Autor Thema: Stammkunden/Vorsichtsmaßnahmen  (Gelesen 6498 mal)

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Cassie92

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Stammkunden/Vorsichtsmaßnahmen
« am: 18.02.2019 22:17 Uhr »
Hallo

Ich bin neu hier . Ich bin seit meiner Kindheit fasziniert von dem Fall JtR.

Ich habe da mal so einen Gedanken gehabt. (Und bitte zerfetzt mich dafür bitte nicht  :biggrin: ) Die Frauen wussten ja dass ein Serienmörder unterwegs war. Wäre es nicht sinnvoller gewesen auf Z.B. mögliche Stammkunden umzusteigen währen der Ripper unterwegs ist? Ich mein,auch wenn Alkohol im Spiel war,hat man in so einer Situation doch trotzdem noch das berühmt berüchtigte Bauchgefühl. Beispiel: ich würde abends ordentlich einen Bechern und müsste dann z.b. nachts durch irgendwelche Gassen gehen, würde ich doch in der Situation (ein Mörder läuft frei in der Stadt rum) so ein ungutes Gefühl haben,dass ich jemand bekannten bitten würde mich zu begleiten. Oder in dem fall nur bekannte Freier zu bedien,auch wenn es finanzielle Einbußen gegeben hätte. Mindestens  2 der Opfer hatten doch Kinder.  Da hätte man doch auf Nummer sicher gehen können,oder? Die Damen waren ja jahrelang im Geschäft.  Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen,dass sie keine "Stammkunden" hatten. Naja es war nur ein Gedanke.  Würde mich uber eure Meinungen freuen.

Offline Arthur Dent 2

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Re: Stammkunden/Vorsichtsmaßnahmen
« Antwort #1 am: 19.02.2019 00:47 Uhr »
Hi Cassie92, willkommen im Forum!

Das ist durchaus eine gute Frage - zumindest was die zweite Hälfte der Morde angeht, als klar geworden war, dass hier ein Serienkiller unterwegs war.

Das Leben dieser armen Frauen war schon vor JTR hart: Seine Opfer waren (bis auf Mary Jane Kelly, die in einem kleinen Zimmer zur Miete wohnte) alle völlig mittellose Obdachlose, die in Armenunterkünften schlafen mussten, wo für jede Nacht Vorkasse gefordert wurde. Hatten sie das Geld nicht, mussten sie auf der Straße übernachten, was nicht ungefährlich war. Und was ihr Essen anging, so mussten sie im wahrsten Sinne des Wortes tagtäglich von der Hand in den Mund leben. Somit blieb ihnen letztendlich kaum etwas anderes übrig, als täglich irgendwie zu einem bisschen Geld zu kommen - und wenn nichts anderes klappte, blieb eben nur das schnelle Sexgeschäft, um noch einen Schlafplatz oder was zu essen bezahlen zu können. Besonders wählerisch zu sein und nur auf bekannte Kunden zu setzen konnten sie sich da wohl kaum leisten.

Für die ersten Opfer von JTR - Nichols und zuvor vermutlich Tabram - können wir daher davon ausgehen, dass sie das Risiko mitzugehen noch nicht wesentlich größer einschätzten als sonst auch: Es war schließlich eine ständig vorhandene Gefahr, von einem brutalen Freier verletzt oder ausgeraubt zu werden. Und wer rechnet schon damit, wie Tabram im Treppenhaus eines voll bewohnten Mietshauses ermordet zu werden, mit Dutzenden von Menschen nur ein paar Schritte entfernt, wo man in der Nacht alles hören und jederzeit eine Tür aufgehen konnte. Oder wie Nichols auf offener Straße, wo jederzeit jemand aus einem Fenster gucken oder vorbeikommen konnte - vielleicht sogar ein Polizist.

Erst als klar wurde, dass die Morde an Prostituierten mitten in der Öffentlichkeit sich häuften und dass sie vermutlich vom selben Täter begangen worden waren, dürfte die Angst der Frauen zu einem Überdenken ihres Risikoverhaltens geführt haben. Aber da war ja immer noch das Problem, die ganze Nacht draußen verbringen zu müssen, wenn sie nicht an Geld kamen - also sich die ganze Nacht auf dem Präsentierteller zu befinden.

