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Fachliche Themen => Allgemeine Diskussion => Thema gestartet von: Anirahtak am 05.06.2013 13:06 Uhr

Titel: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Anirahtak am 05.06.2013 13:06 Uhr
Schon öfter habe ich mich gefragt, wie der Ripper reagiert hätte, wenn ein Passant ihn "mitten am Werk", also in unmissverständlicher Position, überrascht hätte. Ein Passant oder auch ein Polizist. Selber bin ich nicht endgültig schlüssig, tendiere aber dazu, dass er erstmal einen Fluchtversuch gemacht hätte, soweit möglich. Aber sonst, ob er aggressiv oder weinerlich geworden wäre... puh, tja. :unknown:

In einem anderen Thema gab es schon Antworten auf meine Frage, die verlege ich mal hier hinein:

Das frage ich mich auch immer wieder. Im Hinterhof der Hanbury Street und vor allem in Kellys Zimmer gab es quasi keine Fluchtmöglichkeit, wenn jemand hineingekommen wäre. An den anderen Tatorten hätte er wahrscheinlich entdeckt werden, aber auch fliehen können. Andererseits: Die Leute, die ihn überrascht hätten, wären wahrscheinlich schreiend davongelaufen anstatt sich ihm zu stellen - somit hätte er fliehen können.
Das ist ein guter Punkt. Es ist ja nicht gesagt, dass der unglückliche Entdecker ihn auch hätte stellen wollen. Nehmen wir mal an, ein Passant kommt in der Dunkelheit versehentlich recht nah an den Ripper heran und sieht, was da vor sich geht. Beide erschrecken erstmal. Der Ripper hätte die Möglichkeit in eine Richtung zu fliehen und der Zeuge in eine andere. Wäre das so vor sich gegangen oder hätte der Ripper versucht, den Zeugen, der einen guten Blick auf ihn gehabt hätte, umzubringen?

Oder einen Polizisten, bspw. James Harvey, der hätte ihn ja stellen müssen. Inwiefern waren die eigentlich bewaffnet, abgesehen vom Trillerpfeifchen? An der Stelle stellt sich mir die Frage, weshalb die eigentlich nicht zu zweit unterwegs waren und vermute mal zu wenig Personal. Jedenfalls stelle ich mir das auch für einen Polizisten ohne Schusswaffe sehr schwer vor, den messerschwingenden Ripper direkt am Tatort unschädlich zu machen. Auch für zwei Polizisten, um genau zu sein.

Dann gäbe es noch das Szenario ohne Fluchtmöglichkeit für den Ripper. Hätte er hier gedroht, dem Zeugen etwas anzutun, wenn er ihn nicht durchließe oder hätte er ihn auch hier auf jeden Fall niedergestochen? Oder was es sonst noch geben könnte...

Manchmal geht mir durch den Kopf, ob er dann schlicht in ein sabberndes weinendes Elend zusammengebrochen wäre. So wie diese Typen, die „endlich gestoppt werden wollen“.
Theoretisch kann man das nicht ausschließen. Zwar lässt es sich nicht beweisen, aber mir erscheint der Ripper als einer, der sich schon toll fand, zumindest gerade während seiner Taten. Da befand er sich im Überlegenheitsrausch und insofern würde ich eher zu einer aggressiven Reaktion tendieren oder zur selbstschützenden Flucht. Aber ausschließen würde ich einen Zusamenbrauch auch nicht völlig.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Andromeda1933 am 05.06.2013 14:17 Uhr
Dieser Gedanke kam mir, nachdem ich meine jahrelange Vorstellung von einem planvoll vorgehenden Mörder aufgab/aufgeben musste. Als Tatmotiv kommt sicher einiges in Frage. Ich sehe „meinen“ Donovan mit Rache – und Vernichtungsgedanken durch die Nacht ziehen.
Bei allen Emotionen, die ihn durchschüttelten, ganz sicher hatte „Jack“ auch was an der Waffel.
Sein Verhalten wäre wohl nicht vorhersehbar gewesen. Zusammenbruch? Vielleicht.
Ich denke mal wieder quer – ganz sicher hatte der Mann bei seinen Morden pures Adrenalin in den Adern und einen Blutdruck astronomischen Ausmaßes. Die „normale“ Reaktion eines solchen Menschen sollte eher ein beserkerhaftes um sich herum schlagen sein. Aber womöglich gar nicht um zu fliehen, sondern weil man ihn störte?! Er war noch nicht „fertig“...  na, vielleicht ein bisschen zu absurd, selbst für mich.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Angel2ooo am 05.06.2013 14:29 Uhr
Ich sehe „meinen“ Donovan mit Rache – und Vernichtungsgedanken durch die Nacht ziehen.

Ich sehe einen, von der Mutter in der Kindheit im Stich gelassen kleinen Jungen. Der gemobbt wurde, geschlagen und wer weiß was noch alles.
Motiv auch bei mir Rache, vllt. war die Mutter ja auch eine Prostituierte. Nach dem Motto, alle Frauen sind schlecht und wollen mir nur weh tun...also muss ich sie vernichten! Vllt haben sich die Prostituierten am Tage ja sogar über ihn lustig gemacht...

ZUm Thema:
Ich denke auch wie Andromedam, dass man sein Verhalten nicht hätte vorhersehen können.
Wenn ich mich jetzt aber festlegen müsste dann würde ich für mich beschließen, dass ihm alles so egal war, dass er den Zeugen auch ausgeschaltet hätte. Ein oder Zwei Morde mehr hätte ihn sicher nicht gestört...
Töten und dann einfach weiter machen als wäre nichts gewesen, kann ich mir bei so jemand kaltblütigen vorstellen.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Phil am 05.06.2013 19:08 Uhr
Man muss auch beachten, dass - vorausgesetzt es war der Ripper(!) - er ja vielleicht schon auf "frischer Tat" ertappt wurde - von Schwartz. Schwartz hatte wahrscheinlich eh Angst und der Ripper bedrohnte ihn noch, woraufhin er wirklich die Flucht ergriff. So ein Szenario kann ich mir gut beim Ripper vorstellen. Ob er ihn ernstlich angegriffen hätte ist etwas anderes, aber wahrscheinlich hätte jeder wie Schwartz reagiert. Angst vor einem messerschwingenden Mann, der gerade eine Frau angreift - das wusste der Ripper wahrscheinlich auch und machte es sich zu Nutzen. Und wenn es wirklich hätte brenzlig werden können, hat er - wieder vorausgesetzt man lässt die Szenarien zu - die Flucht ergriffen.
Diemschütz "störte" ihn bei Stride, da haut er lieber ab anstatt einen Kutscher mit Pferd anzubellen oder sogar anzugreifen. Vor allem auch wegen der ungünstigen Lage - aber die gab es ja eigentlich bei allen Tatorten. Wer weiß ob er nicht bei Nichols auch von sich nähernden Schritten davon abgebracht wurde noch weiter zu gehen.
Also: Frühzeitig das Weite suchen und wenn das nicht hilft oder er es nicht will - die Leute bedrohen. So hätte er meiner Meinung nach reagiert. Wenn derjenige ihn dann jedoch angegriffen hätte oder zumindest nicht direkt geflohen wäre, könnte ich mir gut vorstellen, dass er denjenigen dann auch ermordet hätte - auch aus Wut über die "Störung" bei der Tat.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Andromeda1933 am 05.06.2013 20:55 Uhr
Hallo Phil!

An anderer Stelle, als Antwort an Lestrade,  hatte ich das hier geschrieben:

Gebetsmühlenartig wird ständig wiederholt, dass der Täter vom Eintreffen des Herrn Diemschutz gestört wurde. Davon wird es letzten Endes nicht wahrer. Beweisen kann ich es natürlich nicht, aber ich glaube, der Täter war schon weg, als Diemschutz eintraf.

In jedem Buch seit 1888 wird immer wieder dasselbe zum Mord an Stride gesagt. Ich habe aber noch nie einen wirklichen Beweis dafür gesehen. Als „Beweis“ hält einzig der Umstand her, dass Stride nicht verstümmelt wurde. Mir scheint, dass wird weltweit wiedergekäut, wie dass Spinat angeblich besonders eisenhaltig sei und Eier Cholesterin-Bomben sind. Es ist irgendwie irgendwann zur Tatsache geworden, ohne eine zu sein.

