Autor Thema: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur  (Gelesen 72520 mal)

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Offline Lestrade

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #90 am: 08.10.2013 20:38 Uhr »
Hallo Isdrasil,

So wie Du es meinst, ist es jetzt auch bei mir angekommen. Danke für deine Erklärung. Ich kann das nun nachvollziehen und es erscheint mir aus dieser Sicht und Betrachtung auch sehr sinnig. Mit meinem bisherigen Verständnis dafür, konnte ich die Gründe deiner Überlegungen bis dato nur im geringen Umfang erfassen.

Noch zum Gegenteil des Ripper- Stresses:

Weniger Stress sollte der Ripper kurz nach den Morden gezeigt haben. So 3-4 Stunden danach, in denen er sich entspannt fühlte. Da hätte er vielleicht sogar “geplaudert“. In gewisser Weise könnte das nach dem DoubleEvent nicht gleich der Fall gewesen sein, weil er da wahrscheinlich von der Polizei “verfolgt“ wurde (Goulston Street).

Beste Grüße,

Lestrade.
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Offline Anirahtak

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #91 am: 08.10.2013 23:19 Uhr »
Ja Isdrasil, bei mir ist auch angekommen, was du meinst. Trotzdem hätte ich dazu nochmal eine Frage. :pardon:

Was hat deiner Ansicht nach eine zwanghafte Ripper-Persönlichkeit in diese ungewohnte (evtl. von Tabram abgesehen, aber zumindest "ungeübte"), gefühlt unsichere Tatortsituation verschlagen? Es sind zwei Punkte, die mich zu der Frage veranlassen. Zwanghafte Persönlichkeiten neigen ja eher nicht dazu, mal etwas Neues auszuprobieren. Im Gegenteil meiden sie ungewohnte Situationen. Weiterhin dürfte es viel einfacher gewesen sein, eine Prostituierte zu finden, die auf der Straße arbeitet, als eine mit eigener Räumlichkeit (was mich persönlich ja zu der Annahme veranlasst, Kelly sei gerade wegen ihres Raums zum Ripper-Opfer geworden). Wie erklärst du dir unter diesen Umständen, dass er von seinem subjektiv sicheren Muster abgewichen ist?

Offline Isdrasil

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #92 am: 09.10.2013 06:31 Uhr »
Hi

Mal kurz antworten, bevor es auf die Arbeit geht...  :boredom:

Ich denke, da rechnet man dem Ripper zuviel Eigeninitiative zu. Generell glaube ich eher, dass er die Tatortwahl den Frauen überliess. Er dachte weniger darüber nach, als wir meinen mögen. Meiner Ansicht nach war der Ripper ein einfach gestrickter Geist, der sich nicht allzu sehr um die Zukunft scherte und eher im hier und jetzt lebte. Zudem denke ich, dass sich diese zwanghafte und labile Persönlichkeit in ihrem gewohnten Umfeld (wie zum Beispiel Arbeitsplatz) einigermaßen behaupten konnte, in einem anderen Umfeld jedoch völlig versagte: Das war, wenn sich der Ripper in Gegenwart von Frauen befand. Er wusste nicht mit Ihnen umzugehen, mied allzu persönliche Kontakte und beschränkte sich bei Interaktionen mit dem weiblichen Geschlecht auf das Mindeste. Und das Wichtigste: Ich denke, er war tief im Innern äußerst unsicher im Umgang mit Frauen, wenig selbstbewusst und eigentlich schüchtern.
So dürfte er nach Wahl des Opfers schlicht und ergreifend hinter der Unglücklichen "her geschlurft sein". Ich stelle mir das so vor, dass der Ripper in solchen Situation einfach unfähig war, sein Unbehagen zu unterbrechen, und still und leise in diese für ihn unbehagliche Situation geschlittert ist.
Er war für eine Unterbrechung dieser Situation einfach zu hilflos, frass seine Probleme eher nach Innen, anstatt diese zu lösen bzw. zu verhindern.

