Autor Thema: Der Mythos vom Gestaltwandler  (Gelesen 10428 mal)

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CB

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Der Mythos vom Gestaltwandler
« am: 09.06.2003 18:39 Uhr »
Zurück zu den Fakten, den Dingen, die wir wissen, nicht die, die wir deduzieren, interpretieren oder einfach nur heftig wünschen. Packen Sie alle FAKTEN in ein Bündel, und machen Sie einen Besuch in Ihrem LKA. Voranmeldung erbeten. Versuchen Sie einen Polizisten für die Sache zu interessieren, einen der sich mit Zeugenvernehmungen auskennt. Fixen Sie ihn mit Jack an. Sollte einfach sein, Sie wurden ja auch angefixt.

Nach einer Woche oder so, bei einem Bier in einem Biergarten - das Wetter lädt dazu ein - wird Ihnen etwas verraten; es ist Blödsinn, von einem "Einsamen Serienkiller" (ESK) zu sprechen.

Blödsinn.

Weil, hebt er dann an zu erklären, Zeugen v.a. eines sind - unzuverlässig. Polizisten wissen das, und bekommen auch vermittelt, damit umzugehen.

Viele Menschen, ja die meisten, sind schlechte Beobachter, aber (fast) jeder ist in der Lage eine Gefahr einzuschätzen, oder ob ein anderer zu einer solchen werden könnte. In diesem Zusammenhang spielt Haarfarbe z.B. keine wichtige Rolle, und so wird die Haarfarbei bei Zeugenaussagen oft falsch wiedergegeben. Größe, Körperbau, Bewegunsgapparat sind Faktoren, die uns helfen, jemanden als Gefahrt einzsuchätzen, und diese Dinge werden von Zeugen normalerweise auch (mehr oder minder) korrekt wiedergegeben.

Menschen haben einen eingebauten Filter. Was wir wirklich wahrnehmen (und erinnern) ist z.B. die Haltung eines breit gebauten mannes in nächtlicher Straße, denn aus seiner Haltung können wir abschätzen, ob er für uns eine Gefahr darstellt. Es sollte auch angemerkt werden, daß viele Zeugen Menschen eines anderen ethnischen Hintergrundes eher erinnern. Das gilt in unserer Zeit noch immer, und noch viel mehr galt es damals, 1888.

Die Beobachtungen eines Menschen, um es sehr kurz darzustellen, hängen von seinen Ängsten und Vorurteilen ab, und das spiegelt sich in den Erinnerungen an das Beobachtete wieder.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf gehen wir noch einmal die Aussagen jener Zeugen durch, die höchst wahrscheinlich etwas von.... unseren Mördern gesehen haben.

Matthew Packer, William Marshall, Mary Ann Cox, Israel Schwartz, Joseph Lawende, J. Best / J. Gardner, James Brown and William Smith haben jemanden beobachtet, den ich als "stämmigen Kaukasier" bezeichnen möchte. Der Mann, den Sie beschrieben ist etwa 5'7" groß und sieht "hell" bzw. "Britisch" aus. Ich stimme für "Nordeuropäisch" statt britisch, da ein Schwede, Däne oder Deutscher zumeist auch als "Brite" durchgehen könnte. Dieser Mann - TYP A - ist zwischen 25 und 30 Jahren alt und hatte mit ca. 1m71 die durchschnittliche Größe eines Viktorianers der Mittel- oder Oberschicht; die Mangelernährung von Kindsbeinen an in den Slums ließ die Männer der Unterschicht in der Regel um 5'5" groß sein (ca. 1,65, vgl. zum Thema größe u.a. Jack London's People from the Abyss). Seine Statur wird oft als "stämmig" oder - im damaligen Idiom - "wohlgenährt" angegeben ("stout").

Der zweite Schwung Zeugen - Hutchinson, Elizabeth Long, Emily Walter - sah einen "jüdisch-aussehenden" oder "ausländischen" Mann, was eine dunklere Hautfarbe bzw. einen starken slawisch-jiddischen Einfluß vermuten läßt. Dieser Mann - TYP B - ist etwa ein Zoll kleiner als Typ A (ca. 1m68) und zwischen 28 und 30 Jahren alt.