Ti saluto!  Andromeda

PS: die einzige „Waffe“ gegen einen Messerschwinger wäre wohl lautes um Hilfe rufen. Andere Leute herbei zu rufen ist wohl das einzige, was so einer fürchten würde. Aber leicht gesagt, wenn alle des nachts in den Betten liegen...
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Lestrade am 05.06.2013 21:04 Uhr
Was ich mir gut vorstellen kann ist, dass sein Verhalten auch abhängig war von einem möglichen Alkoholkonsum vor den Taten. Dabei sollte man beachten, wie viel Alkohol ihm möglich gewesen wäre vorher zu trinken. Trank er heftig zwischen 22 und 23 Uhr abends aber nicht mehr danach, dann hätte Alkohol im Blut zu ganz verschiedenen Uhrzeiten anders bei ihm gewirkt haben können. Frischer Alkohol, noch ganz wenig abgebaut, hätte ihn bei einer Entscheidung zuzuschlagen, unterschiedlich beeinflussen können, sogar so, ob er überhaupt nun zuschlägt oder nicht. Auch könnte eine Rolle gespielt haben, was ihm vorher passiert wäre. Also was geschah am Tage mit ihm? Welche Erlebnisse hatte er? Wen traf er in einem Pub? Wie war dort die Stimmung, vielleicht aufgeputscht? Wurde er “angemacht“ oder “angefeindet“. Noch viel vorhandener Alkohol hätte ihn leichtsinniger in seinen Handlungen werden lassen können, als ohnehin schon. War er nüchterner oder im Laufe von Stunden nüchterner geworden, so wäre er eher geflohen anstatt die Konfrontation zu suchen. Mehr Alkohol hätte ihn “mutiger“ sein lassen können. So stelle ich mir das vor. Ich gehe davon aus, auch weil er in der Nacht des DoubleEvents sehr früh zuschlug, dass er einen miserablen Tag hatte oder wenigstens einen ganz miesen Abend. Bevor er auf Stride losging, so denke ich, war er noch nicht weit von einer Szenerie entfernt, die ihn gerade sehr verletzt oder mitgenommen hatte. War er nun tatsächlich derjenige, der Schwartz etwas zurief, dann könnte hier ein Pubbesuch, Minuten vorher, stattgefunden haben und er war noch stark alkoholisiert. Schwartz hatte ja auch den Eindruck, vor ihm liefe ein Angetrunkener. Ob es jetzt Wut war, nun erst recht weiter zu machen und sich ein neues Opfer zu suchen oder er einfach bei seiner Flucht auf Eddowes traf und wieder einmal seine Gelegenheit nutzte, ist wohl nicht zweifelsfrei zu beantworten. Vielleicht auch eine Mischung aus beiden.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Isdrasil am 06.06.2013 06:29 Uhr
Hi Lestrade

Prinzipiell stimme ich Dir zu.
Auch ich würde das Verhalten des Täters wohl von seiner Tagesform abhängig machen, tendenziell würde es jedoch in meinen Augen darauf hinauslaufen, dass er versuchen würde zu fliehen. Natürlich gäbe es starke Probleme bei Hanbury oder gar Millers Court. Bei Hanbury hätte er wohl noch eine Chance darin gesehen, sich über den Zaun in einen der anderen Höfe zu hangeln, aber Millers Court war eine Sackgasse. Dies muss bei ihm starken Stress hervorgerufen haben.
Dass der Täter stark alkoholisiert war, daran mag ich nicht so recht glauben. Seine Taten erscheinen mir zu nüchtern, die Verletzungen zu konstant, um starke Pegelschwankungen zu vermuten. Wie Du auch erwähntest, wird sein Pegel wohl seine Entscheidung beeinflusst haben, ob er eine Tat begehen würde oder nicht. Ich denke aber nicht, dass der Ripper ein großer Trinker war. Ein oder zwei Bier am Abend der Tat, mehr vermute ich nicht.

Ich sehe das also wie Du - nur, dass ich deine Variante der Konfrontation bei starkem Alkoholgenuss ausklammere.

Grüße, Isdrasil
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Lestrade am 06.06.2013 11:16 Uhr
Hallo Isdrasil,

Ich halte den Ripper grundsätzlich auch für den “Fluchttypen“, mit oder ohne Alkohol. Kann mir gut vorstellen, dass sich solche Typen durchaus Mut antrinken, was ja auch ein Indiz dafür wäre, dass sie eben dazu neigen, eher abzuhauen als in Konfrontation zu gehen. Aber die Frage, wie viel, ist viel und wie wenig ist wenig, hängt wohl ganz vom individuellen Typ ab. Einer verträgt mehr, der andere weniger. Beim Ripper glaube ich nicht, dass er wie ein Gourmet speiste und sich vernünftig ernährte. Da kann Alkohol noch ganz anders wirken aber auch da die Frage, wie er wirkt. Und auch das hängt wieder vom Typ ab, der man eben ist, meine ich.

Zur Leistungsfähigkeit bei Alkohol:

Ich habe einen großen Teil meines Lebens an der Seite von Borderlinern, Menschen mit borderlineähnlichen Erkrankungen oder anderen psychischen (Persönlichkeits-) Störungen verbracht und was mir besonders auffiel war, dass der Genuss von Alkohol ihre Leistungsfähigkeit erst einmal gar nicht beeinträchtigte. Im Gegenteil, die Sinne schienen für eine gewisse Zeit sogar angeregt zu werden. Ich stellte allerdings auch wenig “Grauzone“ fest, bevor der Zustand des “in der Ecke liegen“ eintrat. Aber auch da war dies sehr individuell. Ist es letztendlich immer. Alkohol ist eine Droge und kann auch ersteinmal aufputschen. Ob ein angetrunkener Ripper so mordete, wie er mordete? Ja, sage ich. Ein besoffener allerdings nicht. Die Handlungen hätten vielleicht etwas plump ausgesehen, aber er hätte sie ausführen können.

Ich weiß, du hälst Stride nicht für ein Ripper- Opfer. Schwartz hatte aber offensichtlich einen, sagen wir, “schwankenden Mann“ vor sich beobachtet, der dann plötzlich Stride angriff. Schwartz, PC Smith und auch die Beschreibung von Lawende ähneln sich schon, was die gesehenen Männer angeht. Dazu zählt auch die Beschreibung eines Zeugen aus einer Church Lane (“a man sitting on a doorstep and wipping his hands“). Davon ausgehend ist es sehr gut möglich, dass der Stride- Angreifer auch Jack the Ripper war. Immerhin sind das vier Beschreibungen, die sich möglicherweise an nur einer Person orientieren.

Es gab einige Straßen mit “Church“. Experten gehen davon aus, dass es sich um die Church Lane an der St. Mary Matfelon Kirche in Whitchapel handelt (ich glaube die heutige White Church Lane). Sie verbindet an einer Stelle die Commercial Road mit der Whitechapel Road, lag parallel der Union Street/Sion Square, 300-400m vom Tatort Stride entfernt.

Ich denke aber auch im Stride- Fall, dass der Ripper floh. Und ich denke auch, wie Andromeda, dass es nicht Diemschütz war, der ihn störte. Sein Pferd scheute, als ob noch jemand im Yard wäre sagte Diemschütz. Da war ja auch jemand, nämlich Stride, auf dem Boden liegend.

Der Ripper war da meines Erachtens schon weg. Er floh, aber nicht so, dass er Stride als mögliche Zeugin zurückließ. Das ging diesmal nicht so einfach. Sie hätte ihn wiedererkannt. Er töte sie, weil sie ihn hätte wiedererkennen können. Da hatte er schon kein Interesse mehr an ihr als Verstümmelungsopfer. Er musste damit rechnen, dass Schwartz und auch der zweite Mann mit der Polizei wiederkommen. Er hatte nur wenige Augenblicke um sich zu entscheiden. Es lief von vornherein schief. Schwartz sah ihn, Stride wehrte sich, ein zweiter Mann tauchte auf, der Angreifer traute sich Schwartz anzufauchen, weil er diesen noch schwächer einschätzte als sich selber, denn Schwartz hatte wohlmöglich sichtbare Angst. Der Killer wartet bis Schwartz und Pipeman um die Ecke sind, tötet Stride mit seinem typischen Kehlschnitt und flieht. Möglichweise über die Church Lane, wo er sich säubert und geht dann Richtung City of London.

Er war jemand der abhaute, ohne Zweifel. Aber keiner, der solch eine Zeugin wie Stride zurückließ, wenn es sich vermeiden ließ. Und es hat sich offenbar vermeiden lassen…

Gruß, Lestrade.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Isdrasil am 06.06.2013 13:18 Uhr
Hi Lestrade,

Ja, die Sache mit Stride. Wir können gerne beizeiten einmal über den Stridemord diskutieren. Ich halte deine Vorstellung der Tatnacht für sehr durchdacht und plausibel, muss Dir aber leider – und das ist der Punkt, auf den ich antworten möchte – in Bezug auf Alkoholkonsum widersprechen.

