Autor Thema: Wie glaubhaft sind die Aussagen?  (Gelesen 20697 mal)

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Van Helsing

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Wie glaubhaft sind die Aussagen?
« am: 17.01.2004 19:21 Uhr »
Hallo Leute!
 
 8) Momentan frage ich mich sind die Aussagen der Zeugen die befragt wurden wirklich alle glaubhaft oder sind einige Aussagen auch einfach nur ein paar schöne Lügenmärchen, die von den angeblichen Zeugen nur gemacht worden sind, damit diese sich ihrgendwie wichtig machen konnten.
Was ist Wahrheit und was ist Fiktion? Das ist hier wohl eine gute frage! 8)

Offline academyfightsong

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Wie glaubhaft sind die Aussagen?
« Antwort #1 am: 28.01.2004 13:35 Uhr »
Ein gutes Beispiel für die unglaubwürdigkeit einiger Zeugen, sind die Aussagen, die ein gewisser Matthew Packer, in bezug auf den Mord an Liz Stride gemacht hat.
Packer war Obst u. Gemüsehändler und hatte sein Geschäft in der Berner Street, nur ein paar Meter vom Tatort entfernt.
Am vormittag des 30.9. führte Sergeant Stephen White eine Zeugenbefragung in der näheren Umgebung durch und befragte u.a. auch Matthew Packer. Dieser gab zunächst an, in der besagten Nacht weder etwas gesehen noch gehört zu haben. Gerade mal zwei Tage später, erzählte er den beiden Privatdetektiven "Grand & Batchelor", eine ganz andere Geschichte.

Nun gab er an, in der Nacht des Mordes gegen 23:45 Uhr, ein halbes Pfund Weintrauben an einen Mann und eine Frau verkauft zu haben. Die beiden hätten sich nach dem Kauf noch etwa eine halbe Stunde in der nähe seines Ladens aufgehalten und unterhielten sich, trotz des andauernden Regens, und machten keine anstalten sich ins trockene zu begeben.

Grand und Batchelor stellten weitere Nachforschungen an und trieben tatsächlich zwei Zeuginnen auf. Namentlich: Mrs. Rosenfield und Eva Harstein. Die beiden gaben an, in unmittelbarer nähe zum Tatort, einen blutverschmierten Traubenstengel gefunden zu haben.
Ein gefundenes Fressen für die Presse.

Die Evening News machte daraufhin ein Interview mit Matthew Packer und er gab in allen einzelheiten wieder, wie sich der Weintraubenkauf abgespielt hatte. Auf die Frage des Journalisten, ob ihn die Polizei schon zu dem Thema befragt hätte, sagte Packer allen ernstes "No. They haven't asked me a word about it." :!:

----------------STOP-----------------------

Ich merke gerade, das ich keine Ende finde. Die Story ist ellenlang und falls irgendwer interesse daran hat, führe ich sie auch gern ein noch weiter aus. Aber jetzt muss ich erstmal Schluss machen, sorry :oops:

Scharfnase

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Hutchinsons Lügenmärchen
« Antwort #2 am: 28.01.2004 15:39 Uhr »
Hi Leute,

wenn ich mir die hanebüchene Aussage von George Hutchinson so anschaue, der den Mörder von Mary Kelly bis ins kleinste Detail beschrieb, obwohl er selbst viele Meter entfernt stand, dann habe ich so meine Zweifel an den Zeugenaussagen. Hutchinson machte seine Aussage auch erst Tage nach der gerichtlichen Untersuchung, in der er gar nicht auftrat. Zudem will er sogar noch gehört haben, was Mary und der Ripper zueinander gesagt haben. Klar, dass der Ripper für ihn zu allem Überfluss noch "jüdisch" aussah, was immer das heißen mag!

Die Aussagen sind also mit Vorsicht zu genießen, man muss immer genau beachten, wer hier was in welchem Zusammenhang behauptete. Hutchinson ist für mich ein Paradebeispiel von jemand, der sich durch seine Zeugenaussage wichtig machen will. Vielleicht hat er dafür sogar Geld bekommen, möglicherweise sogar vom wahren Mörder. Ob daher überhaupt eine der Aussagen den richtigen Ripper beschreibt, ist mehr denn je zweifelhaft.