In Kellys Räumlichkeit dürfte er ebenso hilflos gewirkt haben, möglicherweise ein Grund, weshalb diese keinen Verdacht schöpfte. Wir wissen von Barnetts Sprachfehler - möglich also, dass Kelly diese Art von Männern ganz anziehend fand, möglicherweise eine Art Helferkomplex gegenüber wenig selbstbewussten Männern empfand. Ich denke, Kelly stellte sich den Ripper anders vor, attraktiver und womöglich galanter, und liess ihn deshalb mit zu ihr kommen.

Und so entstand die Tatortsituation: Ein unsicherer, schüchterner und labiler Ripper sowie ein nichts ahnendes Opfer. Während des Mordes verlieh der Ripper seinem Unbehagen, seinem Stress dann Ausdruck, und eliminierte Kelly ebenso als Person, da ihn das Persönliche zwischen ihm und ihr womöglich auch abgeschreckt hatte...

Der Ripper war also eine zwanghafte Person mit bestimmten Vorstellungen, die jedoch unfähig war, sich diese Situationen selbst zu schaffen.

So...muss los...hoffe, man hat es einigermaßen verstanden.  ;)

Grüße

Offline Lestrade

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #93 am: 09.10.2013 09:33 Uhr »
Das mit der Zwanghaftigkeit kann ich mir auch gut beim Ripper vorstellen. Es gibt ja u.a. die Einteilungen in zwanghafte bzw. triebhafte Psychopathie/Persönlichkeitsstörung, wo sich eben auch bestimmte Merkmale finden lassen wie; zwanghaft, autistisch, paranoid, schizoid, unsicher, pervers, starr, die Schuld stets auf andere schiebend an denen sie auch ihre Wut auslassen usw. Genau so, wie Isdrasil es ja beschreibt. Das sind Merkmale, wie wir sie auch dem Ripper zuschreiben sollten.

Ich denke, dass Frauen dem Ripper Angst machten. In etwas so, als wenn ein Kleinkind von einem Hund angegriffen wurde und im späteren Leben, aufgrund dieser schrecklichen Erfahrung, Hunde eigentlich meidet, nicht mit ihnen in Kontakt kommen kann aber gleichzeitig Vernichtungsfantasien gegen diese Tiere entwickelt. Diese entstehen dann in der frühen sexuellen Reifephase und mischen sich mit der eigenen Sexualität und es kommt zu einer Prägung bezüglich bestimmter Vorstellungen.

Frauen, insbesondere Prostituierte, galten beim Ripper wohl nicht einzig (wenn auch als klare Nummer 1) und allein der Befriedigung seiner sexuellen Wünsche nach Mord und Verstümmelung etc., sondern auch der Vernichtung einer Sache, die ihm permanent Angst machte. Allein mit einer Frau bzw. Frauen, sollte für den Ripper eine große Angst und Stresssituation bedeutet haben, die es zu überwinden galt.

So erscheint natürlich die Situation in Kelly´s Zimmer in einem ganz anderen Licht, denn da war er mit einer Frau tatsächlich (lange) a l l e i n und dann passt dazu auch die Entpersonalisierung (Gesicht) besonders gut. Hier hätte am Ende der Ripper tatsächlich einiges überwunden, n a c h d e m er erst einmal einiges an Stress bewältigen musste. Stimmt es tatsächlich, dass der Mörder von Kelly versucht hat ihr Gesicht nachzubauen, dann könnte das Verhöhnung gewesen sein (er hätte seine Angst besiegt), einfach nur unglaublich pervertiert oder so etwas wie die Rückgabe der Persönlichkeit (“re- personalisierung“) bzw. vollkommen geisteskrank oder eine Mischung aus allem oder einigem davon. Gehört das gar mit zum Zwang?

Ich kannte nur Ressler´s Zitat,, fand aber nun Stordfield´s Hinweis von vor über fünfeinhalb Jahren:

Hallo !

