Ach, Lestrade, ich glaube unsere Ansichten über das Profiling liegen näher beieinander als es scheinen mag. Nur habe ich den Eindruck, Dich mit meinem letzten Posting auf dem falschen Fuß erwischt zu haben. Zunächsteinmal wollte ich nicht Dich persönlich ansprechen, sondern den einfachen Leser dieser Threads darauf hinweisen, dass Profiling im Gegensatz zu dem, was man im Kino sieht, eben kein Allheilmittel ist, sondern eben auch Schwächen haben, ja sogar falsch sein kann. Mir ist bewusst, dass Du und wohl auch die allermeisten hier im Forum Aktiven sich darüber im Klaren sind. Aber wir beschäftigen uns regelmäßig mit Kriminalistik und Krimonologie. Viele Foristen werden sich neben Jack the Ripper noch mit anderen Fällen beschäftigen, sei es um daraus zu lernen, sei es, weil diese Fälle auch noch ungelöst sind. Und vielen Forsiten wird schon einmal (oder öfter) ein Profil untergekommen sein, dass schlecht, falsch oder irreführend war. Foristen ist dies klar. Aber dem Nicht-Foristen vielleicht nicht! Da mag der ein oder andere das Profil von Jack the Ripper lesen und auf Basis dessen mit bestimmten vorgefassten Meinungen an den Fall herangehen. Und Foristen ist klar, dass dieses Profil nicht unbedingt stimmen muss, aber dem "gemeinen Bürger" vielleicht nicht.
Wenn Douglas mit seinen Profilen in 80% der Fälle recht hatte und in den anderen 20% danebenlag, irgendwie und somit dennoch unzählige Menschen vor dem Tod bewahrt hat, sehe ich das als riesigen Erfolg an.
Das ist ein riesiger Erfolg, ohne Zweifel. Leider kenne ich die Quelle dieser Zahl nicht, so dass mir eine Beurteilung schwer fällt.
Wenn Douglas bei Rader danebenlag, was will man ihm vorwerfen? Unfähigkeit?
Ich will ihm persönlich gar nichts vorwerfen, sondern nur bewirken, dass die Methode "Profiling" in jedem Einzelfall kritisch hinterfragt werden sollte. Nicht zuletzt gilt auch unter Polizisten die Regel, dass man aufgrund eines nicht passenden Profils niemanden als Verdächtigen ausschließen sollte. Nur wird dies von Außenstehenden oft vergessen.
Das Beispiel Rader war mir jetzt nur präsent, weil er diesem Fall ein ganzes Buch gewidmet hat. Es wäre - zumindest für mich - sehr lehrreich gewesen, wenn er auf die Fehler in seinem ersten Profil mehr eingegangen wäre, und erklärt hätte, wie er zu diesen Ansichten kam. Dies hätte sicherlich etwas Licht in die black box des Profilings gebracht.
Wer hätte ihm denn, zu seiner Zeit, das Wasser gereicht? Wer hätte ihnen denn (Douglas, Ressler, Hazelwood etc.), ihre Erfolge abnehmen können?
Ich denke, man darf einen Großteil des Erfolgs auch den "einfachen" Polizisten vor Ort zuschreiben. Letztlich war es in den meisten Fällen doch eine solide Polizeiarbeit, die gerichtsverwertbare Beweise ergab. Dies ist ein Punkt, den man gerne übersieht. Denn im Endeffekt ist selbst ein passendes Profil kein Beweis. Aber Fingerabdrücke, DNS, Faserspuren, Tatortvideos, inflagranti... damit kann man vor Gericht etwas anfangen. Und auch wenn Profiler oft Ermittlungsstrategien vorschlagen, so sind viele dieser Vorschläge für die Polizisten vor Ort ein alter Hut, z.B. Brücken zu überwachen, wenn die Opfer in einen Fluss geworfen wurden oder mittels Fernsehfahndung den Druck auf den Täter zu erhöhen.
Der Green River Fall hat ihm beinahe das Leben gekostet. Soll man ihn, weil er sein Leben für andere riskierte, abwerten?
Ich will John Douglas sicherlich nicht abwerten, sondern nur, dass man das Profiling an sich immer kritisch hinterfragt, denn wie Du selbst sagtest:
Es ist ja eher der Nicht- Profiler, der gemeine Bürger, der hinter dem Profiler einen Übermenschen erwartet.
