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Reaktion aufs Erwischtwerden

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Lestrade:
Was ich mir gut vorstellen kann ist, dass sein Verhalten auch abhängig war von einem möglichen Alkoholkonsum vor den Taten. Dabei sollte man beachten, wie viel Alkohol ihm möglich gewesen wäre vorher zu trinken. Trank er heftig zwischen 22 und 23 Uhr abends aber nicht mehr danach, dann hätte Alkohol im Blut zu ganz verschiedenen Uhrzeiten anders bei ihm gewirkt haben können. Frischer Alkohol, noch ganz wenig abgebaut, hätte ihn bei einer Entscheidung zuzuschlagen, unterschiedlich beeinflussen können, sogar so, ob er überhaupt nun zuschlägt oder nicht. Auch könnte eine Rolle gespielt haben, was ihm vorher passiert wäre. Also was geschah am Tage mit ihm? Welche Erlebnisse hatte er? Wen traf er in einem Pub? Wie war dort die Stimmung, vielleicht aufgeputscht? Wurde er “angemacht“ oder “angefeindet“. Noch viel vorhandener Alkohol hätte ihn leichtsinniger in seinen Handlungen werden lassen können, als ohnehin schon. War er nüchterner oder im Laufe von Stunden nüchterner geworden, so wäre er eher geflohen anstatt die Konfrontation zu suchen. Mehr Alkohol hätte ihn “mutiger“ sein lassen können. So stelle ich mir das vor. Ich gehe davon aus, auch weil er in der Nacht des DoubleEvents sehr früh zuschlug, dass er einen miserablen Tag hatte oder wenigstens einen ganz miesen Abend. Bevor er auf Stride losging, so denke ich, war er noch nicht weit von einer Szenerie entfernt, die ihn gerade sehr verletzt oder mitgenommen hatte. War er nun tatsächlich derjenige, der Schwartz etwas zurief, dann könnte hier ein Pubbesuch, Minuten vorher, stattgefunden haben und er war noch stark alkoholisiert. Schwartz hatte ja auch den Eindruck, vor ihm liefe ein Angetrunkener. Ob es jetzt Wut war, nun erst recht weiter zu machen und sich ein neues Opfer zu suchen oder er einfach bei seiner Flucht auf Eddowes traf und wieder einmal seine Gelegenheit nutzte, ist wohl nicht zweifelsfrei zu beantworten. Vielleicht auch eine Mischung aus beiden.

Isdrasil:
Hi Lestrade

Prinzipiell stimme ich Dir zu.
Auch ich würde das Verhalten des Täters wohl von seiner Tagesform abhängig machen, tendenziell würde es jedoch in meinen Augen darauf hinauslaufen, dass er versuchen würde zu fliehen. Natürlich gäbe es starke Probleme bei Hanbury oder gar Millers Court. Bei Hanbury hätte er wohl noch eine Chance darin gesehen, sich über den Zaun in einen der anderen Höfe zu hangeln, aber Millers Court war eine Sackgasse. Dies muss bei ihm starken Stress hervorgerufen haben.
Dass der Täter stark alkoholisiert war, daran mag ich nicht so recht glauben. Seine Taten erscheinen mir zu nüchtern, die Verletzungen zu konstant, um starke Pegelschwankungen zu vermuten. Wie Du auch erwähntest, wird sein Pegel wohl seine Entscheidung beeinflusst haben, ob er eine Tat begehen würde oder nicht. Ich denke aber nicht, dass der Ripper ein großer Trinker war. Ein oder zwei Bier am Abend der Tat, mehr vermute ich nicht.

Ich sehe das also wie Du - nur, dass ich deine Variante der Konfrontation bei starkem Alkoholgenuss ausklammere.

