Autor Thema: Facharbeit: Warum sind Menschen bis heute von den JtR-Morden fasziniert?  (Gelesen 8552 mal)

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Laura

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Hallo ihr Lieben  :flag_of_truce:
Ich bin neu hier und hoffe, dass ich hier eine Diskussion anregen kann, die mir ein wenig weiterhilft bei meiner Facharbeit zum Thema
"Jack the Ripper - Warum erregt eine Mordserie aus dem 19. Jahrhundert bis heute die Faszination der Menschen?".
Die Arbeit soll etwa 15 Seiten umfassen. Ich hab bereits die beiden empfohlenen Bücher "Anatomie einer Legende" (Schachner / P.) und "The complete history of Jack the Ripper" (Sugden) gelesen und viel im Internet recherchiert.
Hat jemand Vorschläge, wo ich noch mehr Informationen zu diesem Thema finde?
Wie sieht eure persönliche Meinung dazu aus? Was hat dazu beigetragen, dass dieser Kriminalfall so großen Einfluss auf die Geschichte genommen hat?
Was fasziniert euch ganz persönlich an Jack the Ripper? Und wie seid ihr dazu gekommen, euch für Jack the Ripper zu interessieren?

Danke schonmal!
Liebe Grüße,
Laura   :good:

Offline Lestrade

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  • Watson, fahr schon mal die Kutsche vor...
Hallo Laura!
 
Diese Faszination könnte verschiedene Gründe haben. In erster Linie interessiert den meisten hier im Forum, so denke ich, die "Lösung eines Rätsels", was sehr wahrscheinlich auf die eigene Biografie zurückzuführen ist. Und dann ist da London, ein Ort, der irgendwie für die Welt steht. Dunkle Gassen, Nebel, geheimnisvolle Schwaden, Kälte und Regen. Ein verwinkelter Ort, scheinbar unendlich groß, finster und beängstigend. Erinnert uns das nicht an unseren eigenen Denkapparat? Ganz tief dort drinnen mit all den unbeantworteten Fragen? Sind wir vielleicht alle ein bißchen London und suchen auch da des Rätsel´s Lösung? Wir können garnicht bis kaum wahrnehmen, dass unser Unterbewußtsein stärker ausgebildet ist als unser Bewußtsein.
Hobbymäßig wählen hier viele, einschließlich mich, den Beruf des Ermittlers. Warum tun wir das? Warum fühlen wir uns dazu berufen? Es wird nicht von uns erwartet. Aber ich habe schon auf die eigene Biografie hingewiesen...
Für mich kann ich das jedenfalls so behaupten. Ich habe das auch hier schon früher einmal erwähnt. Mein Umfeld in dem ich aufwuchs, war überwiegend geprägt durch Manipulation, Lügen, Täuschung und Hintergehen. Mit wenig Aufrichtigkeit. Jeden Schnipsel Wahrheit musste ich mir erarbeiten, in einem langen Prozeß. Durch eine dicke Wand von Angst, Dummheit, Sturheit und Unverständnis hindurchstoßen. Genau das finde ich hier im Fall wieder. Der Mensch wiederholt was er nicht versteht und nutzt dabei diese oder jene Gelegenheit.
Dann gibt es noch die anderen, die fasziniert sind von Schrecken und Gewalt, Sadismus oder etwaige Grausamkeiten. Da muss man wohl aber auch Ausnahmen sehen, denn viele von ihnen sehe das als eine Art Geschichte oder Hollywood- Film an. Im Aufeinandertreffen in der Realität mit solch einer Begebenheit, würden doch einige ihre Ansichten ändern.
Darin sehe ich die Motivationen, warum Jack the Ripper bis heute viele fasziniert. Er stachelt viele bis heute an "Was ist da überhaupt passiert?". Ob das "da" nur auf Whitechapel bezogen ist, möchte ich sehr, sehr stark bezweifeln. Ich sprach bereits das (Un)Bewußtsein an.
Ich selber ordne den Ripper einer Art "manisch- depressiven" Erkrankung zu. So sollte er sich auch der Öffentlichkeit präsentiert haben. Ein Wechsel zwischen Omnipräsenz und absoluter Zurückgezogenheit. Er sollte schon vorher in Phasen der Omnipräzens aufgefallen sein um dann wieder unbemerkt weiterzuleben. Alkohol dürfte stets die Zündung zum Mord gegeben haben. Ohne oder mit wenig davon, dürfte es bei Nachstellungen, Bedrohungen oder Quälereien geblieben sein. Ich halte ihn für, sagen wir, mittelmäßig intelligent aber dennoch für Bauernschlau. Die Sache mit dem Alkohol dürfte er selbst verstanden haben. Möglicherweise konnte er sich selber nicht mehr vollkommen an die Taten erinnern. In großen Bruchstücken, durften sie dennoch auch nüchtern vorhanden gewesen sein. Er konnte sich meines Erachtens aber gut kontrollieren, weil er nicht gefasst werden wollte. Dabei hatte er viel Glück, weil er eben auch absolute Ortskentnisse hatte. Nüchtern und in der zurückgezogenen Phase (ohne Alkohol) war er sehr kontrolliert und zurückhaltend. Hier dürfte ihn niemand mit solchen Verbrechen in Verbindung gebracht haben. In der anderen Phase, fiel er auf durch Dinge auf, wo die meisten verständlicherweise irritiert gewesen wären, z.B. öffentliches Onanieren oder Vergehen an Tieren. Kam Alkohol hinzu, dürfte er durch plötzliche Gewalt aufgefallen sein. Ich würde einen einfachen, armen Arbeiter suchen, der Aufgrund seiner Störung, mal verdreckt herumlief und dann mal wieder recht ordentlich war. Und das ist es, was mich an Jack the Ripper selbst "fasziniert". Ich bin mit meinem Bild von ihm sehr eingeschränkt. So ein Mann war damals schwer zu erkennen. Viele würden jetzt meinen, er wäre so, auf diese Art, Shizophren gewesen. Vielleicht zeigte er Anzeichen dafür, vielleicht entwickelt sich das erst später weiter aber zum Zeitpunkt der Morde würde ich ihm ein fast volles Bewußtsein assistieren. Eingeschränkt allerdings durch Alkoholgenuss. Ich glaube nicht, dass er so etwas wie Mitgefühl für andere Menschen hatte. Am wenigstens natürlich für seine Opfer. Er wußte, dass seine Taten in den Augen seiner Mitmenschen, Unrecht war und bestraft gehörte. Er wollte aber nicht bestraft werden, weil er dies ja wahrscheinlich oft in seinem Leben bereits wurde (zumindest seiner Meinung nach). Sein Hass auf Frauen, insbesondere auf Prostituierte spricht da sichtbar für sich. Sein Abwehrmechanismus zur Leugnung der Taten, dürfte perfekt funktioniert haben. Ein permanenter Lügner dürfte er gewesen sein. Hätte man damals sein Psyche verstanden, hätte man ihn gekriegt.