Viele Forscher halten die Zeugenliste wahrscheinlich für unzuverlässig, ob nun mit oder ohne Grund. Eine Auswertung von Fidos sehr restriktiv gehandhabter Zeugenliste (Jack the Ripper A to Z) - Long, Lawende, Schwartz - zeigt uns die goldene Mitte. Long beschreibt einen Typ B, die beiden anderen einen Typ A.

Gerade Schwartz' Aussage wurde selten bezweifelt, und niemals überzeugend. Er sprach von zwei Männern. ZWEI. Einer der Elizabeth Stride mißhandelt, der andere, der daran geht, Schwartz zu vertreiben. Der Schläger ist ein Typ A, der zweite Zeuge jedoch wurde als "sehr groß" und etwa 35 Jahre alt beschrieben. Das mag sogar auf einen dritten Beteiligten hindeuten.

Andere Zeugen, die oft zurecht übergangen wurden, sprechen auch von zwei Männern, so z.B. Henry Tomkins während des Nichols-Inquest. Die Rückfragen der Jury legen übrigens nahe, daß die Theorie von mehreren Tätern damals weitgehend akzeptiert war und auch öffentlich diskutiert wurde.

Zwei Täter. Mindestens. Kein Einzeltäter.

ABER - Wahnsinnige Serientäter jagen nicht in Rudeln. Und sie haben selten Lehrlinge in Ausbildung im Schlepptau.

Richtig (zumindest meistens)

ABER - Dieses Massakker kann nur von einem wahnsinnigen Serientäter angerichtet worden sei.

Richtig (zumindest sehr wahrscheinlich).

Mmmh, also wohin führt uns das? Wenn ichs nur wüßte, aber keinesfalls zur Sir William Gull und Prince Eddy und üblen Thronfolgergeschichten.

Offline thomas schachner

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Der Mythos vom Gestaltwandler
« Antwort #1 am: 10.06.2003 16:22 Uhr »
hallo cb,

wahrnehmungsfehler möchte ja auch niemand bei den zeugen ausschließen. man genießt diese aussagen sowieso mit sehr großer vorsicht.

ich persönlich finde sie für eine beschreibung der person des rippers auch nicht so wertvoll, wichtiger sind die zeitangaben die sie uns vermitteln, um die letzten stunden/minuten im leben der opfer nachzuvollziehen.

wenn aber ein zeuge angibt, dass eine person "gut" angezogen war, dann möchte ich schon behaupten, dass dies im armenviertel sehr wohl aufgefallen ist und somit verlässlich ist. welchen schluß auch immer wir daraus ziehen möchten.

das gleiche würde ich von den zeugenaussagen behaupten, die bestimmte worte des potentiellen rippers wiedergaben. beispielsweise elizabeth long oder israel schwartz. bei letzterem könnte man natürlich anzweifeln, ob er tatsächlich "lipski" verstanden hat und nicht doch eher "lizzie".

die absolut perfekte beschreibung von george hutchinson hat mich aber schon des öfteren vor ein rätsel gestellt. wenn er aber tatsächlich die person ist, die ich im census gefunden habe und somit porträt maler war, würde mich das nicht überraschen.
vielmehr stellt sich hier bei mir die überlegung, ob er nicht eine person ist, die unmittelbar an den morden beteiligt war. aus welchem grund sollte er so lange vor dem zimmer von mary kelly verweilen oder ihr überhaupt folgen?

könntest du deine schlußargumentation bitte noch etwas genauer erläutern - ich kann dir da nicht ganz folgen.

einige serientäter haben in "rudeln" gejagt, gute beispiele wären hier charles manson oder die amerikanischen sniper. allerdings kann ich mir vorstellen, dass dies unmittelbar mit der veränderung und verrohung der gesellschaft, insbesondere der amerikanischen, zusammenhängt. heute findet man wohl eher "verrückte" die sich zu so einem vorhaben hinreißen lassen.

wieso sollte der ripper wahnsinnig gewesen sein? wäre er wahnsinnig gewesen, hätte er früher oder später fehler begangen. ich gehe hier eher von einem klaren, kühlen verstand aus, der seine taten perfekt geplant hat. oder von einer recht debilen person, die einfach nur verdammtes glück hatte nicht erwischt worden zu sein. aber das trifft meiner meinung nach nicht zu, da der modus operandi dagegenspricht.

yep---gull und eddy halte ich auch für absoluten humbug.

ich freue mich auf deine antwort!
ich bin auf jeden fall sehr beeindruckt von deinem beitrag. woher hast du dieses hintergrundwissen?

gruss
thomas.
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CB

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Der Mythos vom Gestaltwandler
« Antwort #2 am: 11.06.2003 02:30 Uhr »
Nun, "Schlußargumentation" trifft es nicht ganz. Eher bereite ich den Boden :D für das, was kommt. Ist so einiges, und ich würde Teile meiner Theorie gerne in öffentlicher Diskussion ergänzen und erhärten. Setzt  natürlich Interesse und Beteiligung voraus, v.a. (begründeten) Widerspruch.

