Autor Thema: Februar 1888: Mord und Selbstmord bei Louis Cohen in Whitechapel  (Gelesen 6349 mal)

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Offline panopticon

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Hallo!

Ich hab ja schon einiges gelesen, aber diese Geschichte, die ich gerade im Archiv der Times gefunden habe, ist mir komplett neu (Ich habe sie auch im Forum noch nicht gefunden – Sorry, falls ich sie übersehen haben sollte!):


Am 2. Februar 1888 berichtet die Times von einem Mord und dem anschließenden Selbstmord des Mörders in der Back Church Lane Nr. 147, Whitechapel. Nachdem sie zwei Monate zuvor ihren tatsächlichen Mann verlassen hatte, lebte dort eine junge russische Jüdin namens Potstami nun mit dem Stiefelmacher („boot finisher“) Louis Cohen als dessen "Frau" zusammen. Cohen, der am Vortag herausgefunden hatte, dass der eigentliche Ehemann von Potstami in der Nachbarschaft war, hörte die junge Frau, nachdem sie das Haus um 1.00h verlassen hatte, um Einkäufe zu tätigen (komisch, wenn damit a.m. gemeint ist... :icon_rolleyes: )  gegen 1.30h schreien, rannte die Treppen hinunter und fand sie mit von Ohr zu Ohr durchschnittener Kehle mitten auf der Straße liegend. Sie konnte noch in Richtung Commercial Street deuten und verlor danach das Bewusstsein. Mittlerweile haben Nachbarn, die den tatsächlichen Mann des Opfers davonlaufen gesehen hatten, diesen verfolgt. Nachdem dieser die Commercial Road überquert hatte, traf er in der Greenfield Street auf einen Constable, zog ein Schuhmachermesser (Er war, wie Cohen, Schuhmacher) und schnitt sich damit selbst die Kehle durch. Er verstarb, wie auch seine Frau, auf dem Weg zum London Hospital. Niemand sah direkt, wie der Mord verübt wurde, aber der Täter hat seine Frau scheinbar am Fuße der Stufen attackiert, nachdem diese das Haus wieder betreten hatte. Das Blut dort, und die in alle Richtungen verstreuten Lebensmittel ließen darauf schließen, dass sie danach wieder zurück auf die Straße gelaufen ist, wo sie zusammenbrach.


Irgendwie kommen einem da  ja einige Details bekannt vor, wenn auch sehr wahrscheinlich zufällig ("Cohen", "Back Church Lane", "Schuhmacher", "throat cut from ear to ear"),...
War diese Geschichte (vor allem hinsichtlich der Tötungsart) vielleicht auch eine Inspiration für JtR? Oder ist diese Geschichte gar....? (Naja, ...ich weiß, aber zumindest eine Überlegung wert.  :icon_mrgreen: )


Da ich den Text ja nur zusammengefasst habe, hier der Link zum Timesartikel:
http://archive.timesonline.co.uk/tol/viewArticle.arc?articleId=ARCHIVE-The_Times-1888-02-02-06-003&pageId=ARCHIVE-The_Times-1888-02-02-06

Und hier noch ein Link mit allen Morden und Selbstmorden in London, über die die Times 1888 berichtete inklusive Google-Map und Markierungen (soweit ich das sehe, ist der Mord an Tabram fälschlicherweise nicht in den George Yard Buildings in der  Gunthorpe Street, sondern an einem anderen Ort namens George Yard eingezeichnet, oder irre ich mich da?)
 http://archive.timesonline.co.uk/tol/archive/tol_archive/article4669671.ece


best regards,
panopticon

Offline Lestrade

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Du bist echt klasse Panopticon...

Das muss man ersteinmal finden.

Und auch das London Hospital findet Erwähnung.

Vielleicht findest du auch noch mehr über Louis Cohen heraus.

Ich grüße dich,

Lestrade.
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Offline panopticon

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Hallo Lestrade!