Grüße, Isdrasil

Lestrade:
Hallo Isdrasil,

Ich halte den Ripper grundsätzlich auch für den “Fluchttypen“, mit oder ohne Alkohol. Kann mir gut vorstellen, dass sich solche Typen durchaus Mut antrinken, was ja auch ein Indiz dafür wäre, dass sie eben dazu neigen, eher abzuhauen als in Konfrontation zu gehen. Aber die Frage, wie viel, ist viel und wie wenig ist wenig, hängt wohl ganz vom individuellen Typ ab. Einer verträgt mehr, der andere weniger. Beim Ripper glaube ich nicht, dass er wie ein Gourmet speiste und sich vernünftig ernährte. Da kann Alkohol noch ganz anders wirken aber auch da die Frage, wie er wirkt. Und auch das hängt wieder vom Typ ab, der man eben ist, meine ich.

Zur Leistungsfähigkeit bei Alkohol:

Ich habe einen großen Teil meines Lebens an der Seite von Borderlinern, Menschen mit borderlineähnlichen Erkrankungen oder anderen psychischen (Persönlichkeits-) Störungen verbracht und was mir besonders auffiel war, dass der Genuss von Alkohol ihre Leistungsfähigkeit erst einmal gar nicht beeinträchtigte. Im Gegenteil, die Sinne schienen für eine gewisse Zeit sogar angeregt zu werden. Ich stellte allerdings auch wenig “Grauzone“ fest, bevor der Zustand des “in der Ecke liegen“ eintrat. Aber auch da war dies sehr individuell. Ist es letztendlich immer. Alkohol ist eine Droge und kann auch ersteinmal aufputschen. Ob ein angetrunkener Ripper so mordete, wie er mordete? Ja, sage ich. Ein besoffener allerdings nicht. Die Handlungen hätten vielleicht etwas plump ausgesehen, aber er hätte sie ausführen können.

Ich weiß, du hälst Stride nicht für ein Ripper- Opfer. Schwartz hatte aber offensichtlich einen, sagen wir, “schwankenden Mann“ vor sich beobachtet, der dann plötzlich Stride angriff. Schwartz, PC Smith und auch die Beschreibung von Lawende ähneln sich schon, was die gesehenen Männer angeht. Dazu zählt auch die Beschreibung eines Zeugen aus einer Church Lane (“a man sitting on a doorstep and wipping his hands“). Davon ausgehend ist es sehr gut möglich, dass der Stride- Angreifer auch Jack the Ripper war. Immerhin sind das vier Beschreibungen, die sich möglicherweise an nur einer Person orientieren.

Es gab einige Straßen mit “Church“. Experten gehen davon aus, dass es sich um die Church Lane an der St. Mary Matfelon Kirche in Whitchapel handelt (ich glaube die heutige White Church Lane). Sie verbindet an einer Stelle die Commercial Road mit der Whitechapel Road, lag parallel der Union Street/Sion Square, 300-400m vom Tatort Stride entfernt.

Ich denke aber auch im Stride- Fall, dass der Ripper floh. Und ich denke auch, wie Andromeda, dass es nicht Diemschütz war, der ihn störte. Sein Pferd scheute, als ob noch jemand im Yard wäre sagte Diemschütz. Da war ja auch jemand, nämlich Stride, auf dem Boden liegend.

Der Ripper war da meines Erachtens schon weg. Er floh, aber nicht so, dass er Stride als mögliche Zeugin zurückließ. Das ging diesmal nicht so einfach. Sie hätte ihn wiedererkannt. Er töte sie, weil sie ihn hätte wiedererkennen können. Da hatte er schon kein Interesse mehr an ihr als Verstümmelungsopfer. Er musste damit rechnen, dass Schwartz und auch der zweite Mann mit der Polizei wiederkommen. Er hatte nur wenige Augenblicke um sich zu entscheiden. Es lief von vornherein schief. Schwartz sah ihn, Stride wehrte sich, ein zweiter Mann tauchte auf, der Angreifer traute sich Schwartz anzufauchen, weil er diesen noch schwächer einschätzte als sich selber, denn Schwartz hatte wohlmöglich sichtbare Angst. Der Killer wartet bis Schwartz und Pipeman um die Ecke sind, tötet Stride mit seinem typischen Kehlschnitt und flieht. Möglichweise über die Church Lane, wo er sich säubert und geht dann Richtung City of London.

