Autor Thema: East End danach  (Gelesen 6060 mal)

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Sir Boss

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East End danach
« am: 16.10.2009 10:48 Uhr »
Hallo zusammen,

so krank auf der Couch :icon_frown: ausrangiert, habe ich mal eine Frage:

Hat sich nach den Morden im East End eigentlich etwas an der Gesamtsituation etwas geändert?

Da die Zustände dort ja eh schon ein Dorn im Auge der Oberen Schicht waren und die Menschen aus dem East End sich ja sogar an den Königspalast gewendet haben, wäre es einmal interessant, wie sich das nach JTR verhalten hat.

Danke im vorraus :icon_thumb:,

SB

Raison-d-eatre

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Re: East End danach
« Antwort #1 am: 18.10.2009 14:17 Uhr »
Zumindest in den folgenden 10-20 Jahren dürfte sich dort nicht viel getan haben.
( siehe Jack London's "Menschen der Tiefe" . Dort verkleidet er sich und lebt einige Zeit im East End. Die Zustände dort werden als katastrophal beschrieben.)

Sir Boss

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Re: East End danach
« Antwort #2 am: 20.10.2009 20:11 Uhr »
Ah ok, danke:-)

Ich dachte nachdem sogar eine Petition an die Queen verfasst wurde, hätte sich evtl. etwas dort getan.

Larkin

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Re: East End danach
« Antwort #3 am: 20.10.2009 21:30 Uhr »
Hallo!
Naja ein bisschen was dürfte sich durch die Whitechapel-Morde schon getan haben. Immerhin stand das Viertel für einige Zeit wie nie zuvor im Blick der Öffentlichkeit und die Schicksale und katastrophalen Lebensumstände der Opfer und anderen Bewohner des East-Ends, bewegten doch viele Menschen. Das East-End war eine Schande für die Großstadt London und eine Schande für das Königshaus, da diese Gegend und ihre Menschen über Jahrzehnte hinweg so vernachlässigt wurden. Wahrscheinlich war es dem Königshaus gar nicht so bewusst, welches Elend sich dort Tag für Tag abspielte.
Das gab sicherlich kein gutes Bild von London ab und da man "oben" jetzt Bescheid wusste, wollte bzw. musste man dann auch handeln. Natürlich tat sich die ersten 20 Jahre erstmal nicht viel - so eine Veränderung geht ja schließlich nicht von Heute auf Morgen.
Aber ich bin mir sicher, dass die grausamen Morde des Jack the Ripper die Öffentlichkeit und die Obrigkeit auf die menschenunwürdigen Umstände der Menschen im East-End aufmerksam machte und sie auch dazu bewegte in Zukunft etwas zu ändern.
Das war das Wort zum Dienstag. Wünsche allen eine gute Nacht!

Liebe Grüße
Larkin ;)

Sir Boss

  • Gast
Re: East End danach
« Antwort #4 am: 21.10.2009 09:34 Uhr »
Danke Larkin, war ein schönes "Wort" :icon_thumb:

Die Frage ist, ob sich da was faktisch belegen lässt.

Ebenfalls wäre interessant ob vor dem Herbst 1888 schon Bemühungen gemacht wurden, das Elend im East End zu beseitigen.

Gruß

SB

Larkin

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Re: East End danach
« Antwort #5 am: 22.10.2009 19:51 Uhr »
Hallo Sir Boss!
Zitat
Die Frage ist, ob sich da was faktisch belegen lässt.
Fakten?!? Wer braucht denn heutzutage noch Fakten? Wenn die Cornwell keine Fakten braucht, dann brauchen wir die auch nicht!!!  :laugh:
Ich glaube nicht, dass vor Herbst 1888 schon irgendwelche Bemühungen gemacht wurde, irgendetwas dort zu verbessern. Irgendwo hab ich mal gelesen, dass das Königshaus erst durch die Morde des JtR auf die Verhältnisse im East-End aufmerksam wurde. Vorher wussten die Obrigkeit also gar nicht, dass es irgendeinen Bedarf gab etwas zu verändern. Aber ich weiß schon - du willst Fakten von mir sehen  :D

Liebe Grüße
Larkin ;)

Sir Boss

  • Gast
Re: East End danach
« Antwort #6 am: 23.10.2009 09:30 Uhr »
Fakten?!? Wer braucht denn heutzutage noch Fakten? Wenn die Cornwell keine Fakten braucht, dann brauchen wir die auch nicht!!!  :laugh:

Na auf den Zug wollen wir doch nicht wirklich aufspringen, oder? :icon_aetsch:

Aber ich weiß schon - du willst Fakten von mir sehen  :D

Klaro immer her damit :icon_thumb:

Frage ist ja, ob man davon nichts wusste, oder es bewusst verdrängt hat?

Gruß

SB

Offline panopticon

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Re: East End danach
« Antwort #7 am: 23.10.2009 13:32 Uhr »
Hallo zusammen!

@ Sir Boss: Gute Frage! :icon_thumb: Die soziologischen Fragen, welche die Morde im Herbst 1888 aufwerfen, finde ich persönlich ja eigentlich sogar wesentlich interessanter, als die Frage nach dem Täter selbst!

