Autor Thema: Im Schlaf  (Gelesen 9942 mal)

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Offline Isdrasil

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Im Schlaf
« am: 24.10.2012 20:06 Uhr »
Hi

Ich hatte gerade beim Baden einen neuen Gedanken. Und dies kommt nun wirklich äußerst selten vor!  :biggrin:

Da ich im Moment keine Muse haben, ihn groß auszuführen und nachzublättern, möchte ich Euch an meiner Idee beteiligen. Ich denke, man kann sowas ja auch mal gemeinsam durchdenken...

Und zwar habe ich überlegt, weshalb die Taten anscheinend so lautlos vonstatten liefen, allen Anschein nach relativ "unkompliziert" für den Täter, weshalb blutige Fußspuren an den Tatorten ausblieben etc. Früher haben wir mal drüber diskutiert, ob der Ripper seine Opfer ansprach oder sich ansprechen liess, und in diesem Zusammenhang ist mir noch eine dritte Variante eingefallen:
Suchte er eventuell auch nach schlafenden bzw. volltrunkenen Opfern, die bereits auf der Strasse lagen und sich per se in einer wehrlosen Situation befanden? Angenommen, er hätte bei einer seiner nächtlichen Streifen eine betrunkene Frau liegend auf der Strasse entdeckt - hätte er eventuell die Chance genutzt? Kann man sich dies bei einem der Opfer vorstellen und lässt sich das mit den Zeugenaussagen vereinbaren?

Zumindest bei Polly kann ich mir dies sehr gut vorstellen, ebenso Tabram, Kelly, womöglich auch Annie? Ging er bei Stride nicht weiter, weil er sie in einer zu aggressiven Ausgangshaltung vorfand, im Streit oder aufgewühlt durch einen vergangenen Streit?

Denken wir doch mal drüber nach... ;)

Grüße, Isdrasil

Offline Anirahtak

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Re: Im Schlaf
« Antwort #1 am: 24.10.2012 23:00 Uhr »
Hallo,

bei Polly Nichols und Annie Chapman habe ich mich tatsächlich schon gefragt, ob sie denn noch Geld für ein Bett aufgetrieben hätten, wenn sie ihrem Mörder nicht begegnet wären und beantwortete mir diese Frage mit "tendenziell nein". Annie war zu krank und Polly befand sich im Teufelskreislauf mit dem Alkohol ("...that she had had her doss money three times that day and had drunk it away"). Und so könnte sich letztere tatsächlich irgendwann übermüdet und betrunken niedergelassen haben wo sie gerade stand - oder zusammengesackt sein. Annie natürlich ebenso, aber ich denke nicht, dass er Hinterhöfe abgesucht hat, also müssen sie diesen Ort schon gemeinsam -aufrecht gehend- betreten haben. (Gleiches gilt dann für Tabram.)

Du schreibst "anscheinend lautlos", das sehe ich ebenfalls so, anscheinend. Um beim Chapman-Mord zu bleiben, es ist ja durchaus möglich, dass Albert Cardosch Ohrenzeuge war. Aber wie hat er reagiert? Überhaupt nicht. Begründet hat er das damit, dass man über den Zaun rüber öfter jemanden hörte. Für meine Begriffe kein besonders guter Grund, denn was er hörte, klang ja unmissverständlich danach, als ob jemand Hilfe bräuchte. Ähnlich der "Oh Murder!"-Schrei vom Miller's Court - bleibt zwar in Erinnerung, so sehr, dass man ihn zu Protokoll gibt, aber die eigene ausbleibende Reaktion wird mit der (angeblichen) Häufigkeit solcher Rufe begründet. Weiter der Mord an Martha Tabram, wo niemand irgendwas gehört haben will (oder vielleicht ein bisschen was oder was anderes oder...), jedenfalls auch hier keinerlei Reaktion. Genaugenommen auch Israel Schwartz - rennt weg, holt aber keine Hilfe.