Der Ripper zählt für mich zu einer Kategorie von Serientätern, in der es einige bekannte Beispiele gibt:  Bartsch, Gust, Kürten, Chikatilo, Honka, Kroll und Co. Ich erwähne bewusst nur europäische/russische Namen, da sich die amerikanischen Täter für mich bekanntermaßen von den „unsrigen“ unterscheiden. Bei all diesen Tätern ist zu beobachten, dass sie zum Tatzeitpunkt gar nicht oder nicht übermäßig stark alkoholisiert waren und den Vorlauf der Tat minutiös und sehr bedacht planten, auf das Ziel hingerichtet arbeiteten. Honka war zwar Alkoholiker, aber er tötete innerhalb seiner Wohnung. Für derartige Taten außerhalb verhielt er sich viel zu auffällig und hätte mit der Tatsituation eines freien Raumes nicht umgehen können. Kroll verwirklichte seine Fantasie erst beim letzten Opfer vollständig. Er war zu labil und infantil, um die Fantasie bei vorangegangen erwachsenen Frauen verwirklichen zu können.
Eines zeichnet diesen Typus nämlich aus: Der Täter durchlebt die Tat vorher exakt in seiner Fantasie. Er malt sich jeden einzelnen Schachzug bis zur Tat aus, jede einzelne Bewegung, jede Reaktion des Opfers. Nur eine kleine Abweichung in diesem Drehbuch kann ihn davon abhalten, nicht zuzuschlagen.
Es dreht sich bei diesen Tätern sehr viel um Kontrolle und den Zwang einer drehbuchgerechten Durchführung der Tat, und in ihren Fantasien spielt niemals ihr eigener Zustand eine Rolle, wird das Betrinken als nicht notwendig betrachtet. Kurz gesagt: In ihren Gedanken sind sie nüchtern und erleben die Tat bei klarem Verstand.
Ich weiß, dass Borderline-Persönlichkeiten so einiges wegstecken können. Wie Du weißt, habe ich auch schon in der Psychatrie „gearbeitet“ und meine ganze Familie weiblicherseits arbeitet in der Psychatrie. Aber der Alkohol spielt für die Taten keine Rolle. Er kann sich ergeben, aber für einen Großteile dieser Täter wäre er hinderlich, zudem es mir wirklich nicht auf die Rippertaten anwendbar erscheint.
Natürlich wird sich der Ripper auch in Pubs aufgehalten haben, und natürlich wird er etwas getrunken haben. Aber niemals so viel, dass sein Zustand eine beschwipste oder gar betrunkene Phase erreichte. Dazu war er meiner Meinung nach viel zu sehr auf die Tat und mögliche Opfer fixiert. Kontrolle zählt. Er war auf der Jagd. Alkohol war absolute Nebensache.

Ich glaube aber, Lestrade, unser  Problem liegt woanders: Ich denke, dass wir beide für uns den jeweils passenden Ripper gefunden haben. Deiner lebt im East End, meiner außerhalb. Dein Ripper kann durchaus im alltäglichen Leben an einem gewöhnlichen Abend zu einer Tat getrieben worden sein, mein Ripper ging schon mit dem Vorsatz einer Tat Richtung East End. Somit kann man sich bei deinem Ripper den Alkohol besser vorstellen, bei meinem weniger. Du wirst es nicht glauben, aber ich halte dein Täterbild für schlüssig. Es ist nur eben nicht meines. Wie immer steht und fällt die Antwort auf diese Frage mit der ganz persönlichen Vorstellung des Täters.

Und nu?  ;)

Grüße, Isdrasil
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Lestrade am 06.06.2013 14:10 Uhr
Hi Isdrasil,

Ich mach´s mal einfacher und an einem Beispiel fest:

Das Phänomen Serienmord in Deutschland wurde von Harbort für den Zeitraum 1945 bis 1995 untersucht.[6][7][8] In dieser Zeitspanne verübten nach dieser Studie alle Serienmörder in Deutschland zusammen 453 Einzeltötungsdelikte. 54 Männer und 7 Frauen wurden als Serienmörder verurteilt. Sexuell motivierte Taten wurden dabei zu 56 % aufgeklärt. Ungeklärt blieben 79 Morde, die 21 Mordserien zugeordnet wurden. Die Untersuchung zeigte eine Zunahme von ca. 63 % der Serientötungen in den Jahren 1986 bis 1995 verglichen mit den 10 Jahren davor. In fast 80 % der Fälle bestand keine Opfer-Täter-Beziehung, in 27 % der Fälle war der Täter unter Drogeneinfluss (Alkohol oder Betäubungsmittel). Sexualmörder waren zu 95 % und anders motivierte Serienmörder zu 61 % Einzeltäter. Die Tatorte lagen zu 58 % in Großstädten, der Umkreis der Einzeltaten einer Mordserie war in 68 % der Fälle kleiner als 30 km und in 40 % der Fälle kleiner als 10 km.

Im weiteren Zeitraum bis zum Jahr 2000 wurden in Deutschland 22 sexuell motivierte Serienmörder und 54 Serienraubmörder gefasst. Dabei wurden 8,4 % aller Raub- und Sexualmorde von Serientätern begangen. In ihrem Umfeld sind sie meist unauffällig und sozial angepasst. Nach Harbort werden Serienraubmörder im Durchschnitt nach 3¼ Jahren gefasst und sind in 88,9 % der Fälle zuvor strafrechtlich erfasst worden. Viele Seriensexualmörder wohnen in Großstädten, sind zwischen 16 und 36 Jahren alt, ledig oder geschieden, kinderlos und werden im Schnitt nach 4½ Jahren gefasst. Von den sexuell motivierten Serienmördern haben 82 % ein auffälliges Sexualverhalten, wie z. B. Fetischismus und sind oft zuvor bereits wegen Sexualdelikten erfasst worden.


27 Prozent! Es ist schon eine interessante Zahl, wie ich finde. Dazu muss man bedenken, dass das EastEnd auch für Alkoholismus stand. Oftmals spiegelt sich der Täter, oder Anteile von ihm, im Opfer wieder. Die Opfer waren doch so gesehen alkoholkranke oder zumindest vom Alkohol stark gezeichnete Frauen. Bei solchen Tätern gibt es oft eine Mutter, die eine Frau mit Alkoholproblemen ist. Es kann natürlich auch etwas anderes geschehen, nämlich dass sich jemand, wegen einer solchen Schädigung durch die Mutter, dem Alkohol vollkommen abwendet. Er Frauen mit Alkohol im Blut hasst aber selber nie einen Schluck trinkt. Demzufolge, so finde auch ich, kann man dem Ripper nicht vollkommen großartigen Alkoholgenuss unterstellen. Die Möglichkeit wäre aber auch nicht so klein, wie man wohlmöglich annehmen könnte.

Ansonsten, auch da gebe ich dir recht, hängen unsere Überlegungen auch durch unsere unterschiedlichen Wahrnehmungen der einzelnen Geschehnisse, unseren persönlichen Erfahrungen und von unserer individuellen Vorstellung des Täters usw. ab.

Dies ist doch wundervoll normal oder?

Ich denke, der Ripper wäre eher abgehauen als sich Auseinandersetzungen zu stellen. Ausgenommen, wie geschildert, dass sein gewolltes Opfer als Zeugin zurückgeblieben wäre. Da hätte er nach einer Chance gesucht, dies zu verhindern. Mit zwei Männern hätte er sich dabei nicht angelegt (siehe meinen gestrigen Erlebnisbericht aus 2003). Die werden wohl, wie und warum auch immer, schnell verschwunden gewesen sein. So wie er letztendlich auch…

Gruß.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Isdrasil am 06.06.2013 14:47 Uhr
Hi Lestrade,

jepp, die Vielfältigkeit der menschlichen Vorstellung lässt sich auch an diesem Fall sehen  ;)

Also...du versuchst mich mit Harbort zu kriegen, schlau, schlau!
27 Prozent klingt im ersten Moment natürlich recht stattlich. Immerhin leicht über ein Viertel. Aber ich denke, man muss das differenziert sehen;
Zum Einen möchte ich nicht wissen, wieviel Prozent der Menschen abends ohnehin unter "Einfluss von Betäubingsmitteln" stehen. Das Bierchen am Abend, der Wein zur klassischen Musik - Alkohol gehört zur menschlichen Kultur und ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Hat der Alkohol etwas mit den Taten zu tun? Ich weiß es nicht. Die Zahl sagt lediglich aus, dass ein Viertel der Täter etwas getrunken haben. Diese Zahl könnte ganz einfach nur ein Spiegel der Gesellschaft sein und nicht in Zusammenhang mit der Tatbegehung stehen. Genausogut stehen vielleicht 27 Prozent der Menschen unter Einfluss von Betäubungsmitteln, während sie gerade ihren Rasen mähen.
Zum Anderen muss auch bei diesen Zahlen bedacht werden (und Harbort predigt das selbst immer wieder): Ein Großteil der Zahlen stammt von den Tätern selbst. In einigen Fällen kann im Nachhinein nicht mehr festgestellt werden, ob der Täter unter Alkoholeinfluss stand, also zieht man die Informationen aus Verhören. "Sie waren also vorher in der Gaststätte?" "Ja, ich hab dort ein Bierchen getrunken...". Die Zahlen stützen sich also auch auf Erzählungen der Täter. Und die sind - ebenso wie Zeugenaussagen - immer mit Vorsicht zu geniessen.

Aber ich denke, das deckt sich ja noch mit unseren beiden Vorstellungen, denn ich streite den Alkoholgenuss nicht ab. Es geht mir vielmehr um den übermässigen Alkoholgenuss, und da habe ich eine Frage an Dich:
Einerseits erläuterst Du "...ich habe einen großen Teil meines Lebens an der Seite von Borderlinern, Menschen mit borderlineähnlichen Erkrankungen oder anderen psychischen (Persönlichkeits-) Störungen verbracht und was mir besonders auffiel war, dass der Genuss von Alkohol ihre Leistungsfähigkeit erst einmal gar nicht beeinträchtigte...", auf der anderen Seite soll Schwartz einen "...schwankenden Mann..." gesehen haben, was in deinen Augen ein Zeichen für einen etwas angeheiterten Ripper ist.
Das passt aber doch nicht zusammen, was war den nun? War er nun beeinträchtigt oder nicht? Schwankte er oder absortierte seine psychische Störung den Alkohol? War er körperlich nicht mehr fit, geistig aber - im Rahmen seiner Persönlichkeit - schon noch?

