Autor Thema: Aberconway Version  (Gelesen 26789 mal)

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Offline Lestrade

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Re: Aberconway Version
« Antwort #15 am: 22.02.2012 15:23 Uhr »
Eben! Es gab keine Beweise. Aber einen Zeugen (den PC) und der bezog sich einmal auf den Verdächtigen Nummer 2 in Macnaughten´s Vorfassung. Immerhin erwähnte Macnaughten zu Nummer 2 "There were many circs connected with this man which made him a strong `suspect`." Und dies in der offiziellen Version.

Wo und was waren diese Verbindungen bei Druitt und Ostrog? Für die gab es kein: "There were many circs connected with this man which made him a strong `suspect`." Dennoch setzt er Druitt vor Kosminski.

Er schreibt, es gab keine Beweise. Aber immerhin gab es viele Umstände, die aus Nummer 2 einen Schwerverdächtigen machten. Ganz offiziell... zu diesen many circs wird der PC vom Mitre Square gehört haben... fand er dadurch doch noch Erwähnung in der offiziellen Version?

Macnaughten könnte in seinen many circs wahrscheinlich den PC mit eingeschlossen haben. Weil niemand, Du nicht, ich nicht wissen, was Macnaughten damit gemeint hatte.

Aber ich möchte dich nicht weiter hängen lassen:

Anstelle von "This man in appearance strongly resembled the individual seen by the City P.C. near Mitre Square" in der Aberconway Version, gab es dann "There were many circs connected with this man which made him a strong `suspect`." in der Scotland Yard Version. Strongly resembled anstelle von strong suspect.

In deiner anerkannten Scotland Yard Version ist der City P.C., wenn auch verdeckt, mit enthalten. Vielleicht kombiniert mit "Lederschürze" und dem Beruf, welchen dieser ausführte und diese Teil dabei trug, also Gerber oder Schuster. Wer weiß, was noch zu den many circs gehörte.

Kein Problem mit dem Mißverständnis.
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Offline Arthur Dent 2

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Re: Aberconway Version
« Antwort #16 am: 02.11.2016 13:26 Uhr »
Ein paar Überlegungen zum Macnaghten-Memorandum:


Macnaghten schrieb sein internes Memorandum explizit als Argumentationshilfe für seine Beamten wegen der aktuellen Verdächtigungen in der Presse gegen Cutbush als Ripper-Verdächtigen.
Er wollte damit erstens die Falschmeldungen und Gerüchte über Cutbush korrigieren und zweitens seinen Beamten als Argumentationshilfe drei Beispiele "besserer" Ripper-Verdächtiger mit auf den Weg geben:

"Ich kann über Fälle von 3 Männern berichten, jeder von ihnen wahrscheinlicher verdächtig für die Serie der Morde als Cutbush:"

Dann folgt die Aufzählung der drei Verdächtigen Druitt, Kosminski und Ostrog, die voller Ungenauigkteiten und Fehler ist - was für das Dokument eines Polizeichefs sehr seltsam ist, selbst wenn man bedenkt, dass er in den Fall nie selbst involviert war. Denn immerhin hatte er als Vorgesetzter Zugang zu allen Akten und den beteiligten Ermittlern.

Ich sehe drei mögliche Erklärungen für die Ungenauigkeiten und Fehler im Memorandum:
1. Macnaghten legte keinen Wert auf Sorgfalt dabei.
2. Seine Untergebenen informierten ihn schlecht.
3. Es wurden bewusst ungenaue Angaben verwendet.

Dass Macnaghten sogar bei Druitt, den außer ihm niemand als ernstzunehmenden Verdächtigen ansah, grobe Fehler gemacht hat, wirft ein schlechtes Licht auf die inhaltliche Qualität und Brauchbarkeit des Memorandums als Quelle für ernstzunehmende Verdächtige. Angeblich verfügte Macnaghten doch bei Druitt über exklusive Informationen aus dessen Familie.
Macnaghten bezeichnete Druitt aber als "Doktor", dabei war er Lehrer und Jurist. Auch irrte er sich beim Alter und schrieb davon, dass Druitt kurz nach dem Kelly-Mord Suizid begangen habe, dabei waren es erst Wochen später.
Inspektor Abberline kritisierte später: Es gebe nichts, was Druitt mit den JTR-Morden verbinde.
Ein weiterer Beleg dafür, dass die Ermittler Druitt nicht wirklich ernsthaft verdächtigten, ist ja, dass sie nach seinem Tod weiter fleißig Verdächtigte observiert hatten.

Auch bei Kosminski irrte Macnaghten offenbar, als er schrieb, dass er im März 1889 ins Irrenhaus eingeliefert worden sei - zumindest gibt es bis heute keine Belege dafür, dass er schon einmal vor 1891 eingewiesen worden war.