Gott zum Gruße,
Scharfnase

MaryJaneKally

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Wie glaubhaft sind die Aussagen?
« Antwort #3 am: 05.06.2005 20:05 Uhr »
hmm naja ich denke das man den meisten zeugen aussagen nicht glauben sollte, denn was hätten die leute nicht alles dafür getan um in die Zeitungen zu kommen (tun sie ja heute auch noch) da erfindet man schon mal was um nachzuhelfen! is meine meinung.

mfg MaryJaneKally

Red_Baron

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Wie glaubhaft sind die Aussagen?
« Antwort #4 am: 06.06.2005 09:51 Uhr »
Hi Leute,

als ich einen Motorradunfall hatte, sagte eine "Augenzeugin" ich sei gefahren und meine Freundin hätte hinten drauf gesessen. Wahr ist

Sie ist gefahren und ich saß hinten drauf.

Soviel dazu

Gruß
RB

Butcher

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Wie glaubhaft sind die Aussagen?
« Antwort #5 am: 06.06.2005 12:30 Uhr »
*schlägt die Hacken zusammen und salutiert*

Herr Baron,
nichts ist unzuverlässiger als der Bericht eines Augenzeugen.

Mich will wer im Sommer 2003 beim Auto aufbrechen in
nem kleinen Kaff gesehen haben. Tatzeit = 16.00 Uhr

Konnte aber anhand von Ticket und Fotos meine Unschuld beweisen.
War nämlich zu fraglichen Zeit in Hockenheim, AC/DC gucken... 8)

Red_Baron

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Wie glaubhaft sind die Aussagen?
« Antwort #6 am: 06.06.2005 16:58 Uhr »
Tja ja,

da bekommt der Begriff "Ihr solltet das mal mit meinen Augen sehen" eine völlig neue Bedeutung.  :D

Gruß
RB

allerteuerste

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Wie glaubhaft sind die Aussagen?
« Antwort #7 am: 13.07.2005 10:19 Uhr »
Zitat von: "Red_Baron"
...da bekommt der Begriff "Ihr solltet das mal mit meinen Augen sehen" eine völlig neue Bedeutung.  :D

tja, das tut man ja leider auch!  :lol: das nennt sich selektive wahrnehmung.

ich frage mich auch bei all diesen zeugenaussagen, woher die immer so genau die zeit gewusst haben wollen!!! und das oft mitten in der nacht, wenn sie aus dem schlaf hoch schreckten! das kann ich heute mit hell erleuchtetem wecker noch nicht!!

wecker hatten die damals bestimmt nicht. taschenuhren? sicherlich nicht jeder in dem ausmaß wie heute armbanduhren gebräuchlich sind.

also, bleiben die krichenglocken. und danach eine zeit wie 2: 42 uhr zB abzuleiten, erscheint mir mehr als fragwürdig.

Viggi

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Re: Wie glaubhaft sind die Aussagen?
« Antwort #8 am: 29.12.2006 01:33 Uhr »
Hi allerteuerste
und das oft mitten in der nacht, wenn sie aus dem schlaf hoch schreckten!

Wenn sie aus den schlaf hoch schrecken, dann wohl im Haus.... .... ....
Und dort gab es wahrscheinlich Standuhren.

Offline Isdrasil

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Re: Wie glaubhaft sind die Aussagen?
« Antwort #9 am: 29.12.2006 14:44 Uhr »
Hi

Erstens die Sache mit den Standuhren und zweitens haben wir oft ein falsches Bild von der viktorianischen Zeit. Wir stellen uns diese Zeit oft als unterentwickelt und wenig fortschrittlich vor, dabei war gerade England Ende des 19. Jahrhunderts führend in beinahe allen industriellen und wirtschaftlichen Belangen. Die Armut im East End lässt uns das schnell vergessen.
Die Taschenuhr selbst wurde um 1500 erfunden (!). Zu Freuden unseres Masters sehr höchstwahrscheinlich von Peter Henlein in Nürnberg. War die Taschenuhr zu Anfang ein besonderes Zeichen von Reichtum und Ansehen, wurde sie bald zum Massengut. Schon 1600 nochwas liessen sich spanische Königinnen mit Armbanduhren portraitieren, um sich zur Schau zu stellen. Der Wecker wurde um 1750 erfunden, konnte jedoch zu Beginn nur zu einer bestimmten Zeit läuten, die von Werk auf eingestellt wurde.
Sicher hatte nicht jeder im East End eine Uhr parat - aber wir haben Zeugen, die eine wage Zeit angeben und Zeugen, die genaue Minuten angeben, je nachdem ob diese eine Uhr zur Hand hatten. Ich habe leider keine Zahlen oder welche gefunden - aber ich denke schon, das bestimmt 70% der Menschen eine Uhr hatten, zumal eine Uhr ein typisches Familienerbstück darstellt und meist graviert war.
Eine Uhr dürfte auch gerade im armen East End die erste Anschaffung gewesen sein, war mal Geld im Haus - denn damit konnte man sich eher eine Arbeit mit geregelten Zeiten leisten (ähnlich dem PKW heute).
Noch dazu kommt, dass der moderne Mensch einen gewissen Bezug zur Zeit verloren hat. Ich möchte hier nicht wehmütig klingen, aber uns ist eben in dieser technisierten Welt der Sinn für die Natur und unsere Umgebung ein wenig vergangen. Wer nimmt heute noch das Läuten von Glocken bewusst wahr und kann sagen, wieviel Uhr es ist? Wer kann noch an der Lage der Sonne am Himmel die Uhrzeit bestimmen? Oder an den Sternen? Ich will nicht sagen, dass die Menschen im East End alles Eso-Fuzzis waren - aber es gehörte wohl wesentlich mehr zu ihrem Alltag auf Dinge wie Kirchenglocken zu hören, als dies in unserer Zeit der Fall ist...

