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Die Opfer => Die Opfer => Allgemeine Diskussion => Thema gestartet von: Isdrasil am 11.03.2009 19:49 Uhr

Titel: Missing Link
Beitrag von: Isdrasil am 11.03.2009 19:49 Uhr
Hi

In der Evolution steht ein "Missing Link" für eine fehlende Verbindung zwischen zwei Entwicklungsstufen einer Lebensform. Zugegeben: Der Vergleich kann ein bisschen seltsam erscheinen, aber durch den Begriff weiß denke ich jeder etwas mit meiner Frage anzufangen.

Es geht um den mordlosen Oktober 1888 und die Zeit zwischen den Opfern Eddowes und Kelly. Gemeinhin wird ja angenommen, dass der Mord an Kelly dadurch so grausam ausgefallen ist, weil der Mörder unter Anderem so lange Zeit enthaltsam war. Auf der anderen Seite gibt es eine ganz andere Möglichkeit: Eventuell fanden doch irgendwo im Oktober 1888 noch ein oder zwei weitere Morde statt, die den Wandel der Signatur von Eddowes zu Kelly stufenlos aufweisen - und dadurch auch eine Erklärung für die Grausamkeiten beim Kellymord abliefern würden. Sozusagen als völlig stufenlose Steigerung.

Ich denke jetzt schon längere Zeit darüber nach - und ich halte es gar nicht für so unwahrscheinlich, dass irgendwo doch noch eines oder zwei dieser "Missing Link"-Opfer lauern. Es gäbe zahlreiche Erklärungen, weshalb diese Morde uns noch nicht bekannt sind...

Was meint ihr? Haltet ihr das für vorstellbar? Ein Opfer zwischen Eddowes und Kelly? Wenn ja, weshalb? Wenn nein, weshalb nicht?

Grüße, Isdrasil
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Tresschen am 11.03.2009 22:53 Uhr
Hmm, ich verstehe sehr gut deine Idee, aber wo sollte diese Missing Link-Opfer sich finden? Ich bin sicher die Polizei damals hat bei ähnlichen Morden damals sicher genau die Augen aufgehalten. Gut, der Mörder könnte verreist sein... aber nur für einen Monat wäre wohl nur innerhalb Englands möglich und da machten die Ripper-Morde ja Schlagzeilen und ich denke, wenn irgendwer irgendwo ein ähnliches Opfer gefunden hätte, dann hätte er das nicht verschwiegen. Das wäre gleich in Zusammenhang zu den Morden gesetzt worden. Daher halte ich es für unwahrscheinlich, außer eben der Ripper war auch der Torsomörder und hat die Opfer vielleicht anders entsorgt.
Aber da ich persönlich denke, dass es sich bei diesen Greueltaten um zwei verschiedene Täter handelte und auch nicht alle deiner Opfer als Ripperopfer sehen würde, glaube ich an keine unbekannten Oktober-Opfer. Eher glaube ich, dass es für den Ripper vielleicht aus irgendwelchen Gründen schwieriger wurde zu töten und daher diese lange Pause entstanden ist.
Übrigens wenn man Ada Wilson wirklich als erstes Opfer sieht, was ich persönlich für gut möglich halte, auch wenn ich nicht alle der von dir aufgeführten non-canonical Opfern dem Ripper zurechne, dann hat es schon einmal eine längere Zeit der Pause gegeben, in der keine Übergriffe auf Frauen im East End festzustellen waren.
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Alexander-JJ am 12.03.2009 11:22 Uhr
Ich glaube eher an einfache Erklärungen. Meiner Meinung nach ging beim Doppelmord auch aus Ripper-Sicht so einiges schief. Beim ersten Mord wurde er gestört, vielleicht gleich zweimal, und beinahe erwischt. Auch beim zweiten Mord danach lief wohl nicht alles nach Plan. Dann noch die Sache mit GSG, er wollte der Polizei wohl etwas mitteilen und die wischen es einfach weg. Zudem erreichte die Ripper-Hysterie nun ihren Höhepunkt und Briefe gingen bei der Polizei ein, die promt veröffentlicht wurden. Also statt des echten Kontaktversuches wurden nun gefakte Kontaktaufnahmen veröffentlicht. Weiterhin waren die Bürger sensibilisiert und die Polizei immerzu auf Streife.

