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Die viktorianische Epoche - Pax Britanica!

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Mycroft:
Hallo beisammen.

Wenn wir über den Ripper, das East End und London anno 1888 reden, sollten wir uns auch die möglichkeit geben, ein wenig eingehender auf die Epoche an sich einzugehen.
Wenn man bedenkt, das ein viertel der Weltbevölkerung damals unter der britischen Krone lebte, das Empire sich beinahe täglich vergrößerte (oft sogar um die eigentliche Größe Englands an sich...) und Weltwitschaftsmacht Numero Uno war, so möchte man gar nicht glauben, das ein paar kleine unbedeutende Morde diesen Koloß erschüttern konnten.
Wir haben es hier mit einer Zeit zu tun, die uns alle reichlich beschäftigt, doch noch so viel ungenanntes für uns alle birgt, so viele Zusammenhänge und sonstiges. Die Dominanz Englands in der Welt (schließlich war Victoria der erste Herrscher der Weltgeschichte, nach dem bereits zu lebzeiten eine Epoche benannt wurde!) und das allgemeine Leben, Politik und Imperialismus, der versnobte Lebenswandel, das bornierte Verhalten Englands gegenüber der restlichen Welt sollen uns hier beschäftigen.
Pax Britanica!
Ich freue mich auf eine lebhafte Diskussion und viktorianische Gespräche, die nicht unmittelbar mit dem Ripper zu tun haben, sondern mit der Zeit an sich!
 :!:

Mycroft:
So! Jetzt hab ich´s geschafft! Es folgt ein kurzer Abriss über das allgemeinbild der viktorianischen Ära:

Ab 1838 beginnt der regelmäßige Schiffsverkehr zwischen England und Amerika, 1850 wird ein (englisches) Telegraphenkabel im Kanal verlegt, 1851 findet die "Great Exhibition" in London statt, 1854 - 1856 fügt der Krimkrieg dem unbesiegbaren Bild des Empires einige schwere Macken zu, 1858 wird das erste (wieder englische) Transatlantikkabel verlegt, 1869 der Suezkanal eröffnet, 1874 wird Victoria "Kaiserin von Indien" , der Eisenbahnbau boomt und damit der Bau der großen Brücken (meist aus englischem Stahl, die Lokomotiven meist mit walisischer Kohle befeuert) - alles urenglische Erfolge!

Bei allem Fortschrittsglauben war der Zufluchtsort aber mehr denn je Heim und Familie, häusliches und moderaters Verhalten galt als vorbildlich. Massenmedien wie seit 1875 "The Times" aber auch Magazine wie "Strand" (in denen Dickens und Doyle zuerst veröffentlichten...) wurden zu dem was uns allen heute der Fernseher ist.
Ab etwa 1875 aber begann eine Krise, die eigentlich bis heute anhält. Um 1880 begannen Deutschland und Amerika den Engländern den Rang als führende Industrienation abzulaufen, die Irlandfrage sorgte für Bruderzwist, die ersten Labourvertreter wurden ins Parlament gewählt, in Südafrika revoltierten die Buren usw...

Victoria hatte einer großen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Epoche einen Namen gegeben, die bei ihrem Tode 1901 schon Vergangenheit war. Der Untergang der alten Zeit begann, der mit dem ersten Weltkrieg seine Vollendung fand.

Eine der größten Nationen der Welt hatte seine Epoche an seine Enkelkinder vergeudet. (Kaiser Wilhelm war Enkelsohn der Queen...)

Doch die Legende war grade erst geboren...

 :wink:

Eastsidemags:
Gut nun einen Bereich zu haben, der etwas allgemeiner ist...


--- Zitat von: "Mycroft" ---

Eine der größten Nationen der Welt hatte seine Epoche an seine Enkelkinder vergeudet. (Kaiser Wilhelm war Enkelsohn der Queen...)


--- Ende Zitat ---


Wie meinst du denn das? Wieso hat GB eine Epoche an das DR vergeudet?

Mycroft:
Hi!

