Vielleicht ist es ein wenig ungewöhnlich, daß ich hier an dieser Stelle ein Buch wie das folgende darstellen möchte, doch ich werde erklären, warum ich das tue.
Name:
Merkwürdige Verbrechen - sechzehn KriminalgeschichtenAutor:
Anselm von Feuerbach
Anselm von Feuerbach (1775 bis 1833) war von Beruf Gerichtspräsident am Appelationsgericht von Ansbach. (Als solcher erlangte er Bekanntheit durch seine Untersuchungen im Fall Kaspar Hauser.) Er hatte eine Position inne, die mit dem heutigen Amt des Staatsanwaltes vergleichbar ist, und zu seinen Aufgaben gehörte die amtliche Untersuchen von Mordfällen, die sich in in jener Gegend ereigneten. Im Jahre 1809 griff er zur Feder und legte in zwei Bänden sechzehn Mordfälle vor, die er zu großartigen Erzählungen zusammenfaßte. Was das Buch für einen Laien der Kriminologie (vielleicht auch für einen Fachmann) so lesenswert macht, die Art, mit der diese Kriminalfälle dargelegt werden. Die Schritte der Untersuchung werden ebenso nachvollziehbar dargelegt wie der Tathergang, dabei werden Opfer und Täter in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt.
Man merkt, daß Feuerbach sich immer wieder die Frage gestellt hat, was einen Menschen dazu bewegt, einen anderen Menschen zu töten, und am Ende der Ermittlungen, wenn der Täter längst gefaßt und seiner verdienten Strafe zugeführt ist, ist es dieses Rätsel, welches er zu lösen versucht. Dabei dringt er mit seinen Reflexionen tief in die Psyche des Täters ein. Mit unglaublicher Klarheit erfaßt er die unterschiedlichen Motive und führt sie zurück auf das Seelenleben dieses einen Menschen. Und gerade das ist es, was Feuerbach wahrhaft zumn Begründer der Kriminalpsychologie macht.
In Feuerbachs Buch begegnet man Giftmischern, Strangulieren, Kindsmörderinnen und Serientätern. Es ist mehr als ein beeeindruckendes Dokument der Kriminalgeschichte, es ist ein Pandämonium menschlicher Verfehlungen, eine Sammlung des Grauens, und die Schilderungen, die Feuerbach von den Opfern liefert, sind von solcher Genauigkeit, das kein Lichtbild nötig ist, um einen Schauer zu empfinden.
Die Erzählungen dieses Buches wurden verfaßt nur wenige Jahre, nachdem Friedrich Schiller mit der Erzählung "Verbrecher aus verlorener Ehre" die erste Kriminalgeschichte der Neuzeit schrieb. Beiden Autoren, Schiller und Feuerbach, ist gemein, daß sie sich Themen widmeten, die der Wirklichkeit entnommen waren und auf realen Ereignissen basierten. (Anmerkung: Schiller schrieb in obengenannter Erzählung über den berühmt-berüchtigten Schinder-Hannes.) Sie taten damit nichts geringeres, als die Deutsche Kriminalliteratur zu begründen, und es ist noch immer bedauerlich, daß sich in der damilgen Zeit keiner fand, der ihnen nacheifert, so daß man die "Erfindung der modernen Kriminalgeschichte" schließlich Edgar Alan Poe überlassen mußte.
Das Buch, so wie es mir vorliegt, ist 1993 im Eichborn Verlag erschienen, nachdem es in der Anderen Bibliothek von Hans Magnus Enzensberger herausgegeben wurde. Leider ist es nur noch antiquarisch erhältlich, aber zu gediegenen Preisen (siehe
www.zvab.de). Es ist eine höchst spannende und anregende Lektüre, ein Buch, ebenso geeignet für einen Tag am Strand wie für einen Abend am Kamin. Ich kann es jedem, der Kriminalerzählungen mag und der sich für die Geschichte der Kriminologie und für Kriminalpsychologie interessiert, nur wärmstens ans Herz legen.