Autor Thema: BEGEGNUNG MIT DEM SERIENMÖRDER von Stephan Harbort  (Gelesen 34882 mal)

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Offline Isdrasil

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Hi

Ihr kennt mich – ich fang immer mal wieder mit Harbort an. Kann halt nicht anders, auch wenn es etwas Off-Topic ist…man möge es mir verzeihen.  :icon_mrgreen:

Am 15. August wird nun sein neues Buch erscheinen:

Begegnung mit dem Serienmörder – jetzt sprechen die Opfer

Ich bin mir sicher, dass dies ein sehr interessantes und lesenswertes Werk wird – ist doch Harbort der erste Autor, der das Phänomen Serienmord aus Opfersicht entschlüsseln wird. Aus diesem Grunde wird es sich in meinen Augen auch um ein sehr wichtiges Buch handeln, denn durch die Berichte der überlebenden Opfer werden wir Einsicht in richtige Verhaltensweisen erhalten und der Leser neben dieser völlig neuen Perspektive unbewusst auf den Ernstfall vorbereitet. Die bisher vernachlässigte Wechselbeziehung Täter-Opfer und Opfer-Täter spielt nach wie vor bei jeder Tat eine äußerst wichtige Rolle und sollte mehr beachtet werden…
Harbort wird dies nun endlich angehen, und ich habe zugegebenermaßen hohe Erwartungen an das Buch – aber ich bin mir sicher, dass sie nicht enttäuscht werden.

Eine genaue Rezension folgt noch, wenn ich das Buch gelesen habe.
« Letzte Änderung: 15.07.2008 14:40 Uhr von Isdrasil »

Offline Isdrasil

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Re: BEGEGNUNG MIT DEM SERIENMÖRDER von Stephan Harbort
« Antwort #1 am: 15.07.2008 14:33 Uhr »
Und hier ist noch eine kleine Leseprobe daraus, mit freundlicher Genehmigung von Herrn Harbort. Für mehr Infos kann man gerne seine Website besuchen:
www.stephan-harbort.de

KAPITEL 1

Serienmörder und ihre Opfer sind zum Zeitpunkt der Tat keineswegs autark, sondern durch die Brücke der Gewalttätigkeit untrennbar miteinander verbunden - erst ihr Verhältnis zueinander und ihr Verhalten untereinander formen das Verbrechen.
 