Ich denke wenn man all dies zusammenzählt ist es kein Wunder das JTR erst einmal abtauchte. Den Mord an MJK in ihrem Zimmer sehe ich in diesem Zusammenhang. JTR hatte meiner Meinung nach dann doch Angst erwischt zu werden und mordete deshalb nicht mehr im Freien.
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Tresschen am 12.03.2009 12:55 Uhr
Stimmt, das scheint mir auch eine plausible Erklärung zu sein. Vielleicht war MJK auch ein ausgesuchtes Opfer, was er vorher ausspionierte im Gegensatz zu den Opfern davor, die er vermutlich recht spontan auflas. Vielleicht wollte er für den nächsten Mord alles besser planen und ließ sich deshalb Zeit.
Und da wir nicht wissen, wer er war, könnte auch alles mögliche andere noch zutreffen, wieso es im Oktober nicht zu einem Mord kam.
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Isdrasil am 12.03.2009 15:30 Uhr
Hi Tresschen und Alex

Ich weiß, das ist im Grunde schon eine ziemlich unwahrscheinliche Sache, aber man kann ja auch mal wieder unkonventionell denken...
Eigentlich geht meine Überlegung eher Richtung Übersee, und damit verbunden auch gleich meine Frage an die Allgemeinheit:
Wieweit kam man eigentlich zur damaligen Zeit innerhalb einer Woche oder eines halben Monats mit einem Frachter - sei es nun ein Teefrachter, ein Viehfrachter oder sonst was. Weiß das jemand?

Das Problem ist, dass Jack the Ripper zwar Schlagzeilen machte, doch die Zeit 1888 immer noch recht bescheiden war, wenn es um den Informationsfluss in entlegende Regionen geht...noch dazu können doch genau diese Informationen im Laufe der Zeit verschüttet worden sein. Ach, ich weiß doch auch nicht  :icon_mrgreen:

Es ist nur seltsam: Im Oktober kein Mord und dann ein Opfer, welches eigentlich genau so ein Missing Link vermuten liesse...

Grüße, Isdrasil
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Alexander-JJ am 12.03.2009 18:57 Uhr
Die "Flying Cloud" schaffte mehr als 430 Seemeilen in 24 Stunden. Das entspricht einer Geschwindigkeit von 18 Seemeilen pro Stunde. Mit dem richtigen Schiff, einem Klipper, hätte JTR innerhalb eines Monats sonstwo sein können. Aber auch mit langsameren Frachtern hätte JTR innerhalb von vier Wochen von Lissabon bis Sankt Petersburg jeden Ort bequem erreichen können.
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Isdrasil am 12.03.2009 19:28 Uhr
Vielen Dank für die Info, Alex.  :icon_thumb:
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: hedgehopper am 12.03.2009 20:26 Uhr
Vielleicht war MJK auch ein ausgesuchtes Opfer, was er vorher ausspionierte im Gegensatz zu den Opfern davor, die er vermutlich recht spontan auflas. Vielleicht wollte er für den nächsten Mord alles besser planen und ließ sich deshalb Zeit.
Und da wir nicht wissen, wer er war, könnte auch alles mögliche andere noch zutreffen, wieso es im Oktober nicht zu einem Mord kam.

Ich denke, MJK war ein ausgesuchtes Opfer! Warum? Nach den ersten 4 Morden wurde das Volk immer aufmerksamer! JTR konnte also nicht mehr auf offener Straße morden.
Ich glaube eher an einfache Erklärungen. Meiner Meinung nach ging beim Doppelmord auch aus Ripper-Sicht so einiges schief. Beim ersten Mord wurde er gestört, vielleicht gleich zweimal, und beinahe erwischt. Auch beim zweiten Mord danach lief wohl nicht alles nach Plan. Dann noch die Sache mit GSG, er wollte der Polizei wohl etwas mitteilen und die wischen es einfach weg. Zudem erreichte die Ripper-Hysterie nun ihren Höhepunkt und Briefe gingen bei der Polizei ein, die promt veröffentlicht wurden. Also statt des echten Kontaktversuches wurden nun gefakte Kontaktaufnahmen veröffentlicht. Weiterhin waren die Bürger sensibilisiert und die Polizei immerzu auf Streife.

Ich denke wenn man all dies zusammenzählt ist es kein Wunder das JTR erst einmal abtauchte. Den Mord an MJK in ihrem Zimmer sehe ich in diesem Zusammenhang. JTR hatte meiner Meinung nach dann doch Angst erwischt zu werden und mordete deshalb nicht mehr im Freien.