Ich glaube schon, dass die Aussagen in der zeitlichen Schiene ziemlich genau sind - man schaut auf die Uhr, wenn man zur Arbeit geht, wenn man von der Arbeit kommt, wenn man das letzte Bier bestellt, wenn man aus dem Pub schwankt, man kennt die Kirchenglocken....

Grüße, Isdrasil

JohnEvans

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Re: Wie glaubhaft sind die Aussagen?
« Antwort #10 am: 28.01.2007 14:14 Uhr »
@Isdrasil,

es freut mich, daß ich jetzt weiß, wann der Wecker erfunden wurde. Aber wenn du von Standuhren keine AHnung hast, dann solltest du nicht einmal davon träumen, daß deine Schätzung von 70% korrekt ist.
Außerdem: wenn die Zeugen Zeiten erwähnen, dann sprechen sie immer von Kirchenuhren. Muß ganz schön laut gewesen sein!!

Mich wundert am meisten, wie viele Leute damals bis sehr spät in der Nacht unterwegs waren. Wann machten eigentlich die Pubs zu?

@Viggi,

sehe ich jetzt erst: wo bist du? FAlls du liest, melde dich mal: JohnEvans_12@hotmail.com

Offline Isdrasil

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Re: Wie glaubhaft sind die Aussagen?
« Antwort #11 am: 28.01.2007 20:59 Uhr »
Hi John,

ich spüre da einen leicht sarkastischen Unterton...
Es freut mich natürlich, dein Wissen um eine wertvolle Information bereichert zu haben. Auch wenn du mir nicht glauben magst, dass 70% der Leute stets eine Standuhr bei sich trugen.  :icon_wink:

Nein, ernsthaft: Sollte ein Zeuge die Kirchenuhr als Anhaltspunkt erwähnt haben, dann wird die Police dies auch überprüft haben. So viele Kirchen dürfte es im East End nicht gegeben haben. Es wäre ja lächerlich, wenn ein Zeuge behauptet, er hätte die Zeit von der Kirchturmuhr - und im Umkreis von einer Meile gibt es nicht eine Einzige!
Uns sind eben nicht alle Punkte der Zeugenaussagen erhalten geblieben - aber die Polizei wird wohl auch die Zeitangaben der Zeugen überprüft haben, oder? Wenn ein Zeuge meinte, er habe die Uhrzeit von der Kirchturmuhr, dann werden die wohl gewusst haben, das sich dort tatsächlich eine befindet. Und wenn er seine Uhr als Anhaltspunkt erwähnte, dann wird er sie wohl einmal vorgezeigt haben. Auch war die Polizei in den Wohnungen der Goulston Street, im jüdischen Klub, in der Wohnung über Mary Kellys Zimmer - das sind doch durchaus Dinge, von denen uns keine Beweise oder hundertprozentig lückenlose Aufzeichnungen gebleiben sind, die wir aber gewiss voraussetzen können.

Was sind deine Rückschlüsse? Das die Zeugen irgendeinen Mist daher gebabbelt haben und die Polizei nichts davon überprüft hat? Ist das dein Ernst? Nein, gewiss nicht - daher können wir doch davon ausgehen, das die Zeitangaben im Groben und Ganzen stimmig sind. Die Menschen lebten auch damals nicht hinter dem Mond! Und immerhin hatten 70% der Menschen Uhren!  :icon_wink:

Zu den Pubs: Ja, wann machten die zu. Weiss da jemand was? Andererseits: Im East End dürfte sich jeder Wirt sein eigenes Gesetz gebildet haben. Gab es damals schon einen Ladenschluss für Pubs?

Grüße, Isdrasil

JohnEvans

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Re: Wie glaubhaft sind die Aussagen?
« Antwort #12 am: 29.01.2007 19:20 Uhr »
Hi, Isdrasil,

Lustige Vorstellung ,das mit den herumgeschleppten Standuhren – ha.ha.