Meiner Meinung nach zeigt das Memorandum daher weniger, wen Macnaghten und seine leitenden Ermittler tatsächlich für die Hauptverdächtigen im Ripper-Fall hielten - als vielmehr, wen man den Untergebenen und der Öffentlichkeit gut als unverfängliche Gegenbeispiele zu Cutbush präsentieren konnte.
Druitt war angeblich ein Doktor, was die "verrückter Arzt" These abdeckte, Kosminski bediente die Ausländer- & Juden-These, und Ostrog die Berufskriminellen-These. Damit waren die Hauptverdächtigen-Gruppen bedient.
Die Hauptbotschaft des Memorandums sollte wohl lauten: Cutbush kann nicht der Ripper gewesen sein, denn der Ripper ist entweder tot oder wegesperrt.

Macnaghten oder sein Zuträger wählte vielleicht bewusst drei Verdächtige aus, die unverfänglich und hinsichtlich einer möglichen öffentlichen Reaktion ungefährlich waren:
Den bereits toten Druitt, den irren Kosminski, der außerhalb Londons sicher weggesperrt war, oder den man vielleicht ebenfalls bereits für tot hielt, und den irren Kriminellen Ostrog, von dem man offensichtlich der Meinung war, dass er irgendwo weg von London sicher verwahrt wurde.
Auf Genauigkeit in den Details musste daher nicht unbedingt Wert gelegt werden.

Möglichkeit Nummer drei - es wurden bewusst ungenaue Angaben verwendet - würde sogar darauf hindeuten, dass aus Geheimhaltungsgründen so gehandelt wurde. Dies wäre absichtliche Desinformation zur Verschleierung des wahren Sachverhalts gewesen.
Falls sich die Führungsebene der Polizei entschlossen hatte, gegenüber den Untergebenen und der Öffentlichkeit Stillschweigen über die peinliche misslungene Seaside Home Identifizierung ihres echten Hauptverdächtigen zu bewahren, so wird man wohl kaum wissentlich den echten Hauptverdächtigen in das Memorandum mit aufgenommen haben.


MfG, Arthur Dent

Offline Lestrade

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Re: Aberconway Version
« Antwort #17 am: 02.11.2016 19:58 Uhr »
Hallo Arthur,

Immer wenn ich mich mit der ganzen Memorandum Geschichte auseinandersetze, entsteht für mich der Eindruck, dass Macnaghten schlicht und einfach aus der Erinnerung jene Papiere verfasste. Paul Begg vertritt diese Annahme übrigens auch und sagt, dass er nicht glaube, dass Macnaghten die Polizeiakten als Quelle nutzte. Chris Scott wiederum, war der Meinung, dass dieses Memorandum nur “die Spitze des Eisberges“ war und alles was darunter war, muss eine riesengroßer Papierkram gewesen sein. Jede dieser Akten dieser drei Verdächtigen wird wohlmöglich ein enormes Volumen besessen haben. Wir kennen die Akten nicht, sie sind verschollen oder existieren nicht mehr und wir können das Behauptete nicht damit vergleichen, können nicht sagen, wie falsch oder nachvollziehbar Macnaghten´s Angaben sind. Als Beispiel gilt der “Doktor“ bei Druitt. Sein Vater war praktischer Arzt und wir wissen nicht, ob Druitt dort einmal irgendwie daran beteiligt war. Desweiteren war es nicht ungewöhnlich, dass ein “Barrister“ oder “Solicitor“ als “Doctor“ bezeichnet wurde. Auch die Behauptung, dass der Ripper von einigen Juden, die mit der Kutsche auftauchten, am Tatort Stride gestört wurden, muss man nicht unbedingt mit den drei Juden (Lawende,Levy und Harris) am Tatort Eddowes vergleichen und als Fehler ansehen. Am Tatort Stride tauchten innerhalb kurzer Zeit, BS Man, Pipeman, Schwartz, Goldstein und Diemschütz auf und wir wissen nicht, inwieweit Maacnaghten diese als jene “some Jews“ betrachtete. Aber sie alle mit einer Kutsche in Verbindung zu bringen, könnte tatsächlich bedeuten, dass er aus der Erinnerung schrieb ohne es wirklich nachzuprüfen. Im Falle von Kosminski´s Einweisung um den März 1889, bleiben uns auch immer noch die Angaben von Sagar und Cox. War ihr oder einer ihre Männer Kosminski, ist eine Einweisung für den März 1889 möglich (Sagar= private Asylum, Cox= Surrey).

Ich bin überzeugt, wie auch die meisten renommierten und anerkannten Ripperologen, dass die Polizei damals einen sehr guten Job tat und es sehr viele fähige Beamten gab. Dazu gehörte sicherlich auch Macnaghten. Wir wissen ja nicht einmal, ob diese Memorandum jemals das Innenministerium erreichte und ob selbst die letzte offizielle Version eine Art wirkliche Endfassung war. 