Ich las gerade ein Profil , das FBI - Agent McCrary erstellt hat . Darin steht , daß der Ripper in spottender Art und Weise , aus M. Kellys Nasen - und Ohrenspitzen auf dem Nachttisch ihr Gesicht geformt haben soll . Stimmt das ?

Gruß Stordfield

Robert Ressler:
“Bei seinem letzten Opfer entfernte Jack the Ripper nicht nur die Gebärmutter, sondern schnitt dem Opfer dessen Ohren und Nase ab und platzierte diese auf eine abgetrennte Brust um ein Gesicht nachzuäffen“.

Zu allem passt dann wohl auch der Satz, “Zwang zur Serie“.

Unter´m Strich und ja auch ganz wichtig, Isdrasil´s Botschaft kam an.   

Gruß, Lestrade.
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Offline Lestrade

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #94 am: 09.10.2013 09:41 Uhr »
Hier Gregg McCrary im Kapitel 3:

When police arrived the following morning, they found a severed breast on the bed table, decorated with the tips of her nose and ears in the mocking rendition of a face. The contents of her abdomen were spread over the bed and thrown around the room.

http://www.trutv.com/library/crime/serial_killers/notorious/ripper_profile/3.html

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Offline Isdrasil

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #95 am: 09.10.2013 12:12 Uhr »
Hi

Freut mich, dass meine Botschaften mal wieder ankommen. Heißt ja nicht, dass man einer Meinung sein muss.

Lestrade, deinem letzten (vorletzten) Post kann ich nur zustimmen.  ;)

Was ich noch schnell erwähnen wollte: Wenn ich von einem "schüchternen" Täter spreche, dann meine ich damit die innere Welt des Rippers. Manchmal erscheinen eigentlich schüchterne Menschen nach außen recht aufgeschlossen. Als Resultat einer lebenslangen Auseinandersetzung lernen Menschen, Masken zu tragen, sich zu verstecken, bestimmte Situationen nach Drehbuch zu absolvieren. So gelingt es schüchternen Menschen unter bestimmten Umständen, ihre Persönlichkeit an die Umgebung anzupassen, werden von den anderen quasi nicht gesehen, nicht erkannt. Der Alltag spielt hier eine wichtige Rolle. Ein als wirklich aufgeschlossen geltender Mensch ist hingegen in jedem Moment er selbst. Das wäre zumindest meine Vorstellung davon.

Man kann auch gerne überlegen, ob sich der Ripper tatsächlich von den Frauen ansprechen liess. Das ist meine bevorzugte Sicht der Dinge und passt zu dieser Persönlichkeitsbeschreibung.

Ergänzend kann man erwähnen, dass Kelly wahrscheinlich hinter diese Maske blickte. Es gelang ihr bewusst oder unbewusst in der Zeit in ihrem Zimmer, den Ripper zu demaskieren. So muss er sich jedenfalls aufgrund der intimen Situation gefühlt haben. Noch ein Grund für ein Unbehagen seitens des Täters. Er fühlte sich nackt, enttarnt. Die Szene im Millers Court könnte ihm die Macht entrissen haben, die er bei den anderen Morden spürte.
Die Macht dürfte in dem Moment zu bröckeln angefangen haben, als der Ripper begriff, dass es Indoor ging. Da war es aber zu spät für ihn. Jetzt musste er durch. Womöglich hat er sogar einige Zeit mit sich selbst gehaddert (ob er den Mord wirklich begehen sollte).

Grüße, Isdrasil
« Letzte Änderung: 09.10.2013 12:23 Uhr von Isdrasil »

Offline Lestrade

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #96 am: 09.10.2013 12:43 Uhr »
Ergänzend kann man erwähnen, dass Kelly wahrscheinlich hinter diese Maske blickte. Es gelang ihr bewusst oder unbewusst in der Zeit in ihrem Zimmer, den Ripper zu demaskieren. So muss er sich jedenfalls aufgrund der intimen Situation gefühlt haben. Noch ein Grund für ein Unbehagen seitens des Täters. Er fühlte sich nackt, enttarnt. Die Szene im Millers Court könnte ihm die Macht entrissen haben, die er bei den anderen Morden spürte.
Die Macht dürfte in dem Moment zu bröckeln angefangen haben, als der Ripper begriff, dass es Indoor ging. Da war es aber zu spät für ihn. Jetzt musste er durch. Womöglich hat er sogar einige Zeit mit sich selbst gehaddert (ob er den Mord wirklich begehen sollte).
Grüße, Isdrasil