Worauf ich hinaus will: Ich denke zwar, dass der Ripper seinen Zwecken gemäß so blitzschnell handelte, wie es nur ging und die Opfer (meistens) nicht sehr lange Gelegenheit hatten, Krach zu machen. Aber das muss immer noch keine hundertprozentige Lautlosigkeit über das komplette Zeitfenster hinweg bedeuten. Ich gehe davon aus, dass der Ripper nicht nur ortskundig war was Fluchtwege anbelangt, sondern auch mit den allgemeinen Gepflogenheiten vertraut war. Was hier bedeutet, er konnte sich darauf verlassen, dass so gut wie keiner auf "kurzfristige" verdächtige Geräusche oder Rufe reagieren würde. (Ich habe mich auch schon gefragt, wie lange und laut Krach gewesen hätte sein müssen, damit irgendwer einen Blick riskiert hätte, würde mich wirklich interessieren.)

So, jetzt bin ich von deiner ursprünglichen Frage abegeschweift, aber auf die vermeintliche Lautlosigkeit wollte ich nochmal eingehen.

Zu deiner Frage müsste man wissen, ob ein Auftritt als "harmloser Freier" Bestandteil seiner Phantasien war oder einfach bloßes Mittel zum Zweck. Ich meine -und kann da auch falsch liegen- es ging ihm in erster Linie um die Aktivitäten nach dem Mord. So gesehen wäre ihm eine dösende betrunkene Frau sicher recht gewesen. Am ehesten kann ich mir das ebenfalls bei Polly Nicholls vorstellen. Bei Annie Chapman und Martha Tabram aus genanntem Grund nicht, dazu hätte er wirklich Höfe, Hauseingänge und Treppenhäuser absuchen müssen. Andererseits, wenn Menschen da öfter schliefen, die kein Geld für ein Bett zusammenbekommen hatten, wäre das natürlich eher Grund als Hindernis, genau an solchen Orten Ausschau zu halten.
 
Inwiefern kannst du es dir bei Mary Kelly sehr gut vorstellen? So, dass er wusste, dass sie alleine dort lebte? Oder dass er sie beobachtet hat, wie sie ihren Raum alleine betrat? Weil, ich kann mir nicht vorstellen, dass er herumlief und in Fenster hineinglotzte, viiieeeel zu auffällig... ;)

Offline Isdrasil

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Re: Im Schlaf
« Antwort #2 am: 26.10.2012 22:36 Uhr »
Hi Ani!

Ich will Dir schon seit gestern antworten und bin bisher nicht dazu gekommen - und bevor es noch länger dauert, schreibe ich Dir eben eine recht unvorbereitete, schön zwanglose Antwort  ;)

