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Freisinnige Zeitung, 04. Oktober 1888

Die beiden neuen Morde im Londoner Ostende halten die ganze Stadt in größter Aufregung. Die Anstrengungen der Polizei, den Mördern auf die Spur zu kommen, sind bisher erfolglos geblieben. Der Thäter scheint dasselbe Scheusal in Menschengestalt zu sein, von dessen bluttriefender Hand augenscheinlich die vier vorhergegangenen scheußlichen Morde verübt wurden. Die ermordeten Frauen gehören, wie in den früheren Fällen, der Klasse von „Unglücklichen“ an, welche ihren Lebensunterhalt nachts auf der Straße erwerben. Der Schauplatz des zuerst verübten Verbrechens ist Berner-street, eine enge Gasse, welche in Commercial Road, eine der belebtesten Straßen des Ostendes, einmündet. Gegen 1 Uhr morgens hatte der patrouillirende Konstabler nichts Auffälliges in der Gasse bemerkt. Als er dieselbe auf seinem Rundgange eine Viertelstunde später passirte, entdeckte er im Thorwege einer Fabrik die Leiche einer Frau, deren Hals von Ohr zu Ohr durchgeschnitten war. Der Körper der Entseelten war nicht verstümmelt, der Mörder scheint nicht Zeit gehabt zu haben, sein Verstümmelungswerk wieder zu beginnen. In der Ermordeten wurde später eine der Prostitution ergebene Frauensperson, namens Elisabeth Stride, erkannt. Sie soll von Geburt eine Schwedin sein. Die Stätte des zweiten Mordes ist Mitre-Square, im östlichen Teile der City, unweit des Stadtbezirkes Whitechapel. Gegen 2 Uhr morgens hatte der wachhabende Konstabler in dem Square nichts verdächtiges bemerkt. Zehn Minuten später erblickte er beim Schein seiner Laterne die in einer Blutpfütze liegende Leiche einer Frau, deren Hals fast bis zum Nackenwirbel durchgeschnitten war, während der Leib in einer nicht näher zu beschreibenden Weise verstümmelt und fast bis an die Brusthöhle aufgeschlitzt war. Das Antlitz der Ermordeten bot einen fürchterlichen Anblick; die Nase war vollständig abgeschnitten, ein Auge fast aus der Höhle herausgerissen, das linke Ohr fehlte und Stirn wie Wangen waren mit Schnitt- und Stichwunden bedeckt. Diese Verwundungen geben Grund zu der Annahme, daß zwischen dem Mörder und seinem Opfer ein verzweifelter Kampf stattgefunden haben muß. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Schreckenskunde von den zwei neuen Blutthaten durch die ganze Nachbarschaft, und schon in früher Morgenstunde waren Berner-Street und Mitre-Square, sowie die anstoßenden Straßen mit Tausenden von Neugierigen gefüllt. Das ganze Ostende befand sich am Sonntag in einem Zustand fieberhafter Aufregung und im Publikum herrscht natürlich die größte Entrüstung, daß solch’ schwere Verbrechen inmitten eines dicht bevölkerten Stadtteiles sich so oft wiederholen können. Der geheimnisvolle Mörder scheint spurlos verschwunden zu sein, und die Polizei ist ganz ratlos. – Die Korporation der City hat eine Belohnung von fünfhundert Pfund Sterling auf die Entdeckung des Mörders ausgesetzt, weil einer der Morde im Bereiche der City (Mitre-Square) verübt worden ist. Die Regierung dagegen lehnte das Gesuch, eine Belohnung auszusetzen, ab, weil sie es für nutzlos hält. – Am Sonnabend und Sonntag haben übrigens in London nicht weniger als fünf Meetings stattgefunden, einige davon von Tausenden besucht, in denen heftige Vorwürfe gegen die Polizei wegen ihrer Erfolglosigkeit gegenüber dem Mörder laut wurden, der in unheimlicher Weise Nachts Frauen ermordet und verstümmelt. Alle diese Meetings nahmen Beschlüsse an, in denen die Amtsentsetzung von Sir Charles Warren, des Polizeidirektors, und des Ministers des Innern verlangt wird. Es erhellt aus diesen Forderungen, wie außerordentlich erregt die Bevölkerung Londons über die schauerlichen Blutthaten sein muß.
Unterdeß hat der „Berl. Börs.-Cour.“ folgendes Telegramm aus London vom 2. Oktober erhalten: Heute Abend wurde in der Nähe des Parlamentsgebäudes abermals der Leichnam einer Frau mit abgeschlagenem Kopf, Händen und Beinen gefunden. Die Aufregung der Stadt ist unbeschreiblich.

 

Thomas Schachner
(Dokument zuletzt bearbeitet am 20.11.06)