Hi Leute!
Vergleichen wir noch einmal im Detail die beiden Geschichten von Langham und White über jenen PC, der angeblich einem Verdächtigen in der Nähe eines Tatortes begegnete und ihn passieren ließ:
Langhams Darstellung:
Der Tatort Mitre Square wird von ihm explizit genannt.
Der PC, der angeblich dem Verdächtigen begegnete und passieren ließ, hatte laut Langham den Mitre Square bereits vor dem Mord inspiziert und fand auf seiner nächsten Runde dort die Leiche .
Der PC, der seine Runden durch den Square drehte und die Leiche von Eddowes fand, war wie wir wissen, Watkins – folglich dürfte jener „PC near Mitre Square“ Watkins gewesen sein.
Möglich wäre vielleicht auch noch PC Harvey, der kurz vor der Entdeckung der Leiche die Church Passage zum Square inspizierte, falls Langham da was mit den beiden Streifenpolizisten durcheinander gebracht haben sollte.
So weit, so gut: Langham erzählt hier also explizit von unserem „PC near Mitre Square“, von dem auch in anderen Quellen die Rede ist – und seine Aussage legt nahe, dass dieser PC wahrscheinlich Watkins gewesen ist.
Whites Darstellung:
Die Polizei überwachte, wie White explizit beschreibt, seit fünf Nächten „den einzigen Eingang in eine Alley“, eine „Sackgasse“, die sich „direkt hinter der Whitechapel Road“ befand, und White will den Verdächtigen getroffen haben, nachdem er die beiden Wachhabenden aufgesucht hatte.
Diese Beschreibung passt nicht zum Mitre Square: Der Square liegt zwischen der Mitre Street und der Duke Street – weder der Square mit seinen drei Eingängen noch die beiden Straßen sind Sackgassen, und sie befinden sich auch nicht direkt hinter der Whitechapel Road, sondern hinter der Aldgate High Street.
Die einzige Alley, die eine Sackgasse direkt hinter der Whitechapel Road ist, und in der ein möglicher Ripper-Mord passierte, ist die Castle Alley.
Zudem soll White zufolge die Leiche von einem der beiden Polizisten gefunden worden sein, die den einzigen Zugang zu der Alley observierten, als dieser sein Versteck verließ und routinemäßig die Sackgasse abging – und dieser soll dann sofort White alarmiert haben.
Das widerspricht ebenfalls dem Mord am Mitre Square, denn Eddowes wurde vom Streifenpolizisten Watkins auf seiner regulären Runde gefunden, er befand sich nicht bei einer Observierung - und White war unseres Wissens nach auch nicht unter den von Watkins alarmierten Kollegen.
Darüber hinaus gehörte White der Metro Police an, und daher wäre eine Runde, die ihn zum Mitre Square in das Einsatzgebiet der City Police führt, doch eher ungewöhnlich – die Castle Alley befindet sich jedoch auf dem Gebiet der Metro Police.
Wenn wir davon ausgehen, dass Whites Erzählung im Wesentlichen korrekt ist, dann müsste es sich demnach um den Mord an Alice McKenzie in der Castle Alley handeln, und White wurde von Constable Walter Andrews, der ihre Leiche fand, zum Tatort gerufen.
So weit – so gut. Kommen wir nun zu den Ungereimtheiten in Whites Geschichte:
Eine erste Seltsamkeit in Whites Darstellung ist, dass es eine „kalte“ Nacht gewesen sein soll, denn der McKenzie-Mord geschah mitten im Sommer am 17. Juli - allerdings war das Wetter in dieser Nacht tatsächlich nicht gut, sondern es hatte auch zeitweise geregnet. Man kann dies also als Petitesse abtun, wenn man davon ausgeht, dass White damit nur meinte, es sei für eine Julinacht kalt gewesen.