Chapman dürfte wohl noch geglaubt haben, in dem Hinterhof des belebten Hauses mit 17 Bewohnern und zahlreichen Fenstern zum Hof relativ sicher zu sein, zumal bereits der Morgen anbrach und viele Leute im Viertel schon ihr Bett verließen.
Stride dürfte sich wohl in der doch noch recht belebten Gegend um die Berner Street halbwegs sicher gefühlt haben: Es war noch früh in der Nacht und im Berner Street Club war noch was los sowie im nahgelegenen Pub. Ein tödlicher Irrtum: Sie wurde in der Hofeinfahrt neben dem Club ermordet - nur die Außenwand des Gebäudes zwischen ihr und den Besuchern des Clubs.
Eddowes fürchtete wohl, von ihrem Mann verprügelt zu werden, wenn sie nicht wenigstens etwas Geld mitbrachte, nachdem sie sich den ganzen Tag herumgetrieben und alles versoffen hatte - sie sagte das ja dem Polizisten, der sie aus der Ausnüchterungszelle entließ, dass sie von ihm wohl eine Tracht Prügel zu erwarten hätte.
Kelly schließlich mag sich in ihrem kleinen Zimmerchen im Hinterhof in Hörweite ihrer Nachbarn halbwegs sicher gefühlt haben.


Darüber hinaus wissen wir ja auch gar nicht, wieviele der Gelegenheitsprostituierten nur deshalb kein Opfer von JTR wurden, weil er ihnen nicht vertrauenswürdig genug erschien und sie sich deshalb nicht mit ihm einließen. Vielleicht musste er ja mehrere ansprechen, bevor er endlich eine fand, die mit ihm ging.


MfG, Arthur Dent
« Letzte Änderung: 19.02.2019 01:09 Uhr von Arthur Dent 2 »

Offline Lestrade

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Re: Stammkunden/Vorsichtsmaßnahmen
« Antwort #2 am: 19.02.2019 10:19 Uhr »
Hallo Cassie92!

Inwieweit die Opfer die Situation wahrnahmen, darüber muss man wohl auch etwas spekulieren. Ärger mit Freiern oder anderen Personen wie Gangs waren an der Tagesordnung. Auch war bekannt, dass “Lederschürze“ sein Unwesen trieb bzw. mehrere Personen, die man unter dieser Kategorie einordnen dürfte. Zuhälter taten ihr übriges. Das Leben für Prostituierte war mehr als hart und mit allerlei Gefahren verbunden. Das Ausrauben, Erpressen oder Betrügen von Prostituierten fand genauso statt wie Gewalt an ihnen. Viele “Bordelle“ gab es, wo sich Prostituierte sicherlich wohler fühlten als auf der Straße.

Die Opfer des Rippers sind wohl auch nicht alle als Vollzeitprostituierte zu betrachten. Wieso und warum diese Frauen in die Prostitution abrutschten, kann man sich fragen und nach Antworten suchen. Nichols hatte schon vor langer Zeit ihre Familie verlassen, man bekommt den Eindruck, dass Sie mit den Eheproblemen und den Kindern überfordert war. Um zu überleben, blieb ihr die Prostitution. Das und der Alkohol und ihr insgesamt schlechter Gesundheitszustand sind doch einfach zu viel um noch rational zu denken, meine ich. Wie Arthur schon bemerkte, erst ab ihren Tod begann man die Situation in Whitechapel ernster zu nehmen. Das Opfer zuvor, Tabram, hatte offenbar eine ähnliche Geschichte hinter sich.

Den Ernst der Lage begriff man wohl erst richtig mit dem Mord an Chapman. Auch hier wieder eine ähnliche Lebensgeschichte, der Alkohol in ihrer Partnerschaft übernahm die Kontrolle. Wieder eine Frau, die nicht in der Lage war für ihre Kinder zu sorgen und auch wieder lange vor ihrem Tod. Mit Unterstützung und noch gutem Willen, hier und da, konnte Sie das Abrutschen in die Prostitution noch etwas hinauszögern, falls ich mich richtig erinnere. Und auch hier, der allgemeine Gesundheitszustand schon sehr schlecht.

Für den Ripper waren das leichte Opfer, Frauen denen nichts mehr übrig blieb. Jetzt wusste man, dass dieser Täter nicht aufhören wird, bis man ihn fasst. Aber wie viele potentielle Opfer waren in der Lage sich zu schützen, waren überhaupt in der Lage zu begreifen?

Alles änderte sich noch einmal mit der Nacht des Double Events. Stride hatte wieder einmal Probleme mit ihrem Partner, alles was Sie erlebte war ein Auf und Ab. Stride und Alkohol war keine gute Kombination, Sie machte eine Menge Ärger. Genau wie Eddowes, verdingte Sie sich wohl hin- und wieder als Haushaltshilfe. Ich habe den Eindruck, dass Sie durchaus etwas temperamentvoller war als die Opfer zuvor. Vielleicht auch eine Person, die aggressiver die Freier ansprach und möglicherweise nicht jeden nahm. War den Opfern vorher mittlerweile fast alles egal, schien Sie mir noch etwas mehr an Selbstbewusstsein zu haben. Kurz vor ihrer Ermordung vernahm Sie noch einen “Lederschürzen“ Spruch, sicherlich nicht nur wegen dieser Figur oder Figuren die bereits länger aktiv  waren, sondern wegen der, mittlerweile als Whitechapel Mörder bekannten Person, der ab jener Nacht mit der Bezeichnung Jack the Ripper in die Geschichte eingehen würde. Ihr traue ich zu, bereits etwas vorsichtiger gewesen zu sein aber genutzt hat es ihr auch nichts, vielleicht hatte Sie sich selbst überschätzt und ihren Standort als sicher eingeordnet, die Verbrechen vorher, fanden über der Hauptstraße statt.