Dieser ganze Prozess, das Entstehen des Memorandum, ist uns in seiner Einheitlichkeit und seinem Zeitablauf und seiner Dringlichkeit nicht bekannt. Vergessen dürfen wir dabei auch nicht den menschlichen Faktor. Es scheint jedoch klar, dass Macnaghten sehr am Ripper Fall interessiert war, auch persönlich. Er muss ein enormes Wissen darüber besessen haben. Sein Memorandum an sich, könnte tatsächlich darauf hindeuten, dass Macnaghten aus der Erinnerung schrieb. Warum tat er das? Zeitdruck? Vermeidung, sich auf riesige Berge von Papier zu stürzen? Selbstüberschätzung? Wir wissen es nicht. Er geht auch nicht näher auf die “many circs“ bei Kosminski ein. Hier könnte das “many“ eben auf eine Sache hinweisen, nämlich, dass ein akurates Memorandum eine Menge Arbeit bedeutet hätte. Oder war er einfach zu jener Zeit Arbeitsmäßig (oder auch privat oder gesundheitlich) überfordert?

Du erwähnst in deinem Post drei Möglichkeiten. Auch eine Mischung aus allen drei Varianten sehe ich als möglich an und sie könnten dieses Memorandum mit geprägt haben.

Ich würde dieses Memorandum jedoch nicht so betrachten, dass damit ein weiterer Verdächtiger neben Cutbush, aus dem Fokus genommen werden sollte.

Beste Grüße, Lestrade.
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Offline Arthur Dent 2

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Re: Aberconway Version
« Antwort #18 am: 03.11.2016 12:10 Uhr »
Hallo Lestrade!


Zitat
Ich bin überzeugt, wie auch die meisten renommierten und anerkannten Ripperologen, dass die Polizei damals einen sehr guten Job tat und es sehr viele fähige Beamten gab.

Nun, ich habe nie den Ermittlern unterstellt, einen schlechten Job gemacht zu haben - ich habe nur immer wieder betont, dass der Inhalt des Memorandums ein schlechtes Licht auf die Qualität der Arbeit von Macnaghten wirft und ich es deshalb nicht gerade als brauchbare Quelle ansehe.
Wir hatten diese Diskussion ja schon einmal, und es gibt m.E. nur jene drei Möglichkeiten (oder eine Kombination davon), um die Ungenauigkeiten und Fehler darin zu erklären.

Ich sehe das einfach so: Wenn der Polizeichef versucht, in einem Memorandum Fehler der Presse richtig zu stellen, ist es äußerst seltsam, wenn er selber dabei soviele Fehler macht, obwohl er an der Quelle sitzt.
Dies ist ein erklärungsbedürftiger Sachverhalt - insbesondere und umso mehr, wenn wir davon ausgehen, dass die Ermittler selbst gute Arbeit geleistet haben und auch Macnaghten ansonsten kompetent und zudem an dem Fall interessiert war.

Dass er das Memorandum ohne Akten vor allem aus seiner Erinnerung heraus verfasste, halte ich angesichts seines Zwecks, Fehler zu korrigieren, sowie wegen seines Umfangs und der Details für unwahrscheinlich.
Macnaghten hatte als Polizeichef jede Menge Aufgaben und die Fälle waren schon Jahre her. Selbst wenn man an einer Sache interessiert ist, hat man aus dem Stegreif heraus solche Sachen wie z.B. Details des Tabram-Mordes i.d.R. nicht mehr alle parat. 
Da geht es schneller und ist sicherer, sich von einem Untergebenen die notwendigen Fakten zusammenstellen zu lassen, bevor man das Memorandum aufsetzt.


Zitat
Ich würde dieses Memorandum jedoch nicht so betrachten, dass damit ein weiterer Verdächtiger neben Cutbush, aus dem Fokus genommen werden sollte.

Völlig ausschließen möchte ich Kosminski ja nicht - immerhin halte ich ihn für einen der ernstzunehmenden Hauptverdächtigen.
Nur würde ich das Memorandum als Quelle und Argument für bestimmte Verdächtige aus o.g. Gründen nicht verwenden.


Meine Mutmaßung, falls die Ungenauigkeiten WISSENTLICH zum Zwecke der Desinformation eingebaut wurden, ist wie gesagt:

Zitat
Wenn sich die Führungsebene der Polizei entschlossen hatte, gegenüber den Untergebenen und der Öffentlichkeit Stillschweigen über die peinliche misslungene Seaside Home Identifizierung ihres echten Hauptverdächtigen zu bewahren, so wird man wohl kaum WISSENTLICH den echten Hauptverdächtigen in das Memorandum mit aufgenommen haben.

Das wäre unter den möglichen Erklärungen gewissermaßen das Verschwörungs-Szenario:
Jemand in der Polizeispitze hat drei willkürlich ausgewählte Personen aus der langen Verdächtigenliste als Beispiele angeführt, um von dem echten Hauptverdächtigen abzulenken, der auch innerhalb der Polizei geheimgehalten wurde, damit nichts durchsickern konnte.
Die Gruppe der Geheimnisträger könnte Macnaghten mit umfasst haben, und er kannte den echten Hauptverdächtigen - dann hätte er ihn bestimmt nicht im Memorandum erwähnt.