Aber wie kann ein "schwankender Mann" kurze Zeit später die Augenlider seines nächsten Opfers einritzen, ohne anscheinend die Augäpfel zu verletzen? Wie erklärt man sich die Filigranität, gerade bei Eddowes? Ich könnte mir vorstellen, dass die Flucht nach dem Stridemord etwas damit zu tun hätte. Adrenalin, das Rennen an der frischen Luft, die üblichen Dinge, um für eine kurzfristige Behebung der körperlichen Beschwipstheit zu sorgen. Es gibt aber noch eine ganz andere Möglichkeit: Stride war kein Opfer des Rippers und der Ripper nicht alkoholisiert.
 :blum1:

Grüße, Isdrasil
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Lestrade am 06.06.2013 15:43 Uhr
Nun Isdrasil, man kann es auch anders herum fragen:

Spielt Alkohol bei Serientätern eine Rolle? Ja oder Nein? Man wird nicht mit Nein! antworten können und das Ja! sollte man vielleicht nicht mit voller Inbrunst vortragen. Er ist manchmal da, der Alkohol, aber wie er jeden einzelnen damit beeinflusst ist ganz individuell. Ich kann meinen Rasen mähen mit einer Flasche Wein intus, du wirst keinen Unterschied beim Ergebnis feststellen. Wenn ich nüchtern bin und den Rasen mähe, ist es das gleiche Ergebnis. Bei zwei Flaschen sehe das, glaube mir, schon anders aus…

Etwas schwankend zu sein bedeutet ja nicht, dass man mit den Händen zittern muss. Ich weiß wie viel ich trinken kann, wie viel ich vertrage, ab wann ich so oder so reagiere oder mit Konsequenzen rechnen muss. Das können die meisten einschätzen, die ich kenne.

Ich schrieb aber auch:

Die Handlungen hätten vielleicht etwas plump ausgesehen, aber er hätte sie ausführen können.

Hier noch einmal. Ungeschickt agieren bedeutet nicht gleichzeitig unfähig sein, etwas auszuführen. Schwartz ist so zu deuten, dass er einen “leicht angetrunkenen Mann“ vor sich gehen sah, keinen sturzbetrunkenen Mann. Das sind wichtige Unterschiede. Ein Ripper, mit 1-2 Bier intus, gerade aus einem Pub kommend, nichts gegessen den ganzen Tag, hätte etwas wackeln können. Er hätte es immer noch geschafft, jemanden den Hals durchzuschneiden. Davon abgesehen, sind alkoholisierte Menschen oftmals sehr gewalttätig. Das findet sich auch bei vielen Gewaltdelikten so wieder. Aber sie sind keine klassischen Serientäter.

Filigranität? Das kannst du eigentlich nur den Augen zuordnen. Ich kann keinerlei filigrane Arbeiten an den Opfern erkennen. Er hat sie auf das übelste verstümmelt. Filigran sind Menschen die lieben, die sich dafür Zeit nehmen, der hier, der hat gehasst und hatte es eilig. Erstere würden keine Menschen verstümmeln. In meiner Sichtweise nahm er sich die Augen nicht bewusst vor. Er bekam bei seinen Angriff auf Eddowes ihren Kopf nicht unter Kontrolle. Sie wehrte sich so gut es ging. Außerdem war es stockduster in der Ecke, selbst wenn, solche eine Arbeit hätte niemals bei diesem "Licht" funktioniert.

Du weißt, ich sehe den paranoiden Schizophrenen vor mir. Sie neigen oftmals zu komisch anmutende körperliche Bewegungen. In Falle Schwartz, hätte er auch so etwas gesehen haben können. Robert House beschrieb einmal ein solches Verhalten bei Andrew Goldstein. Ich zitiere mich in diesem Zusammenhang selber:

“Interessant finde ich besonders "alternately standing on his tiptoes and pacing back and forth" im Vergleich zu Schwartz seinem "The half-tipsy man halted and spoke to her". Bei Goldstein passierte es ja, als "etwas von ihm Besitz ergriff".“

Dies geschah kurz bevor Goldstein eine Frau angriff. Er sprach zu diesem Zeitpunkt auch mit sich selber. Dies alles bestätigten die Zeugen. Unmittelbar vor der Tat fing er an, schnell abwechselnd auf seinen Zehenspitzen zu stehen.

Die andere Angabe von Schwartz war ja: “…man walking as if partially intoxicated”

(Alles von ihm musste übersetzt werden, er konnte ja noch kein Englisch)

Was Schwartz sah, hätte auch solche eine körperliche Reaktion gewesen sein können. Möglicherweise im Zusammenhang mit Alkohol. Wenn auch wenig.

Gruß, Lestrade.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Isdrasil am 06.06.2013 16:52 Uhr
Hi Lestrade,

Ok, dann können wir uns darauf einigen, dass ein Schwanken wohl eher vom Geisteszustand des Rippers her zu erklären ist als von einer eventuellen Trunkenheit?  :good:

Ich denke schon, dass der Ripper bei Eddowes "filigran" zu Gange war - jedenfalls so wie ich es meinte!  :biggrin:

Mit filigran meinte ich die Ausführung der Tat, die (wieder einmal) außerordentlich professionell vom Täter vollbracht wurde:
"...we looked for superficial bruises and saw none. No blood on the skin of the abdomen or secretion of any kind on the thighs. No spurting of blood on the bricks or pavement around. No marks of blood below the middle of the body...there was no blood on the front of the clothes..." .
Es scheint für diesen Täter ein leichtes zu sein, die Verletzungen ohne große Sauerei auszuführen. Man kann sich gut vorstellen, wie jeder Handgriff sitzt. Auch die Angaben zu den kleineren Schnitten ("...there was a cut about a quarter of an inch through the lower left eyelid, dividing the structures completely through...the right eyelid was cut through to about half an inch...") hört sich für mich nicht nach einer wilden Stecherei an, sondern eher nach einer durchdachten Abfolge von vorher durchgespielten Bewegungen.
Das meinte ich mit "filigran". Es hätte womöglich ein besseres Wort geben können, aber das kam mir eben in diesem Moment in den Sinn. Ich nehme daher lieber das Wort gleich zurück. War eine unglückliche Wortwahl.
Jedenfalls ist diese Tat für mich nicht das Werk eines Betrunken oder geistig abwesenden. Er war zumindest nüchtern oder - einigen wir uns darauf - innerhalb seiner psychischen Störung geistig klar, was seine Bewegungen und Handlungen anging.

Muss dir aber leider noch in einem anderen Punkt widersprechen (was ist nur mit uns los?).
Du meintest: "Er bekam bei seinen Angriff auf Eddowes ihren Kopf nicht unter Kontrolle. Sie wehrte sich so gut es ging.". Das sehe ich nunmal gar nicht.
Dr. Brown sagte im Post-Mortem Bericht aus:
"...no bruises on the scalp, the back of the body, or the elbows....I feel sure that there was no struggle...The throat had been so instantly severed that no noise could have been emitted..."
Der Täter war bei diesem Mord in seiner persönlichen Höchstform, wie wir ihm die auch immer auslegen mögen. Er schnitt schnell und präzise die Kehle durch und machte sich augenblicklich an`s Werk. Von einem Gerangel beim Mord an Eddowes wird man mich nicht überzeugen können...

Stichwort "durchtrennte Lider". So eine Arbeit ist bei wenig Licht möglich. Das mag sich nun etwas gewöhnungbedürftig anhören, aber wir denken immer, der Täter hätte die Lider des liegenden Opfers quasi von oben kommend eingeritzt und exakt bis zu dem Augäpfeln durchtrennt. Jedoch lassen sich die Augenlider ebenso gut beim bereits toten Opfer nach oben ziehen, von den Augäpfeln weg, und mit einem Schnitt von unten zwischen Augapfel und Lid kommend durchtrennen. Das nenne ich...äh....filigran darf ich ja nicht mehr...zumindest sorgfältig.

Ich denke, er wollte bei Eddowes zum ersten Mal die Augen blosslegen, was er bei Kelly schließlich auch schaffte.

Grüße, Isdrasil
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Lestrade am 06.06.2013 17:33 Uhr
Hey Isdrasil!

Ich würde das mit dem Schwanken für mich offen lassen. Wie die Dinge sich auch immer untereinander bedingten.

Nun, zu den Verletzungen bei Eddowes gibt es auch andere Ansichten, die man sicherlich auch gut durchdacht hat. Du findest ein Szenario z.B. hier und kannst erkennen, wie solche Gesichtsverletzungen entstanden sein könnten:

http://www.youtube.com/watch?v=Di-dUKtqaQ4&feature=related

Bei Kelly waren die Augenlider weg bzw. eingeschnitten? Verstehe ich vielleicht gerade falsch. Das ganze Gesicht war doch verstümmelt, Nase, Augenbrauen weg etc. Aber die Augenlider?