Die Times hat wohl am 4. Februar 1888 über die gerichtliche Untersuchung einen Bericht veröffentlicht, den ich jedoch in ihrem Archiv nicht finden konnte. Deshalb habe ich jetzt mal nachgesehen, ob sich auf Casebook was über den Fall finden lässt und wurde zumindest in einem kleinen Thread im dortigen Forum fündig. Von welcher Zeitung dieser Bericht über die Untersuchung stammt, hat die Person, die ihn gepostet hat, nicht angegeben, aber es ist auf jeden Fall festzustellen, dass er sich in einigen Details vom ersten Bericht in der Times, unterscheidet. Zudem liefert er doch interessante Infos über die Toten und deren Verhältnis zum Stiefelmacher Louis Cohen und seiner Familie.
Alle neuen Infos und die Unterschiede habe ich hier kurz zusammengefasst:

Das Opfer hieß wohl Hannah Potzdamer (Oder heißt das Potzdaner? Vielleicht ja eigentlich auch Potsdamer?) und war 20 Jahre alt. Ihr Mann, Abraham Potzdamer, war 23. Das Ganze spielte sich, wie ich bereits vermutet habe, auch nicht in den frühen Morgenstunden, sondern gegen 19.30h ab (bereits am 1. Februar, würde ich jetzt annehmen...). Die beiden kamen nach England und lebten bei der Schwester von Louis Cohen, die eine Garküche (cookshop) in der Brick Lane unterhielt. Cohen arbeitete dort für seinen Bruder und fragte diesen, ob er Abraham nicht eine Anstellung geben könnte. Nach nur 8 Tagen quittierte Potzdamer jedoch den Dienst mit der Begründung, die Arbeit sei zu hart. Drei Monate vor der Tat zog Hannah dann mit Louis Cohen zusammen, der ihren Ehemann noch zu mehreren Anlässen sah. Streit gab es aber, laut Cohen, keinen.
Der Name des Constables in der Greenfield Street war Collinson (6 H R). Brutales Detail: Dieser gab an, dass Potzdamer, nachdem er sich selbst die Kehle durchgeschnitten hatte, auch noch versuchte, seine Wunde mit den Fingern zu vergrößern. Der Dienst habende Chirurg im London Hospital hieß Dr. H. Taylor und sagte ebenfalls bei der gerichtlichen Untersuchung aus, die von (dem uns ja von den Rippermorden wohlbekannten) Mr. Wynne E. Baxter geleitet wurde. Urteil: „The deceased woman was murdered by the man, and the latter committed suicide while of unsound mind“

Hier der Link zu entsprechendem Thread auf Casebook:
http://www.casebook.org/forum/messages/4927/19222.html#MT


Was ich noch bemerkt habe: "Cohens" gab es in Whitechapel 1888 scheinbar wie Sand am Meer...


Grüße,
panopticon

Offline panopticon

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Exkurs: Tatwaffe Arbelos (Shoemaker´s Knife)
« Antwort #3 am: 22.12.2009 15:05 Uhr »
Noch ein kleiner Nachtrag / Exkurs:

In Bezug auf diesen Fall hat mich jetzt interessiert, wie so ein Schuhmachermesser (gr. Arbelos) nun genau aussieht. Offensichtlich ließ es sich ja für Kehlschnitte sehr schnell und effektiv einsetzen. Ist es eine "Tatwaffe", die auch JtR verwendet haben könnte? Hier ist, was ich gefunden habe:

http://de.wikipedia.org/wiki/Arbelos
http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Arbelos_Shoemakers_Knife.jpg

best regards,
panopticon

Offline Lestrade

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Trotz der vielen Cohens Panopticon, bleiben deine Postings sehr interessant...

Der Cookshop gehörte also der Schwester von Louis Cohen aber er arbeitete dort für seinen Bruder ? Habe ich das richtig verstanden ? Louis Cohen´s Geschwister und er selber, war quasi ein Familienbetrieb ja ?

Mmh, so eine Küche zu unterhalten erfodert bestimmt viel Aufwand, auch zu der Zeit.Dann hätten die Brüder dies oder jenes zu tun und kämen vielleicht auch mit Schlachtungen in Berührung oder würden sie auch selber ausführen können.Auch der Einsatz in der Garküche würde sie Freizeitmäßig fordern und sie hätten nicht immer Zeit für privates.

Ist es dir möglich, noch mehr von dieser Cohen-Familie zu erfahren ?

Falls du mir meine Fragezeichen positiv beantworten kannst, würde ich dir gerne etwas per E-Mail mitteilen wollen.

Ich will ja hier nicht als Riesenspinner darstehen...

Gruß, Lestrade.
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Offline panopticon

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Hi.

Ich will ja hier nicht als Riesenspinner darstehen...

Als Spinner steht hier ja wohl hoffentlich niemand da, weil er sich Gedanken macht und Möglichkeiten verfolgt! So wie ich, wenn ich hier z. Bsp. zugebe, dass ich mich nach wie vor frage, ob ein traumatisches  Erlebnis wie dieses, das mit Verlust durch Kehlschnitte zu tun hat, eine Person oder jemanden aus deren Umfeld, einige Zeit später nicht selbst zum "Schlitzer" machen könnte...  :icon_rolleyes:
Du kannst mir aber natürlich auf jeden Fall jederzeit eine PN schicken!