Es könnte aber auch so gewesen sein, dass Anderson und Swanson den neuen Chef nie über die peinliche misslungene Seaside-Home-Identifizierung und ihren aktuellen Hauptverdächtigen informiert hatten - der Fall war schließlich mit seiner Einweisung in die Irrenanstalt erledigt.
Im Bezug auf die Kosminski-These würde dies bedeuten: Falls Macnaghten nicht eingeweiht war und er selbst seine drei Beispiele Druitt, Ostrog und Kosminski auswählte, könnte das der Grund gewesen sein, warum man sich schließlich genötigt sah, Kosminski aus Sicherheitsgründen in eine andere Anstalt zu verlegen.

Sicher, das sind nur Mutmaßungen, aber es wären immerhin plausible Erklärungen für die auffälligen Ungenauigkeiten im Memorandum und die aus heutiger Sicht eher dubiosen Verdächtigen Ostrog und Druitt.


MfG, Arthur Dent

Offline Lestrade

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Re: Aberconway Version
« Antwort #19 am: 03.11.2016 14:03 Uhr »
Hallo Arthur,

Nun, ich habe nie den Ermittlern unterstellt, einen schlechten Job gemacht zu haben...

Nun, habe ich es dir unterstellt?

Zitat
Ich würde dieses Memorandum jedoch nicht so betrachten, dass damit ein weiterer Verdächtiger neben Cutbush, aus dem Fokus genommen werden sollte.

Völlig ausschließen möchte ich Kosminski ja nicht - immerhin halte ich ihn für einen der ernstzunehmenden Hauptverdächtigen.
Nur würde ich das Memorandum als Quelle und Argument für bestimmte Verdächtige aus o.g. Gründen nicht verwenden.

Hiermit meinte ich, einen weiteren Verdächtigen neben Cutbush, Druitt, Kosminski und Ostrog, welcher den gleichen Stellenwert gehabt haben muss. Dein "echter" Hauptverdächtiger.

Dieses Memorandum ist sicherlich eines der wichtigsten Dokumente die existieren. Allein das Anderson als auch Swanson Kosminski beschreiben oder erwähnen macht es sehr ernsthaft.

Meine Mutmaßung, falls die Ungenauigkeiten WISSENTLICH zum Zwecke der Desinformation eingebaut wurden, ist wie gesagt:

Zitat
Wenn sich die Führungsebene der Polizei entschlossen hatte, gegenüber den Untergebenen und der Öffentlichkeit Stillschweigen über die peinliche misslungene Seaside Home Identifizierung ihres echten Hauptverdächtigen zu bewahren, so wird man wohl kaum WISSENTLICH den echten Hauptverdächtigen in das Memorandum mit aufgenommen haben.

Das wäre unter den möglichen Erklärungen gewissermaßen das Verschwörungs-Szenario:
Jemand in der Polizeispitze hat drei willkürlich ausgewählte Personen aus der langen Verdächtigenliste als Beispiele angeführt, um von dem echten Hauptverdächtigen abzulenken, der auch innerhalb der Polizei geheimgehalten wurde, damit nichts durchsickern konnte.
Die Gruppe der Geheimnisträger könnte Macnaghten mit umfasst haben, und er kannte den echten Hauptverdächtigen - dann hätte er ihn bestimmt nicht im Memorandum erwähnt.

Es könnte aber auch so gewesen sein, dass Anderson und Swanson den neuen Chef nie über die peinliche misslungene Seaside-Home-Identifizierung und ihren aktuellen Hauptverdächtigen informiert hatten - der Fall war schließlich mit seiner Einweisung in die Irrenanstalt erledigt.
Im Bezug auf die Kosminski-These würde dies bedeuten: Falls Macnaghten nicht eingeweiht war und er selbst seine drei Beispiele Druitt, Ostrog und Kosminski auswählte, könnte das der Grund gewesen sein, warum man sich schließlich genötigt sah, Kosminski aus Sicherheitsgründen in eine andere Anstalt zu verlegen.

Sicher, das sind nur Mutmaßungen, aber es wären immerhin plausible Erklärungen für die auffälligen Ungenauigkeiten im Memorandum und die aus heutiger Sicht eher dubiosen Verdächtigen Ostrog und Druitt.

Diese Mutmaßungen/ Verschwörungstheorien sind sicherlich nicht plausibel für das Memorandum, sorry Arthur.