Bei Tabram, du hälst sie für ein Ripper- Opfer, sieht man auch Anzeichen einer “wilden Stecherei“. 39 Stichwunden insgesamt. Meinst du, ein Killer lernt vom 7. August bis zum 30. September wie man vom “wildem Herumstecher“ zum “sensiblen Augenlidbeschneider“ wird? Bei allem Respekt vor deinen Überlegungen Isdrasil, aber ich kann das einfach nicht glauben.

Für mich war das ein “neugieriges Kind“ mit einem rasierscharfen Messer (was wichtig ist, das geht glatt und schnell und sauber), der versuchte, irgendetwas mit seinem “Spielzeug“ (die Opfer) anzufangen, etwas, was er sich schon lange in seiner Phantasie ausgemalt hatte.

Aber ich denke, wir können unsere Vorstellungen einfach gegenseitig akzeptieren, denke, das geht schon so in Ordnung. So ist es eben.

Beste Grüße, Lestrade.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Isdrasil am 06.06.2013 20:31 Uhr
Hi


Nun, zu den Verletzungen bei Eddowes gibt es auch andere Ansichten, die man sicherlich auch gut durchdacht hat. Du findest ein Szenario z.B. hier und kannst erkennen, wie solche Gesichtsverletzungen entstanden sein könnten:
http://www.youtube.com/watch?v=Di-dUKtqaQ4&feature=related

Danke für den Link, ich kannte das Video schon. Schau es Dir nochmal genauer an. Und behalte im Hinterkopf diese Sätze:
"...No spurting of blood on the bricks or pavement around. No marks of blood below the middle of the body...there was no blood on the front of the clothes..." (Dr. Frederick Gordon Brown)
Wie passt das zu diesem Video?

Bei Kelly waren die Augenlider weg bzw. eingeschnitten? Verstehe ich vielleicht gerade falsch. Das ganze Gesicht war doch verstümmelt, Nase, Augenbrauen weg etc. Aber die Augenlider?

Das kann ich schlecht behaupten, da es hierzu keine erhaltenen Akten gibt. Würde ich mich weit aus dem Fenster lehnen wollen, würde ich sagen, dass bei Kelly die Augenlider fehlten. Aber das mach ich lieber nicht. Tatsache ist, dass die geöffneten Augen einen besonders grausamen Eindruck auf Zeugen machten, diese wohl schon während/nach der Tat geöffnet waren, und bei allen vorangegangenen Taten die Augen geschlossen waren. Dies mag dem Täter als Resultat genügt haben. Ich denke, er wünschte sich dieses Resultat bereits bei Eddowes.

Bei Tabram, du hälst sie für ein Ripper- Opfer, sieht man auch Anzeichen einer “wilden Stecherei“. 39 Stichwunden insgesamt. Meinst du, ein Killer lernt vom 7. August bis zum 30. September wie man vom “wildem Herumstecher“ zum “sensiblen Augenlidbeschneider“ wird? Bei allem Respekt vor deinen Überlegungen Isdrasil, aber ich kann das einfach nicht glauben.

Natürlich. Man darf sich nur nicht vorstellen, die Entwicklung hätte erst bei Tabram begonnen. Stellt man sich einen Mann mit voll entwickelter Tatfantasie vor, der unvorbereitet und spontan den Mord an Tabram begeht, noch dazu eine für seine Fantasie ungeeignete Tatwaffe bei sich trägt und aufgrund dieser plötzlich eingetretenen Mordsituation etwas überrascht sein dürfte, so sieht die Sache anders aus. Dann kann der Täter durchaus innerhalb weniger Wochen bzw. Tage eine völlig andere, geplante und durchdachte Tat begehen. Tabram kann durchaus als Initialopfer gelten. Hier gelten andere Regeln. Wäre Tabram nach Nicholls gekommen, ich würde sie kategorisch ausschließen. So verhält es sich anders. Der Täter konnte schon schneiden, verstümmeln, ausweiden. Er dürfte es bei Schlachtvorgängen gelernt haben. Aber Tabram kam überraschend. Um gekonnt zu schneiden, verstümmeln und auszuweiden braucht es - wie Du auch sagst - ein rasiermesserscharfes Messer, welches ihm zu diesem Zeitpunkt im Handgepäck fehlte.

Aber ich denke, wir können unsere Vorstellungen einfach gegenseitig akzeptieren, denke, das geht schon so in Ordnung. So ist es eben.

Ja, da müssen wir mit leben. Ich glaube, wir werden bis an`s Ende dieses Forums oft genug entgegen gesetzte Meinungen vertreten. Aber was hat das schon zu bedeuten?  ;)

Grüße, Isdrasil

...wir schweifen vom Thema ab. Sorry, Ani!  :blush:
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Lestrade am 06.06.2013 21:31 Uhr
Wie passt das zu diesem Video?

Sehr gut!

Unter dem Oberkörper von Eddowes befand sich Blut. Ich zitiere aus Thomas´ Übersetzung:

“Auf dem Straßenpflaster war eine Menge geronnenen Blutes auf der linken Seite des Halses um die Schulter und dem Oberarm, sowie einer blutfarbenen Flüssigkeit, die unter dem Hals zur rechten Schulter und Richtung Rinnstein geflossen war.“

Original:

“There was a quantity of clotted blood on the pavement on the left side of the neck round the shoulder and upper part of arm, and fluid blood-coloured serum which had flowed under the neck to the right shoulder, the pavement sloping in that direction.”

Dazu das: "...No spurting of blood on the bricks or pavement around.”

Keine Blut von da an abwärts. Also ab Mitte Unterleib und bis zu den Beinen nichts. Wohin sollte Blut spritzen? Er greift sie von hinten an, versucht mit dem Messer den Kehlschnitt auszuführen, wenn Blut spritzen würde, was es aber nicht unbedingt tun muss, würde es Richtung Mauer, weg vom Opfer spritzen. Aber da schnitt er ja offensichtlich nicht, also im Stehen, sondern als sie auf dem Boden lag oder während sie auf den Boden fiel. Da ergoss sich dann das Blut aus dem Kehlschnitt. Wenn es da Spritzer gab, nun ja, möglich, aber die befanden sich dann in der “quantity of clotted blood“. Beim herunterdrücken auf den Boden oder eher am Boden, hätten die Gesichtsverletzungen entstehen können. Insgesamt gelangt so gar kein Blut woanders hin, wie auch? Kein Blut unter der Körpermitte, kein Blut an der vorderen Kleidung, keine Blutspritzer ringsum. Als er die Verstümmelungen begann, nun ja, das Blut floss bereits aus der Halswunde bei Eddowes… wird er Blut an den Händen gehabt haben, weil er die Innereien berührte. Aber da war nicht mehr so viel, dass ein Blutfluss entstehen konnte. Pat Brown und der Darsteller schneiden den Hals vom “Opfer“ am Boden. Der Hals befindet sich über dem Pflaster. Die Gesichtsverletzungen entstehen am Boden oder während des Falles, der Täter versucht das Opfer nach unten zu drücken, setzt sein Gewicht als Hilfsmittel ein. Sofort nach dem Schnitt bringt er sie in Postion, dreht sie um. Wo soll überall Blut sein? Im und am Kopfbereich. Und da war es auch. Sonst nirgends. In dem Szenario logisch.

Du denkst an einen "Meister des Messers", der in der Dunkelheit so geschickt mit dem Messer umgeht, dass er keine Spuren hinterlässt. Da war eine Menge Blut am Boden, im Halsbereich von Eddowes. Da war mit Sicherheit eine Menge Blut an Ärmeln des Täters. Es gab eine Stelle mit Blut und das war die Stelle an der er schnitt. Mit diesem Blut blutete Eddowes aus, aber für den Täter wichtiger, sie war sofort tot und somit mucksmäuschenstill. Aber in Wirklichkeit war er vermutlich froh, Eddowes auf den Boden gedrückt zu bekommen. Und wo hätte von da aus Blut hin gelangen können? Für das alles muss man kein Magier mit dem Messer sein oder einen durchdachten Masterplan verfolgen. Das sieht eher nach dem Gegenteil aus.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Andromeda1933 am 06.06.2013 21:44 Uhr
Sorry, funke nur ganz kurz dazwischen. Bei Cullen steht wörtlich, „der Täter machte sich sogar die Mühe, die Augenlider zu durchstechen“.   Keine Quellenangabe dazu.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Lestrade am 06.06.2013 21:58 Uhr
Sorry, funke nur ganz kurz dazwischen. Bei Cullen steht wörtlich, „der Täter machte sich sogar die Mühe, die Augenlider zu durchstechen“.   Keine Quellenangabe dazu.

Dr.Frederick Gorden Brown:

Das Gesicht war sehr stark verstümmelt. Durch das linke untere Augenlid verlief ein Schnitt von etwas mehr als einem halben Zentimeter Länge, der die Strukturen komplett zerteilte. In annähernd gleichem Winkel zur Nase befand sich ein Kratzer auf dem oberen Lid des linken Auges. Das rechte Augenlid war mit einem Schnitt von etwas mehr als einem Zentimeter Länge durchgeschnitten.

Original:

The face was very much mutilated. There was a cut about a quarter of an inch through the lower left eyelid, dividing the structures completely through. The upper eyelid on that side, there was a scratch through the skin on the left upper eyelid, near to the angle of the nose. The right eyelid was cut through to about half an inch.