Er war jemand der abhaute, ohne Zweifel. Aber keiner, der solch eine Zeugin wie Stride zurückließ, wenn es sich vermeiden ließ. Und es hat sich offenbar vermeiden lassen…

Gruß, Lestrade.

Isdrasil:
Hi Lestrade,

Ja, die Sache mit Stride. Wir können gerne beizeiten einmal über den Stridemord diskutieren. Ich halte deine Vorstellung der Tatnacht für sehr durchdacht und plausibel, muss Dir aber leider – und das ist der Punkt, auf den ich antworten möchte – in Bezug auf Alkoholkonsum widersprechen.

Der Ripper zählt für mich zu einer Kategorie von Serientätern, in der es einige bekannte Beispiele gibt:  Bartsch, Gust, Kürten, Chikatilo, Honka, Kroll und Co. Ich erwähne bewusst nur europäische/russische Namen, da sich die amerikanischen Täter für mich bekanntermaßen von den „unsrigen“ unterscheiden. Bei all diesen Tätern ist zu beobachten, dass sie zum Tatzeitpunkt gar nicht oder nicht übermäßig stark alkoholisiert waren und den Vorlauf der Tat minutiös und sehr bedacht planten, auf das Ziel hingerichtet arbeiteten. Honka war zwar Alkoholiker, aber er tötete innerhalb seiner Wohnung. Für derartige Taten außerhalb verhielt er sich viel zu auffällig und hätte mit der Tatsituation eines freien Raumes nicht umgehen können. Kroll verwirklichte seine Fantasie erst beim letzten Opfer vollständig. Er war zu labil und infantil, um die Fantasie bei vorangegangen erwachsenen Frauen verwirklichen zu können.
Eines zeichnet diesen Typus nämlich aus: Der Täter durchlebt die Tat vorher exakt in seiner Fantasie. Er malt sich jeden einzelnen Schachzug bis zur Tat aus, jede einzelne Bewegung, jede Reaktion des Opfers. Nur eine kleine Abweichung in diesem Drehbuch kann ihn davon abhalten, nicht zuzuschlagen.
Es dreht sich bei diesen Tätern sehr viel um Kontrolle und den Zwang einer drehbuchgerechten Durchführung der Tat, und in ihren Fantasien spielt niemals ihr eigener Zustand eine Rolle, wird das Betrinken als nicht notwendig betrachtet. Kurz gesagt: In ihren Gedanken sind sie nüchtern und erleben die Tat bei klarem Verstand.
Ich weiß, dass Borderline-Persönlichkeiten so einiges wegstecken können. Wie Du weißt, habe ich auch schon in der Psychatrie „gearbeitet“ und meine ganze Familie weiblicherseits arbeitet in der Psychatrie. Aber der Alkohol spielt für die Taten keine Rolle. Er kann sich ergeben, aber für einen Großteile dieser Täter wäre er hinderlich, zudem es mir wirklich nicht auf die Rippertaten anwendbar erscheint.
Natürlich wird sich der Ripper auch in Pubs aufgehalten haben, und natürlich wird er etwas getrunken haben. Aber niemals so viel, dass sein Zustand eine beschwipste oder gar betrunkene Phase erreichte. Dazu war er meiner Meinung nach viel zu sehr auf die Tat und mögliche Opfer fixiert. Kontrolle zählt. Er war auf der Jagd. Alkohol war absolute Nebensache.

Ich glaube aber, Lestrade, unser  Problem liegt woanders: Ich denke, dass wir beide für uns den jeweils passenden Ripper gefunden haben. Deiner lebt im East End, meiner außerhalb. Dein Ripper kann durchaus im alltäglichen Leben an einem gewöhnlichen Abend zu einer Tat getrieben worden sein, mein Ripper ging schon mit dem Vorsatz einer Tat Richtung East End. Somit kann man sich bei deinem Ripper den Alkohol besser vorstellen, bei meinem weniger. Du wirst es nicht glauben, aber ich halte dein Täterbild für schlüssig. Es ist nur eben nicht meines. Wie immer steht und fällt die Antwort auf diese Frage mit der ganz persönlichen Vorstellung des Täters.

