Nabend zusammen!
die Lügen erzählen uns auch immer etwas über die Wahrheit.
Das tun sie, sofern da eine Wahrheit ist, über die etwas erzählt werden könnte.
Am 27.09.1919 (kurz nach White´s Tod) erschien dieser Bericht im People´s Journal. Der East London Advertiser brachte allerdings am gleichen Tag eine andere Version heraus. In dieser hatte White den Mörder n i c h t gesehen, sich aber wohl in einer Straße aufgehalten, wo kurze Zeit später eine Frau erstochen gefunden wurde. Er sah aber letztendlich überhaupt niemanden...
Das sehe ich aber nicht als andere Version, sondern als vollkommen anderen Bericht. Die Möglichkeit, dass White irgendwo in der Nähe des Mitre Square irgendeine Einrichtung oder sogar eine Person beschattete, besteht ja. Aber die Frage muss hier doch lauten, ob sich dabei irgendwelche Überschneidungen mit dem Mord an Eddowes ergeben haben. Aus dem Advertiser-Artikel geht ja nicht genau hervor, wo genau White an jenem Abend Dienst tat, es muss sich hierbei nicht um den Mitre Square handeln, sondern könnte genauso gut irgendein anderer Tatort gemeint sein (Buck´s Row, Hanbury Street). Die Ereignisse aber, die im People´s Journal geschildert werden, stimmen aber mit keiner einzigen Überlieferung zu einem der Morde zusammen, selbst den Mitre Square muss man kombinieren und bekommt ihn mit ein bisschen guten Willen in den Bericht hinein. Aber was ist mit dem darin beschriebenen Vorgehen der Polizisten? White schafft es nicht, den Mann in ein Gespräch zu verwickeln. Sein Kollege findet die Leiche und schreit. White versucht darauf den Verdächtigen zu verfolgen, scheitert dabei aber letztendlich. Wie weit kann der Mann in der Zwischenzeit überhaupt gekommen sein, die Leichenfindung fand laut dem Bericht ja unmittelbar nach des Übeltäters Weggang statt? Es scheint dann fast so, als würde sich der Autor des Artikels selbst darüber klarwerden, dass die Herren Polizisten bei dem beschriebenen Ablauf der Ereignisse wie stümperhafte Dilettanten wirken, worauf er einen Rettungsversuch in Form von einer Wendung wie "die Verfolgung aber scheiterte aufgrund der dunklen und verworrenen Gassen des East End´s" (Macmäßig aus dem Gedächtnis, also nagelt mich nicht auf einen Wortlaut fest) unternimmt. Dann hätten wir noch die "Machart" des Berichts. Geschrieben ist das Ding in der ersten Person, um den Eindruck zu erwecken, als handle es sich dabei um ein authentisches Erlebnis des Verfassers (oder als hätte er sich das ganze zumindest tausendmal von einem der Beteiligten erzählen lassen). White, der Protagonist, ist gerade verstorben, ihn kann also niemand mehr zu den Geschehnissen befragen. Die Auffindesituation scheint eine Verpanschung von Watkins tatsächlichem Fund und Simpsons überlieferter Familienfolklore zu sein (und der Umstand, dass Simpson zwei Jahre vor White, 1917 also, verstarb, käme da eigentlich gerade gelegen, ist somit doch auch die andere mögliche Auskunftsperson über die Ereignisse nicht mehr verfügbar). Ich hab beim Lesen dieser Geschichte irgendwie den Eindruck, als habe da ein eifriger Autor ein möglicherweise reales Erlebnis (wie es unter Umständen im East London Advertiser erzählt wird) mit den Erinnerungen oder "Geschichtchen" eines anderen, kürzlich verstorbenen Polizisten vermischt und daraus ein langsam köchelndes Abenteuerpüree zubereitet, inklusive eines Verdächtigen, der in seiner Erscheinung ghulhafter gar nicht mehr sein könnte. Ich bin zwar normalerweise auch dafür, alles verfügbare Material zu sichten und in die Überlegungen mit einzubeziehen, aber bei diesem Machwerk gehen einfach alle Sirenen an, das ist einfach zu schön, um wahr zu sein.
Da wir mit dem "PC am Mitre Square" irgendwie leben müssen, falls es ihn überhaupt gab und wir nicht wissen, wer dann überhaupt gemeint war, bleiben uns ein paar Möglichkeiten: PC Watkins, PC Harvey oder eben PC Smith. White scheint irgendwann mal in der Nähe eines Tatortes gewesen zu sein. Wenn man daran glauben will... so würde ich Ihn in diesen Kreis mit aufnehmen...
Nehmen wir ihn auf, auf einen mehr kommt es ja wirklich nicht mehr an.
Falls er doch etwas gesehen hat, dann einen gebückten, ausgemergelten, dünnlichen und blassen Mann mit netter Stimme und schwarzen Haar und einem insgesamt "fremdländischen" Erscheinungsbild.
Nein, selbst wenn White etwas gesehen hat, muss der Mann nicht mit der hutchinsonesken Beschreibung aus dem ersten Bericht übereinstimmen. Aber da wir aufgrund einer Beschreibung wohl ohnehin niemanden mehr ermitteln können, ist es mehr oder weniger auch egal. Hinsichtlich einer Sichtung und einer später entdeckten Ähnlichkeit in Sachen Körperbau eines Verdächtigen stimme ich zu, auch wenn White da bei mir ganz unten auf der Liste steht.
Warum kam es dann noch zur Tat an Kelly fragst du? Hausdurchsuchungen wurden im Oktober 1888 gemacht aber mussten noch ausgewertet werden. Möglichweise zog sich das noch in den November hinein. Dabei über jemanden etwas zu erfahren, heißt noch lange nicht, ihn angetroffen zu haben oder ihn als dringlich einzustufen. Die Polizei jagte ja sprichwörtlich ein Phantom.
Stimmt. Man darf hier einfach nicht den Fehler machen, dass sich aufgrund der Hausdurchsuchungen irgendetwas ergab. Der Verdächtige könnte dabei zwar von den Beamten erfasst worden sein, aber es ergaben sich erst später Hinweise auf ihn und jemand stellte dann die Verbindung her: Moment, den kenn ich doch irgendwoher.
Zeit für´s Abendessen.