Es passt einfach alles zusammen: Endlich Wochenende, die Sonne scheint vom nahezu wolkenlosen Himmel herab, angenehme 26 Grad, der Frühsommer hat nun auch Hamburg erreicht. Bianca Möbus und Bernd Hartung schlendern eng umschlungen durch den Öjendorfer Park, ein weitläufiges Waldgebiet zwischen den Außenbezirken Jenfeld und Öjendorf. Die frisch Verliebten sind auf der Suche nach einer abgelegenen Stelle, sie wollen allein sein und möglichst nicht gesehen werden. Bianca, gerade 24 Jahre alt geworden, wohnt noch bei ihren Eltern. Die bildhübsche, aufgeschlossene, unternehmungslustige junge Frau studiert Architektur und jobbt nebenher als Fotomodell. Ihr vier Jahre älterer Freund kommt gebürtig aus Köln und lebt seit zwei Jahren in Hamburg, wo er als Informatiker arbeitet.
Zu dieser Zeit kann das Pärchen nicht ahnen, dass es sich mit jedem Schritt einem Jagdgebiet nähert. Dieses Revier kennt und nutzt indes nur jener Mann, der sich dort regelmäßig aufhält, vornehmlich an Wochenenden, wenn Ausflugswetter junge Spaziergängerinnen, Joggerinnen oder Radfahrerinnen in den Wald lockt. Der Mann stellt diesen Frauen dort nach - um sie zu überfallen, zu foltern und zu vergewaltigen, falls erforderlich, auch zu töten.
Bianca und Bernd sind jetzt vielleicht noch zwei Kilometer von jenem Ort entfernt, den Ralf Hollerbach als Ausgangspunkt für seine Jagdausflüge nutzt. Sein Lagerplatz liegt abseits von Wald- und Wanderwegen, wird von Bäumen, Ästen und dichtem Gestrüpp umgeben und ist auch aus geringer Entfernung kaum auszumachen - ein idealer Unterschlupf. Gerade ist der 36-jährige Bürokaufmann damit beschäftigt, seine braune Einkaufstasche zu leeren. Zum Vorschein kommen eine schmuddelige Decke, ein blauer Jeans-Anzug, Turnschuhe; und schließlich sein Handwerkszeug: Gasrevolver, Machete, Schere, Schnüre, Heftpflaster. Er zieht seine Alltagsklamotten aus und die Jagdbekleidung an. Den Gasrevolver steckt er in den Hosenbund, die Machete befestigt er am Gürtel. Dann beginnt er seinen Beutezug.
Hollerbach läuft kreuz und quer durch den Wald, streift am Ufer des Öjendorfer Sees umher. Ihm begegnen auch einige Frauen, mal allein, mal mit Hund, mal in Begleitung. Doch er ist wählerisch, er hat exakte Vorstellungen von seiner Beute. Würde er sich eine Frau greifen, die nicht nach seinem Geschmack ist, er hätte keinen echten Genuss dabei. Es muss "Klick" machen, sein perverses Verlangen will ansprechend bedient werden. In all den Jahren hat er zudem gelernt, auf seine Chance zu warten - gespannt und gewaltbereit, vor allem aber geduldig.
Es ist gegen 18.30 Uhr, als Bianca und Bernd sich auf den Rückweg machen. Ein wunderbarer und erfüllter Tag neigt sich dem Ende entgegen. Als die beiden Hand in Hand Richtung Parkplatz marschieren, kommt ihnen Hollerbach entgegen. Er ist immer noch auf der Jagd. Er bemerkt das Paar, mustert es. Dann kleben seine Augen nur noch an Bianca. Sie sieht genau so aus, wie sie aussehen soll: dunkelblondes Haar, schulterlang, in der Mitte gescheitelt, hellblaue Augen, schlank, feminin. Genau diese Frau hat er im Kopf, wenn er phantasiert, wie sie sich gegen ihn verzweifelt wehrt, wie er sie auf dem Rücken eines Pferdes festbindet, wie er immer wieder mit einem Stock auf ihren nackten Po schlägt und wie er sie schließlich brutal missbraucht. Er will sie haben. Er muss sie haben. Jetzt!
Während Bianca und Bernd sich angeregt unterhalten und Hollerbach kaum wahrnehmen, schmiedet der einen Plan: das Pärchen erst vorbeilaufen lassen, dann sofort kehrtmachen, es von hinten ansprechen, mit dem Gasrevolver bedrohen, beide zum Lagerplatz verschleppen, den Mann fesseln - und dann sie!
Einige Augenblicke später. Hollerbach ist jetzt nur noch etwa fünf Meter hinter seinen Opfern. "Hey! Umdrehen!", zischt er. Bianca und Bernd drehen sich tatsächlich um.
Hollerbach richtet den Gasrevolver auf das Pärchen: "Keinen Mucks! Mitkommen!"
Bianca und Bernd schauen sich verdutzt an. Bernd versucht, die Situation zu entschärfen: "Mach doch keinen Blödsinn."
"Schnauze! Ich sag's nicht noch mal! Mitkommen!" Hollerbach kommt einen Schritt näher.
"Lass doch den Quatsch." Bernd hebt beschwichtigend die Hände. "Wir machen es so: Du haust einfach ab, und wir vergessen das Ganze. Okay?"
Hollerbach schweigt. Er steht einfach nur da. Ihm ist anzusehen, dass er nicht recht weiß, was er weiter tun soll.
Bernd erkennt die Unschlüssigkeit und die Unsicherheit des Unbekannten, der auch bewaffnet keine ernstzunehmende Bedrohung zu sein scheint. Er macht einen Schritt auf Hollerbach zu und wird energischer: "Es reicht jetzt! Mach bloß, dass du wegkommst!"
Plötzlich krachen drei Schüsse, kurz hintereinander. Hollerbach hat auf Bernd geschossen, der aber bleibt unverletzt und unbeeindruckt. Er versucht, nach Hollerbach zu treten. Der weicht einige Meter zurück und zieht wild entschlossen seine Machete: 58 Zentimeter lang, sieben Zentimeter breit, etwa 700 Gramm schwer. Bianca schreit einmal laut auf. Dann versagt ihr die Stimme.