Nein, ebenfalls Scherz beiseite: irgendwelche Prozentangaben über Dinge, die wir nicht wirklich wissen, sind nicht beweiskräftig. Und für die folgenden Überlegungen auch nicht nötig.
Es gab durchaus etliche Kirchen im East End, daher ja schon mal der name Whitechapel, hier mal eine Liste:

·   Christ Church, Spitalfields
·   Church of Good Shepherd
·   St Anne's, Limehouse
·   St Dunstan's, Stepney
·   Abney Park Chapel
·   St George in the East
·   Trinity Independent Chapel

Es gab noch viel mehr davon in der angrenzenden City of London, einige davon durchaus in Hörweite, aber nur zwei sind interessant, weil eine davon, keine Ahnung welche, die berüchtigte Prostitute Church sein dürfte:

·   St Botolph's Aldgate (1791)
·   St Botolph-without-Bishopsgate (1729)

(Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_churches_and_cathedrals_of_London#East_End_of_London)

„Was sind deine Rückschlüsse? Das die Zeugen irgendeinen Mist daher gebabbelt haben und die Polizei nichts davon überprüft hat? Ist das dein Ernst?“
Tut mir leid, das betrachte ich als Unterstellung. Ich sagte NICHTS dergleichen. Ich sage, daß etliche Zeugen die Uhrzeit an den diversen Turmuhren festmachten.

Meine Rückschlüsse daher: was sollte die Polizei denn überprüfen? Wenn der Zeuge durch eine bestimmte Straße ging und eine Uhr erwähnte, die bekannt war, dann war das nicht nötig. Im Gegenteil, die waren froh über diese Zeitangaben.

Zu all den Kirchenuhren kamen die von den Krankenhäusern, Brauereien, etc.
Siehe die Aussage von Mrs Long beim Chapman Inquest: „She was certain of the time, as the brewer´s clock has just struck when she passed 29, Hanbury-street”

Du siehst, unabhängig vom Prozentsatz der Standuhrbesitzer, konnten die anderen sich sehr gut an den vorhandenen öffentlichen Uhren orientieren.

Offline Isdrasil

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Re: Wie glaubhaft sind die Aussagen?
« Antwort #13 am: 31.01.2007 09:10 Uhr »
Hi John!

Tut mir leid, das betrachte ich als Unterstellung. Ich sagte NICHTS dergleichen. Ich sage, daß etliche Zeugen die Uhrzeit an den diversen Turmuhren festmachten.

Sorry. Ich möchte hier nichts unterstellen und wollte dir nichts unterstellen. Aber aus irgendeinem Grund hat sich dein vorausgegangener Post konträr zu deinen jetzigen Aussagen angehört. Ich fasste es einfach anders auf...

Du hast den Nagel ansonsten auf den Kopf getroffen – denn es ging mir gar nicht um Beweisführung, sondern lediglich um die Darstellung meiner Meinung. Die 70% entspringen rein meiner Fantasie und werden dort verharren, bis sie jemand mit harten Fakten widerlegt. Ich denke, so geht es jedem hier auf verschiedenen Ebenen. Meine Annahme basiert einfach auf den genannten Zeitpunkten und der Tatsache, dass sich die Uhr im Zuge der Industrialisierung zu einem Massenprodukt entwickelte und gerade zu dieser Zeit an Bedeutung für jeden einzelnen gewann. Wird ein ehemaliges Prestigeobjekt zu einer Massenware, so entsteht eine ungeheuer große Nachfrage – der Preis sinkt. Aufgrund dieser und anderer Umstände denke ich an 70%.
Grundsätzlich zählt jedoch: Vor jedem Beweis steht die These, dazwischen die Empirie. Durch intuitive Herangehensweise lässt sich meist mehr erreichen, als durch sture Beweisfindung. Zitat: Wir sollten unsere Augen nicht starr auf das vermeintlich Gegebene richten…

Nichts desto trotz freut es mich, dass wir selbiger Meinung sind, denn du führst interessante Belege für das ausreichende Vorhandensein von Uhren auf. Es gab anscheinend wirklich genügend Kirchenuhren oder sonstige Punkte, an denen die Zeugen die Uhrzeit hätten ablesen können. Dies wollte ich auch aussagen, habe nur noch meine Vermutung angefügt. Danke für die harten Fakten!

Grüße, Isdrasil

PS: Wenn du Beweise willst, kannst du generell all meine Beiträge in die Tonne klopfen – du wirst nämlich keine Beweise finden, nur Meinungen.  :icon_wink: