Kölle Alaaf Lestrat…
Bei Aaron Kozminski wurden schon Zeichen von Gewalt festgestellt. Und zwar eine Bedrohung mit einem Messer gegenüber seiner Schwester und in der Anstalt wurde er bei einer Sitzung einmal gewalttätig und griff zu einem Stuhl oder ähnlichem.
Handelte es sich bei Kosminski um Aaron Kozminski, erfahren wir durch die Beamten auch noch folgendes:
he betrayed such undoubted signs of homicidal mania
was a homicidal maniac, temporarily at large
had strong homicidal tendencies
Wie man auch aus den Zitaten meines letzten Beitrages entnehmen kann, sieht es so aus, dass der Verdächtige zeitweise ganz normal war und dann wieder nicht, mal auf freien Fuß und dann mal wieder in Anstalten war. Sieht stark nach psychotischen Schüben aus.
Bei allem müssen wir bedenken, dass es nach seiner Verlegung von Colney Hatch nach Leavesden, zwischen 1894 und 1910, ca. 16 Jahre gar keine Unterlagen mehr einzusehen gibt. Aufzeichnungen finden wir dann wieder ab 1910 bis 1919, dem Jahr, in welchen Aaron Kozminski starb.
An den vorhandenen Unterlagen erkennt man aber eindeutig, dass Aaron Kozminski ein schwer geisteskranker Patient war, der immer mehr in einer anderen Welt abdriftete und lebte. Dieser Prozess veränderte ihn dermaßen (wie auch andere Patienten mit dieser Art Erkrankung) in Laufe der Jahre, dass er nicht mehr mit dem Menschen zu vergleichen war, der er einmal war. Es mag komisch klingen aber ich denke, wir haben es in den Jahren 1894, 1910, 1914 oder 1919 mit jeweils unterschiedlichen Personen zu tun, die nichts mit der Person 1888 oder 1891 zu tun hat. Demzufolge verändert sich auch das Verhalten. Davon abgesehen glaube ich kaum, dass ein Aaron Kozminski 1891, 1894 oder 1900 noch hätte weiter morden können. Schlicht und einfach: Er hätte es nicht mehr auf die Reihe bekommen.
Davon abgesehen wissen wir nicht, was in diesen “verschwundenen“ Unterlagen steht. Der Ripperologe und Aaron Kozminski- Experte Robert House war und ist diesbezüglich ja immer noch offensichtlich am nachforschen. Stell Dir vor, man findet diese verschollenen Dokumente und erfährt in diesen Akten Hinweise auf Aaron Kozminski´s Identität als Jack the Ripper. Täterwissen oder Sätze wie “Ich bin Jack the Ripper“. Für einen Verdächtigen dieser Art, wäre das eine fatale Entdeckung bezüglich seiner etwaigen Schuld. Vielleicht sind diese Unterlagen deshalb weg oder einfach nur so, wir wissen es nicht.