Wenn wir uns jedoch im Fall McKenzie die offiziellen Aussagen von PC Walter Andrews ansehen, dann ist von einer Alarmierung des Kollegen White dort nirgendwo die Rede. Vielmehr hat er ausgesagt, dass es Sergeant Badham war, der auf seine Alarmierung hin kam:
In seinem offiziellen Polizeibericht schreibt PC Andrews:
„I beg to report that at 10 minutes to 1 o'clock the 17th inst. I was passing through Castle Alley Whitechapel trying the doors when I saw a woman lying on the pavement with her throat cut but I saw no one in the street at the time. I touched the body with my hand and found that she was quite warm. I at once blew my whistle when I saw Isaac Lewis Jacob of No. 12 New Castle place Whitechapel going towards Wentworth Street with a plate in his hand he said that he was going to get something for his supper. I said you had better stop here with me as there have been a woman murdered. Just at that minute Sergeant Badham heard the whistle blow and came running up to my assistance. I told the Sergeant that there was a woman laying on the foot way in Castle Alley with her throat cut. I ran back and took charge of the body until the Doctor arrived and examined the woman and stated the woman was dead.“
Und in seiner offiziellen Aussage beim Inquest sagte PC Andrews:
„About ten minutes to 1 this morning I saw Sergeant Badlam at the corner of Old Castle-street, leading into Castle-alley. That was on the opposite corner of the public house. The sergeant said, "All right," and I said the same. I then proceeded up Castle-alley, and tried the doors on the west side of the alley. While doing so I noticed a woman lying on the pavement.“
Also kann da etwas an Whites Geschichte nicht stimmen: Sie passt überhaupt nicht zum Eddowes-Mord im Mitre Square, und stimmt auch nicht mit den Aussagen seines Kollegen Andrews zum McKenzie-Mord überein. Daher war sie vielleicht einfach nur „Jägerlatein“, um sich wichtig zu machen.
Allerdings gäbe es eine andere harmlosere Erklärung für die Erzählung von White: Laut seines Nachrufs im People's Journal vom 26. September 1919 war er noch in andere Mordermittlungen involviert:
„Mr. White was also associated with the notorious case of Harry Alt, who murdered a German baker in Turner Street; Sullivan the St. George in the East murderer; Cronin the Limehouse assassin; Roman, who committed murder in Angel Court, Whitechapel; Seaman, who killed an aged Jew and his housekeeper in Turner Street; Karacrewski, the pole, who shot a man and woman dead in Brick Lane; and Kate Marshall, who killed her sister in Dorset Street, in the very house where the last Ripper murder was committed.“
Es könnte also auch einfach sein, dass White nach all den Jahren in seinen Erinnerungen ein paar Fälle durcheinandergeworfen hat. Jedenfalls erscheint es mir aufgrund der o.g. Widersprüche zu bekannten Fakten nicht auf einen der JTR zugeschriebenen Morde zu passen.
Fazit des Vergleichs:
Langhams Geschichte entspricht den Aussagen aus anderen Quellen, dass es einen „PC near Mitre Square“ gegeben habe, der einen JTR-Verdächtigen passieren ließ und hinterher beschreiben konnte.
Da er jedoch offenbar nicht selbst involviert war, sondern es nur vom Hörensagen her kannte, wissen wir damit immer noch nicht, ob er lediglich eine Polizei-Legende weitererzählte, oder ob der „PC near Mitre Square“ polizeiintern tatsächlich bekannt war und sein Bericht zu den ermittlungsrelevanten Beweismitteln zählte.
Whites Geschichte ist hingegen schwerer einzuordnen, da es zuviele Widersprüche zu den uns bekannten Fakten gibt. White will selbst jener PC gewesen sein, der den JTR-Verdächtigen passieren ließ, ihn aber hinterher beschreiben konnte – was allerdings den Aussagen aus anderen Quellen widerspricht, es wäre ein „PC near Mitre Square“ gewesen, denn Whites Erzählung passt nicht zum Mitre Square. Vieles deutet darauf hin, dass er entweder etwas in seinen Erinnerungen durcheinander geworfen hat, oder er einfach nur Jägerlatein erzählte, um sich wichtig zu machen.
MfG, Arthur Dent