Wahnsinn schließt rationales Handeln - zumindest zweitweise oder im Hinblick auf das "Wahnziel" - keinesfalls aus. Daher Wahnsinn, nicht Tobsucht. Ich denke nicht, daß derjenige, der Mary Kellys Zimmer in dieses Schlachthaus verwandelte, hundertprozentig in der Spur lief. Nö.

Killer-Teams (Hillside Stranglers, Washington Snipers, Otis O'Toole) sind tatsächlich erst relativ spät in der "Geschichte" der Serientäter aufgetreten, so daß ich nicht unbedingt von dieser Konstellation ausgehen würde (außer bei einem rituell-okkulten Klub, und da klopft dann auch schon wieder die gute alte Freimaurer-These an die Tür).

Mein persönlicher Hintergrund - Studium MA in Geschichte / Anglistik / Amerikanistik und Studienjobs in verschiedensten Abteilungen einer Uniklinik. Ich lebe vom Bücher- und Skriptschreiben (und möchte daher meinen echten Namen lieber nicht verwenden). Zu Jack the Ripper stieß ich aus Südfrankreich kommend ( :? )

Offline thomas schachner

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Der Mythos vom Gestaltwandler
« Antwort #3 am: 11.06.2003 04:33 Uhr »
hallo,

mit schlußargumentation meinte ich die letzten erwähnten punkte in deinem posting .-))

im falle kelly muss ich dir zustimmen, dass da jemand sicherlich nicht ganz bei sinnen gewesen ist, vor allem wenn tatsächlich noch eine axt zum einsatz gekommen sein soll.

allerdings finde ich es schon bemerkenswert, wie sich der mörder vor der tat noch total unter kontrolle hatte und es schaffte mit in das zimmer von mary kelly zu gelangen, ohne das diese verdacht schöpfte.

auch nach der tat muss es wohl noch einige zeit gedauert haben, bis er wieder komplett bei sinnen war und ungehindert von dannen ziehen konnte. dies würde auch die hitze in dem raum erklären, die abberline beschrieb, und aufgrund des verbrennens von kleidung entstand.
wer weiß, wie ausgelaugt er nach dieser tat war.

lassen wir die freimaurer mal außen vor. die hätten in dem engen raum eh keinen platz gehabt .-)))

gruss
thomas.
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Eastsidemags

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Der Mythos vom Gestaltwandler
« Antwort #4 am: 24.06.2003 14:13 Uhr »
Zitat von: "CB"
Nun, "Schlußargumentation" trifft es nicht ganz. Eher bereite ich den Boden :D für das, was kommt. Ist so einiges, und ich würde Teile meiner Theorie gerne in öffentlicher Diskussion ergänzen und erhärten. Setzt  natürlich Interesse und Beteiligung voraus, v.a. (begründeten) Widerspruch.



Wann kommt denn deine Theorie, wenn ich fragen darf?

CB

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Der Mythos vom Gestaltwandler
« Antwort #5 am: 25.06.2003 01:38 Uhr »
Wenn ich meinen Umzug über die Bühne gebracht habe. :roll: Ist etwas mehr Renvoierungsarbeit als geplant. Wahrscheinlich biete ich aber demnächst einen PDF-Download der ersten 46 Seiten an.

Offline thomas schachner

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Der Mythos vom Gestaltwandler
« Antwort #6 am: 02.08.2003 02:46 Uhr »
hi cb,

lebst du noch, oder bist du unter einem umzugskarton begraben? .-))

gruss
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CB

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Nicht ganz...
« Antwort #7 am: 02.08.2003 04:06 Uhr »
.....aber fast. Nein, ich habe einfach VIIIIIEL zu viel um die Ohren, lausche aber immer rein, wie Du siehst.