Erstmal schön, dass Du auch schonmal den Gedanken gefasst hast. Gerade bei Polly habe ich in Erinnerung, dass sie laut einer Zeugenaussage stark angetrunken war und sich kaum auf den Beinen halten konnte (oder so ähnlich). Da ich nun Tabram als Ripperopfer zähle und schon seit langem den Gedanken verfolge, dass dies das erste wirkliche Opfer des Rippers war und von ihm quasi im Schlaf überrascht/getötet wurde (hatte dazu im Tabram-Board eine genauere Ausführung geposted), passt Polly in diese Linie. Falls sie dösend und volltrunken auf dem Boden lag, als der Täter ihren Weg kreuzte, hätte ihn das schnell dazu verleiten können, seine Fantasien an ihrem Körper auszuleben. Ein kurzer Kehlschnitt und er hatte freie Bahn, ohne sich groß anstrengen zu müssen. So war es schon bei Tabram, so hatte es funktioniert. Nur diesmal eben ganz nach seiner Fantasie. Die Schwelle zum Mörder hatte er bei Tabram genommen, die Schwelle zum Serienmörder und damit zur Auslebung seiner Fantasien sollte er bei Polly überwinden.
War nicht auch die Rede von einem teils ausgeschlagenen Zahn und blauen Flecken bei Polly? Möglicherweise kein Zeichen für einen Kampf mit dem Täter, sondern eher ein Zeichen für ihre Volltrunkenheit und damit verbundenen Stürzen? Jedenfalls glaube ich, dass der Täter ein Post-Mortem-Täter war. Das heißt, das Leiden eines lebenden Menschen oder die Art des Tötens haben für ihn keine Rolle gespielt. Ich glaube, er wollte tote, aber warme Körper, quasi frisch verstorben, und scherte sich nicht großartig um das, was vor dem Tod stattfand. Das Töten war für ihn Mittel zum Zweck. Umso besser also, wenn es leichter geschieht. Und bei Polly kann das sehr gut passen, wobei ich bezüglich des Zahnes und der blauen Flecken nochmal nachblättern sollte, kann auch sein, dass mich meine Erinnerung trügt...
Chapman und Stride sind wohl schwerer als schlafende oder dösende Opfer anzunehmen, bei Eddowes kann man diese Überlegung wieder anstellen, obwohl es diese Zeugenaussagen kurz vor dem Mord gibt. Allerdings kann man die Zeugenaussage bei Eddowes nicht nur als Zeichen für das Anbandeln mit einem Freier, sondern auch als Zeichen für das Beenden eines Geschäftes mit einem Freier deuten. Es bleibt noch etwas Luft, um ein Eindösen von Eddowes anzunehmen, wenn dies auch unwahrscheinlich ist.
Bei Kelly haben wir die zusammengelegten Klamotten, das Singen in der Nacht, den Mann, mit dem sie vorher auf das Zimmer verschwand. War dies der Ripper? Wollte er Kelly zunächst wie vorher Eddowes oder Chapman auf der Strasse töten, ging dann aber mit ihr auf ihr Zimmer, verrichtete ein "normales" Geschäft mit ihr und verschwand zunächst, um sie später im Schlaf zu überraschen? Er würde wissen, wie die Tür zu öffnen ist. Ebenso hätte er die Sicherheit, die er bei Polly verspürt hätte, die Sicherheit eines schnellen, lautlosen Todes. Schlich er also in ihr Zimmer, um sie wie schon vorher Tabram und Polly im Schlaf zu töten? Möglicherweise liess ihn die Vorstellung einfach nicht los und er musste in den Millers Court zurückkehren. Wachte Kelly dabei doch auf und brachte noch den berühmten Schrei zustande?

Das sind die Fragen, die ich mir in diesem Zusammenhang stelle, und wenn ich Wahrscheinlichkeiten erstellen müsste, zu denen der Täter seine Opfer im Schlaf überrascht hätte, könnte das im Moment in etwa so aussehen:

Tabram      95%
Polly          90%
Chapman   50%
Stride          5%
Eddowes    25%
Kelly          80%

Ich glaube nicht, dass schlafende Opfer explizit von ihm gesucht wurden. Aber da ich auch denke, dass dem Täter der Weg zum Tod des Opfers relativ egal war, könnte er ja die Gelegenheit genutzt haben, wenn sie ihm sich bot.

Ich hatte aber auch echt ne lange Pause vom Thema und rede hier völlig frei und aus der Erinnerung. Wie so oft heißt es also auch heute wieder: Es könnte aber auch ganz anders gewesen sein!  ;)

@Lestrade: Manches über Tabram hätte ich Dir in dem anderen Thread als Antwort geschrieben, nimm also das hier auch schon mal als "Appetithäppchen" an  ;)

Grüße, Isdrasil

Chriswald

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Re: Im Schlaf
« Antwort #3 am: 28.10.2012 15:15 Uhr »
Bei Kelly wäre das vielleicht wirklich vorstellbar. Wenn der Täter sich im Viertel gut auskannte, wusste er vermutlich, dass im Millers Court an eine Prostituierte vermietet war. Ich hatte bereits die Vorstellung, wie er über die zerbrochene Fensterscheibe die Tür von innen öffnete. Allerdings ist die wahrscheinlich sehr von der Darstellung des Mordes in dem Film "From Hell" beeinflusst  ;)

Bei Kelly gab es doch diesen komischen Zeugen, der sie angeblich mit einem verdächtigen Freier in ihrem Zimmer verschwinden sah und anschließend davor rumlungerte, weil er zu Kelly's Sicherheit aufpassen wollte, dass nichts passiert. Was, wenn er stattdessen gewartet hat, bis sie einschlief...?

Viele Grüße

Chris

Offline Anirahtak

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Re: Im Schlaf
« Antwort #4 am: 21.11.2012 22:27 Uhr »
Hi Ani!