So eine Konstellation könnte natürlich Dinge, wie ich sie annehme, auf den Kopf stellen. Dies könnte nämlich erklären, warum der Täter dann längere Zeit bei der lebenden Kelly verweilen konnte.

Ich schätze diese Konstellation chancenmäßig zwar nicht sehr hoch ein aber durchaus (u.U.) für möglich. Dass jemand (in dem Falle ein Opfer) “Zugang“ zum Ripper finden konnte.

Aber auf diese Überlegung muss man erst einmal kommen. So oder so bleibt sie bemerkenswert. 
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Stordfield

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #97 am: 09.10.2013 14:15 Uhr »
Hallo!

Weil gerade von Mr. Ressler die Rede war- Ich lese zum wiederholten Mal (weil ziemlich kompliziert für mich) ein Buch, in dem auch das "Motivationsmodell" nach Ressler et al. behandelt wird.
Könnt ihr mir vielleicht bitte den Inneren Dialog erklären? Was bedeuten Generalisierung, sowie die Aussage der starken, einschränkenden Voraussetzungen bzgl. Ursache, Auswirkung und Möglichkeit (kognitive Aufzeichnungs- und Verarbeitungsprozesse.)?
 :flag_of_truce:
Das ist zu hoch für mich. Aber ich muß es trotzdem wissen.

Gruß Stordfield

Andromeda1933

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #98 am: 09.10.2013 15:20 Uhr »
Mir wird langsam schwindelig bei Eurer Psycho-Diskussion! Verkraftet Ihr noch etwas einfaches?

Was im Miller's Court geschah sehe ich auch als „Vernichtungsversuch“. Vermutlich an Kelly, jedenfalls an einer Frau. Sollte der Mord im Miller's Court NICHT von Barnett begangen worden sein, sehe ich da auch eine „Linie“ von Eddowes zu „Kelly“. Immerhin wurde hier an 2 Opfern das Gesicht massiv verletzt.  Schon möglich, dass die Gesichtsverletzungen der Eddowes, wie Lestrade anmerkt, auf ihre Gegenwehr zurück zu führen sind.  Umso merkwürdiger, dass hier Nachtwächter Morris im Lagerhaus nichts gehört haben will, denn es ist unwahrscheinlich, dass der ganze Vorgang lautlos vonstatten ging. Wahrscheinlich pennte der Kerl während seines Nachtdienstes. Wenigstens wusste er aber hinterher, was zu tun war. Bei den schmalen Passagen, die den Square mit den Straßen verbinden, sollte man einen Aufschrei außerhalb des Squares nicht gehört haben, denke ich.

Ich bin unter den posts hier schon mehrmals auf die Aussage gestoßen, der Täter hätte versucht, aus Fleischstücken usw. auf dem Tisch ein Gesicht zu formen. In (seriösen) Büchern finde ich nichts dazu. Wer letzten Endes auch immer das Opfer zerhackte und sogar Stücke der Frau an Nägel in der Wand hängte, versuchte diese Frau zu „vernichten“, geradezu „aufzulösen“.
Deshalb sehe ich persönlich keinen „erotischen Hintergrund“ oder ähnliches. Ich denke, hier ging es einzig um Hass, Wut, vielleicht auch Frustration, allein auf diese Frau gerichtet. Nicht auf das weibliche Geschlecht an sich. Ich sehe den Mord im Millers Court nicht als Teil einer Serie.

