to " get on" with any man, no matter what his moods, if only he was honourable and straight. I was told that he had a dog-like nature. But I am of that breed myself. I always found him perfectly frank and open, and he treated me as a colleague, leaving me quite unfettered in the control of my department ; and when his imperious temper could no longer brook the nagging Home Office ways of that period, and he decided to resign his office, I felt sincere regret at his going.
Was wollen wir also nun glauben?
Nichts desto trotz fiel meine Wahl auf Punkt Nummer 3 - ein bisschen hätte er schon warten können, das stimmt natürlich. Aber vielleicht entgeht uns eine Kleinigkeit, vielleicht war es ja klar, dass das GSG nicht vom Ripper stammen könne (Stichwort Lichtverhältnisse). Es gab also eventuell eine Begebenheit, die diese Entscheidung begünstigte und uns nur zur heutigen Zeit so widersprüchlich erscheinen lässt...
Und vielleicht wird auch die Angst vor einem Aufstand falsch verstanden - vielleicht war dies mehr auf die immer mehr wachsende Macht der Presse bezogen, nicht auf irgendwelche jüdischen Einwohner. Womöglich wurde befürchtet, was die Presse daraus stricken würde, wie sie die East Ender endgültig gegen die Juden aufbringen würde und eine Revolte begünstigen könnte. Und zusammen mit einer Unmöglichkeit, dass diese Schrift vom Täter stammen könne, und ein wenig voreiligen Beamten ergab sich diese Entscheidung.
Grüße, Isdrasil