Hollerbach will nicht nachgeben, nicht aufgeben, nicht jetzt, nicht so kurz vor dem Ziel. Nein! Er glotzt noch einmal kurz zu Bianca hinüber, sein Gesicht gerät zu einer grotesken Grimasse. Schließlich stürmt er unvermittelt und blitzschnell auf Bernd los und spaltet ihm mit einem wuchtigen Hieb den Schädel. Bernd stöhnt leise, hält eine Hand auf die stark blutende Wunde, versucht noch zu flüchten; Hollerbach aber setzt nach und stößt immer wieder zu, blindwütig, erbarmungslos. Auch als Bernd schon am Boden liegt und keine Gefahr mehr darstellt, Hollerbachs perversen Plänen nicht mehr im Wege stehen kann, hört er nicht auf. Er schlägt auf den Sterbenden ein, als würde er Holz hacken. Schon Sekunden darauf ist Bernd tot. Der Gerichtsmediziner wird später mindestens 20 erhebliche Hiebwunden im Bereich des Kopfes feststellen. Hollerbach steht neben dem Toten und betrachtet ihn eine Weile. Wieder ist er unschlüssig, was nun geschehen soll. Die sexuelle Spannung ist während dieses Gewaltexzesses in sich zusammengefallen. In seinem Kopfkino ist das nicht vorgesehen. Hollerbach kann sich nicht mehr stimulieren. Es ist vorbei.
Er wendet sich Bianca zu. Sie steht da wie versteinert, unfähig, etwas zu sagen oder etwas zu tun. Sie will weglaufen, aber sie kann nicht. Sie will schreien, aber sie bringt keinen Laut heraus. Sie starrt nur ungläubig auf Bernds grässlich zugerichteten Leichnam.
Eben noch ist Hollerbach sogar bereit gewesen, für Bianca zu morden. Er hat sie besitzen wollen. Das ist nun anders. Wut und Hass brechen sich ihre Bahn. Je länger er die vollkommen verängstigte Frau anstarrt, desto stärker wird der Wunsch, auch sie zu bestrafen. Und ihm wird klar, dass Bianca alles mitangesehen hat. Er kann sie jetzt nicht einfach gehen lassen. Er muss nicht lange überlegen, was nun zu tun ist. Die Machete hocherhoben, stürzt er sich wortlos auf Bianca, die kurz darauf zusammensackt, nach unzähligen Hieben gegen Kopf und Hals tödlich verwundet.
Hollerbach läuft zurück zu seinem Lagerplatz, zieht sich um, versteckt Gasrevolver und Machete unter einem Baumstamm. Danach kehrt er an den Tatort zurück, zieht die Leichen bergabwärts in dichtes Gebüsch und Unterholz. Die großen Blutlachen auf dem Weg deckt er mit Sand ab. Dann macht er sich auf den Heimweg.
Samstag, 20. August 1993, gegen 13 Uhr - etwa zweieinhalb Jahre später.
Das freundliche Sommerwetter treibt viele Menschen hinaus in die Natur. Auch Anja Bassewitz radelt von ihrem Appartement im Hamburger Stadtteil Wandsbek aus los, ihr Ziel ist der Öjendorfer Park, etwa sechs Kilometer Luftlinie entfernt. Die 19-jährige Studentin, die erst seit einem dreiviertel Jahr in Hamburg wohnt, weiß nicht, dass dort ein mysteriöser Doppelmord verübt worden ist, der bisher nicht aufgeklärt werden konnte, dessen Motiv rätselhaft geblieben ist.
(Anja) "Ich fuhr zunächst nach Billstedt, weil ich dort etwas erledigen wollte. Das dauerte aber nicht so lange, und ich machte mich auf den Weg nach Öjendorf. Ich fuhr an der alten Försterei vorbei in Richtung Öjendorf. So gegen 13.45 Uhr stellte ich mein Fahrrad in der Ortsmitte von Öjendorf ab. Ich ging eine Straße entlang bis kurz vor die Gaststätte ‚Öjendorfer Treff'. Dort bog ich nach links in eine geteerte Straße ein, die über Wiesen bis zum Wald führt. Dann ging ich weiter in den Wald hinein."
Hollerbach kann und will jetzt nicht mehr widerstehen. Schon seit Monaten zieht es ihn wieder hinaus in sein Revier, das er seit den Morden an Bianca Möbus und Bernd Hartung nicht mehr betreten hat. Die grausame Tat hat ihn jahrelang beschäftigt, an seiner Seele gezerrt, einen dunklen Schatten geworfen, dem er nicht enteilen konnte. Die Ärzte sind ratlos, sie finden keine biologische Ursache für sein Gelenkrheuma, nur er selbst ahnt, warum sein Körper so ungewöhnlich heftig reagiert. Doch jetzt verblasst allmählich die unheilvolle Erinnerung, dafür flammen seine überwunden geglaubten Phantasien wieder auf: sich junger Frauen bemächtigen, sie fesseln, quälen, vergewaltigen.
(Hollerbach) "Ich bin mit dem Zug in die Nähe von Öjendorf gefahren und war so etwa gegen 12.30 Uhr dort. In einem Geschäft habe ich mir etwas zu essen gekauft, Brötchen und Rippchen. Danach bin ich eine Straße hinuntergelaufen bis zu einem Bach und den Bach entlang bis zu einem Abenteuerspielplatz. Ich hatte eine schwarze Tasche dabei. Darin waren die Machete, eine Art Fahrtenmesser, Heftpflaster, Präservative, eine grüne Wäscheleine und ein blauer Trainingsanzug mit weißen Streifen."
Hollerbach will endlich wieder jagen, er durchstöbert gezielt bestimmte Waldgebiete, sein Revier. Auch Anja kennt sich im Öjendorfer Park mittlerweile gut aus, sie ist häufiger dort, um spazieren zu gehen oder zu joggen.
"Ich wollte zur Elisenhöhe gehen. Ich ging zuerst ein Stückchen quer durch den Wald, um Brombeeren zu pflücken. Später kam ich auf einen Weg, der auf eine große Wiese führt. An diesem Platz stehen einige Bänke. Außerdem zweigen da mehrere Wege ab. Einer davon führt nach Barsbüttel, einer nach Oststeinbek, und einer führt zur Elisenhöhe.
Ich setzte mich auf eine der Bänke und ruhte etwas aus. Dabei beobachtete ich zwei Kinder, die dort auf Pferden ritten. Auf den Bänken saßen keine Leute, dafür aber auf der Wiese. Etwa eine Stunde blieb ich dort sitzen und ging schließlich weiter in Richtung Elisenhöhe."

