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Insgesamt liegen mehr als 200 Briefe (?) und Karten vor, deren Autoren behaupteten, Jack the Ripper zu sein. Ob überhaupt ein einziges dieser Schriftstücke vom Mörder stammt, ist ungewiss. Zwar hat es im Zuge der Ermittlungen Handschriftenvergleiche gegeben, aber die sprachlichen Merkmale dieser Texte – Wortwahl, Grammatik und Stil – wurden bislang noch nicht untersucht. Das hat jetzt der forensische Linguist Andrea Nini von der Universität Manchester getan (Digital Scholarship in the Humanities, 1, 2018). Dabei verfolgte er nicht das unrealistische Ziel, den Täter zu ermitteln. Stattdessen wollte Nini herausfinden, welche der Schreiben einen gemeinsamen Autor haben, um so eine Basis für weitere Forschungen zu schaffen. Ninis besonderes Interesse galt drei Texten: Dazu gehört der Brief, der als erster mit „Jack the Ripper“ unterzeichnet war und das Pseudonym in die Welt setzte. Er ging knapp vier Wochen nach dem ersten Mord bei der Londoner Nachrichtenagentur Central News Agency ein. Der Schreiber bekannte sich als der Mörder und kündigte an, der Polizei ein Ohr des nächsten Opfers zu schicken. Tatsächlich wies das nächste Mordopfer ein verstümmeltes Ohr auf. Prägend für die Figur des „Rippers“ im kollektiven Bewusstsein wurde auch eine Postkarte, die wenige Tage später bei derselben Nachrichtenagentur eintraf. Der Schreiber bezichtigt sich hier als „Saucy Jacky“ (Frecher Jacky) eines kurz zuvor begangenen Doppelmordes. Die Polizei nahm beide Schriftstücke ernst genug, um faksimilierte Kopien zu verbreiten, die auch von den Zeitungen veröffentlicht wurden. Damit war „Jack the Ripper“ zur öffentlichen Figur geworden. Aus der großen Zahl der danach verfassten Bekennerbriefe, hinter denen meistens makaber gesinnte Scherzbolde gesteckt haben dürften, sticht vor allem einer hervor. In ihm begründet der Autor seine angeblichen Taten mit religiösen Motiven. Eigenartig sind die Umstände dieses Schreibens: Der Empfänger, ein Journalist wiederum der Central News Agency namens Tom Bulling, leitete zwar den Umschlag des Briefes an die Polizei weiter, den Brief selbst aber nur in Kopie. Die Gründe dafür sind ebenso unbekannt wie der Verbleib des Originals. Nini analysierte alle 209 Bekennerschreiben mit dem Ziel, sprachliche Merkmale zu identifizieren, die so selten vorkommen, dass sie als spezifisch für einen bestimmten Autor gelten können. Dafür verglich er in einem computergestützten Verfahren zum einen die Wortfolgen der Bekennerschreiben mit Hilfe eines mathematischen Ähnlichkeitsmaßes. Um darüber hinaus die allgemeine Gebräuchlichkeit von Formulierungsmustern zu überprüfen, nahm er einen Abgleich mit großen Datenbanken vor, in denen englische Texte des 19. Jahrhunderts gespeichert sind. Es zeigte sich, dass im gesamten „Ripper“-Korpus die drei schon vorher „verdächtigen“ Bekennerschreiben die mit Abstand größte Ähnlichkeit untereinander aufweisen. Das wichtigste Indiz steckt in einer Formulierung des ersten Briefs: „Keep this letter back till I do a bit more work.“ Das Muster „keep this back till I“ taucht ganz ähnlich in den beiden anderen Schreiben auf, nicht aber in der sonstigen Textsammlung oder in den Vergleichstexten der Datenbanken. Die Besonderheit liegt in der syntaktischen Konstruktion, kombiniert mit der Wahl von „keep back“ anstelle von Ausdrücken wie „hold back“ oder „withhold“, die in diesem Zusammenhang viel üblicher sind. Eine weitere Eigenart, die die Texte verbindet, ist die fragmentarische Formulierung „double event this time“ und „treble event this time“, mit der der angebliche Mörder zunächst einen Doppel- und dann einen Dreifachmord ankündigt.Der Schluss, dass der Reporter Tom Bulling alle drei Texte geschrieben und somit die Figur „Jack the Ripper“ in die Welt gesetzt hat, liegt nahe. Dass Journalisten diese Briefe fabriziert haben könnten, um Sensationen zu produzieren, war schon früh vermutet worden. Ninis Ergebnisse sind allerdings kein endgültiger Beweis, denn für sich genommen belegen sie nur, dass die drei fraglichen Schriftstücke aller Wahrscheinlichkeit nach aus einer Feder stammen. Darüber hinaus zeigen sie, dass sich auch solche kurzen Texte für die linguistische Autorenbestimmung eignen können, obwohl man wegen der geringen Zahl der Wörter und Sätze auf statistische Häufigkeitsberechnungen verzichten muss. Nini vermutet, dass es im Sprachgebrauch jedes Menschen ganz persönliche Alleinstellungsmerkmale gibt. Die dahinterstehende Idee vom „sprachlichen Fingerabdruck“ ist in der forensischen Linguistik allerdings umstritten, denn während der biologische Fingerabdruck tatsächlich einzigartig ist, funktioniert Sprache gerade deshalb, weil sie von vielen geteilt wird. Doch so schwierig diese Frage auch sein mag – dass sie irgendwann geklärt wird, ist wahrscheinlicher als die Identifizierung von Jack the Ripper.
(Quelle: FAZ)
Gruß Stordfield