Ein zerteilender Schnitt, ein Kratzer, ein durchgeschnittenes Augenlid.

Liebe Freunde, sagt was ihr wollt. Nach einem Kunstwerk sieht das für mich nicht aus, noch nach einem Plan und auch nicht danach, dass er dafür überhaupt etwas vernünftig besehen konnte.

Aber Isdrasil hat recht, wir sind wieder viel zu weit vom Thema weg.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Andromeda1933 am 06.06.2013 22:09 Uhr
Aus dem Bauch heraus, würde ich nach dieser Diskussion auch auf einen Flucht-Typ setzen.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Isdrasil am 07.06.2013 06:31 Uhr
Hi

Naja, Lestrade - ich verwendete die Worte "schnell", "präzise", "durchdacht", "filigrane Schnitte", "sorgfältig". Von einem "Meister des Messers" oder gar "Magie" zu reden, das wäre selbst mir etwas zu übertrieben.
Auch habe ich nicht von einem "Kunstwerk" gesprochen. Ich schrieb: "Der Täter war bei diesem Mord in seiner persönlichen Höchstform - was auch immer das heißen mag." Wir wollen mal nicht übertreiben hier.
 ;)

Weiß leider nicht, ob und wann ich dieses Wochenende zum Posten komme...schade, aber ich werde dann nochmal näher auf deine Antwort eingehen!

Schönes Wochenende euch allen!
Grüße, Isdrasil
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Lestrade am 07.06.2013 11:36 Uhr
Wir wollen mal nicht übertreiben hier.
 ;)

aber ich werde dann nochmal näher auf deine Antwort eingehen!

Vorweg, ich habe ein- und dieselbe Zitatnummer verwendet, also bitte nicht wundern.

Hallo lieber Isdrasil,

wäre schön, wenn Du nochmals darauf eingehen würdest, wenn es dir deine Zeit wieder erlaubt. Ich denke, dass es wichtig wäre, gerade auch wegen der von dir Backstage angesprochenen “geringe Informationen“ auf dieser Seite. Ich würde mich freuen und sicherlich auch einige andere.

Nun, wie soll man Übertreibungen betrachten oder beurteilen?


Mit filigran meinte ich die Ausführung der Tat, die (wieder einmal) außerordentlich professionell vom Täter vollbracht wurde


Es scheint für diesen Täter ein leichtes zu sein, die Verletzungen ohne große Sauerei auszuführen. Man kann sich gut vorstellen, wie jeder Handgriff sitzt. Auch die Angaben zu den kleineren Schnitten
 


Jedoch lassen sich die Augenlider ebenso gut beim bereits toten Opfer nach oben ziehen, von den Augäpfeln weg, und mit einem Schnitt von unten zwischen Augapfel und Lid kommend durchtrennen. Das nenne ich...äh....filigran darf ich ja nicht mehr...zumindest sorgfältig.
 

Du verwendest die Worte:


"schnell", "präzise", "durchdacht", "filigrane Schnitte", "sorgfältig"

Ich habe jedoch gelesen:

(wieder einmal) außerordentlich professionell
ein leichtes
ohne große Sauerei
jeder Handgriff sitzt. Auch die Angaben zu den kleineren Schnitten
zumindest sorgfältig

Lese ich dann die Sätze im Zusammenhang, entsteht bei mir der Eindruck, dass du ihn für einen Mann hälst, der sehr gut mit dem Messer umgehen kann, einen Profi, geübt, fein durchdacht. Da entstand für mich die Vorstellung von einem Meister des Messers und für die Sorgfältigkeit im Dunkeln, die Magie im Handwerk dieses Mannes. Das Kunstwerk bezieht sich eher auf die Beschreibung vom Doktor, weil ich darin eben genau das Gegenteil sehe. Es tut mir wirklich leid Isdrasil, wenn ich für deine Beschreibungen neue Worte bzw. Sätze gefunden habe. Ich ersetzte sie nun offiziell mit deinen Beschreibungen. Die Unterschiede kann sich jeder selbst herausarbeiten. Passierte mir wahrscheinlich im Eifer des Gefechts.

Wir waren ja beim fliehenden Täter, wo wir uns wohl einig sind und da fragtest du:


Aber wie kann ein "schwankender Mann" kurze Zeit später die Augenlider seines nächsten Opfers einritzen, ohne anscheinend die Augäpfel zu verletzen?

Und da haben wir halt unterschiedliche Meinungen, weil ich nicht sehe, dass er, der Killer, die Augenlider geschickt verletzte. Alle Verletzungen im Gesicht sind für mich Kampfspuren, der verzweifelte Versuch, den Kehlschnitt auszuführen. Sieht man ja auch im Video. Ein angetrunkener Mann hätte in meine Variante gepasst, in deine natürlich nicht. Der beschwipste Mann, den Schwartz sah, passt recht gut zu der Beschreibung von Lawende, von Smith und auch vom Mann in der Church Lane. Es ist also durchaus möglich, mit Alkohol im Blut, wie viel auch immer, solche Taten durchzuführen. Wir wissen auch, dass dies häufiger passiert. In dem Falle können wir uns natürlich nicht sicher sein. Vielleicht war es auch “Zuckungen“ aufgrund einer ernsthaften, geistigen Erkrankung die Schwartz sah. Aber auch da gilt, es müssen nicht die ruhigen Hände eines Mannes gewesen sein, der ganz entspannt seinen Plan durchzieht. Zu dem “groben Typ“ passt auch eher die Flucht, als das Verhalten eines besonnenen Täters. Das könnte unter Umständen wichtig für diesen Faden hier sein.

Barnett konnte Kelly nur aufgrund ihrer Augen identifizieren. Was auch immer Augen bedeutete. Es wäre schon wichtig, ob sie eingeschnitten waren (auch bewusst vom Täter, denn das ganze Gesicht war verstümmelt und das war es auch schon recht stark bei Eddowes). Vielleicht kannst du uns da noch genauer informieren.

Ich denke, er wollte bei Eddowes zum ersten Mal die Augen blosslegen, was er bei Kelly schließlich auch schaffte.
 

Das kann ich schlecht behaupten, da es hierzu keine erhaltenen Akten gibt. Würde ich mich weit aus dem Fenster lehnen wollen, würde ich sagen, dass bei Kelly die Augenlider fehlten. Aber das mach ich lieber nicht.
 

Es wäre ja nun schon wichtig, ob er dann bei Kelly sein Werk weiterführte. Hatte Kelly keine Lidverletzungen, dann wäre dies doch hinfällig und dann könnte man annehmen, dass er das bei Eddowes schon nicht machen wollte und diese Verletzungen “ein Unfall“ waren, Wunden, die beim “Struggle“ entstanden. Dann wäre auch der professionell und präzise Killer nicht ganz so präsent.

Apropos Struggle. Du zitiertest auch:
no bruises on the scalp, the back of the body, or the elbows.

Man darf nicht erwarten, dass sie sich wie Dick und Doof (sorry Andromeda) gegenseitig auf die Mütze gehauen haben. Gab es keine weitere Anzeichen eines Kampfes an Kopf und Leib, bedeutet das nicht, dass keiner stattgefunden hat. Ein kleiner Auszug aus der Kleidung von Eddowes:

•  Schwarze Strohhaube mit grünem und schwarzem perlenbesetzen Samt verziert. Mit schwarzen Schnüren fest am Kopf zusammengezogen
•  Schwarzer Tuchmantel mit Kunstpelz um Kragen und Armabschluss. Die Taschen waren mit geflochtener Seide und Pelz verziert. Der Mantel hatte grosse metallene Knöpfe
•  Dunkelgrüner Rock mit braunem Knopf auf der Manschette. Der Rock war mit Gänseblümchen und goldenen Lilien gemustert
•  Weisse Männerweste mit passenden Knöpfen auf der Vorderseite
•  Braunes Leinen Mieder mit Samtkragen und braunen Knöpfen auf der Vorderseite
•  Grauer, gefütterter Unterrock mit weißem Bund
•  Sehr alter grüner Rock, getragen als Unterkleid
•  Sehr alter, zerlumpter blauer Rock mit roten Volants, leicht gefüttert, getragen als Unterkleid
•  Weisse Kattunbluse

Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig war, darunter einen blauen Fleck zu verursachen.

Ich denke Isdrasil, es lohnt sich immer wieder erneut und noch genauer hinzuschauen. Zuviel wird angenommen, weil es irgendwo steht und das seit 1888, wie auch Andromeda mit Diemschütz kürzlich ansprach. Manchmal hat es vielleicht weniger Bedeutung (Millwood Smith und Tabram, die alle Verletzungen in ihren “The lower portion of the body“ hatten, was auch typisch für die meist angenommenen Ripper- Opfer ist), manchmal eben mehr.

Also wie gesagt, wenn du nochmal Zeit findest, wir wollen doch hier aus allen Blickwinkeln informieren, ich wäre sehr daran interessiert.

Wie geschrieben, vielleicht habe ich da auch einen falschen Eindruck von deinen Ausführungen bekommen. Aber wir sprachen ja erst gerade wieder über die Wahrnehmung jedes einzelnen.