Kosminski wurde im Seaside Home identifiziert. Wann auch immer. Macnaghten kannte die Akten und diese Akten waren auch seine Quelle genauso wie die persönlichen Erfahrungen bestimmter Beamter. Aber es ist gut möglich, dass sie nicht seine Quelle waren, als das Memorandum entstand, Ende 1893/ Anfang 1894. Er kannte die Akten ganz sicher aus den Jahren, 1889, 1890, 1891... aber er muss sie nicht auf seinem Schreibtisch gehabt haben, als er das Memorandum schrieb. Natürlich ist es gut möglich, dass er noch diesen oder jenen Kollegen ansprach, während er das Memorandum gestaltete... dieses Memorandum war nie für die Öffentlichkeit bestimmt und wir wissen nicht, welche Vereinbarungen es gab, wie das Memorandum auszusehen hat...  Macnaghten sollte schon etwas über die ID im Seaside Home gewusst haben, er sprach ja auch von "many circs" und keiner weiß, was dazu gehörte. Wenn er schrieb, niemand sah jemals den Mörder außer vielleicht der PC vom Mitre Square, dann wäre das ja richtig, weil der Zeuge im Seaside Home verweigerte. Es gab keinen offiziellen Zeugen, der sagte, dass er Kosminski zweifelsfrei identifizieren kann. Und wenn er wusste warum, so wie Anderson und Swanson, warum und wie sollte er das ins Memorandum schreiben? "Wir hatten einen Zeugen, der Kosminski als den Mörder erkannte aber weil es auch ein Jude war, machte er einen Rückzieher, so standen wir mit leeren Händen da". Anderson hielt immer dicht, bis 1910, als er mit der Geschichte herausrückte und ungefähr zur gleichen Zeit Swanson dem Verdächtigen auch einen Namen gab. Anderson tat es nicht früher, weil er nicht wollte, dass seine Abteilung Schaden nimmt. 16 Jahre nach dem Memorandum geschah das und warum sollte Macnaghten 1894 nicht genauso gedacht haben, wenn vielleicht auch noch aus anderen Gründen? Wenn er Druitt bevorzugte (und das hatte sicherlich seine Gründe in privaten Informationen) und das tat er, warum sollte er dann die Nummer zwei auf seiner Liste, Kosminski, mit einer, zunächst scheinbar, erfolgreichen ID in einem Seaside Home höhere Wertigkeit verleihen? Die ID war mißlungen und könnte schlicht und einfach mit in die Bezeichnungen "many circs" oder "strong suspect" eingeflossen worden sein. Es gab rechtlich gesehen keinen Zeugen der Kosminski sah. Nur einen PC, der sich nicht sicher war bzw. jemanden (Kosminski?) nicht unmittelbar an einem Tatort sah aber vielleicht in einem anderen Zusammenhang dazu wahrnahm.

Das Memorandum umfasst einen wirklichen Tatverdächtigen, nämlich Kosminski! Einen, bei dem sie es, warum auch immer, für möglich hielten, der Mörder zu sein, dies war Ostrog. Wir wissen nicht, warum er damals verdächtigt wurde, wir wissen nur heute, dass er es nicht gewesen sein kann aber wir wissen eben nicht genau, warum er 1888 in den Fokus geriet. Bei Druitt waren es sicherlich Anschuldigungen, die aus seinem privaten Umfeld kamen und wohlmöglich glaubhaft schienen, mit seinem Selbstmord endete auch die Mordserie des Herbstes 1888. Wie diese Anschuldigungen lauteten, wissen wir nicht und können heute nicht nachvollziehen, warum sie glaubhaft gewesen sein könnten. Bei vielen anderen (Haupt) Verdächtigen, konnte die Polizei sicherlich Klärungen erreichen, was ihre Bewegungen zur Zeit der Morde betraf.

Bei der Verdächtigenliste des Macnaghten Memorandums davon auszugehen, dass schnell drei Leute passend gemacht wurden, halte ich nicht für möglich. Kosminski wurde schlicht und einfach von Anderson und Swanson 16 Jahre nach dem Memo schwer belastet, sie waren in der Position wirklich etwas zu wissen. Für Macnaghten war Druitt die Nummer 1 und dafür sollte er seine Gründe gehabt haben. Ich gebe zu, bei Ostrog meine Zweifel gehabt zu haben, dass er für viele "Ostrogs" stand, egal wie diese auch hießen und einer mag vielleicht sogar Jacob Levy gewesen sein. Aber wohlmöglich gab es da auch wichtige Informationen, von denen wir keine Kenntnisse haben.

Ich hoffe, du nimmst mir meine Ausführungen nicht übel, ich schätze deine Leidenschaft für diesen Fall sehr. Das Memorandum ist wichtig, wenn auch nicht fehlerfrei, und nennt uns drei Hauptverdächtige, Druitt (Macnaghten´s JtR), Kosminski (der JtR von Anderson und Swanson) und Ostrog. Das alles waren Beamte, die soviel über den Fall wussten, dass wir uns das schwerlich vorstellen können. Wir wissen heute, dass es (eher) unmöglich ist, dass Druitt und Ostrog jener Killer war. Aus dieser Liste bleibt nur Kosminski übrig. Das muss nicht bedeuten, dass er tatsächlich Jack the Ripper war. Es muss nicht bedeuten, dass der Killer kein andere gewesen sein kann, jemand wie Jacob Levy zum Beispiel. Warum sollte jemand wie Anderson, nicht Jacob Levy für den Ripper gehalten haben, bis er weitere Informationen nach dem Sommer 1890 erhielt, die Kosminski betrafen und vielleicht sogar einer ID. Die Chancen sehe ich für ein solches Szenario eher gering an aber kann ich das auch wirklich ausschließen? Ich denke nicht, denn in dieser Position bin ich nicht. Dazu fehlt mir schlicht und einfach das Wissen.