Das rätselhafte Szenario um Stride ist allen bekannt, wann „Kelly“ in ihrer Bude starb gibt dagegen viel Platz für Diskussionen. Lestrades letzte Bemerkung finde ich interessant.
Vielleicht kam der Mann später wieder, den Hutchinson (angeblich) gesehen haben will. Ich setze die Klammern hier, weil mir Hutchinsons Aussage grundsätzlich s e h r suspekt ist.
Möglich ist, dass dieser Mann irgendwann zu Kelly sagte, „warte, ich hole noch was zu trinken“. Dafür wäre sie sicher wach geblieben.
Plus – wer es auch immer war, er musste jetzt gewusst haben, wie er die Tür mit einem Griff durchs Loch im Fenster öffnen konnte! Wie viele dafür wohl in Frage kamen....


Mir geht da was durch den Kopf, dieses rätselhafte Singen der Kelly, was bezeugt wurde. Warum sollte sich ein Freier eine Stunde lang diesen Quatsch anhören.  Ein Freier hat was anderes im Sinn. War er besoffen eingeschlafen?  Was aber, wenn er nicht wusste, wie nun weiter??? Er war im Zimmer mit der Frau, aber Sex? Frustriert, schüchtern usw. wusste er vielleicht (noch) nicht, was auf ihn zukommt, wenn er mit einer Frau allein ist – eher aber, er war impotent und bis unter die Haarwurzeln geladen mit Emotionen aller Art. Nutten freuen sich, wenn gelegentlich ein Freier nur quatschen will. Kelly sollte keine Gefahr in ihm gesehen haben, wenn sie eine Stunde im Zimmer für ihn sang. Oder zwang er sie gar mit dem Messer an der Kehle für ihn zu singen, um den Leuten, denen sie beide vorher begegnet waren zu signalisieren, dass alles „in Ordnung“ war? Bisschen albern, dieser Gedanke. Zu viele Krimis gesehen...

Als gänzlich unfähig soziale Kontakte herzustellen sehe ich ihn nicht. Lassen wir mal Kelly beiseite, dann wissen wir immerhin noch von Chapman und Eddowes, dass sie mit einem Mann sprechend gesehen wurden. Klar, diese Frauen waren ganz unten angekommen. Eine Flasche Gin in Aussicht verkauften sie ihre Seele, dennoch dürfte auch in ihnen noch ein Überlebensreflex vorhanden gewesen sein, der sie vor dem Mitgehen mit einem gefährlich wirkenden Mann zurück gehalten hätte.

Offline Isdrasil

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #99 am: 09.10.2013 17:31 Uhr »
Hi Stordfield,

ohje, das ist wirklich ein weites Feld. Ich fang mal klein an und schreibe ein paar Zeilen zum "Inneren Dialog".
Ein Teil der sogenannten Existenzanalyse (ein Bereich der Psychologie) geht davon aus, dass jeder Mensch in Beziehung zu zwei Welten steht: Der äußeren Welt und der inneren Welt. Diese beiden Welten bestimmen die Realität eines jeden Einzelnen von uns. Um eine besonders gefestigte Persönlichkeit zu werden/sein muss man erreichen, dass sich diese beiden Welten in möglichst großer Übereinstimmung befinden. Das soll an einem Beispiel heißen: Wenn sich deine innere Welt nach einer eigenen Familie sehnt, wirst Du versuchen, die äußere Welt daran anzupassen und diese Familie zu gründen. Oder wenn die äußere Welt verlangt, dass Du bestimmten gesellschaftlichen Pflichten nachgehst, wirst Du versuchen, deine innere Welt dementsprechend anzupassen. Natürlich entstehen hierbei Konflikte. Der Mensch ist in einem ständigem Kampf zwischen diesen beiden Parteien, manchmal ohne es zu merken. Breche ich dieses Tabu? Wieso habe ich jetzt ein schlechtes Gewissen? Soll ich oder soll ich nicht?
Dadurch, dass die Gedanken prinzipiell frei sind (man denke an das bekannte Lied) und man sich in seiner ganz eigenen Intimität die innere Welt schafft, muss der Abgleich ständig stattfinden. Und hier tritt - unter Anderem - der innere Dialog ins Spiel. Manche machen es unbewusst, manche völlig bewusst, und ich kenne sogar Menschen, die es laut tun: Mit sich selbst sprechen.
Dieser Dialog zwischen mir selbst quasi pendelt dauernd das Gleichgewicht zwischen Innen und Außen ab. Natürlich strebe ich als Mensch nach Zufriedenheit. Aber wie erreiche ich diese Zufriedenheit? Indem ich mir die Fragen stelle, die mir keiner sonst stellen kann: Entspreche ich mir selbst, entspreche ich den Ansprüchen meiner Umwelt, und inwieweit möchte ich entsprechen, angepasst sein?