Dir auch ein schönes Wochenende.

Es ist ja gerade wundervolles Wetter.

Mit allerbesten Grüßen, Lestrade.














Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Anirahtak am 13.06.2013 23:08 Uhr
... Wer weiß ob er nicht bei Nichols auch von sich nähernden Schritten davon abgebracht wurde noch weiter zu gehen. ...
Ja, davon gehe ich sowieso aus, dass er sich immer gleich davonmachte, sobald er hörte, dass sich Geräusche näherten. Ebenso, dass er die ganze Zeit über darauf achtete, ob sich Geräusche nähern. Dadurch war es ihm möglich, immer rechtzeitig zu verschwinden; auch wenn es hin und wieder sehr knapp war. Aber so kam es dazu, dass ihn niemand je wirklich "beim Schneiden" erwischte.

In der Situation mit Stride und Schwartz wäre es auch ein "Erwischen" gewesen, aber noch im Vorfeld zur eigentlichen Tat.

Zitat
Also: Frühzeitig das Weite suchen und wenn das nicht hilft oder er es nicht will - die Leute bedrohen. So hätte er meiner Meinung nach reagiert. Wenn derjenige ihn dann jedoch angegriffen hätte oder zumindest nicht direkt geflohen wäre, könnte ich mir gut vorstellen, dass er denjenigen dann auch ermordet hätte - auch aus Wut über die "Störung" bei der Tat.
Ja, ausschließen würde ich das auch nicht. Obwohl ich auch dazu tendiere, dass er grundsätzlich geflohen wäre. Andererseits, wenn er inmitten der Tat erwischt worden wäre -also nicht beim Angriff auf das Opfer, sie wäre bereits tot und er gerade am Säbeln- und der Zeuge rennt schreiend davon, wäre der Ripper leise in die andere Richtung gerannt oder hätte er den Zeugen erst "leise gestellt"? Also nicht nur aus Wut, sondern um besser entkommen zu können. Da er immer rechtzeitig entkam (wenn zuweilen auch knapp, aber immer rechtzeitig) schätze ich ihn schon "geistesgegenwärtig" genug ein, um schnelle Entscheidungen zu treffen, die seinen Zwecken dienlich sind, hier: erfolgreiches Entkommen. Wonach sich natürlich noch die Frage stellt, ob ein schreiend wegrennender Zeuge für ihn gefährlich gewesen wäre, also bezüglich des Entkommens... dass er ihn gesehen hätte, wäre natürlich Ripper-Pech. Der Ripper hätte also abschätzen müssen, ob es in der Situation zweckmäßiger wäre, in die andere Richtung zu fliehen als der Zeuge, der ihn gesehen hätte oder ob er sich die Zeit hätte nehmen sollen, den Zeugen auszuschalten, was ja nicht unbedingt so schnell (und lautlos) gehen muss wie die Überraschungsangriffe auf seine anderen Opfer.

Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Isdrasil am 17.06.2013 19:31 Uhr
Hi Lestrade,

ich habe ein Problem und möchte es ansprechen, da ich Dinge gerne kläre.

Ich würde hier gerne am Forum teilnehmen, aber genauso deinem Wunsch nach näheren Ausführungen nachkommen. Seit deinem Post bremse ich mich aber wieder selbst aus. Auf der einen Seite habe ich einfach momentan keine Zeit, großartige Ausführungen vorzunehmen, Quellen zu durchforsten und gut durchdachte Posts zu schreiben. Auf der anderen Seite möchte ich so etwas auch nicht auf mir sitzenlassen. Ich poste einfach nicht gerne weiter, als wäre nichts von mir verlangt. Die Folge: Schon wieder schreibe ich hier nichts. Das ist ein Mechanismus, der mich schon oft hier gedrosselt hat. Ich möchte teilnehmen, es fehlt aber die Zeit, um weiter auszuführen.

Ich weiß nicht, woher das eines Tages kam, dass ich keine tieferen Begründungen für meine Ansichten hätte oder zu schwammig argumentiere. Ich meine, dies oft zwischen Zeilen zu lesen, oder höre es gar um mehrere Ecken. Ich denke, ich bin niemandem hier Rechenschaft schuldig (auch wenn ich dies auf gewisse Art und Weise gerade tue). Ich habe dem Forum viel Energie geschenkt, habe Verdächtige für die Infoseite bearbeitet, Briefe für Thomas transkripiert, Rezensionen geschrieben, meine Überlegungen stets mit Quellen und eigenem Kartenwerk untermauert.
Darum verstehe ich deinen Wunsch nach näheren Ausführungen meinerseits besonders.
Und darum verzeih mir vorerst, wenn ich hier weiter poste, auch wenn ich Dir die ausführliche Antwort zunächst schuldig bleibe.  ;)

Grüße, Isdrasil

Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Lestrat am 27.10.2013 19:48 Uhr
Hallo mal wieder,

auch wenn dieser Treat etwas erkaltet ist. Die Frage wie der Ripper bei einem "erwischtwerden" reagiert hätte, beschäftigt mich auch schon geraume Zeit. Welche Möglichkeit  (falls ich es nicht überlesen habe) bisher hier noch nicht erörtert wurde (auch wenn ich es mir nicht so recht vorstellen kannn) : Wäre es nicht auch vorstellbar das der Ripper von mehreren Polizisten/Männern gestellt den Selbstmord gewählt hätte?

Also natürlich denke ich würde er nach möglichkeit die Flucht ergreifen, wäre er aber in eine ausweglose Situation geraten, hätte er der Polizei den Triumph gegönnt den "Schrecken des Eastends" zu verhaften und öffentlich vorzuführen? Oder hätte er Quasi bis zum "letzten Atemzug" gekämpft oder war er nur ein kranker Feigling der sich nur an wehrlosen Frauen vergreifen konnte?

Gruß Lestrat (zur Unterscheidung zwischen mir und Lestrade: Lestrade ist der schreibfreudigere von uns  :good:)
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Stordfield am 29.10.2013 17:28 Uhr
Hallo Lestrat!

Diese Frage ist natürlich schwer zu beantworten, wenn man den wahren Charakter des Rippers nicht kennt. Ich persönlich glaube, dass er sich ohne Gegenwehr hätte festnehmen lassen.
Warum? Weil er am Ende seiner Kraft war.
Isdrasil, Lestrade, panopticon u. a. können dir vielleicht zu jedem verdächtigen Typus eine passende, logisch klingende Antwort geben, aber auch nur dann, wenn sie zumindest einigermaßen von einem bestimmten suspect überzeugt sind.

Gruß Stordfield
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Isdrasil am 29.10.2013 18:19 Uhr
Hi

@Lestrat (mit hartem t und ohne e): Ich glaube nicht, dass sich der Täter selbst umgebracht hätte. Man darf die Taten nicht als Lebenselixier des Rippers betrachten. Auch wenn Morde den Serientätern erst eine Identität geben, sind sie dennoch oft nicht selbstdestruktiv genug veranlagt, um diesen Schritt zu gehen. An einen Selbstmord glaube ich nicht - ich stehe auf den Ausdruck "Gottkomplex", und der Ripper hätte eher danach getrachtet, wieder auf freiem Fuss zu gelangen und sein Werk fort zu setzen. Davor hätte er aber jegliche Art der Flucht, auch mit entsprechender Gegenwehr, genutzt.

Es gibt wohl Täter, die in Gefangenschaft Floskeln wie "gebt mir die Höchststrafe" oder gar "bringt mich um" reißen, aber am Ende lässt sich das in Gefangenschaft auch leicht behaupten. Gust hatte dies wohl geäußert, er hatte aber auch ein gewisses soziales Umfeld um sich herum und, wie er sagte, eine böse und eine gute Seite in sich. Er kannte also auch das Licht.
Ich bin mir noch nicht sicher, ob dies beim Ripper so der Fall war.

So oder so: Kein Selbsmord. Auch nicht, um der Polizei den Triumph nicht zu gönnen.

Grüße, Isdrasil
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Andromeda1933 am 30.10.2013 10:37 Uhr
Mir ging oft durch den Kopf, dass er vielleicht in dieser Situation geistig und psychisch total kollabiert wäre. Vielleicht hätte er sich auf den Boden geworfen und nur noch gewinselt oder so. Andererseits muss er ja voller Wut, Hass oder „Berufung“ gewesen sein. Es ist nur ein Bauchgefühl, doch ich glaube irgendwie nicht daran, dass er quasi „Amok“ gelaufen wäre. Ein besserer Herr, der zum (spaßigen, perversen) Morden ins East End ging – vielleicht. Ich sehe in diesem Täter jedoch eher einen „getriebenen“ kaputten Typ, der entweder selbst aus dieser Zone stammte, zumindest aber aus der Unterschicht stammte und nicht richtig tickte.
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Lestrat am 02.11.2013 15:19 Uhr
Hi,

Zitat
  Ich glaube nicht, dass sich der Täter selbst umgebracht hätte. Man darf die Taten nicht als Lebenselixier des Rippers betrachten. Auch wenn Morde den Serientätern erst eine Identität geben, sind sie dennoch oft nicht selbstdestruktiv genug veranlagt, um diesen Schritt zu gehen. An einen Selbstmord glaube ich nicht - ich stehe auf den Ausdruck "Gottkomplex", und der Ripper hätte eher danach getrachtet, wieder auf freiem Fuss zu gelangen und sein Werk fort zu setzen. Davor hätte er aber jegliche Art der Flucht, auch mit entsprechender Gegenwehr, genutzt.

