Hallo Victoria,
auch wenn ich die Herangehensweise von Sirley Harrison an das "Tagebuch" als recht dilletantisch einstufe, insbesondere weil sie nicht zu knapp auf die Blamage des STERN mit Adolfs literarischen Ergüssen bezug nimmt, so ist doch nicht alles, was sie als Argument für die Echtheit vorbringt, reiner Blödsinn.
So klingt zumindest für mich ganz plausibel, dass tatsächlich jemand aus Liverpool London auswählen könnte, weil er dort früher einmal wohnte, sich also bestens auskennt und darüber hinaus auch noch aus geschäftlichen Gründen häufig dorthin kommt. Maybrick wäre ja auch nicht der typische Serienmörder gewesen, sondern die Morde werden ja mit Drogenmißbrauch und Eifersucht begründet.
Auch das Argument, im 19. Jahrhundert haben Mörder - schon aufgrund der eingeschränkten Mobilität - in der Regel im nahen Umfeld getötet, überzeugt mich in keiner Weise. Was hat dieses Argument mit Maybrick zu tun, der ja gerade aufgrund seines Status als Geschäftsmann sowohl Möglichkeit, als auch Gelegenheit zu den Reisen hatte. Ted Bundy hat auch nicht nur in der lieben Nachbarschaft gearbeitet und längst nicht alle Morde werden als solche erkannt bzw. korrekt einem Serienmörder zugeordnet. Die Dunkelziffer ist recht hoch und nach Einschätzung des FBI sind allein in den USA JEDERZEIT um die 3 bis 4 Serienmörder aktiv.
Wie auch immer, das Tagebuch ist gefälscht und Maybrick deshalb nicht automatisch unschuldig. Genauso wie Sickert nicht automatisch unser Mann ist, weil er vielleicht Ripper-Briefe geschrieben hat. Und genauso, wie vielleicht 100.000 andere Briten, die, wenn man nur in ihr Stübchen hätte schauen können, möglicherweise ähnliche Gelegenheiten und seelische Abgründe wie Maybrick hatten. Nur Maybricks Stübchen wurde halt durch den Prozess gegen seine Frau der Öffentlichkeit etwas zugänglich gemacht, was man von den meisten anderen Briten der damaligen Zeit eben nicht sagen kann.
Warum sonst sind es fast nur Prominente, die einmal verdächtigt wurden?
Wäre der Ripper ein Hinz und Kunz wie Du und ich gewesen, wird man seine Identität sowieso niemals aufdecken. Und welcher "Ripperologe" möchte sich mit diesem Gedanken abfinden?
Ich sage mir zum Troste: Es ist wie mit der kindlichen Vorfreude. Hat man erstmal das Geschenk in der Hand, ist alles nur noch halb so spannend. Freuen wir uns also, dass wir noch ewig Sherlock spielen dürfen und uns wie die Junkies auf jeden neuen, angeblichen Beweis stürzen können.