Autor Thema: Irrsinn vs. Gefährlichkeit  (Gelesen 31843 mal)

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Offline Anirahtak

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Irrsinn vs. Gefährlichkeit
« am: 13.03.2011 08:13 Uhr »
Hallo,

ich hatte schon öfter daran gedacht und tue es jetzt mal tatsächlich: 8) Ich empfehle hier das Buch

Irre - Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
von Manfred Lütz
im Gütersloher Verlagshaus

aus folgendem Grund: Es wird desöfteren darüber disputiert, ob und inwiefern der Ripper im Allgmeinen oder einzelne Verdächtige speziell psychisch erkrankt war(en). Oft wird eine angenommene psychische Erkrankung oder ein Aufenthalt im damaligen "Irrenhaus" automatisch als Indiz für Gefährlichkeit angenommen, was ich für voreilig halte.

Manfred Lütz ist Psychiater und hat das Buch für Laien geschrieben. Es enthält einen Überblick über die "gängigsten" psychischen Erkrankungen. Außerdem ist dem Autor daran gelegen, über die (falschen) Vorurteile aufzuklären, die gesellschaftlich gegenüber psychischen Erkrankungen bzw. den Betroffenen bestehen. Meines Erachtens haben sich diese Vorurteile seit dem vorletzten Jahrhundert nicht allzu sehr gewandelt, das Thema ist ja auch heute noch weitgehend tabuisiert. Weiterhin denkt der Autor über die "Normalität der Normalen" nach, Stichwort Normopathie.

Auch für heutige Zeiten ein lesenswertes Buch, aber ich finde genauso für den Ripper-Fall, um sich nicht auf vorurteilsbeladene Fährten einzuschießen.

Schöne Grüße

Stordfield

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Re: Irrsinn vs. Gefährlichkeit
« Antwort #1 am: 01.03.2013 23:12 Uhr »
Hallo Katharina!

Ich denke schon, dass die damaligen Insassen der Irrenhäuser überwiegend gefährlich waren. So viele psychische Abstufungen wie heute wurden zu der Zeit sicherlich nicht gemacht. Einfach aus dem Grund, dass man sie ja noch gar nicht alle kannte. So wurden wahrscheinlich auch nur Leute eingewiesen, denen man es auf den ersten Blick ansah, dass mit ihnen etwas nicht stimmte, oder die eben verhaltensauffällig, wie z.B. extrem gewalttätig waren.

Gruß Stordfield

Offline Anirahtak

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Re: Irrsinn vs. Gefährlichkeit
« Antwort #2 am: 04.03.2013 23:27 Uhr »
Hallo Stordfield,

der Punkt ist aber: Verhaltensauffälligkeit bedeutet nicht zwangsläufig Gefährlichkeit. Irrsinn kommt häufig auf ungefährliche Art und Weise zum Ausdruck, die aber nichtsdestotrotz so hinderlich ist, quasi eine Behinderung für den Kranken selbst und für seine Umwelt, dass der Betreffende eine Vollzeitbetreuung braucht, die im Alltag aber nicht zu leisten ist (damals umso mehr als heute, da es keine Medikamente gab). Oder er tritt einzig in Form von Eigengefährdung auf, bspw. jemand leidet unter der Wahnvorstellung, ein Vogel zu sein, was ihn auch nicht zum axtschwingenden Mörder macht, allerdings Flugversuche aus Gebäuden mit sich bringt. Gibt es. Ich weiß auch von einem Fall, wo jemand dachte, ein Tiger zu sein. Zwar griff er niemanden an, aber krabbelte nackt durch Kornfelder. Gefährlich ist das nicht, aber damals wie heute konnte/kann man so jemanden nicht einfach machen lassen.

Und wie ich inzwischen mitbekommen habe, brachte man die Lunatics auch damals schon je nach (Un)Gefährlichkeit entweder ins Colney Hatch Lunatic Asylum oder eben ins Broadmoor Hospital.