Das mit dem "vergeuden" war als kleine Spitze gegen die Beziehung zwischen Victoria und Willhelm gemeint. Victoria mochte ihn nicht besonders (aber er war neben ihrem Arzt der einzige, der bei ihrem Tod zugegen war) und verübelte Deutschland immer, das es sich zu einer großen Industrienation mauserte, die Aufrüstung betrieb, den Engländern Teile der Kolonien und der Seemacht streitig machte.
(Und das, obwohl sie dem Haus Hannover entstammte. Windsor nannte sich die Familie erst nach dem 2.Weltkrieg.)
Sie konnte sich nicht damit abfinden, das er (Willhelm) nicht so pro-englisch eingestellt war, wie sie es gerne gehabt hätte. Aber, he - der Mann hat nur das Expansionsverhalten an den Tag gelegt, das er im englischen Vorbil gelernt hatte.
Was die Engländer generell nicht verknusen konnten, war der Krieg, den Deutschland später führte, der erste Weltkrieg.
Somit ist mein "vergeuden" so zu verstehen, das England mit seiner Ausbreitungs und Herrschaftswut zwar Sprößlinge Victorias auf die wichtigen Throne der Welt zu setzen versuchte, aber nicht akzeptieren konnte, das sie dort nicht mehr für nur für England strebten, sondern sich um das Wohl "ihres" Volkes kümmerten. Im Grunde genommen hat das Empire seinen eigenen Untergang erzogen und mächtig gemacht.

Ich habe damit keine politische Festung beziehen wollen; ich habe schlicht versucht, die Sache aus englischer Sicht zu sehen - und aus dieser Perspektive betrachtet finde ich, das diese "große" Epoche durchaus als vergeudet angesehen werden kann, schließlich waren es die Kinder und Enkelkinder Victorias, die das Empire zu Grund richteten.

Sollte ich mit dieser Formulierung jemanden auf den Schlips getreten haben, so bitte ich um Entschuldigung; das war nicht meine Absicht und nicht als Beleidigung (im weitesten Sinne) gemeint. :wink:

Eastsidemags:
Grundsätzlich hast du schon recht und nein, ich denke, hier fühlt sich keiner auf den Schlips getreten...

Aber ich würde sagen, im Vergleich zu Albert Edward („Bertie“) war das Verhältnis Wilhelms zu Victoria noch recht gut (Wilhelm hat Victoria sehr verehrt). Genau zur Zeiten der Ripper Morde ereignete sich beispielsweise der „Wiener-Zwischenfall“, der eigentlich eine unverschämte Brüskierung Berties durch Wilhelm war. Vorher war Bertie aber schon Wilhelm auf die „Schnürsenkel“ getreten. Ich würde eigentlich schon sagen, dass Wilhelm anglophil war, aber sein Verhältnis war extrem zwiespältig. Das lag vor allem an den unterschiedlichen Erziehungen. Auf der einen Seite seine liberalen Eltern (Mutter war Engländerin), auf der anderen Seite Bismarck, der von Anfang an versuchte, Wilhelm nach seinen Vorstellungen zu erziehen und diese Vorstellungen waren natürlich preußisch-konservativ und nicht englisch-liberal.
Wilhelm ist ja auch zum britischen Admiral ernannt worden und war stolz wie Oskar . Das war so ziemlich die größte Freude, die man Wilhelm machen konnte.

Na ja, England hat ja seine Königkinder nicht zu Herrschern über die Konkurrenz gemacht. Erstens ist das englisch Königshaus ja selbst deutsch, und zweitens hat die Kaiserin Friedrich (Mutter von Wilhelm) alles versucht, das Verhältnis zwischen den beiden Staaten zu verbessern. Sie hat zwischenzeitlich ja sogar den Kontakt mit ihrem Sohn abgebrochen und sich bitterlich bei Victoria über ihren Sohn beklagt.

PS: übrigens gab es Bündnisverhandlungen zwischen Deutschland und England 1898 und 1901. Wilhelm war diesem Bündnis durchaus aufgeschlossen  :wink:

PPS: wasn das für ein Orden da bei dir? Hosenbandorden?

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