"Vom Kinderspielplatz aus lief ich weiter in Richtung Hirschbrunnen. Das war am frühen Nachmittag. Bis dahin ist mir niemand begegnet. Vom Hirschbrunnen bin ich die steile Stiege hoch gelaufen bis zu einer kleinen Hohlgasse, in der Pferdespuren zu sehen waren. Diesen Hohlweg bin ich bergwärts hochgegangen, bis er in einen breiteren Weg mündet. Darüber sind nochmals zwei kleinere Hohlwege, die sich gabeln. Einen dieser Wege bin ich gegangen. Irgendwann kam ein breiter Weg, und ich bin rechter Hand weitergelaufen. Nach einer Weile bin ich links ab in den Wald. Da habe ich Halt gemacht. Ich habe meine Decke ausgebreitet, mich hingesetzt und die Rippchen gegessen. Danach habe ich den Trainingsanzug angezogen. Ich habe mich umgeschaut und mit der Machete einige Zeichen in die Bäume geschlagen. Diese Markierungen habe ich angebracht, um an diesen Platz wieder zurückfinden zu können. Danach bin ich losgelaufen."
"Nach etwa 15 Minuten kam ich an eine Abzweigung. Das ist mehr so ein Trampelpfad, der zum Lübecker Kreuz führt. Diesen Weg bin ich hoch und habe am Lübecker Kreuz erneut gerastet. Vielleicht zehn Minuten später ging ich den Weg zurück, der wieder auf die Straße führt, in diese Richtung geht es auch zur Elisenhöhe. Der Weg ist etwas abschüssig und endet an einer Kreuzung, dort sind eine Bank und eine Wanderhütte. Ich setzte mich auf die Bank und ruhte wieder aus."
"Ich bin diesen Abhang rauf und runter gelaufen und irgendwann auf den Weg zu dieser Hütte gekommen. Als ich dort ankam, habe ich gesehen, dass sich da auf der Bank etwas bewegte. Mit der Zeit konnte ich erkennen, dass es eine Frau war. Sie war ungefähr 20 bis 25 Jahre alt, hatte kurzes, bräunliches Haar, normale Figur. Und sie war kleiner als ich. Als ich sie so angesehen habe, da kamen mir diese Gedanken, die ich in den Tagen und Wochen vorher schon gehabt hatte. Weil ich nichts dabei hatte, bin ich zurück zu meinem Lagerplatz, habe die Machete und das Messer genommen und bin wieder zurück zur Hütte gelaufen."
"Ich saß so fünf Minuten auf der Bank - es war weit und breit kein Mensch in der Nähe -, da rannte ein Waldläufer an mir vorbei. Der Mann kam den Weg entlang, den ich zuvor gegangen, dann aber abgebogen bin, um zum Kreuz zu gehen. Er rannte an mir vorbei und lief halbrechts auf einem Waldweg weiter. Ich habe nicht besonders auf ihn geachtet, und er hat mich auch nicht angesehen.
Ein paar Minuten später kam urplötzlich hinter mir aus dem Gebüsch ein Mann raus gesprungen und forderte mich auf: ‚Los, komm mit! Es muss schnell gehen, es darf uns keiner sehen!' Der Mann stand direkt hinter mir, sein Gesicht habe ich nicht gesehen. Ich habe lediglich an der Stimme erkannt, dass es ein Mann war."