Ob man nun eine Art von Verschwörung irgendwo in diesem Falle ausschließen kann, auch da will ich nicht endgültig verneinen. Aber meiner Meinung nach sehe das dann etwas anders aus, nicht die klassische Variante. Ein Deal der nach so etwas klingen könnte, wären Vereinbarungen gewesen, die zwischen der Polizei und der Familie von Kosminski stattfanden. So, wie eine Überführung von privaten/ familären Betreuungen in eine öffentlich Anstalt (Colney Hatch). So hätte gewährleistet worden sein können, dass Kosminski nie aber auch nie wieder als freier Mann eine Gefahr sein kann.

Lestrade.
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Offline Arthur Dent 2

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Re: Aberconway Version
« Antwort #20 am: 03.11.2016 20:04 Uhr »
Hallo Lestrade!

Wenn wir alle einer Meinung wären, bräuchten wir ja nicht zu diskutieren. ;-)


Das Macnaghten-Memorandum ist für mich einfach eine schlechte Quelle, auf die ich nicht gerne zurückgreife.
Auch wenn ich die Swanson-Marginalien mit Kosminski sehr ernst nehme, so würde ich Kosminski NICHT wegen des Memorandums ALLEIN für einen Hauptverdächtigen halten - dazu enthält mir das Memorandum zuviele Ungenauigkeiten und Fehler. Wenn es nur Macnaghtens Erwähnung gäbe, aber nicht Andersons und Swansons Aussagen und weitere Informationen, die wir inzwischen haben, wäre Kosminski für mich so unbedeutend wie Druitt.

Die Häufung von Ungenauigkeiten im Memorandum lässt für mich nur den Schluss zu, dass hier entweder schlampig gearbeitet wurde, oder bewusst eine Verschleierungstaktik betrieben wurde (oder eine Kombination von beidem). Jedenfalls lassen diese Alternativen seinen Wert als Informationsquelle m.E. deutlich sinken.

Macnaghten nannte seine drei Kandidaten explizit nur "Beispiele für bessere Verdächtige als Cutbush" - er erklärte sie darin nie zu "Hauptverdächtigen" seiner Ermittler im Fall (wenn wir auch wissen, dass Macnaghten selbst eine Vorliebe für Druitt hatte).
Und da die Polizei Cutbush ja gerade nicht für den Ripper hielt, ist aber praktisch jeder auf der internen polizeilichen Verdächtigenliste ein "besseres Beispiel" als jemand, der aus guten Gründen nicht darin aufgenommen wurde. Das relativiert für mich - neben den Ungenauigkeiten - die Bedeutung der drei Namen im Memorandum.

Meine These von der absichtlichen Desinformation aus Geheimhaltungsgründen ist nur ein Erklärungsversuch, ich sehe sie nur als eine unter mehreren möglichen Alternativen, die eine plausible Erklärung für die Ungenauigkeiten in dem Memorandum geben könnten.
Ich habe sie in den Raum geworfen, weil mir die Vorstellung etwas Bauchschmerzen bereitet, dass doch recht professionell und kompetent arbeitende Spitzenbeamte mit direktem Zugriff auf alle Quellen so schlampig sein könnten - insbesondere wenn sie Fehler anderer (der Presse) anprangern wollen.

Für mich ist es daher nach wie vor eine plausible Möglichkeit, dass die Polizeispitze etwas auch vor den Untergebenen geheim halten wollte, um zu verhindern, dass etwas durchsickerte, was nicht bekannt werden sollte - dazu könnte jener von dir erwähnte Deal zählen, den ich übrigens für immer wahrscheinlicher halte.

Mein Fazit zum seltsamen Ende des Falles lautete ja bereits früher:

Zitat
Die Theorie, dass JTR (...) im Irrenhaus starb, erklärt den ansonsten merkwürdigen Schluss im Ripper-Fall: Nach dem Ende der Mordserie laufen die Ermittlungen angeblich ergebnislos aus, die Akte wird geschlossen - aber Jahre später erklären hochrangige Polizisten in ihren Memoiren oder Zeitungsartikeln, der Ripper wäre eigentlich identifiziert worden.
(...)
Falls man den Ripper tatsächlich durch einen Zeugen (...) identifizierte, hätte die Bekanntgabe demnach zu schrecklichen Übergriffen bis hin zum Pogrom gegen die jüdische Gemeinde in Whitechapel im Allgemeinen und seine Familie im Besonderen führen können. Denn an die Eröffnung eines Prozesses wäre schon wegen des Gesundheitszustands des Tatverdächtigen nicht zu denken gewesen. Und selbst wenn: Ob die dünnen Beweismittel für eine Verurteilung ausreichend gewesen wären, darf bezweifelt werden - ein Freispruch aus Mangel an Beweisen wäre aber verheerend gewesen.
Wegen der sowieso schon explosiven sozialen Lage, einem weitverbreiteten Antisemitismus und der aufgestauten Wut durch den Ripper-Terror wäre wohl zu erwarten gewesen, dass viele Menschen dann ihre Aggressionen an Sündenböcken ausgelassen hätten.
Die Behörden könnten daher zu dem Schluss gekommen sein, es sei angesichts der explosiven Situation im Eastend sicherer, den todkranken Irren stillschweigend in einer Anstalt verrotten zu lassen und lieber weiter zähneknirschend vor der Öffentlichkeit wie Versager in diesem Fall dazustehen, als eine Katastrophe im Viertel zu riskieren.