Hast Du dich schon einmal dabei erwischt, als Du gesagt hast: "Na, das hast Du aber wieder gut gemacht!"? Das war ein Paradebeispiel des inneren Dialogs. Wahrscheinlich gab es in der äußeren Welt eine Situation mit bestimmten Ansprüchen, denen Du nicht gerecht wurdest. Du hast dich in diesem Moment in deiner inneren Welt gleich selbst gemaßregelt. Du erziehst dich quasi selbst, und versuchst durch deine Selbsterziehung einen Platz in der Realität zu finden, mit dem Du dich abfinden kannst, mit dem Du leben kannst.

Das ist ein Teil des inneren Dialogs. Es ist ein Gespräch mit uns selbst. Es kann lobend oder maßregelnd sein. Auch abwägend. Aber es dreht sich immer um "Innen" und "Außen" und dem Abgleich.

Grüße, Isdrasil

Offline Lestrade

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #100 am: 09.10.2013 19:26 Uhr »
Hi Stordfield!

Ich denke, der innere Dialog ist eine Art von Selbstgespräch, bei dem man sich selber reflektieren kann, ohne auf einen anderen direkt angewiesen zu sein. Dafür ist also kein direktes Gegenüber notwendig, an und in dem man sich spiegeln könnte. In diesem Selbstgespräch werden allerdings auch die Meinungen oder die Erfahrungen mit anderen eingebaut und somit ist ein anderes Gegenüber doch, wenn auch unbewusster, vorhanden.

Generalisierung kenne ich als Verallgemeinerung. Also nach dem Motto: Mama war schlecht, weil sie wechselnde Partner hatte und Alkohol trank und somit sind alle Frauen schlecht, die wechselnde Bekanntschaften haben und Alkohol trinken.

Aber über das alles kann ein jeder so viel philosophieren wie er will.

Der Rest kommt später.

@Andromeda:

Wir haben doch noch nicht wirklich damit angefangen.

Ansonsten: Wieder nachvollziehbar, wobei eine Attacke mit Gesichtsverletzungen sehr schnell vonstattengegangen sein und der Angreifer, mit einem festen Griff oder seinem Körpergewicht, das Opfer am laut sein gehindert haben könnte. Ich denke, Hutchinson war da (Lewis sah jemanden, der Hutch gewesen sein könnte) aber ob seine Geschichte so stimmte? Was wartete er da solange? Hoffte er auf eine Unterkunft für die Nacht? War er ein Ex? Wurde es ihm einfach zu kalt und er entschied sich weiterzugehen?

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Offline Lestrade

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #101 am: 09.10.2013 19:59 Uhr »
So, nun aber weiter:

Hallo!

Weil gerade von Mr. Ressler die Rede war- Ich lese zum wiederholten Mal (weil ziemlich kompliziert für mich) ein Buch, in dem auch das "Motivationsmodell" nach Ressler et al. behandelt wird.
Könnt ihr mir vielleicht bitte den Inneren Dialog erklären? Was bedeuten Generalisierung, sowie die Aussage der starken, einschränkenden Voraussetzungen bzgl. Ursache, Auswirkung und Möglichkeit (kognitive Aufzeichnungs- und Verarbeitungsprozesse.)?
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Das ist zu hoch für mich. Aber ich muß es trotzdem wissen.

