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Melvin
Harris "Jack the Ripper, die blutige Wahrheit 100 Jahre danach"
240
Seiten
Hannibal-Verlag Wien
ISBN: 3-85445-038-9
„Jack the Ripper,
the Bloody Truth“, englisches Original erschienen 1987 bei
Virgin Books
Melvin Harris Sachbuch über die im Herbst des Jahres 1888 im Londoner Eastend
stattgefundenen Prostituiertenmorde avancierte längst zum Standardwerk unter
den Hobby-Ripperologen. Der blutrünstige Titel sollte deshalb auch all diejenigen
nicht verschrecken, die sich um eine differenzierte Darstellung der Ereignisse
bemühen, denn der langjährige BBC-Radioreporter schildert die grausigen
Taten ohne die übliche Sensationsgier.
Auf die exakten Tatumstände, die er recht knapp abhandelt, kommt es dem
erfahrenen Amateurkriminologen dabei freilich weniger an, als auf die Beschäftigung
mit den zahllosen Verdächtigen. Scharfzüngig entlarvt er fast sämtliche
bekannten und weniger bekannten Theorien über den mysteriösen Mörder
von Whitechapel als pure Manipulation. Mit dem typisch britischen Augenzwinkern
entgeht ihm dabei auch nicht, wie sich einige der selbsternannten Ripperforscher
sogar gegenseitig auf den Leim gehen.
Der geneigte Leser erfährt darin nicht nur, warum es der Giftmörder
Chapman (alias Severin Klosowski) nicht gewesen sein kann, sondern auch noch,
warum Saucy Jack sicher kein russischer Spion war. Den gewalttätigen Geisteskranken,
der des nachts im Stil eines Mr. Hyde die Straßen des Armenviertels unsicher
machte, lehnt Harris ebenfalls ab. Auch all diejenige, die glauben der geheimnisvolle
Selbstmord des M.J. Driutt hätte etwas mit den Morden zu tun, werden von
ihm eines Besseren belehrt. Nach der Lektüre seines Buchs weiß man,
warum der Hellseher Lee seine paranormalen Weissagungen nur erfunden hat.
Besonders ausführlich widmet sich Harris den angeblichen Verwicklungen des
britischen Königshauses in die Morde. Prinz Eddy, der vermutlich eher dem
männlichen Geschlecht zugewandte Herzog von Clarence, ein geistesgestörter
Frauenmörder? Der greise Sir William Gull, ergebener Leibarzt ihrer Majestät,
in die viehischen Bluttaten verstrickt? Der Dichter James Stephen, als gefürchteter „Mörder
der weißen Brotlaibe“? Für Harris sind solch wilde Spekulationen
vor allem eines – haarsträubende Erfindungen, die ihren fantasiebegabten
Schöpfern reichlich Geld in die Kasse spülen sollen.
Auch mit Patricia Cornwells neuesten Enthüllungen wäre Harris wohl
kaum einverstanden, denn dass der bekannte britische Maler Walter Sickert ein
Serienmörder sein soll, hält er schlicht für eine Verwechslung.
Insgesamt macht Harris deutlich, warum an dem Ausspruch wohl etwas dran ist,
dass wenn all der Unsinn, der über den Ripperfall jemals geschrieben wurde,
eine Granate wäre, man damit problemlos einen Schlachtkreuzer versenken
könnte.
Abschließend präsentiert Harris auf gerade mal 20 Seiten seinen eigenen
Verdächtigen, den auch schon der Möchtegernmagier Aleister Crowley
ganz oben auf seiner Liste hatte. Sonderlich stichhaltig sind Harris Ausführungen
dazu zwar auch nicht, aber immerhin einfallsreicher als die seiner oft verbohrter
Kollegen. Um seine auf recht wackligen Beinen stehende Theorie noch zu untermauern,
skizziert Harris den Mord an Mary Kelly sogar in die Goulsten Street – ein
inzwischen schon legendärer Fauxpas, den man ihm aber gerne verzeiht.
Letztlich erliegt der eigentlich um Aufklärung Bemühte also derselben
Versuchung, die er zuvor allen anderen Ripperforschern vorgeworfen hat: Er legt
die Fakten so aus, dass am Ende das von ihm gewünschte Ergebnis herauskommt.
Das hat ihn freilich nicht davon abgehalten, seine Theorie in neueren Büchern
noch weiter auszuführen.
Da das trotzdem empfehlenswerte Buch bereits im Jahre 1988 erschienen ist, weist
es natürlich nicht mehr den letzten Stand der Forschung auf. Die Hauptschwierigkeit
dürfte aber darin liegen, noch ein Exemplar des raren Sachbuches zu ergattern,
da es sowohl im englischen Original als auf Deutsch längst vergriffen ist.
Vereinzelt ist es jedoch noch gebraucht bei Ebay und Amazon zu haben.
Scharfnase
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