 :icon_thumb: :icon_thumb: :icon_thumb:
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: JohnEvans am 12.09.2009 15:01 Uhr
Hallo, Isdrasil,

schöner Kalender! :icon_thumb:  Woher hast du ihn? Könntest du so ein Blatt auch jeweils für 1887 und 1889 erstellen?

Im Übrigen macht eine Suche nach dem ML wohl nur Sinn, wenn wir davon ausgehen, daß alle Morde / Attacken von ein- und dem selben Täter ausgeführt wurden. Und auch nur dann, wenn er seine "Arbeit" routinemäßig geleistet hätte. So wie unsereiner nach dem WE wieder zur Arbeit schlurft, hätte er dann jeweil vor einem WE den Kalender abgerissen, drauf gestarrt und gemurmelt. "Sch..., schon wieder so ein anstrengendes Arbeits-Wochenende."

Nun, vielleicht machte er einfach einen Monat lang blau?  :icon_wink:

Entweder bringt des Sommers Glut
des Killerr´s Blut
aus seiner Still´
Or the wetter
was simply better
to dress to kill

Tja, in diesem Sinne, JE

Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Isdrasil am 12.09.2009 18:22 Uhr
Hi John

schöner Kalender! :icon_thumb:  Woher hast du ihn? Könntest du so ein Blatt auch jeweils für 1887 und 1889 erstellen?

Ganz simpel: Einfach gegoogelt und das Teil in Adobe kopiert + dementsprechend bearbeitet  :icon_wink:
Bei Gelegenheit kann ich gerne mal die anderen Jahre machen, Torsomorde und so einfügen...

Grüße, Isdrasil
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Jan_Schattling am 12.09.2009 19:21 Uhr
Ich stimme mal der Tatsache zu das es tatsächlich diese Lücke gab und wir keine weiteren Leichen in der Zeit haben.
Vielleicht weil er einiges versaut hat, vielleicht aber auch weil ihm zwei in einer nacht "gereicht" haben.
Wenn er kompulsiv von diesem Drang heimgesucht wurde, konnte er sich vielleicht zurück halten indem er sich zuggerierte, das er seinen "Job" diesen Monat schon gemacht hatte.
Vielleicht versuchte er auch in der Zeit das töten sein zu lassen und medikamentierte sich in der Zeit selber.
Aber auch die Urlaubstherorie ist möglich. Viele Engländer, besonders aus Großstädten fuhren gerne im Herbst aufs Land hinaus um dort Urlaub zu machen.
Queen Victoria hatte das sehr populär gemacht, und viele machten es ihr nach.
Grade wenn der Ripper in einer gesellschaftlich Angesehenen Gruppe war, oder eine Familie hatte, wurde so etwas gradezu von ihm erwartet.
Für mich ist diese Pause also nicht sonderlich außergewöhnlich.

Jan
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Larkin am 13.09.2009 18:46 Uhr
Hallo!
Ich halte diese Pause ebenfalls nicht für seltsam. Bei einigen anderen Serienkiller lagen teilweise Jahre zwischen den einzelnen Taten.
Da ich eh der festen Überzeugung bin, dass Stride kein Ripperopfer war, fällt für mich die Erklärung der Pause anhand des Double-Events schon mal weg. Es kann so unglaublich viel passiert sein im Oktober, dass ihn daran hinderte erneut zu zuschlagen. Er könnte z.B. krank gewesen sein. Vielleicht gab es etwas in seinem privaten oder beruflichen Leben? Hochzeiten einer Cousine in der Pampa oder eine Geschäftsreise usw.
Vielleicht wollte er ja auch wirklich etwas warten, bis die angespannte Situation im East-End sich wieder ein bisschen beruhigt hatte.
Er wurde auf jeden Fall durch irgendetwas daran gehindert weiter zu morden. Dass er deswegen die arme Mary besonders grausam zurichtete, muss nicht unbedingt sein. Ich führe dies eher auf die ihm, im Zimmer, gebotene Sicherheit und damit größeren Zeitrahmen, zurück.
Aber ungewöhnlich finde ich diesen Missing-Link eigentlich überhaupt nicht.

