Thomas hat mich schon vor einigen Tagen gebeten, die „Bright’sche Krankheit“ (Bright’s Disease, Morbus Brightii) ein wenig näher zu erläutern, die ja doch im Mordfall Catherine Eddowes Erwähnung findet. Die meisten Ripperautoren, die die Bright’sche Krankheit erwähnen, versäumen nicht, zu erläutern, daß es diese Krankheit „nicht gibt“, bzw. daß die Bezeichnung „veraltet“ ist. Leider gehen sie dann nicht näher darauf ein und lassen den Leser in der Regel etwas mißtrauisch zurück.
Zunächst einmal ist festzuhalten, daß es keine „Bright’sche Krankheit“ in diesem Sinne gibt – die Bezeichnung „Bright’sches Symptom“ wäre besser. Ca. im Jahre 1825 entdeckte der 36jährige Kliniker Richard Bright (1889-1858), daß der Urin von Patienten, die (unter anderem) an Beschwerden und Schmerzen in Nierengegend litten, ausflockte, wenn man den Urin erhitzte – offenkundig enthielt er sehr viel Eiweiß. Meistens litten diese Patienten auch an einer Form des Ödems, d.h. der krankhaften Wasseransammlung in der Bauchgegend („Wasserbauch“).
In den Jahren 1825-1827 sah und behandelte (so gut er konnte) Bright am Guy’s Hospital insgesamt 23 dieser Fälle eiweißhaltigen Urins. 12 seiner Patienten starben in dieser Zeit. Bei Sektionen dieser Todesfälle entdeckte er dann, daß die Nieren dieser Patienten verändert waren. Es handelte sich um ein starkes, chronisch entzündliches Geschehen der kleinsten Blutgefäße der Nieren, der Karpillaren oder Glomeruli. Die Funktion der Niere ist es in der Hauptsache, Giftstoffe aus dem Körper zu filtern, und diese Form der Entzündung beeinträchtigt die Fähigkeit, was zu einer schleichenden und letztlich letalen Vergiftung des Körpers führt.
1827 veröffentlichte er seine erste Beschreibung von „Bright’s Disease“ (in modernen Lexika ist ein Nachschlagen unter Glomerulonephritis empfohlen). Auch wenn es sich hierbei um Krankheitsbild handelt, so hat Mr. Bright jedoch keine Krankheit entdeckt. Eine Rotznase ist auch ein Krankheitsbild, kann aber viele Ursachen haben, z.B. Grippe, Schnupfen, Erkältung oder eine Allergie. Tatsache ist, daß es auch für die Glomerulonephritis oder Mb. Brightii eine Vielzahl verschiedener Ursachen geben kann: beginnendes, ererbtes Nierenversagen, Anzeichen von diabetischer Nephropathie, Alkoholabusus („ginnie kidney“), Infektion.
Dr. Bright’s Forschungen, die gewiß im zeitlichen Kontext nicht geschmälert werden dürfen, hatten ihn „lediglich“ von einem Symptom – dem eiweißhaltigen Urin – zum nächsten Symptom – der chronisch entzündeten Niere – geführt. Trotzdem waren seine Forschungen bahnbrechend, und zumindest im angelsächsischen Raum gilt der Arzt als „Father of Nephrology“.
Für Interessierte am Ripperfall bedeutet das, daß wir in der Frage der Identität der an Lusk geschickten Niere nach wie vor im Dunkel tappen. Aufgrund der anatomischen Untersuchung, auch unter dem Mikroskop, Alter oder Geschlecht identifizieren zu wollen, ist gelinde gesagt ein kühnes Unterfangen. Schweinenieren sind außerdem in Größe und Anatomie den Nieren eines Menschen so ähnlich, daß sogar eine Zuordnung zur Spezies zumindest mit Vorsicht genossen werden sollte (wobei Dr. Openshaw, als Kurator des pathologischen Museums, sicher als sehr erfahren gelten kann). Auch Schweinenieren können aus verschiedensten Gründen chronisch entzündet sein, so daß auch das kein verläßlicher Indikator ist.
Definitiv können wir nur sagen, daß es sich um eine wahrscheinlich menschliche Niere handelte, die an einem alles andere als seltenen chronischen Entzündungsgeschehen erkrankt war.
Quellen:
- Hecht, Frederick M., Shiel, William C. Jr. (eds) Webster's New World Medical Dictionary. (Taschenbuchausgabe) London: MacMillan, 2003
- Robinson, Roscoe R. “Richard Bright, MD”, http://www.mc.vanderbilt.edu/biolib/hc/robinson/bright.html
- Woo, K. T., Thye, Woo Keng, Clinical Nephrology. Singapore University Press, 2003.
Die bedeutendsten Arbeiten von Dr. Bright zum Thema sind (laut Dr. Roscoe):
- Bright, Richard, Reports of Medical Cases Selected with a View of Illustrating the Symptoms and Cure of Diseases by a Reference to Morbid Anatomy. London: Longmann Ries, 1827
- Bright, Richard. "Cases and observations, illustrative of renal disease accompanied with the secretion of albuminous urine." In: London Medical Gazette 18 (1835-36): pp. 72-74.
- Bright, Richard. "Cases and observations, illustrative of renal disease accompanied with the secretion of albuminous urine." In: Guy's Hospital Reports 1 (1836): pp. 338-379.
- Bright, Richard. "Tabular view of the morbid appearances in 100 cases connected with albuminous urine, with observations." In: Guy's Hospital Reports 1 (1836): pp. 380-400.
- Bright, Richard. "Cases and observations, illustrative of renal disease accompanied with the secretion of albuminous urine. Memoir the second." In: Guy's Hospital Reports 5 (1840): pp. 101-161.
- Bright, Richard. "Letter concerning the pathology of the kidney." In: London Medical Gazette 29 (1841-42): pp. 707-708.
- Bright, Richard. "Account of the observations made under the superintendence of Dr. Bright on patients whose urine was albuminous." In: Guy's Hospital Reports new series 1 (1843): pp. 189-316.
Grüße
CB
PS: Der Begriff „Bright’s Disease“ feiert in Internetzeiten eine kuriose Renaissance, v.a. in mehr oder minder dubiosen Selbsthilfeboards. Ich hab das mal ein bißchen recherchiert – „Bright’s Disease“ war eine recht häufige Todesursache auf Sterbeurkunden in den Jahren zwischen ca. 1835 und 1940 (z.B. hier:
http://politicalgraveyard.com/death/kidney.html ). Seitdem Ahnenforschung „in“ ist (ein von den Mormonen aus religiösen Gründen angestoßener Trend), entdecken viele Amerikaner, daß ihre Vorfahren an „Bright’s Disease“ verstorben sind – und daß das wohl erblich sein soll....
PPS: Falls noch Näheres gewünscht, einfach posten.