Gruß Stordfield

Jeder von uns nimmt wahr, versteht, denkt, lernt und bewertet usw. die Dinge um sich herum. Dabei passiert ja auch etwas in uns, wir werden dadurch angesprochen und reagieren mit entsprechenden Gefühlen. Das alles gilt es in Einklang zu bringen, es zu verarbeiten und einzuordnen, damit umzugehen. So kann man, im inneren Dialog (siehe letztes Post), für sich die erfahrenen Dinge durch spinnen und sich so seine Realität schaffen. Siehe auch Isdrasil:

Ein Teil der sogenannten Existenzanalyse (ein Bereich der Psychologie) geht davon aus, dass jeder Mensch in Beziehung zu zwei Welten steht: Der äußeren Welt und der inneren Welt. Diese beiden Welten bestimmen die Realität eines jeden Einzelnen von uns. Um eine besonders gefestigte Persönlichkeit zu werden/sein muss man erreichen, dass sich diese beiden Welten in möglichst großer Übereinstimmung befinden.
Grüße, Isdrasil

Nun können bestimmte Voraussetzungen bei Menschen nicht gegeben sein diese Thematik, wie für uns normal, ohne größere Störungen anzugehen. Dort sieht die “Realität“ dann anders aus.  

Inwieweit das alles weit genug erforscht ist, kann man wohl schwer einschätzen. Ich sage immer, der menschliche Verstand ist wie das Weltall. Ihn gänzlich zu verstehen, ist nahezu unmöglich also muss man mit vielen Annahmen arbeiten. Philosophie ist dabei auch wichtig.  
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Offline Anirahtak

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #102 am: 09.10.2013 23:00 Uhr »
Ich habe wieder alles verstanden und es erscheint mir auch im Großen und Ganzen stimmig, jedoch findet sich hier...

...

Die Macht dürfte in dem Moment zu bröckeln angefangen haben, als der Ripper begriff, dass es Indoor ging. Da war es aber zu spät für ihn. Jetzt musste er durch. Womöglich hat er sogar einige Zeit mit sich selbst gehaddert (ob er den Mord wirklich begehen sollte).
...für mich der Knackpunkt, wenn man die zwanghafte Persönlichkeit zugrunde legt. Zwanghafte Persönlichkeiten sind ja auch ausgeprägte Kontrollfreaks, liegt in der Natur der Sache. Lassen wir es mal Zufall sein, dass von allen verzweifelten Prostituierten ausgerechnet eine mit einem Raum ihn ansprach - ich meine zwar ebenfalls, dass er die Ortswahl den Frauen überließ. Nur meine ich noch hinzu, dass man zuvor besprach, wohin es gehen sollte, zumindest ungefähr und ganz besonders im Falle Kellys, sie könnte sogar in... ähm... "Sondierungsgesprächen" damit geworben haben, dass ein Zimmer zur Verfügung steht. Hutch zB will den Satz "In Ordnung, Schatz. Komm mit. Du wirst es gemütlich haben." gehört haben. Nicht, dass dieser Kunde der Ripper gewesen sein muss (sofern es ihn gab), ich will darauf hinaus, dass Kelly das Indoor-Detail schon im Vorhinein erwähnt haben dürfte, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, wie ich meine.

Es sei nun dahingestellt, ob ein zwanghafter (Kontrollfreak!) Killer mit exakter Vorstellung vom Außentatort trotzdem hinter ihr herschlurft...

Ausreden will ich es dir nicht, aber halt nur so mal, um auf den kleinen Fehler im Bild hinzuweisen... :biggrin:

Offline Isdrasil

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #103 am: 10.10.2013 12:01 Uhr »
Hallo Ani,

Ich verstehe deinen Einwand. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich ihn sogar erwartet.
 ;)

Ich sehe die Sache aber etwas anders. So pauschal gibt es in meinen Augen keinen Zusammenhang zwischen einer zwanghaften Person und einem Kontrollfreak. Dazu muss man unterscheiden, wie passiv oder aktiv eine Person ist und inwiefern diese Person gelernt hat, Umstände ihren Wünschen nach anzupassen. Das greift wieder wunderbar in den von Stordfield angesprochenen inneren Dialog.