Liebe Grüße,
Larkin ;)
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Tresschen am 13.09.2009 22:15 Uhr
Oder es ging ihm vielleicht besonders um MJK und da diese vielleicht noch nicht so verzweifelt war wie die anderen, ging es vielleicht bei ihr mit der Annährerung nicht so schnell. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Ripper, wenn er denn ein Sexualstrafttäter war und sich an seinen Morden aufgeilte, es als eine besondere Ehre empfand mal eine jüngere und hübschere Frau zuzurichten. Kann ja sein, dass er das von Anfang an wollte, aber davor nur die eher verblühten anderen Opfer bekam.
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Larkin am 14.09.2009 19:13 Uhr
Hallo!
Zitat
Oder es ging ihm vielleicht besonders um MJK und da diese vielleicht noch nicht so verzweifelt war wie die anderen, ging es vielleicht bei ihr mit der Annährerung nicht so schnell.
Mary war verzweifelt. Sie wusste, dass Thomas Bowyer sie am nächsten Tag besuchen und ihre angehäuften Mietschulden eintreiben wollte. Barnett konnte ihr nichts geben und auch Hutchinson, den sie um Geld anbettelte, hatte nichts. Es war für sie mehr als dringlich gewesen, in dieser Nacht Geld zu verdienen. Hätte sie am nächsten Morgen nämlich nichts vorweisen können, wäre es wahrscheinlich so gekommen, dass der Vermieter sie auf die Straße gesetzt hätte.
Zitat
Ich kann mir gut vorstellen, dass der Ripper, wenn er denn ein Sexualstrafttäter war und sich an seinen Morden aufgeilte, es als eine besondere Ehre empfand mal eine jüngere und hübschere Frau zuzurichten.
Kann möglich sein, dass er es toller fand, hübschere Frauen, die vielleicht auch seinem Geschmack entsprachen, zu töten. Aber wenn das Aufschlitzen und Ausweiden seiner Opfer sein zentrales Verlangen war und dies ihn trieb und erregte, dann dürfte es eigentlich egal gewesen sein, ob sein Opfer nun gutaussehend oder unattraktiv war.

Liebe Grüße,
Larkin ;)
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Tresschen am 14.09.2009 21:34 Uhr
Hallo!
Zitat
Oder es ging ihm vielleicht besonders um MJK und da diese vielleicht noch nicht so verzweifelt war wie die anderen, ging es vielleicht bei ihr mit der Annährerung nicht so schnell.
Mary war verzweifelt. Sie wusste, dass Thomas Bowyer sie am nächsten Tag besuchen und ihre angehäuften Mietschulden eintreiben wollte. Barnett konnte ihr nichts geben und auch Hutchinson, den sie um Geld anbettelte, hatte nichts. Es war für sie mehr als dringlich gewesen, in dieser Nacht Geld zu verdienen. Hätte sie am nächsten Morgen nämlich nichts vorweisen können, wäre es wahrscheinlich so gekommen, dass der Vermieter sie auf die Straße gesetzt hätte.
Natürlich war sie verzweifelt, aber sie konnte sich bis dato ein Zimmer nur für sich und ihren Lebensgefährten leisten, während die anderen Opfer ja nur ein Bett in einem Mietshaus meist hatten, oft nicht mal das.
Sicherlich war sie auch keine Edelhure, aber ich denke, wenn die Geschäfte gut liefen, konnte sie sich auch mal aussuchen, wen sie nahm oder nicht.
Und ich finde es eben schon bedenkswert, dass das letzte Opfer und am schlimmsten zugerichtete Opfer so viel jünger (und den Berichten zufolge auch hübscher) war als die anderen. Muss nichts heißen, natürlich, kann aber was heißen.
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Stordfield am 14.09.2009 21:58 Uhr
Hallo !

Aber wenn das Aufschlitzen und Ausweiden seiner Opfer sein zentrales Verlangen war und dies ihn trieb und erregte, dann dürfte es eigentlich egal gewesen sein, ob sein Opfer nun gutaussehend oder unattraktiv war.

Genau! Denn die Opfer werden entpersonifiziert.

Gruß Stordfield
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Isdrasil am 05.03.2013 18:13 Uhr
Hi Stordfield

Hm...habe gerade einen ergänzenden Gedanken dazu. Meinst Du, es kann für den Täter nicht einen größeren Reiz darstellen, eine attraktive Person als eine weniger attraktive zu töten? Natürlich betrachtet der Täter seine Opfer nicht als Personen in Gänze. Aber eventuell gibt es unterbewusste Vorgänge? Ich kann mir gerade gar nicht mehr vorstellen, dass die Wirkung einer Person so rein gar nichts zu tun haben soll.

