Das Auftreten von Anders Breivik ist in der Tat kaum zu fassen. Allerdings bin ich der Meinung, dass man ihm durchaus diese Plattform bieten soll, denn durch sein Auftreten und seine wirren Gedanken entlarvt er sich und seine Gesinnung doch am besten. Man kann viel über einen Menschen und seine Ansichten schreiben und reden, doch dieser Mensch kann das selbst am besten. Durch diese Selbstentlarvung trägt er am besten dazu bei, die Sache aufarbeiten zu können. Ich kann mich nur schwer in die Angehörigen der Opfer hineinversetzen, aber ich habe dennoch meine Zweifel, dass eine Verdrängung des Täters und seiner Hintergründe bei der Aufarbeitung der Trauer helfen können.
Ich vergleiche die Auftritte des Anders Breivik gerne mit dem Auftritt der Margot Honecker vor ein paar Wochen in der ARD-Doku. Ein Musterbeispiel der Selbstentlarvung! Jeder, der noch irgendwelche Zweifel am Unrechtssystem der DDR hat, sollte sich die Aussagen dieser Frau zu Gemüte führen. Diese Doku hat in meinen Augen mehr zur Aufarbeitung der DDR beigetragen als vieles, was in den letzten zwanzig Jahren sonst versucht wurde.
Mir ist klar, dass es einige Ewigverblendete geben wird, die sich dieser Entlarvung entziehen, und Margot Honecker und ihren Staat immer noch für toll halten. Aber damit muss eine demokratische Gesellschaft leben können. Was aber die "Mitte der Gesellschaft" belangt, so wirkt eine solche Stellungnahme Wunder.
Ähnlich sehe (oder erhoffe) ich es mit den Aussagen des Anders Breivik. Es ist besser, jetzt einmal so richtig angewidert zu sein, als diese Wunde jahrelang oder jahrzehntelang zu tragen. Denn dieses Attentat und seine Hintergründe wird immer wieder einmal hochkommen. Sei es zu einem Jahrestag, sei es, weil einige Spinner das Ganze glorifizieren wollen. Doch diesen kann man dann immer Anders Breiviks eigene Aussagen vor die Nase halten.
Wir werden in Deutschland bald ähnliches erleben, wenn es um die Aufklärung der NSU-Verbrechen gehen wird. Auch dann wird die Gesellschaft mehr davon profitieren, die Sache gründlich aufzuklären - und dazu gehört leider auch, die Täter zu Wort kommen zu lassen - als die Täter still und leise wegzusperren. Auch wir, d.h. die "Ripperologen", profitieren heute davon, dass man andere Serienmörder zu Wort kommen lies und sie und ihre Taten mehr oder weniger gründlich untersucht worden sind (wenn auch das öffentliche Interesse daran meist geringer war als bei Anders Breivik).
Mir geht es sicher nicht darum, Anders Breivik und seine Tat zu rechtfertigen. Mir geht es um Aufklärung. Die Tat ist geschehen und durch nichts wiedergutzumachen. Aber es ist die Verpflichtung einer Gesellschaft - auch zu Ehren der Opfer - aus dieser Tat Lehren zu ziehen. Dazu ist es aber unablässig, auch den Täter zu verstehen oder vielleicht besser ausgedrückt: zu durchschauen. Dies geschieht auf zwei Ebenen. Zum einen eine unabhängige Analyse seines Lebens, zum anderen seine eigenen Aussagen. Das ist meine Auffassung. Ich kann ehrlich gesagt nicht genau definieren, was ich mir davon verspreche. Vielleicht eine Möglichkeit, derartigem Gedankengut entgegenzuwirken; vielleicht Möglichkeiten, derartige Taten zukünftig zu vermeiden. Ich weiss es nicht genau. Aber ich weiss, dass wenn man nicht in dieser Richtung unternimmt, sich auch nichts verändern wird, und wohin der status quo führen kann, hat uns Anders Breivik gezeigt.