Ich sehe einen Unterschied zwischen zwanghaften Vorstellungen und zwanghaftem Verhalten. Es kann durchaus sein, dass eine Person zwar eine zwanghafte Vorstellung davon hat, wie eine Sache abzulaufen hat, aber dennoch in einer passiven Rolle verharrt. Es kommt immer darauf an, wie selbstreflektiert eine Person ist.
Es gibt meiner Meinung nach solche und solche. Passive und aktive Menschen, welche die Umwelt nach ihren Vorstellungen gestalten oder gestaltet sehen wollen.
Lestrade hat es erwähnt: Die Abstimmung der inneren und äußeren Welt kann gestört sein. So durchdacht die innere Welt auch sein kann, so unfähig kann die Person sein, die äußere Welt danach zu gestalten.
Wie gesagt, es geht mir um Vorstellungen, nicht um zwanghaftes Verhalten. Es geht vielmehr um starr vorgefertigte Abläufe in den Gedanken des Täters und den inneren Zwang, diese Abläufe exakt so erleben zu wollen. Inwiefern der Täter souverän genug ist, um dies zu bewerkstelligen, steht für mich auf einem anderen Blatt.

Nichts desto Trotz kann ich deinen Post absolut nachvollziehen. Bei Zwang muss man auch ohne Zweifel an Kontrolle denken. Zwanghafte Vorstellungen und Kontrollergreifung gehen für mich jedoch nicht „zwanghaft“ einher.

Ich hatte erwähnt, dass es durchaus sein kann, dass der Ripper noch mit sich gehaddert hat. Wir wissen nicht, was zwischen Ihm und Kelly genau ablief. Wie gesagt, der Konflikt zwischen seinem Tötungsdrang und seiner Vorstellung, wie etwas abzulaufen hat, muss nach meiner Theorie groß gewesen sein. Ab einem gewissen Punkt trat dieser Konflikt zu Tage.
Wer weiß, vielleicht versuchte er auch, Kontrolle zu erlangen. „Lass uns nicht auf dein Zimmer gehen. Lass uns doch lieber in eine dunkle Ecke verschwinden!“ Dann hätte er sich sofort geoutet. Hätte er auf die Möglichkeit des Mordes verzichten sollen? „Ach, nee, lass mal. Habe es mir anders überlegt.“. Da war aber noch der Drang zu töten. Womöglich größer als vorher, nach so einer langen Pause.

Du hast einen Einwand gehabt, der sehr interessant ist: Hutchinson. Wie man diese Figur auch bewerten mag, er hatte womöglich einen Einfluss auf die Geschehnisse dieses Abends. Vielleicht verhinderte seine Anwesenheit sogar, dass der Täter auf offener Strasse zuschlug, zum Beispiel vor dem Durchgang zum Millers Court. Wer weiß? Möglich ist so vieles.

Ich hab „früher“ immer einen bestimmten Satz hinter einige meiner Posts gesetzt. Ich glaube, das gewöhne ich mir mal wieder an:

…es kann natürlich auch völlig anders gewesen sein!  :blum1:

Grüße, Isdrasil


Offline Anirahtak

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #104 am: 10.10.2013 21:47 Uhr »
...

Ich hab „früher“ immer einen bestimmten Satz hinter einige meiner Posts gesetzt. Ich glaube, das gewöhne ich mir mal wieder an:

…es kann natürlich auch völlig anders gewesen sein!  :blum1:

Grüße, Isdrasil


Nicht notwendig. Es interessierte mich nur, wie Punkte, die mir als unstimmig auffallen, in Zusammenhang gebracht werden. Es war wie gesagt nicht meine Absicht irgendjemand seine Vorstellungen auszureden und gehe auch nicht davon aus, dass meine eigene Vorstellung die einzig wahre sein kann.