Der Cookshop gehörte also der Schwester von Louis Cohen aber er arbeitete dort für seinen Bruder ? Habe ich das richtig verstanden ? Louis Cohen´s Geschwister und er selber, war quasi ein Familienbetrieb ja ?

Ich habe das im Grunde genau so verstanden, allerdings habe ich mich gefragt, was zwei (bis drei) Schuster in einer Küche zu tun haben. Als "lebende Stiefelknechte" werden sie wohl kaum tätig gewesen sein! :icon_biggrin: Außerdem fragt sich, wer denn nun eigentlich den Betrieb geführt hat – der Bruder, die Schwester, alle? Merkwürdig, irgendwie!

Wortwörtlich steht da:


"Louis Cohen said he had been living at 147 Backchurch Lane, Whitechapel. The deceased woman has been living with him for the last three months. When both of the deceased came to this country they came to live with witness´s sister, who kept a cookshop in Brick-Lane. Witness was there at work for his brother, and he asked the latter to employ the deceased man, and he did so."


Wir wissen ja mittlerweile, wie oft da damals Wörter publiziert wurden, die so gar nicht gesagt worden sind. (Wie die Reporter ja auch Namen einfach so schrieben, wie sie sie verstanden haben.) Außerdem nahmen sie es mit der Grammatik ja nicht sehr genau. Das heißt, es gäbe, soweit ich das sehe, noch mindestens folgende Möglichkeiten:

- "Witness was there at work for his brother" bezieht sich vielleicht gar nicht auf die Brick Lane, wo die Küche war, sondern auf 147 Backchurch Lane? Dagegen spricht allerdings wiederum, dass im anderen Bericht (von der Times) zu lesen ist: "Among the occupants of the house (gemeint ist hier eindeutig 147 Backchurch Lane) was a boot finisher named Louis Cohen..." Also hat Louis dort wohl gewohnt, oder selber einen Laden betrieben. Da in diesem Bericht aber so einiges ungenau ist, könnte der eigentliche "occupant" auch Louis´s Bruder gewesen sein.... Hm....

- Louis´s Schwester betrieb vielleicht auch gar keinen "cookshop", sondern vielleicht einen "bootshop", und der Reporter hatte was mit den Ohren? Warum Louis dann aber seinen Bruder nach einer Anstellung für Potzdamer fragen musste, und nicht seine Schwester, erscheint mir dann auch nicht klar....

Sehr merkwürdig bis verworren das Ganze! Ich fürchte, dass uns da nicht viel anderes übrig bleibt, als nach weiteren Berichten zu suchen, oder zu versuchen, auf eigene Faust herauszufinden, was die Schwester in der Brick Lane da genau betrieben hat, bzw ob es einen Schuhladen auf 147 Backchurch Lane gab und wer dann dessen Eigentümer war.
Ich habe leider keine Ahnung, wo man das macht, außerdem könnte es sich, selbst wenn wir ein Verzeichnis finden, durchaus als Schwierigkeit herausstellen, wenn die Schwester den Betrieb führte, verheiratet war und eben dadurch den Namen ihres Mannes trug. Dann müssten die Angestellten / Zulieferer etc. auch verzeichnet sein, damit wir den Betrieb zweifelsfrei identifizieren könnten.


Dann hätten die Brüder dies oder jenes zu tun und kämen vielleicht auch mit Schlachtungen in Berührung oder würden sie auch selber ausführen können.

Ich denke, jemand, der beruflich Leder verarbeitet, benötigt zwangsläufig wahrscheinlich gar keine Küche, um an Leute heranzukommen, die etwas vom Töten verstehen! (Ein "verrückter Hutmacher" vielleicht, aber ein "verrückter Schuhmacher" wohl weniger! :icon_wink: ) Dass ein Schuster prinzipiell das Zeug zum schnellen Morden haben kann, hat Potzdamer ja zumindest schon mal bewiesen!




Grüße,
panopticon
« Letzte Änderung: 22.12.2009 18:29 Uhr von panopticon »

Offline Lestrade

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Du hast wirklich Humor...

Ich meinte ja auch nur, das die Brüder irgendwas in der Küche der Schwester verrichten mussten, was einen Umgang mit dem Messer erforderte...

Ansonsten sind deine Ausführungen und Erklärungen wieder einmal sehr sinnig und nachvollziehbar...PN folgt noch...
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