Ich will Dir schon seit gestern antworten und bin bisher nicht dazu gekommen - und bevor es noch länger dauert, schreibe ich Dir eben eine recht unvorbereitete, schön zwanglose Antwort  ;)
Da kann man mal sehen, ich wollte dir schon letzten Monat antworten... es kam aber leider was Schwerwiegendes dazwischen. Jedenfalls hätte ich auch dann gesagt, lass dir ruhig Zeit, nur keine Hektik. ;)

Gut, ich hatte dich oben nicht ganz richtig verstanden, vonwegen "nach schlafenden Opfern suchen"... aber jetzt habe ich es gerafft, du meintest, ob er die Gelegenheit genutzt hätte, wenn er zufällig über eine Schlafende "gestolpert" wäre. Für einen Post-Mortem-Täter halte ich ihn ebenfalls, insofern wäre das für mich denkbar. Auch eine solche Entwicklung, wie du sie beschreibst, mit einem ersten Opfer (evtl. Tabram), das er schlafend vorfand und dann der weitere Verlauf. (Wobei ich mir auch sehr gut vorstellen kann, dass er noch früher Frauen angriff, die überlebten. Aber das nur der Vollständigkeit halber.) Ach so, falls er aber Tabram schlafend vorfand, dann müsste er ja einen Bezug zu diesem Gebäude gehabt haben.

Deine Variante mit Kelly hatte ich noch gar nicht bedacht, also dass er zurückgekommen sein könnte. Sehe ich auch keinen Grund, der dagegen spräche.

Bei Eddowes halte ich die Wahrscheinlichkeit für ähnlich gering wie bei Stride. Immerhin weiß man, dass sie kurz zuvor erst in der Ausnüchterungszelle geschlafen hat und da gehe ich eher nicht davon aus, dass sie, knapp nachdem sie zuletzt gesehen wurde, gleich wieder mitten auf einem öffentlichen Platz eingepennt ist. Man müsste natürlich auch wissen, wohin sie sonst gegangen wäre, ob es einen bestimmten Ort gab, wo sie hin konnte - ihre Aussage bei der Entlassung "I shall get a damn fine hiding when I get home." deutet zumindest darauf hin.

Ja, soweit erstmal. Schönen Gruß.
« Letzte Änderung: 21.11.2012 23:03 Uhr von Anirahtak »

Offline Isdrasil

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Re: Im Schlaf
« Antwort #5 am: 02.03.2013 20:48 Uhr »
Hi!

So - jetzt habe ich mir wohl genügend Zeit zum Antworten gelassen  ;)

@Ani: Deinen Einwand mit Eddowes finde ich sehr interessant und stimme Dir auch zu. Bei Eddowes scheint die Möglichkeit eines schlafenden Opfers doch sehr gering.  

Ich habe selbst nochmal lange über die Sache nachgedacht. In erster Linie ist der Ripper für mich ein Täter, den das Töten an sich nicht sonderlich stark interessiert haben dürfte. Es ging ihm vorranging um die Verstümmelungen Post Mortem, um eine gewisse Entmenschlichung und Herabsetzung weiblicher Identität sowie mit großer Wahrscheinlichkeit um das Gefühl, in den noch warmen Eingeweiden des Opfers zu "wühlen". Es ist daher inzwischen für mich sogar schwer einzuordnen, ob die Prostitution seiner Opfer eine tatrelevante Rolle spielte - früher war ich mir in dieser Sache sehr sicher. Ein Beispiel, dass lange Beschäftigung auch Unsicherheit und die Änderung von Meinungen hervorrufen kann...
Gehen wir mal davon aus, dass sich der Täter nun wirklich hauptsächlich um das Geschehen nach dem Tod kümmerte, so stellt sich nämlich die berühmte Frage nach dem Ei und dem Huhn: Waren die Opfer deshalb Opfer, weil sie sich prostituierten oder ist es nicht so, dass es sich bei einer auf dem Boden liegenden Frau sehr wahrscheinlich um eine Obdachlose und somit höchstwahrscheinlich um eine Prostituierte handelt? Es stellt sich die wirklich die Frage, ob es die Frauen zu einem Großteil aufgrund ihrer Beschäftigung traf oder ob diese Gruppe von Frauen einfach die größten Risikofaktoren beinhaltet, um auf den Täter zu treffen. Zumindest bei Tabram, Nicholls könnte man diese Überlegung anstellen. Ebenso bei Chapman, wenn sich hier auch die Frage stellt, weshalb der Täter in den Hof hätte gehen sollen, wo er auf die schlafende Chapman traf. Möglich ist es, wenn auch nicht wahrscheinlich.
Bei Kelly kann es sich durchaus um einen Returnkiller handeln, der vorher das Angebot eines Nümmerchens in ihrer Wohnung annahm. Ja, selbst wenn er schon vorher die Absicht gehabt hatte, Kelly zu töten, hätte er nach dem Akt durchaus erst einmal den Raum verlassen können und nach einer ihm passenden Zeit und Gelegenheit zurückkehren können. Eventuell auch eine Erklärung der starken Verstümmelungen, denn Kelly wäre in diesem Fall sehr wahrscheinlich das einzigste Opfer, mit dem der Täter tatsächlich den Geschlechtsverkehr vollzogen hätte - und mit dem ihm damit auch mehr Persönliches verband (eine Wahrscheinlichkeit, die man bei allen Überlegungen zum Fall Kelly einbeziehen sollte).