Es kommt ja auch auf das persönliche Empfinden des Täters an. Wenn er die Wahl hätte zwischen zahlreichen wirklich völlig unterschiedlichen Opfern, würde er tatsächlich per Zufall sein Opfer aussuchen? Oder gäbe es nicht doch Präferenzen? Und wonach würden die sich richten?


Muss da auch mal drüber nachdenken...  ;)

Grüße, Isdrasil
Titel: Re: Missing Link - Gedankenspiel für zwischendurch
Beitrag von: Isdrasil am 05.03.2013 18:37 Uhr
...bevor Du mich für völlig bekloppt erklärst (wenn das nicht schon eh geschehen ist) weil ich plötzlich sämtliche Lehrmeinungen über Bord werfen will, möchte ich meine Frage an einem etwas fragwürdigen "Experiment" verdeutlichen. Und die Frage stelle ich natürlich an alle...

Wir nehmen uns einen Serientäter und stellen ihn vor meinetwegen 20 Menschen auf. Alle entsprechen seiner bevorzugten Opferwahl - seien es Frauen, Männer oder Kinder - aber unterscheiden sich in allem Anderen: Haarfarbe, Größe, Statur, Alter, Kleidung etc. Und nun darf er spontan wählen und einen Menschen der Auswahl töten.
Danach spulen wir die Szene zurück. Wir löschen sein Gedächtnis, alle Menschen stehen wieder genauso da. Er darf wieder wählen.
Und das machen wir meinetwegen 20 mal.

Frage: Wird er tatsächlich wahllos zuschlagen? Oder können wir doch eine Häufung feststellen? Was glaubt ihr, womit man so eine Häufung erklären könnte? Und wenn der Täter scheinbar wahllos zuschlägt - könnte es nicht doch Gemeinsamkeiten geben? Der Augenaufschlag zum Beispiel, die Form der Ohren, die Farbe der Schuhe? Ist das Opfer tatsächlich zu "100%" entpersonifiziert?

Was meint ihr?
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Lestrade am 06.03.2013 10:01 Uhr
Guten Morgen Isdrasil,

Die Opfer können ja auch schlicht nach Verfügbarkeit ausgesucht werden, für den jeweiligen Täter und seinem Modus Operandi. Da reicht es aus, dass es eine Frau ist. Erkennt er vor, oder nach der Auswahl des Opfers, selbstverständlich während oder auch nach der Tat, an ihm bestimmte Dinge, so kann er zur Entpersonalisierung schreiten. Ich würde dies aber sehr komplex betrachten wollen. Persönlich denke ich, ist eine Entpersonalisierung, eine 100% Entpersonalisierung, gar nicht möglich. Es handelt sich immer um Versuche der Entpersonalisierung. Also eher um einen WUNSCH der Entpersonalisierung.  

Erfahrungen, Phantasien,Triggern (beim Löschen des Gedächtnis geht das alles verloren), das alles, was Geist und Körper gespeichert haben, erzählt uns etwas und da kann man Rückschlüsse auf den Akt der Personifizierung schließen als auch auf die Persönlichkeit des Täters.
Jeder, auch der normale Mensch, versucht doch irgendetwas nicht sehen zu wollen und wenn es nur durch die normale Ausblendung ist. Gelingt sie endgültig? Unmöglich! Hierbei auch die Stichworte: Verdrängung, Ausblendung, Abspaltung und Dissoziation, Multiple Persönlichkeit, Trauma.

Bedenken wir auch, dass wir im täglichen Leben der Entpersonalisierung begegnen. Da kommen wir als Opfer aber auch als Täter in Frage.  

Serientäter stehen tief in traumatischen Erlebnissen und Erfahrungen mit ihren Müttern, elternähnlichen Mutter-Figuren, Schwestern und anderen Anverwandten Damen wie Tanten und Oma. Eigentlich sollten diese ihre Opfer sein aber durch ein gewachsenes Verhältnis zu ihnen, ist eine aktive Tat unmöglich, man kennt sich ja. Finden diese Täter bei anonymen Opfern plötzlich vertrautes, dass sie eigentlich gar nicht töten können, weil ihnen (nun) die Möglichkeit oder der Mut fehlt, so werden sie in den Akt der Entpersonalisierung treten.