Immer vorausgesetzt, es handelte sich bei Kosminski um Aaron Kozminski, dann war er zur Zeit der Morde auf freiem Fuß. Würde bedeuten, dass er vor dem Herbst 1888 bereits einmal oder wieder in einer Anstalt war. Um März 1889 muss er dann wieder in einer Anstalt gewesen sein, wahrscheinlich stets in einer privaten. Im Dezember 1889 war er aber wieder auf freiem Fuß (Hundevorfall). Ich halte es für möglich, dass er nach seinem dreitägigen Workhouse Aufenthalt im Juli 1890 erneut in eine private Anstalt kam, aus der man ihn dann “with difficulty in order to subject him to identification“ herausholte und in das Seaside Home zur Gegenüberstellung brachte. Da ging er auch wieder zurück, solange, bis er wieder zum Bruder kam und von da aus dann letztendlich nach Colney Hatch (1891), diesmal einer staatlichen Anstalt, genau wie später Leavesden (1894), aus denen er auch nie wieder entlassen wurde. Möglich gemacht haben könnte es erst diese spätere möglich Identifikation durch einen Zeugen, bei dem Kosminski sogar selber mitbekam, dass er überführt wurde: “and he knew he was identified“
Ab diesem Moment hätte die Polizei tatsächlich so viel Druck ausgeübt haben können (auf die Familie), dass er endlich von private in staatliche Hände kam. Der Zeuge hätte ja jederzeit widerrufen können, dass er nun doch vor Gericht schwören möchte. Wer hätte das einschätzen können? Und dann wäre Kosminski zum Tode verurteilt worden. Zu dieser Zeit hätte man dann wohl auch schon einen Menschen hingerichtet, der nicht mehr zurechnungsfähig gewesen war. Wäre das im Sinne von Anderson gewesen, einen Juden hinzurichten, der geistig immer mehr von diesem Planeten wich? Es sei nicht zu vergessen, dass mit Israel Cohen ein Rabbi in der Familie der Kozminski existierte, der sicherlich etwas Einfluss hatte. Wichtig ist auch zu wissen, dass eine Korrespondenz belegt, dass Sir Robert Anderson mit Colney Hatch, zur Zeit des Aufenthaltes von Aaron Kozminski dort, in Verbindung stand. Dabei ging es um einen anderen Insassen.
Wenn es “many circs“ für Kosminski (bzw. Aaron Kozminski) gab, dann bedeutete dies noch lange keine sichere Verurteilung für ihn. Wenn es lange Zeit niemanden gab, der ihn identifizieren konnte, wenn die Umstände nur so waren, dass es eine Menge Indizien gab, dann war es doch sinnvoll zu warten, bis er wieder zuschlägt um ihn dann auf frischer Tat zu ertappen. Das wäre doch bis zur Erscheinung des jüdischen Zeugen dann die einzige Chance gewesen ihn zu kriegen. Ihn einfach wegzusperren, hätte doch niemals einen Erfolg gebracht. Jedenfalls nicht in der Zeit nach der Mordserie. Sie konnte ihn doch nur red-handed überführen. Offenbar hätte dann die Familie selber dafür gesorgt, dass er privat untergebracht wurde. Natürlich hätte die Familie dann nicht erwähnt (gegenüber der Anstalt), dass er ein Jack the Ripper Kandidat gewesen war. Die Polizei hätte es wohl eher auch nicht. Man hätte sich aber versichern können, z.B. beim Arzt Dr. Houchin, wie weit sein Verhalten in einer Anstalt als Gefahr einzuschätzen wäre. Ein wenig Wissen bezüglich dieser Erkrankung war ja zur Hand. Möglicherweise hätte die Polizei dann auch aus den privaten Anstalten erfahren, wie Aaron Kozminski sich verhielt. Auch hier hätten sie ihren Verdacht eher weniger mitgeteilt. Er wurde ja auch “unter Schwierigkeiten“ aus einer Anstalt geholt und in das Seaside Home gebracht. Das könnte bedeuten, dass die Polizei aufgrund der Dringlichkeit illegal gehandelt hatte. Warum sollte eine medizinische Einrichtung ohne Zustimmung des Patienten oder der Angehörigen einen kranken Menschen so einfach der Polizei übergeben? Die Polizei ist bestimmt nicht hin und hat gesagt: “Wir wissen jetzt sicher, dass dieser Mann Jack the Ripper ist, rückt den mal raus!“ Letztendlich war England ja auch ein “Rechtsstaat“. Und wer redete von den Beamten schon die ersten Jahre nach den Morden über diesen Mann? Dass kam erst später, 1894. 1907, 1910… Das war ein großes Geheimnis und letztendlich war dieser Verdächtige da gelandet, wo ihn keiner gesucht hätte, nämlich in Leavesden.