Für mich handelt es sich immer noch um einen Täter, der außerhalb des East Ends wohnte und der im East End sein perfektes Jagdgebiet sah: Die schiere Bandbreite an Opfern und Möglichkeiten ist immens, und er würde sich nur wenige Zeit dort aufhalten. Es gab für ihn zwei Varianten:

A. Ich finde eine Prostituierte und sie geht mit mir in eine dunkle Ecke.
B. Ich sehe eine schlafende/betrunkene Frau in einer dunklen Ecke liegen.

Auf beide Varianten war er geistig vorbereitet, und ich denke, er schlug einfach bei einer passenden Gelegenheit zu, ungeachtet des Tatvorspiels. Er war in dieser Hinsicht sehr flexibel. Musste er auch sein, wenn er bei seinem Ausflug in das East End zuschlagen wollte.

Grüße, Isdrasil

Offline Anirahtak

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Re: Im Schlaf
« Antwort #6 am: 05.03.2013 00:22 Uhr »
Okay, ich antworte diesmal rasend schnell und nicht erst im Sommer. :mocking:

Da ich ihn ebenfalls für einen Post-Mortem-Täter halte, für den der Auftritt als Freier nur Mittel zum Zweck und nicht Teil der Phantasie war, spricht für mich grundsätzlich auch nichts gegen Angriffe auf Schlafende. Allerdings ist mir jetzt noch etwas eingefallen, was bestimmte Verletzungen der Opfer betrifft, ich zitiere aus der Hauptseite:

Nichols:
"Unterhalb des Kiefers auf der rechten Gesichtshälfte war ein Bluterguss, der möglicherweise durch einen Faustschlag oder durch den Druck eines Daumes verursacht wurde. Auf der linken Gesichtshälfte befand sich ein weiterer Bluterguss, der ebenfalls durch Aufdrücken von Fingern entstanden sein könnte. ... Zwei Blutergüsse, offensichtlich verursacht durch den Abdruck eines Daumens, fand man auf dem rechten unteren Kiefer und auf der linken Wange."

Chapman:
"Über der rechten Schläfe war eine Quetschung. Auf dem oberen Augenlid war eine Quetschung und zwei deutliche Quetschungen, jeweils in der Grösse eines Männerdaumens, auf dem oberen Teil des Brustkastens."

Stride:
"Über beiden Schultern, insbesondere der rechten, und unter dem Schlüsselbein und dem Brustkasten war eine bläuliche Verfärbung, die ich seitdem bei zwei Gelegenheiten gesehen und beobachten konnte."

Eddowes:
"Nachdem ich die linke Hand vorsichtig gesäubert hatte, zeigte sich auf dem Handrücken, zwischen Daumen und Zeigefinger eine Quetschung, frisch und rot, von der Größe eines Sixpencestücks."

Interpretiere ich als Verletzungen, die entstanden als er sie stehend festhielt, um zum Schnitt anzusetzen. Bei Schlafenden wird es wohl nicht notwendig sein, so hart zuzupacken, nehme ich mal an und auch nicht an diesen Stellen.