Dies wäre jetzt eine Erklärungsmöglichkeit. Manchmal erkennen sie sich aber auch selbst im Opfer wieder. Ich denke, der Mörder von Tristan Brübach reagierte genauso. Es würde mich nicht wundern, wenn er, der Täter, im Alter (13 Jahre) von Tristan (nur mit der Nennung seines Vornamens, mache ich ihn gerade zur wirklichen Person), schweren Missbrauch, egal welcher Art, ausgesetzt gewesen war. Natürlich verstand er damals als Kind nicht, was da passierte und möglicherweise wollte er das durch diese Tat herausfinden. Auf fatale Art… denn er ist oder war tiefgestört.

Edmund Kemper tötete zum Schluss seine Mutter und meldete sich dann bei der Polizei. Ich finde das sehr bezeichnend. Die Mutter war stets grausam zu ihm. Sein tiefkranker Hass, den er in sich trug, kam von ihr.

Auch wenn Du es nicht so gerne hörst. Ich muss es hierbei an dieser Stelle erwähnen. Aaron Kozminski lebte mit ziemlicher Sicherheit abwechselnd mit seiner Schwester Matilda, seinen Schwägerinnen Betsy und Bertha und wahrscheinlich auch mit seiner Mutter Golda zusammen. War er der Whitechapel Mörder, könnte und hätte er mit allen Frauen, oder zumindest mit 2-3 von ihnen, extrem traumatische Erfahrungen gemacht haben. Eine, hätte sich sicherlich als besonders auffallend herausgestellt haben können. In seinem Falle bleibt seine Schwester Matilda dafür die Kandidatin. Da Jacob Cohen, der Angehörige der der letzten Einweisung beiwohnte, auch eine Schwester (Betsy) hatte, welche die Schwägerin von Aaron Kozminski war, käme auch diese in Frage.

“Er hob ein Messer auf und bedrohte seine Schwester“ könnte ein ähnliches Szenario gewesen sein wie bei Kemper und seiner Mutter. Vielleicht reichte Aaron Kozminski genau das und auch das er aus seinem traumatischen Umfeld genommen wurde. Er hätte endlich seinem Peiniger gegenüber seine Macht demonstriert und vielleicht auch in dessen Augen gesehen, dass dieser wusste, wer er war? Er musste nie wieder dorthin zurück bzw. wurde nie wieder von der Straße dorthin zurückgeholt. Ein Grund, in der Anstalt nie wieder einen Mucks von sich zu geben. Er hätte seinen Job getan auch wenn er sie nicht tötete aber sie hatte vielleicht endlich mal Angst vor ihm. Getötet hätte er sie wenigstens 5mal in anderen Opfern.

Beste Grüße,

Lestrade.
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Isdrasil am 06.03.2013 12:14 Uhr
Hi Lestrade

Ich denke, wir verstehen den Begriff "entpersonifizieren" etwas zu drastisch.

Ich glaube nicht, dass ein Serientäter seine Sinne ausblenden kann. Er wird seine Opfer in erster Linie visuell wahrnehmen, bei näherem Kontakt riechen, hören, eventuell fühlen. All diese Eindrücke üben Einfluss auf einen Menschen aus, und natürlich auch auf einen Serienmörder. Wie Du es auch schon meintest: Die vollständige Ausblendung gelingt nicht.
Und diese Sinneseindrücke wirken sich selbstverständlich auf die Tatbegehung aus. Du hast das ja schon ansatzweise geschildert. Anhand verschiedener Prägungen, seien es Kindheitsprägungen, persönlicher Geschmack etc, fällt der Täter schließlich sein Urteil: "Ja, das kann ein Opfer von mir werden", bewusst oder unbewusst.

Der Mensch wird also schon als Person im Sinne von Mensch wahrgenommen, allerdings als leere Hülle. Die Auswahl geschieht allerdings nicht wahllos, und so kann in meinen Augen auch die Attraktivität eine Rolle in der Opferauswahl spielen.

"Entpersonifizierung" meint für mich, dass der Täter nicht den Menschen als Wesen wahrnimmt - seine Gedanken, seine Gefühle, sein eigenes Ich. Der Täter lässt das Opfer zu einer Ware verkommen, so als würde er shoppen gehen und sich neue Klamotten kaufen wollen. Einen persönlichen Geschmack oder Prägung gibt es aber dennoch. Deine Schilderung der Entpersonifizierung quasi als Berechtigung des Mordes finde ich auch sehr beachtenswert.