Eddowes hatte bereits auch lange die Kinder bzw. Familie verlassen, mit ihrem aktuellen Partner kam Sie gerade von der Hopfenernte aus Kent zurück. Dennoch hatte Sie wohl vor, Geld von ihrer Tochter zu holen. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen. Alles Geld ging wohl für den Alkohol drauf, nebenher arbeitete auch Sie als Haushaltshilfe. Von den Morden hatte auch Sie gehört aber vielleicht fühlte Sie sich durch die kürzliche Rückkehr, noch gar nicht in die Geschehnisse involviert, fühlte noch eine gewisse Distanz und war vielleicht durch das vorher erlebte etwas “euphorisch“. Alle Opfer waren zur falschen Zeit am falschen Ort und Eddowes ganz besonders. Hätte Sie Stunden zuvor nicht auf der Aldgate High Street solche einen Terz gemacht, wäre Sie nicht in der Ausnüchterungszelle gelandet und nach dieser nicht direkt in die Hände des Rippers. Während dieser auf der Flucht aus der Berner Street war, versuchte Eddowes sich gerade wieder an die Luft draußen zu gewöhnen. Ich bin mir heute nicht mehr sicher, ob das Paar, welches Lawende sah, Eddowes und der Ripper war aber Sie ging mit ihren Mörder mit in die Ecke des Mitre Square. Mittlerweile war Sie nüchterner aber was hätte Sie auch tun können? Hatte sie den Schrecken der Morde an Tabram, Nichols und Chapman wirklich vor Augen gehabt? Ich denke nicht. 

Nach diesem Double Event sah eben alles anders aus. Bürgerwehren waren im Einsatz, die Polizei noch präsenter, Männer boten für Frauen ihren Schutz an. Es gab offizielle Ratschläge an Prostituierte. Die Situation war auch für den Ripper schwieriger geworden, wenn auch nicht aussichtslos. War er während des Oktobers weiterhin auf den Straßen, spürte er eine eindeutige Veränderung. Die Polizei krempelte in dieser Zeit die Gegend um und ich denke, dass sie auch den wahren Ripper befragt haben, etwas, was ihn bewegt haben könnten, ein wenig, seinen Umständen entsprechend, Piano Forte zu spielen. Oder aber, er war außer Gefecht. Nun, es vergingen einige Wochen. Nach der schnellen Abfolge zuvor, wird das wieder einige unvorsichtiger gemacht haben. 

Kelly hatte, den Angaben zufolge, Angst vor dem Ripper und interessierte sich dafür. Hier aber auch wieder Trennung vom Partner, Rückfall in die Prostitution, gelegentliche Alkohol Eskapaden. Wie viel Vorsicht ließ Sie aber tatsächlich walten? Wie sicher konnte sie sich fühlen? Nahm sie ihren Mörder mit in ihren Raum? Oder drang er ein? Ich bevorzuge letzteres, weil für mich einiges dafür spricht, dass sie liegend überrascht wurde, da offenbar ein Teil des Lakens während der ersten Attacke über ihr Gesicht gezogen wurde. Der Täter griff eher von hinten an, bedeutete wohl mehr Kontrolle über das Opfer für ihn. Diese Chance hätte er auch bei Kelly bekommen können.

Der Opfer- Täter Zusammenhang ist natürlich auch ein dynamischer Prozess gewesen und ehe ausreichend potentielle Opfer begriffen, was wirklich vor sich ging, hat es eben einige Zeit gebraucht, konnte aber letztendlich nicht alle mit einbeziehen, dafür waren Umstände und Bedingungen nicht förderlich. Und wer weiß, wie viele Prostituierte, durch bestimmte Maßnahmen, dem Ripper entkommen konnten. Tabram, Nichols, Chapman hatten sicherlich keine Chance, Stride könnte ihren Standort falsch eingeschätzt haben, Eddowes war sehr tragisch und bei Kelly wissen wir nicht, ob sie jenen Mann tatsächlich mit aufs Zimmer genommen hat.

Gruß, Lestrade.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...