Stordfield

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Re: BEGEGNUNG MIT DEM SERIENMÖRDER von Stephan Harbort
« Antwort #2 am: 15.07.2008 21:22 Uhr »
Hallo !

Danke , Isdrasil . Durch Dich bin ich ja mehr oder weniger auch zum Harbort - Fan geworden . Dieses Buch muß ich haben !

Gruß Stordfield

Offline Isdrasil

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Re: BEGEGNUNG MIT DEM SERIENMÖRDER von Stephan Harbort
« Antwort #3 am: 15.09.2008 20:14 Uhr »
Und wie versprochen hier eine Rezension:

Die Frage nach den Ursachen einer Tat wird meist nur aus Tätersicht zu entschlüsseln versucht. Woher kommt der Drang des Mordens? Welche Motive werden verfolgt? Wie kann man diesen Taten vorbeugen?
Ein wichtiger Aspekt wird dabei zuhauf schlichtweg vergessen oder einfach negiert: Die Rolle des Opfers in der Geschichte eines Mordes.
Dabei gerät man oftmals leider in das gleiche Verhaltensmuster des Täters an sich, in dem man die Opfer zu willenlosen Objekten degradiert, sie nach dem Drehbuch des Täters handeln lässt und ihre Rolle zu einer unwichtigen Facette eines weitreichenden Komplexes aus Kausalitäten verkommen lässt.
Die Realität hingegen spricht eine ganz andere Sprache: Die Rolle des Opfers spielt eine ebenso wichtige Rolle wie die des Täters – in Hinsicht auf das bloße Ergeignen der Tat, den Ablauf und zuguterletzt dem Ausgang des mörderischen Spiels.

Stephan Harbort hat sich in seinem neuesten Buch dieser vernachlässigten Rolle angenommen und ging auf Spurensuche – dabei beschäftigten Ihn vor Allem die Fragen: Weshalb gerade diese Opfer? Gibt es eine Gemeinsamkeit, einen kleinsten gemeinsamen Nenner, auf die man den Opfertypus reduzieren kann? Welches Verhalten verwirrt den Täter? Welches stachelt ihn an?
Als Randpunkte dienten ihm zahlreiche Interviews mit Tätern und Überlebenden. Das Spektrum reicht dabei von lang vergangenen Seiren wie die des "Vampirs von Düsseldorf" Peter Kürten bis hin zu zeitgenössischen und hochaktuellen, teils noch ungelösten Mordserien. Auch die tödlich ausgegangenen Taten wurden dabei berücksichtigt und in die Auswertungen eingewoben. Die Auswertungen selbst und die damit verbunden gewonnenen Daten werden in einem sehr ausführlichen Anhang dargestellt, wie von Harbort gewohnt akribisch aufbereitet und übersichtlich sortiert.