Und an die war mein letztes Posting eigentlich gerichtet, die einfachen Leute, die nur mal auf unserer Seite vorbei schauen, ein paar Threads lesen, und Profiler nur aus dem Kino kennen. (Okay, wir kennen wohl auch keine persönlich, sind aber etwas tiefer in der Materie.)
So weit ich weiß, hatte John Douglas einen Zusammenbruch, während er den Green River Fall analysierte; es war eine Hirnhautentzündung, die diesen Zusammenbruch verursachte. Diese wiederum wird von Viren ausgelöst. Es mag aber sein, dass ein Zustand der Überarbeitung den Ausbruch förderte, da kenne ich mich zu wenig aus.
Meine Erwartungshaltung liegt da eindeutig niedriger, was Profile angeht. Und ich denke, damit liege ich realistischer als viele andere, welche ein nahezu 100%iges Profil erwarten. Ich tue das gar nicht. Wenn ein Profil zwischen 60-80% am Ende richtig ist, empfinde ich es als Erfolg. Wer weniger erwartet, wird weniger enttäuscht. Man kann es auch so sagen: Wer die Chancen realistischer einschätzt, bekommt den besseren Überblick über Wahrscheinlichkeiten.
Auch ich erwarte kein 100% richtiges Profil, von niemandem. Aber damit sich so ein Profil überhaupt als Ermittlungsansatz lohnt, sollte die Trefferwahrscheinlichkeit schon signifikant besser sein als beim einfachen Raten, also eher 80% als 60%.
Ich denke, das eigentliche Problem (zumindest meines) ist, dass Profiling oft wie eine black box wirkt. Viele Aussagen erscheinen nicht nachvollziehbar, in den Profilen wird auch selten eine Begründung gegeben, warum eine Aussage nun getroffen wurde. Man erkennt nicht, welche Aussagen auf Intuition und welche auf wissenschaftlichen Erfahrungen beruhen. Ist eine Aussage wie "Der Gesuchte war wahrscheinlich ein schlechter Schüler." durch irgendetwas am Tatort begründet oder schlichtweg "psychologische Eingabe"? Haben Untersuchungen ergeben, dass 75% aller Täter mit einem ähnlichen Tatmerkmal auch schlechte Schüler waren, so dass man eben vermutet, dass auch der Gesuchte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein schlechter Schüler war?
Dies ist genauso eine Tatsache, wie Serienkiller, die organisiert oder desorganisiert auftreten oder beides vereinen. Ein Täter agiert nun einmal, so oder so oder so und dies sagt viel über ihn aus. Wer alles dabei schwarz/weiß und unbeweglich betrachtet, ist doch selber schuld.
Wichtig ist es doch, eine Vorstellung über diese Dinge zu haben, eine Vorstellung über die Denkweise von Tätern zu haben. Dass diese Vorstellungen sich im Laufe der Jahre verändern, dies will ich doch stark hoffen. Und mit diesen Vorstellungen muss gearbeitet werden. Egal, in welchen Stadium der Veränderung sie sich befinden. Täter in organisiert und unorganisiert einzuteilen, war einmal sehr, sehr wichtig und sehr, sehr erfolgreich.
Es ist aber dieses Bild von organisiert/unorganisiert, das sich in den Köpfen festgesetzt hat. Ich kann mich noch an Diskussionen erinnern (hier oder im casebook), ob Jack the Ripper nun unorganisiert war, oder vielleicht doch organisiert, weil er doch eine Waffe mit zum Tatort brachte und wieder mitnahm. Dass sich aus dem Verhalten eines Täters am Tatort Rückschlüsse auf sein Wesen ziehen lassen, bezweifle ich ganz und gar nicht. Mich stört nur, dass immer noch versucht wird, dies in starre Kategorien zu pressen. Anfangs war das organisiert und unorganisiert, dann kam hinzu, dass Täter auch Eigenschaften beider Kategorien in sich vereinen können; als Untergruppe zum organisierten Täter führte das FBI noch die Kategorie des "sexuellen Sadisten" ein. Man erkennt also, dass die ursprünglichen Kategorien, die zu Beginn der Forschungen sicherlich nützlich waren, sich sowieso langsam auflösen. Man könnte sie also genausogut weglassen, eben weil sie die Herangehensweise wie Bahnschienen lenken können.
Ich denke für diese ganze Diskussion wäre es interessant, mehr über die heutige Generation der Profiler zu erfahren, aber leider sind Douglas, Hazelwood und Co. noch immer sehr präsent.