MfG, Arthur Dent

Offline Lestrade

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Re: Aberconway Version
« Antwort #21 am: 03.11.2016 20:43 Uhr »
Ich möchte noch einmal auf den "menschlichen Faktor" zurückkommen, Arthur!

Mir ist da gerade selbst etwas an mir aufgefallen. Und zwar hier in diesem Thread, wo wir heute wieder einmal aktiv waren:

http://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,1038.msg26396.html#msg26396

Wie du weißt, bin ich sehr an deinen Ausführungen zu Jacob Levy interessiert. Wir haben dieses Thema lange diskutiert und vieles zusammengetragen. Du alleine, hast im Prinzip eine dicke Akte zu Levy zusammengetragen. Eine Unmenge an Daten. All deine Angaben, Daten und Ausführungen habe ich verfolgt. Und dennoch konnte ich nicht alles verinnerlichen, mir alles merken. So zum Beispiel den "Schlachter Brief". Nach deiner Aufklärung erinnerte mich aber wieder und zwar, dass du öfters darauf hingewiesen hattest. Offenbar hatte ich das immer wieder vergessen. Auch bei deiner letzten, aktuelleren Zusammenfassung war davon die Rede. Aus Zeitgründen, konnte ich die nur überfliegen. Aber wahrscheinlich hätte ich ihn auch bei mehr Aufmerksamkeit, nicht als besonders wichtig eingestuft. Und das wahrscheinlich aus meiner ganzen persönlichen Sichtweise heraus. Als ich ihn dann heute via dem JTRForums quasi in den Händen hielt, bekam er für mich wieder Gewicht.

Und so ähnlich stelle ich es mir vor, als Macnaghten die dicken Akten der Ripper Morde ab Sommer 1889 in den Händen hielt. Wie bei dir, wird es da ungemein viele Angaben, Daten und Ausführungen gegeben haben. Als nicht aktiver Beamter während der Mordserie, hatte er einen anderen Blick auf die Ereignisse als jene Beamte, die damals ermitteln mussten. Er erlebte vieles nicht hautnah mit, musste aber ein Memorandum darüber schreiben. Und das könnte er geschrieben haben, als er nichts, sprich die Akten, in den Händen hielt. So könnten sich seine Fehler daraus ergeben haben, dass er aus der Erinnerung schrieb. Ein weiters Indiz dafür könnte sein, dass er nicht den Vornamen von Kosminski angab, denn der Vorname muss irgendwo notiert worden sein. So könnte es auch Swanson ergangen sein, der ebenfalls nur Kosminski angab. Die Ursache lag möglicherweise darin, dass dieser Kosminski verschiedene Angaben zu seinem Namen machte. Wir wissen ja, dass er im Dezember 1889 unter Aaron Abrahams (die Zunamen seiner Brüder) lief, gut möglich, dass er im Herbst 1888 unter Cohen lief, dem neuen Zunamen seiner Schwester, die sich zunächst Lubnowksi- Cohen nannten und später nur noch Cohen. Sein Hinweis im Dezember 1889, dass er eigentlich ein Kosminski ist, hätte zu einer ziemlichen Verwirrung im Nachhinein führen können. So blieb Swanson eben nur beim Kosminski, weil dies vielleicht einfach gesicherter war und es beim Vornamen vielleicht auch Unstimmigkeiten gab. Der Bruder Woolf hieß ja auch eigentlich Wolek, Morris Lubnowski eigentlich Mosiek.

Du hast gerade geschrieben, während ich antworte und bemerkst:

"Macnaghten nannte seine drei Kandidaten explizit nur "Beispiele für bessere Verdächtige als Cutbush" - er erklärte sie darin nie zu "Hauptverdächtigen" seiner Ermittler im Fall"

Nun, wird er Hauptverdächtige dabei außen vorgelassen haben? Er spricht im Falle von Kosminski von einem "strong suspect" durch "many circs". Das Wissen darüber wird er mit ziemlicher Sicherheit auch durch die Arbeit von Swanson erlangt haben und vielleicht auch via der Arbeit von Sagar und/oder Cox. Anderson und Swanson hielten Kosminski für den Ripper, Sagar seinen Mann auch und Cox war ähnlicher Meinung. Als er schrieb "strong suspect", dann sprach er über einen der Hauptverdächtigen.