Zunächst einmal muss ich Raison-d-eatre leider recht geben: Wie u.a. „Menschen der Tiefe“ oder auch der Essay von Max Winter über Whitechapel (über den ich vor kurzem eine Zusammenfassung hier gepostet habe: http://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,1179.msg17688.html#new ) zeigen, hat sich dort in den Jahren nach dem Mord nicht wirklich viel verändert. Dennoch hat sich, wie Larkin richtig schreibt, doch einiges getan – hier also schon mal ein paar Fakten (Ask and thou shalt be given! :icon_wink:), die zeigen, dass es sogar bereits vor den Morden Personen gab, die die Situation verbessern wollten:

Leider fußten die meisten der ohnedies wenigen Verbesserungen in erster Linie auf Initiativen von sozial  engagierten Privatpersonen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang das Beispiel von  Samuel Augustus Barnett, dem Pfarrer von St. Jude´s in Whitechapel (Commercial Street) und seiner Frau Henrietta, die sich sehr für die Armen, besonders die Kinder und Frauen in Whitechapel und ganz London einsetzten. Sie ersannen neue Ideen, um Geld zu sammeln und  gründeten, neben vielen anderen Projekten, gemeinnützige Institutionen wie die Whitechapel Art Gallery, Toynbee Hall, Hampstead Garden Suburb (näheres dazu siehe weiter unten) und andere Stiftungen, die zum Teil bis heute bestehen und zur Verbesserung der Situation Benachteiligter operieren. Ihre Idee bestand darin, auch höhere  Bildungsschichten in Elendsviertel zu „führen“, um sie so sensibel für die Situation zu machen.

Zur Erläuterung der Projekte:
 
Toynbee Hall, gegründet 1884 und benannt nach dem 1883 verstorbenen, ebenfalls u.a. in Whitechapel operierenden Sozialreformer, Wirtschaftshistoriker und Freund der Barnetts, Arnold Toynbee, ist, eines der ersten universitären „Settlement“-Häuser in einem Elendsviertel. Durch Wahl dieses Ortes diente es, neben seiner eigentlichen Funktion als Bildungsstätte und Wohnmöglichkeit für Studierende, eben dazu, diese angehenden  Akademiker durch ihre eigene, tagtäglich erlebte Erfahrung, für die Probleme der armen, ungebildeten Bevölkerungsschichten zu sensibilisieren und gleichzeitig einen beidseitigen Austausch dieser Bevölkerungsschichten zu gewährleisten.

Whitechapel Art Gallery (staatlich geförderte Stiftung, Whitechapel High Street, Baubeginn 1897, eröffnet 1900) verfolgte neben diesem Zweck auch die Möglichkeit, durch bestimmte Outreach-Projekte Bildung für die armen Schichten des East-Ends anzubieten und Spenden  (u.a. um Kindern aus ärmlichen Verhältnissen Ferien auf dem Land zu gewährleisten) zu sammeln. Bis heute haben dort in Folge viele der bedeutendsten Künstler ihrer Zeit ausgestellt, u.a. war dort sogar Picasso´s Guernica (1939) zu sehen.

Hampstead Garden Suburb (Nord West London, gegründet 1907) wurde, den selben Zweck verfolgend, eine Siedlung für alle Bevölkerungsschichten und bedurfte einer eigenen Genehmigung durch das Parlament, da viele Forderungen der Barnetts (geringe Häuserdichte, weite Straßen, Ruhe (nicht einmal Kirchenglocken!), etc,..) geltendem lokalem Recht zuwiderliefen.

Das Pfarrersehepaar reagierte aber auch direkt auf die Morde und urgierte mit Erfolg sogar an höchster Stelle:
Am 10. Oktober 1888 sandte Henrietta Barnett eine Petition zur Schließung der Common Lodging Houses (das ist wohl die bereits von Sir Boss erwähnte Petition?) an Queen Victoria, die von 4000 Prostituierten unterschrieben wurde. (Soweit mir bekannt ist, forderte sie zu dieser Zeit stattdessen staatlich geförderte Unterkünfte für die Frauen). Aufgrund dieser Petition wurden von höchster Stelle erstmals Constables entsandt, um Fakten für Statistiken über Whitechapel (wie viele  Common Lodging Houses, Einwohner, Bordelle, etc.) zu sammeln.

S. A. Barnett´s  Engagement, die Situation in Whitechapel zu verbessern, wurde in einigen jüngeren Publikationen jedoch auch als mögliches Motiv für die Morde im Jahre 1888 betrachtet, was ihn, der gesagt haben soll, dass die Morde kommen mussten, weil es so nicht weitergehen konnte, letztendlich sogar auf die Liste der Verdächtigen führte. 1888 schrieb er gemeinsam mit seiner Frau das Buch „Practicable Socialism“, wurde später in anderen Städten tätig, auch in die Westminster Abbey bestellt, und, soweit ich gelesen habe, letztendlich sogar von Queen Victoria ausgezeichnet.


Best regards,
panopticon

Sir Boss

  • Gast
Re: East End danach
« Antwort #8 am: 23.10.2009 16:30 Uhr »
Die soziologischen Fragen, welche die Morde im Herbst 1888 aufwerfen, finde ich persönlich ja eigentlich sogar wesentlich interessanter, als die Frage nach dem Täter selbst!

Eben :icon_thumb:

Ich denke auch das dies einen Entscheidenen Punkt darstellt.
Ich meine, es ist ja nicht so das sich in der Geschichte Situationen geändert haben, weil rein garnichts passiert ist. Inwiefern diese Situationen manipuliert wurden, das ist die Frage.

"Soziologische" Fragen lassen auch mal eine ganz andere Seite der Geschehnisse zu. :icon_wink:

Gruß

SB