Schönen Gruß


Offline Isdrasil

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Re: Im Schlaf
« Antwort #7 am: 05.03.2013 12:03 Uhr »
Hi Ani

Ohje, ich hab befürchtet, dass Dir das auffällt…und das auch noch so schnell… :shok:

Nein, also. Diese Quetschungen scheinen im ersten Moment der Schlafüberlegung entgegen zu stehen. Danke auch, dass Du nochmal alle entsprechenden Quetschungen etc. aufgelistet hast.

Aber wenn man näher hinschaut, relativiert sich das etwas.
Zunächst mal müsste man sich Gedanken machen, ob der Kehlschnitt neben den sonstigen Verstümmelungen für den Täter relevant war oder nicht, soll heißen: Signatur oder lediglich Mittel zum Zweck. Denn sollte der Kehlschnitt Teil der Täterfantasie sein, was ich mir bei einer Vorgeschichte als Schlachter/Sohn eines Schlachters etc. durchaus vorstellen kann, dann musste er diesen zwangsläufig bei allen Opfern, also auch bei den Schlafenden, ausführen wollen. Er wird also den Kopf des Opfers trotzdem mit seinen Händen fixiert haben und den Kehlschnitt ausgeführt haben. Möglicherweise gab es sogar einen Moment der besonderen Anspannung, als das Opfer für einen Sekundenbruchteil aufwachte und zusammenzuckte. Ja, selbst wenn der Täter den Kehlschnitt nicht unbedingt als notwendig ansah, wird er bei dieser Tatvariante für den Tod des Opfers gesorgt haben. Ich denke nicht, dass er in diesem Fall sofort mit dem Öffnen der Bauchdecke angefangen hätte. Es ist also bei näherem Betrachten gar kein Widerspruch – das Töten des Opfers bzw. der Kehlschnitt und das Fixieren des Kopfes wären dennoch nötig gewesen. Einen Stich durch das Herz o.Ä. gäbe es natürlich auch noch als Möglichkeit. Deswegen die Frage nach der Notwendigkeit des Kehlschnitts für den Täter.
Wenn man sich dann noch die Lebensumstände der Opfer betrachtet, so können die Quetschungen durchaus bei allen möglichen anderen Umständen zustande gekommen sein: Quereleien, ein Sturz, bei Eddowes die „Verhaftung“ vor der Tat, ein besonders hart zupackender Freier…sie hängen am Ende also gar nicht mit dem Mord zusammen. Besonders die Möglichkeit eines rabiaten Freiers muss hier in Betracht gezogen werden. Das waren Frauen, die in der Gosse lebten, die sich jeden Tag auf`s Neue prostituierten und sich mit allerlei gewalttätigen Situationen konfrontiert sahen. Ein paar Quetschungen (während des Beischlafes zum Beispiel) könnten durchaus zum Alltag der Frauen gehört haben, auch wenn das durchwegige Vorhandensein bei den Ripperopfern natürlich dafür spricht, dass diese Quetschungen auch wirklich von der Tat stammen. Keine Frage.
Wie so oft wiederhole ich dich gerade eigentlich nur...
 :blush:

Hm…ich möchte die Überlegung ehrlich gesagt nicht ad acta legen. Ich weiß, es gibt eigentlich keine Indizien für diese Annahme. Am Ende ist es wohl wie so oft eher eine Glaubensfrage. Eddowes dürfte ausscheiden, da hast Du mich überzeugt (Stichwort Ausnüchterungszelle), Stride auch, Chapman ist schwer anzunehmen aufgrund des Tatortes (wieso ging der Täter in den Hinterhof?). Aber bei Tabram, Nicholls und vor Allem bei Kelly will ich mir das im Hinterkopf bewahren. Und bei Nicholls würden die Quetschungen im Gesicht ja passen.

Als „Ermittler“ muss man ja auch mal das sehen, was gar nicht da ist ;-) 

Grüße, Isdrasil

Andromeda1933

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Re: Im Schlaf
« Antwort #8 am: 05.03.2013 14:19 Uhr »
Entschuldigt, dass ich mich in diese interessante (!) Diskussion einmische. Der Kehlschnitt hatte doch auch den „praktischen Wert“, das Opfer an Schreien usw. zu hindern, oder?