Und nu?  ;)

Grüße, Isdrasil

Lestrade:
Hi Isdrasil,

Ich mach´s mal einfacher und an einem Beispiel fest:

Das Phänomen Serienmord in Deutschland wurde von Harbort für den Zeitraum 1945 bis 1995 untersucht.[6][7][8] In dieser Zeitspanne verübten nach dieser Studie alle Serienmörder in Deutschland zusammen 453 Einzeltötungsdelikte. 54 Männer und 7 Frauen wurden als Serienmörder verurteilt. Sexuell motivierte Taten wurden dabei zu 56 % aufgeklärt. Ungeklärt blieben 79 Morde, die 21 Mordserien zugeordnet wurden. Die Untersuchung zeigte eine Zunahme von ca. 63 % der Serientötungen in den Jahren 1986 bis 1995 verglichen mit den 10 Jahren davor. In fast 80 % der Fälle bestand keine Opfer-Täter-Beziehung, in 27 % der Fälle war der Täter unter Drogeneinfluss (Alkohol oder Betäubungsmittel). Sexualmörder waren zu 95 % und anders motivierte Serienmörder zu 61 % Einzeltäter. Die Tatorte lagen zu 58 % in Großstädten, der Umkreis der Einzeltaten einer Mordserie war in 68 % der Fälle kleiner als 30 km und in 40 % der Fälle kleiner als 10 km.

Im weiteren Zeitraum bis zum Jahr 2000 wurden in Deutschland 22 sexuell motivierte Serienmörder und 54 Serienraubmörder gefasst. Dabei wurden 8,4 % aller Raub- und Sexualmorde von Serientätern begangen. In ihrem Umfeld sind sie meist unauffällig und sozial angepasst. Nach Harbort werden Serienraubmörder im Durchschnitt nach 3¼ Jahren gefasst und sind in 88,9 % der Fälle zuvor strafrechtlich erfasst worden. Viele Seriensexualmörder wohnen in Großstädten, sind zwischen 16 und 36 Jahren alt, ledig oder geschieden, kinderlos und werden im Schnitt nach 4½ Jahren gefasst. Von den sexuell motivierten Serienmördern haben 82 % ein auffälliges Sexualverhalten, wie z. B. Fetischismus und sind oft zuvor bereits wegen Sexualdelikten erfasst worden.

27 Prozent! Es ist schon eine interessante Zahl, wie ich finde. Dazu muss man bedenken, dass das EastEnd auch für Alkoholismus stand. Oftmals spiegelt sich der Täter, oder Anteile von ihm, im Opfer wieder. Die Opfer waren doch so gesehen alkoholkranke oder zumindest vom Alkohol stark gezeichnete Frauen. Bei solchen Tätern gibt es oft eine Mutter, die eine Frau mit Alkoholproblemen ist. Es kann natürlich auch etwas anderes geschehen, nämlich dass sich jemand, wegen einer solchen Schädigung durch die Mutter, dem Alkohol vollkommen abwendet. Er Frauen mit Alkohol im Blut hasst aber selber nie einen Schluck trinkt. Demzufolge, so finde auch ich, kann man dem Ripper nicht vollkommen großartigen Alkoholgenuss unterstellen. Die Möglichkeit wäre aber auch nicht so klein, wie man wohlmöglich annehmen könnte.

Ansonsten, auch da gebe ich dir recht, hängen unsere Überlegungen auch durch unsere unterschiedlichen Wahrnehmungen der einzelnen Geschehnisse, unseren persönlichen Erfahrungen und von unserer individuellen Vorstellung des Täters usw. ab.

Dies ist doch wundervoll normal oder?

Ich denke, der Ripper wäre eher abgehauen als sich Auseinandersetzungen zu stellen. Ausgenommen, wie geschildert, dass sein gewolltes Opfer als Zeugin zurückgeblieben wäre. Da hätte er nach einer Chance gesucht, dies zu verhindern. Mit zwei Männern hätte er sich dabei nicht angelegt (siehe meinen gestrigen Erlebnisbericht aus 2003). Die werden wohl, wie und warum auch immer, schnell verschwunden gewesen sein. So wie er letztendlich auch…

Gruß.

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