Natürlich gibt es auch wahllos zuschlagende Täter, aber selbst da kann die Wahllosigkeit nur scheinbar sein - vielleicht haben die Opfer ja doch etwas gemeinsam, eine Bewegung, eine unscheinbare Geste, die Aussprache verschiedener Worte, die den Täter letztendlich zur Tat bewegen.

Deswegen denke ich, es würde bei dem "Experiment" eine Häufung geben. Manche würden verschont werden, manche außerordentlich oft zum Opfer.

Grüße, Isdrasil
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Stordfield am 06.03.2013 12:24 Uhr
Hallo, Isdrasil!

Deswegen denke ich, es würde bei dem "Experiment" eine Häufung geben. Manche würden verschont werden, manche außerordentlich oft zum Opfer.

Das kann schon möglich sein, aber ist dies nicht immer auch situationsbedingt? Würden in einer anderen Umgebung die gleichen Opfer ausgesucht werden, oder wären es dann ganz andere?

Gruß Stordfield

Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Isdrasil am 06.03.2013 12:49 Uhr
Hi!

Das ist eine interessante Frage.  :good:

Ich kann mich an einige Aussagen von deutschen Serientätern erinnern, die explizit das Aussehen des Opfers als ausschlaggebend für die Tat angaben:

- Ihre Haut war so weich
- Der Junge war so schön schmächtig und schüchtern
- Blond habe ich schon immer bevorzugt
- Ihr Parfum hat mir den Rest gegeben

Ich würde gerne versprechen, ich die Aussagen noch näher zuzuordnen und zu posten, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich das halten kann bzw. Zeit dazu finde...
Jedenfalls schauen Täter schon auf verschiedene Sinneseindrücke, und natürlich spielen Prägungen eine Rolle. Ich würde also die "Entpersonifzierung" auf die geistige Ebene, nicht unbedingt auf die körperliche, beschränken.

Spielt die Umgebung eine Rolle? Hm...man kann sich natürlich erstmal fragen, ob die Umgebung nicht erst den Ausschlag für den Tatvorsatz gibt. Schlägt der Täter nur in Umgebungen zu, die ihm zusagen, oder ist die Umgebung wahllos und spielt keine Rolle? Wenn der Täter immer in einer bevorzugten Umgebung zuschlägt, nachts, in Gassen, im Wald, am Wasser, dann dürfte eigentlich die Opferauswahl immer denselben Regeln unterworfen sein. Dennoch kann sie natürlich willkürlich erscheinen: Tötet der Täter immer nachts in dunklen Ecken, so wird die Haarfarbe wohl weniger eine Rolle spielen, möglicherweise aber die Statur.
Es ist immer die Frage, was der Täter will - schaut er besonders auf visuelle Reize, die man nachts nicht wahrnimmt, dann wird ihn der Tatvorsatz eher tagsüber oder im Morgen- bzw. Dämmerlicht ereilen als in stockfinsterer Umgebung. Achtet er auf besondere Bewegungsmuster, auf Gerüche oder Stimmen, dann schlägt er nachts zu und kann sich demzufolge den Opfern besser nähern.

Ich bin mir noch unschlüssig, was zuerst da ist und was durch was bedingt wird. Ich möchte auch nicht zu pauschal klingen, auch wenn es den Anschein erweckt. Die Tat ist derart komplex, dass solche Fragen es wert sind, lange und ausführlich erörtert zu werden. Aber ich denke, dass sich beides - die Umgebung und das Opfer - gegenseitig beeinflussen und zugleich vom Täter ausgesucht werden. Aber ob zuerst das Huhn oder das Ei da war...hm...überlegen wir noch ein bisschen, oder?
 ;)

Grüße, Isdrasil
Titel: Re: Missing Link
Beitrag von: Lestrade am 06.03.2013 13:32 Uhr
Ich denke, wir verstehen den Begriff "entpersonifizieren" etwas zu drastisch.

Genau! Da sehe ich ähnlich.

Wir sollten auch daran denken, dass es eine Art von “Personifizierung“ gibt, die sicherlich auch einen Teil der “Entpersonalisierung“ darstellt.

Ein Killer, der es auf dunkelhaarige Frauen mit Mittelscheitel absieht, kann auch zu viel an einer Frau davon sehen, er kann sie aber auch tatsächlich so antreffen, als das was sie ist, eben Dunkelhaarig mit Mittelscheitel. An dieser Stelle kommt aber auch schon wieder ein “Fetisch“ in´s Spiel.