Hi Isdrasil, ich dachte da z.B. an einen Typ a la Alois Szemeredy und ja würde ein Gottkomplex nicht dazu führen können das er sich nicht von "normalen Menschen" festnehmen lassen würde? Ich denke jetzt an eine Szene wie im Dutfields Yard, er wird von einem Polizisten erwischt der seine Kollegen alarmiert und dem Ripper ist der Fluchtweg abgeschnitten. Was tut er jetzt? Versucht er Wiederstand zu leisten muß er ja damit rechnen das er von dem/den Polizisten/Passanten überwältigt wird.   :Laie_53:

Zitat
Diese Frage ist natürlich schwer zu beantworten, wenn man den wahren Charakter des Rippers nicht kennt. Ich persönlich glaube, dass er sich ohne Gegenwehr hätte festnehmen lassen.
Warum? Weil er am Ende seiner Kraft war.
Isdrasil, Lestrade, panopticon u. a. können dir vielleicht zu jedem verdächtigen Typus eine passende, logisch klingende Antwort geben, aber auch nur dann, wenn sie zumindest einigermaßen von einem bestimmten suspect überzeugt sind.

Da gebe ich dir recht Stordfield, auch ich kann mir keine rechte Vorstellung von dem Typ Mensch des Rippers machen. Ich denke er muß einigermaßen "normal" ausgesehen und gewirkt haben denn mit einem Verrückt/schäbig Aussehendem Kerl wie z.B. "Leather Apron" wären die Prostituirten wohl nicht mitgegangen (zumindest nicht nach den ersten 2-3 Morden). Auch muß er wohl Geld gehabt haben um die "Dienstleistung" bezahlen zu können. (Da frage ich mich auch wieder: hat er vor dem Verkehr bezahlt und ihnen anschließend das Geld wieder abgenommen oder hat den Frauen gereicht das Geld zu sehen?? Doch dann hört es schon bei mir auf.  :unknown:
 :Laie_69:

Zitat
Mir ging oft durch den Kopf, dass er vielleicht in dieser Situation geistig und psychisch total kollabiert wäre. Vielleicht hätte er sich auf den Boden geworfen und nur noch gewinselt oder so. Andererseits muss er ja voller Wut, Hass oder „Berufung“ gewesen sein. Es ist nur ein Bauchgefühl, doch ich glaube irgendwie nicht daran, dass er quasi „Amok“ gelaufen wäre. Ein besserer Herr, der zum (spaßigen, perversen) Morden ins East End ging – vielleicht. Ich sehe in diesem Täter jedoch eher einen „getriebenen“ kaputten Typ, der entweder selbst aus dieser Zone stammte, zumindest aber aus der Unterschicht stammte und nicht richtig tickte.

Ja Andromeda, obwohl ich noch Gefühlsmäßig mit dem Bild des Dr.Jekyll/Mr. Hide Types (also eines Arztes oder ähnlichem zumindest mit genaueren anatomischen Kenntnissen aus "besseren Kreisen") Symphatisiere "passt" ja eigentlich nur ein wahrscheinlich Jüdischer Einwohner des Eastends zu den Aussagen die die Zeugen abgegeben haben. Deshalb tendiere ich eigentlich in letzter Zeit Richtung Kaminsky und diesen Typ würde ich entweder so einschätzen das er "ausrastet" (oder aber weinerlich zusammenbricht) :wacko1:

Grüße

Lestrat

Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Isdrasil am 02.11.2013 17:23 Uhr
Hi Lestrat,

Ich dachte da z.B. an einen Typ a la Alois Szemeredy und ja würde ein Gottkomplex nicht dazu führen können das er sich nicht von "normalen Menschen" festnehmen lassen würde? Ich denke jetzt an eine Szene wie im Dutfields Yard, er wird von einem Polizisten erwischt der seine Kollegen alarmiert und dem Ripper ist der Fluchtweg abgeschnitten. Was tut er jetzt? Versucht er Wiederstand zu leisten muß er ja damit rechnen das er von dem/den Polizisten/Passanten überwältigt wird.

Ich unterscheide gerne zwischen der inneren Erlebniswelt eines Täters und seiner tatsächlichen Wirkung nach außen. Dieses Verhältnis war meiner Meinung nach bei diesem Täter immens gestört. Innerhalb seiner Erlebniswelt war er der Größte, der Unbesiegbare. Und solange die Außenwelt seinen Vorstellungen entsprach, war er das auch innerlich. Aber von außen betrachtet war er wohl eher der Nobody, ein Außenseiter, Eigenbrötler, ein verschlossener, gar schüchtern in Erscheinung tretender Charakter. Eventuell hing dies mit seiner Absonderung von der normalen Welt und der Gesellschaft zusammen. Es würde mich nicht wundern, wenn seine generelle Haltung menschenhassend und gesellschaftsverächtend war. Mit Frauen konnte er nicht. Dann versagte er. Innerhalb seiner gewohnten Umgebung konnte er das Maul aufreissen, wenn seine "Kumpels" um ihn herum waren. Wenn er jedoch alleine war, sah die Sache ganz anders aus.

Wenn wir nun annehmen, dass er gestört bzw. erwischt wurde, dann dürfte er in diesem Moment zornig und pampig reagiert haben. Gleichzeitig stieg Nervosität in ihm hoch, ein überaus gesteigerter Adrenalinschub. Mit Gottkomplex meine ich: Er hält sich für den Größten, ist es aber beileibe nicht. Er ist nur solange Gott, solange die Welt nach seinen Regeln tanzt. Ich denke also, dass er bei einer versuchten Festnahme außer Kontrolle geraten wäre. Er hätte um sich geschlagen, gestochen, getreten.

Wenn ihm der Fluchtweg abgeschnitten wäre, dann wäre er so schnell es geht offensiv geworden. In dem Sinne, dass er versucht hätte, sich mit aller Gewalt an dem Polizisten aus der Sackgasse heraus zu drängen.

So stelle ich mir jedenfalls den Ripper vor. Ein wandelnder Widerspruch. Eine zerrissene Person. Ein Gott in Gedanken, der sich in eine weltliche Ordnung gezwängt sah und dennoch in so vielen Situationen psychisch versagte.

Grüße, Isdrasil
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Lestrade am 03.11.2013 15:15 Uhr
Ich bin mir momentan gar nicht so sicher, wie der Ripper reagiert hätte. Ich denke, dass so ein Typ in jeglicher Form seiner gesamten Existenz unberechenbar lebt und reagiert. Haut er aus der Berner Street vielleicht noch ab, stellt er sich eventuell im Miller´s Court den möglichen Bedrohungen. Er könnte auch dabei, beim “Erwischt werden,“ unberechenbar gewesen sein und auch so reagiert haben.

Wer sich daran erinnern kann, weiß, dass ich kürzlich an einem Vorfall mit einer “Matilda“ dran gewesen war (und immer noch bin). Diese Sache gehörte eigentlich zum Annie Farmer Fall. Ein Messerangreifer wurde dabei verfolgt und letztendlich von Konstabler und Kripobeamten gestellt. Dieser Mann war offenbar geisteskrank. Er floh erst und als er gestellt wurde, versuchte er sich mit seinem Messer zu wehren. Dies wirkte wohl eher sehr verzweifelt und verängstigt. Und genauso stelle ich mir den Ripper vor, wenn er von der Polizei gestellt worden wäre. Ängstlich, im Wissen, dass seine Werke nun nicht mehr von ihm ausgelebt  werden können. Polizisten machten ihm sicherlich Angst. Kein Hasenfuß wie Schwartz oder Pipeman aber vielleicht einer wie Diemschütz, auch wenn er nicht mit ihm in Konflikt kam. Aber im Fall der Fälle, wäre letzterer viel taffer gewesen als so manch anderer, meiner Einschätzung nach.   

Hier noch ein Link, der vielleicht interessant ist:

http://www.casebook.org/dissertations/ripperoo-serial.html
Titel: Re: Reaktion aufs Erwischtwerden
Beitrag von: Stordfield am 01.10.2019 04:06 Uhr

Hallo!

Dieser Thread hier ist zwar auch schon wieder aus grauer Vorzeit, aber beim Durchstöbern fiel mir ein bemerkenswerter Satz auf:

Oftmals spiegelt sich der Täter, oder Anteile von ihm, im Opfer wieder. 

Lange habe ich darüber nachgedacht, kann das Geschriebene aber für mich immer noch nicht bestätigen. Meinst du, Lestrade, dass der Ripper mehr oder weniger zwangsweise aus dem Milieu der Prostituierten stammen muss? Welcher sonstige Serienmörder hat denn auch nur die geringste Ähnlichkeit mit seinen Opfern, lässt man den gleichen Lebensbereich einmal weg? Wenn das so stimmen würde, ergäbe dies ganz neue Ermittlungsansätze. So oder so...meines Erachtens eine äußerst interessante Aussage.

Gruß Stordfield