Aber ich verstehe was Du meinst. Bedenke jedoch, Tabram, Nichols, Chapman, Stride, Eddowes und Kelly fanden zwischen August und November 1888 den Tod. Aaron Kozminski´s Unterlagen beginnen für uns mehr oder weniger im Februar 1891. Zu dieser Zeit muss er keine Tötungsabsichten mehr gezeigt haben, nicht als gefährlich eingestuft worden sein. Die Gründe dafür, bzw.einige davon, habe ich versucht zu erklären. Die Karrieren dieser Art von Killern, unter solchen Umständen, können eh sehr kurz sein. Falls die Anstalt im März 1889 privater Natur war, hätte es trotzdem Aufzeichnungen über ihn gegeben und wir wissen nicht, wie diese aussahen und ob er da schon nichts mehr an Gefahr zeigte. Oder aber, ob er da noch in der Lage war, seine Tötungsabsichten zu verbergen.
Bei Cox von der City Police kann man die Hoffnung nachlesen, dass er auf eine Aktion hoffte, den Verdächtigen auf frischer Tat zu ertappen. Der Verdächtige hatte es aber offenbar mitbekommen, dass er beschattet wurde. Ehrlich gesagt, verwundert mich das bei paranoiden Personen nicht wirklich. Auch Chase wusste, dass er von der Polizei in´s Visier genommen wurde. Wenn nicht ein paranoider Mensch bemerkt, dass er verfolgt wird, wer dann? Man muss sich auch fragen, wieweit die eigene Familie an Aaron´s Schuld glaubte oder ihn einfach nur, so oder so, beschützen wollte. Innerhalb der Familie kann es auch unterschiedliche Ansichten darüber gegeben haben.
Wie sieht es mit den “many circs“ aus. Was kann das alles sein? Waren es z.B. die blutigen Wäsche in der Batty Street, die man dieser Familie zuordnen konnte? Gegenüber dieser Straße fand der Berner Street Mord an Stride im Dutfield´s Yard statt. Neben diesem Dutfield´s Yard lebte einst (um 1882) Woolf Abrahams, der eine Bruder von Aaron. Mit ziemlicher Sicherheit lebte Aaron auch dort. Ein Verdächtiger, der einst unmittelbar an einem der Tatorte der K5 lebte. Zur Zeit der Morde lebte dieser Bruder in der Providence Street, von da aus konnte man quasi hinüber zum Stride Tatort schauen. War es Matthew Packer, der Aaron Kozminski in jener Nacht sah? Packer sah aber keinen Mord aber er wollte jemanden gekannt haben, der, sagen wir, bekannt war und ganz in der Nähe lebte, War es der Mann, den Packer dann einmal am Ende der Greenfield Street wiedegesehen haben wollte? Hier lebte der andere Bruder und die Schwester von Aaron, Isaac und Matilda. War es der Mann, den ein Konstabler am Mitre Square gesehen haben wollte, jedoch auch nicht darauf hätte schwören können, weil das Licht dort zu schlecht war. Die äußere Erscheinung kam jedoch hin… offenbar fehlte der Blick in das Gesicht… Gehörte dazu, dass der Mann jener war, den Mrs. Thompson in der Hanbury Street im Hinterhof auf den Treppen hat schlafen sehen, Wochen vor dem Mord dort an Annie Chapman? Konnte die Polizei dadurch eine Verbindung zwischen diesem Mann und den Tatorten Hanbury Street- Berner Street- Mitre Square- Dorset Street herstellen, weil dieser Verdächtige in letzterer Straße auch als “Leather Apron“ von Timothy Donovan beschrieben wurde? Wenn dem alles so war, kombiniert mit der Seaside Home Identifikation, dann könnte das die von Grifftihs beschrieben Meinung Anderson´s sein, der sich eine “perfectly plausible theory“ erarbeit hatte.
Die Bücher werden Dir noch weiter helfen.
Beste Grüße,
Lestrade.