Schönen Gruß


Offline Isdrasil

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Re: Irrsinn vs. Gefährlichkeit
« Antwort #3 am: 05.03.2013 12:05 Uhr »
Hi

Das spricht mir aus der Seele. Ich finde es bedauernswert, dass in der Ripperologie die Tatsache „war im Irrenhaus“ immer noch als wichtiges Indiz gewertet wird. Natürlich sind Serientäter „mental ill“ und natürlich haben Serientäter mehr oder weniger ausgeprägte Geisteskrankheiten bzw. pathologische Störungen. Aber meist wissen wir das erst im Nachhinein. Der ungefasste Täter ist und bleibt im Großteil der Fälle der unauffällige Nobody von nebenan, der freundliche und ruhige Nachbar, der Einzelgänger den niemand wahrnimmt. Der, von dem es niemand gedacht hätte. Von dem es nicht mal Nachbarn oder Verwandte dachten, ja manchmal sogar nicht die eigene Frau.
Alleine aus Selbstschutz versuchen diese Menschen, so normal und unauffällig wie möglich zu bleiben.
Es gibt sicher eine Schnittmenge der Wahnsinnigen und der Serienmörder, keine Frage. Aber ich sehe es ebenso als unsere Verantwortung an, der Welt mitzuteilen, dass Geisteskrankheiten und Gewalttätigkeit keine untrennbare Einheit bilden, sondern vergleichsweise eher selten zusammentreffen. Ich sehe es als gesellschaftlich wichtig an, diesem Klischee entgegen zu wirken, auch wenn es wie überall Ausnahmen gibt und immer geben wird.

Es gibt einige Kandidaten in der Ripperologie, deren Bild von anderen Tatsachen ergänzt wird. Kosminski zum Beispiel. Da kann das Einsitzen in bestimmten Institutionen eher ergänzend wirken. Da gibt es zumindest mal Indizien, die zusammengenommen ein Bild ergeben. Die namentliche Erwähnung in verschiedenen Dokumenten sticht hier besonders hervor.

Aber den Punkt „war im Irrenhaus“ schon als bloßes Argument zu nehmen, wie es so manche Ripperologen tun, das ist schwach in der Argumentation, nicht mehr zeitgemäß und ethisch bedenklich, wie ich finde. Da gehört mehr dazu.

Grüße, Isdrasil
« Letzte Änderung: 05.03.2013 12:26 Uhr von Isdrasil »

Offline Isdrasil

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Re: Irrsinn vs. Gefährlichkeit
« Antwort #4 am: 05.03.2013 17:20 Uhr »
...um nochmal klarzustellen, wie ich das meine (und leider muss ich dazu die objektive Schiene verlassen):

Es handelt sich bei den "Lunatics" um arme kranke Menschen, die unter ihrer Krankheit zu leiden haben. Manche sind von Geburt an krank, manche werden es im Laufe ihres Lebens - durch Schicksalsschläge, nach Geburten, durch irgendwelche Substanzen. Ich wünsche Keinem vom euch, dass er jemals so einen Werdegang in der Verwandtschaft erleben muss oder selbst am eigenen Leib erfährt. Es kann fast jeden von uns treffen.
Und ich empfinde es als - wenn ich es hart formulieren darf - abstoßend, dass diese kranken Menschen bei vielen Diskussionen in einen Topf mit Sexualverbrechern, Serientätern und Gewaltverbrechern geschmissen werden, denn dies ist garantiert nicht der Fall. Es existiert eine Schnittmenge, aber ich würde jeden bitten, sich über das Thema Gedanken zu machen, bevor so Argumente kommen: "Außerdem war der in der Irrenanstalt". Erst eine Portion Gewalttätigkeit macht doch den Unterschied aus, und die kann sowohl mit als auch ohne Geisteskrankheit vorhanden sein.

Das zählt ganz abseits der Tatsache, dass es Mörder gibt, die tatsächlich auf Befehl von Stimmen gehandelt haben bzw. es nachträglich behaupten.

Grüße, Isdrasil

...und ich bereue schon wieder damit angefangen zu haben. Vergessen wir es einfach.... :flag_of_truce: ;)
« Letzte Änderung: 05.03.2013 17:53 Uhr von Isdrasil »

Schwarzblau

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Re: Irrsinn vs. Gefährlichkeit
« Antwort #5 am: 05.06.2013 12:46 Uhr »
Natürlich sind Serientäter „mental ill“

Nach meiner Lektüre möchte ich anmerken, dass Psychopathen nicht als geistig krank gelten, da sie sehr gut unterscheiden können, was richtig und falsch ist.  Sie gelten als voll schulfähig. Vorrausgesetzt die Psychopathie mischt sich nicht mit anderen Karnkheiten.