Das Buch „Begegnung mit dem Serienmörder“ erinnert teilweise an einen Roman, so fesselnd beschreibt Harbort die einzelnen Taten und lässt den Leser an den Gedanken und der Psyche der Beteiligten teilhaben. Man erfährt, dass Motive und Tatvorgänge verschlungenen und hochkomplexen Regeln folgen, oftmals der Tatbeginn nicht gleichbedeutend mit einem „gelungenen“ Tatausgang gleichzusetzen ist. So werden manche Taten akribisch geplant und benötigen ein wochenlanges „Vorspiel“, während andere völlig spontan erfolgen und manchmal den Täter selbst überraschen. Eine entscheidende Rolle spielt auch hier wieder das Opfer.

Harbort filtert aus den verschiedensten Mordserien Opfertypen heraus und teilt diese in sechs Hauptgruppen auf, die nachfolgend in den einzelnen Kapiteln angesprochen werden. Die Beschreibungen aus den Interviews der Überlebenden gehen dabei teils tief unter die Haut. Man erfährt, wie aus Lebenslustigen traumatisierte Menschen wurden, wie aus Selbstbewussten Ängstliche. Das Schrecken wird an manchen Passagen extrem greifbar, so daß man sich nur noch wünschen kann, niemals in eine derartige Situation zu geraten. Besonders interessant und berührend fand ich den Fall eines Mannes und seines Freundes, die urplötzlich und ohne ersichtlichen Grund von einem Serientäter überfallen wurden. Der Mann konnte fliehen, sein Freund wurde regelrecht hingerichtet. Der Kampf des Mannes, wieder in den Alltag zurück zu finden, die Wunden, die geblieben sind und manchmal von dem Opfer selbst nicht mit diesem Ereignis in Verbindung gebracht werden, die Alpträume und schlaflosen Stunden – all dies schockiert. Hat man tatsächlich immer „Glück“, einem Serienmörder entronnen zu sein? Macht dies die Tat weniger grausam?
Eine besonders schwer verdauliche Tatsache ist zudem, dass Opfer meist mit ihrem Schicksal alleine gelassen werden, während manche Täter eine umfassende psychologische Betreuung und Resozialisierungsmaßnahmen erfahren – paradox. 

Was Opfer am Ende verbindet? Herzlich wenig. Lediglich die Tatsache, dass alle dachten: Mir passiert so etwas nicht. Serienmörder? Die gibt es hier bei mir nicht.
Jeder kann Opfer werden, er muss nur dem richtigen Täter begegnen und in dessen individuelles Schema passen.

Die Aufklärung bezüglich richtigen Verhaltens der Opfer liegt Harbort merklich am Herzen, und auch wenn am Ende kein endgültig richtiges Verhalten gefunden werden kann, so wird dem Leser und der Leserin doch das Gefühl vermittelt, nun besser auf die Situation vorbereitet zu sein; auf das Unerwartete, weit Entfernte, auf die „Begegnung mit dem Serienmörder“.

Mein Fazit: Ein wichtiges Buch - nicht nur in Hinsicht auf die vernachlässigte "Viktimologie", sondern auch als Aufklärungsbuch zu verstehen. In meinen Augen ist es nicht nur Kriminologie-Interessierten zu empfehlen, sondern dient auch als gute Ergänzung zu Selbstverteidigungskursen oder als wichtige Lektüre innerhalb dieses Spektrums. Insofern würde ich das Buch schlichtweg beinahe Jedem/r an`s Herz legen! Und so leid es mir auch tut - zu Meckern gibt es hier wirklich nichts...  :icon_wink: 

Zu beziehen unter Anderem bei Amazon.

PS: Inzwischen ist sogar noch ein weiteres Buch von Harbort erschienen: Wenn Frauen morden - vom Gattenmord bis zur Serientötung.
« Letzte Änderung: 15.09.2008 20:26 Uhr von Isdrasil »