Ich hoffe, ich konnte dir irgendwie weiterhelfen.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Stordfield

  • Gast
Hallo Lestrade!

Erinnert uns das nicht an unseren eigenen Denkapparat? Ganz tief dort drinnen mit all den unbeantworteten Fragen? Sind wir vielleicht alle ein bißchen London und suchen auch da des Rätsel´s Lösung?

Das gefällt mir!!  :good:

Gruß Stordfield

Laura

  • Gast
Wow, ganz lieben Dank für die schnelle und ausführliche Antwort!
Mit deiner Sichtweise bin ich ehrlich gesagt noch gar nicht an die ganze Sache herangegangen, ich hab die ganze Zeit nach Fakten und Belegen gesucht. Hab mich z.B. damit beschäftigt inwiefern man der deutlich unterbesetzten Polizei Schuld geben kann (meiner Meinung nach gar keine) oder mich mehr oder weniger auf die Rolle der Medien und der Industrialisierung konzentriert.. Lehrer sind immer so versessen nach Zitaten und Fakten, Fakten, Fakten und ich dachte, ich müsste alle meine Vermutungen anhand von Aufzeichnungen, Beobachtungen usw. belegen. Wobei sich ja eigentlich alles am ehesten in der Psyche des Menschen finden lässt und nicht in äußeren Umständen und Begebenheiten. Von daher vielen Dank an dich, das hat mich gerade schon ein ganzes Stück weitergebracht.  :good:


Gibt's hier noch mehr Meinungen und Ideen?

Liebe Grüße!

KvN

  • Gast
Nur ein paar kurze Bemerkungen...
So ganz unabhängig von den Umfeldbedingungen kann man "die Psyche" ja wohl auch nicht sehen. Dass eine endogene - psychische - Erkrankung des Täters zu den Morden führte ist eine mögliche Variante von vielen, mehr nicht. Vielleicht hatten die Taten ja auch einen durch und durch rationalen Hintergrund, wir wissen es nicht. Und eben dieses Nichtwissen macht JtR zur idealen Projektionsfläche für unsere Beschäftigung mit der dunklen Seite der menschlichen Natur.
Und diese Faszination, die das "Böse" auf uns ausübt, ist leicht erklärt. Es ist Teil von uns, ob wir es haben wollen oder nicht, unser ES ist nun mal da. Wir alle sind ein klein wenig Rader, Ramirez, Bundy und JtR. Wenn jemand diese These anzweifelt sei ihm die Lektüre der Milgram Experimente empfohlen...
Der Terminus "Verbrechen" macht nur Sinn vor dem Hintergrund einer sozialen Norm. Wir alle sind bemüht diese Normen zu erfüllen, klaro, keiner will der Aussenseiter, der Mutant sein. Das ist verständlich, für unsere Vorfahren bedeutete das Ausgestossenwerden in einer lebensfeindlichen Umwelt ja im Regelfall den Tod. Ergo ist es doch recht charmant dass es Menschen gibt, die die Normen viel mehr verletzt haben als wir es in unseren Gedanken, Fantasien und Träumen tun.
Bevor ich noch komplett zum Freud - Apologeten werde, ein kurzer Satz von Stephen King:" Wir müssen die Krokodile, die in unserem Innneren leben, füttern. Warum? Na damit sie nicht rauskommen, Mann."

Grüße