Offline Isdrasil

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Re: Im Schlaf
« Antwort #9 am: 05.03.2013 17:30 Uhr »
Hi

Keine Sorge - Du mischst dich nicht ein, Du nimmst nur teil  ;)

Hatte der Kehlschnitt einen praktischen Zweck? Einerseits würde ich sagen ja, andererseits nein.
Wenn ich mir einen Täter vorstelle, der diese Art von Tathergang stets in seinen Fantasien trug, zuerst den Kehlschnitt, dann den Rest...dann würde ich sagen: Nein. Denn dann hat er irgendwann einmal festgestellt, dass es ihn genau danach verlangt, sich seine Existenz auf diese Art des Tötens stützt. Er mag es womöglich als Heranwachsender beim Betrachten eines Schlachtvorgangs gemerkt haben, später selbst Tiere gequält haben. Zumindest war der Kehlschnitt stets Teil seiner Vorstellung. Dann kann ich mir vorstellen, dass er sich nie über die Konsequenz eines möglichen Schreies Gedanken machte, da er seine Opfer in seiner Fantasie immer schnell tötete. Die praktische Absicht ist in diesem Falle also nicht vorhanden, wenn wir es auch im Nachhinein als praktisch interpretieren mögen.
Wenn wir im privaten gerne einen bestimmten Weg mit dem Auto fahren, da uns die Landschaft gefällt, und zufällig dieser Weg der kürzeste zum Ziel ist - haben wir ihn dann genommen, weil wir schnell am Ziel sein wollten oder weil wir die Landschaft genießen wollten? Ein Außenstehender könnte sagen: "Praktisch, der Weg!", und wir würden antworten: "Hä, wieso? Schön isser, das stimmt!"

Wenn der Kehlschnitt allerdings nie Teil seiner Gedanken war, dann war er tatsächlich nur ein Mittel zum Zweck. Dann beabsichtigte der Täter explizit eine lautlose Tötungsmethode.
In diesem Falle würde man den Weg fahren, um schnell zum Ziel zu kommen. Ein Außenstehender könnte dann sagen: "Oh, schöne Gegend, durch die Du da immer fährst!", und wir antworten: "Ist mir schnurz. Kurz isser, das zählt!"

Alles steht und fällt mit der Gedankenwelt des Rippers.

Grüße, Isdrasil

Andromeda1933

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Re: Im Schlaf
« Antwort #10 am: 05.03.2013 21:06 Uhr »
Du hast recht, Isdrasil. Der „praktische Wert“ des Kehlschnitts ist wohl nicht sein Hauptgedanke gewesen. Bei einem Stich ins Herz oder in den Rücken könnte ich wohl auch nicht mehr schreien. Man könnte jedoch bei der Konzentration auf die Kehle als Tötungsmethode auch an Schächten denken... 

Offline Isdrasil

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Re: Im Schlaf
« Antwort #11 am: 05.03.2013 21:08 Uhr »
Man könnte jedoch bei der Konzentration auf die Kehle als Tötungsmethode auch an Schächten denken... 

Ja, könnte man durchaus  ;)

Die Taten scheinen jedenfalls stark "ritualisiert" und durchdacht, in Gedanken bereits durchlebt zu sein.

Offline Anirahtak

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Re: Im Schlaf
« Antwort #12 am: 05.03.2013 22:51 Uhr »
Mnjaaaaa... einen gewissen Sinn für Praktikisches unterstelle ich ihm durchaus - einfach aus dem Grund, dass er nie erwischt wurde. Allein mit Glück und Zufall kann ich mir diesen Umstand nicht erklären, nicht bei mindestens fünf Gelegenheiten. Er muss sich bis zu einem gewissen Grad schon überlegt haben, wie er es anstellt, also im praktischen Sinn über die reine Phantasie hinaus.

Ich kann deiner Argumentation aber folgen, ohne dass sie mir abwegig erschiene. Und Annie Chapman war tatsächlich schon zuvor lädiert.

Offline Isdrasil

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Re: Im Schlaf
« Antwort #13 am: 06.03.2013 12:54 Uhr »
Ich kann deiner Argumentation aber folgen, ohne dass sie mir abwegig erschiene.

Das ist alles, was ich will. Mehr Anspruch hab ich nicht  ;)