Ich denke dennoch, dass ein anderer Beamter wohlmöglich eine ganz andere Liste gefertigt hätte. Vielleicht mit Tumblety oder den Mann oder die Männer von Sagar und Cox (falls nicht irgendwie Kosminski). Was ich dem Memorandum anlaste ist, dass es nicht von einem besser involvierten Beamten gefertigt wurde. Einem, bei dem es aufgrund der Umstände nicht zu den etwaigen Fehlern gekommen wäre.

Aus heutiger Sicht macht diese Liste mit Druitt und Ostrog keinen Sinn. Dazu stehe ich schon länger. Aber in 1888 könnte sie Sinn gemacht haben. Sogar noch in 1894 für Macnaghten. Aber ich würde sie niemals als Unzuverlässig für jene Zeit ansehen als sie entstand. Macnaghten selbst, kümmerte sich noch 1893 um den Fall Ostrog. Er könnte genau wie ich bei dir, etwas übersehen und nicht (oder unzureichend) erwähnt haben, was wichtig war, obwohl er es vor Augen hatte. Das Memorandum hätte sicherlich anders ausgesehen, wenn er aktiv während der Mordserie verantwortlich gewesen wäre. War er aber nicht...

Deine Meinung, dein Erklärungsversuch zu Macnaghten´s Memorandum ist die

"These von der absichtlichen Desinformation aus Geheimhaltungsgründen".

Das nehme ich wahr und zur Kenntnis. Ich jedoch kann dazu keine Anhaltspunkte erkennen.

Obwohl ich nicht sicher sein kann, ist meine These die, dass Macnaghten das Memorandum schrieb, ohne die damaligen Akten, die er alle einst gelesen hatte und kannte, auf seinem Schreibtisch zu haben. Er fertigte es aus seiner Erinnerung. Mit den Akten, wären die Fehler und Ungenauigkeiten nicht aufgetreten.

Nun stehen diese Thesen hier niedergeschrieben und der Leser kann schauen, welche er für wahrscheinlicher hält.

Lestrade.

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Re: Aberconway Version
« Antwort #22 am: 05.11.2016 10:58 Uhr »
Hallo Lestrade!


Zitat
Nun, wird er Hauptverdächtige dabei außen vorgelassen haben?

Die Frage ist ja: Wessen "Hauptverdächtige" sollte Macnaghten denn aufgeführt haben?
Seine persönlichen Hauptverdächtigen? Die Hauptverdächtigen der MEP oder der CIP? Diejenigen, die Anderson und Swanson, oder Abberline und Godly usw. für die Hauptverdächtigen hielten und als solche in ihren Berichten gemeldet hatten? Oder war die Auswahl eine Kombination von ein paar Hauptverdächtigen der verschiedenen Lager? Innerhalb der Polizei war man sich ja nicht einig.
Wir wissen, dass im Laufe der Ermittlungen mehrere hundert Personen in den Fokus der Polizei gerieten. Und auch wenn viele davon schnell entlastet werden konnten und wieder von der Liste verschwanden, so blieben doch Dutzende in den Akten zurück, gegen die Verdachtsmomente weiter bestanden.
Sogar mehrere, gegen die der Verdacht so stark war, dass man sie über längere Zeiträume beobachtete - aber weder Druitt noch Ostrog zählten dazu.
Insofern haftet der Aufzählung von nur drei Verdächtigen, wovon einer sogar schon tot war (Druitt) und ein anderer zwar wegen Verstoß gegen Bewährungsauflagen gesucht, aber nie beobachtet wurde (Ostrog), der Makel an, dass sie nicht wirklich "die Hauptverdächtigen" des Polizeiapparats umfassen kann.

Druitt und Ostrog könnten zwei von Macnaghtens persönlichen Kandidaten gewesen sein:
Bei Druitt ist dies sehr wahrscheinlich, weil er private Informationen über ihn bekommen hatte, aber die eigentlichen Ermittler wie Abberline ihn nicht als Verdächtigen sahen: Außer seinem Todeszeitpunkt spreche nichts für ihn als JTR, kritisierte er.
Bei Ostrog ist es gut möglich, weil Macnaghten sich selbst mit dem offenen Fall des irren Berufskriminellen beschäftigt hatte.
Nur für Kosminski haben wir bisher keine Anhaltspunkte, dass er auf Macnaghtens eigenem Mist gewachsen war - bei ihm ist es gut möglich, dass er durch Andersons Einfluss in die Aufzählung gekommen ist.
Da die Swanson-Marginalien nahelegen, dass ein Kosminski der Hauptverdächtige Andersons war, könnte der nicht an den Ermittlungen beteiligte Macnaghten ihn also einfach von Anderson übernommen haben. Und Kosminski ist der einzige der drei, der tatsächlich einer jener über längere Zeiträume Beobachteten gewesen sein könnte.

Daher erscheint mir die Aufzählung im Memorandum nach wie vor nicht als repräsentativ für die Ansichten der eigentlichen Ermittler - dazu fehlen insbesondere jene übrigen so starken Verdächtigen, dass sie tatsächlich über einen längeren Zeitraum beobachtet wurden.
Und dies halte ich für einen bemerkenswerten Aspekt, der Fragen aufwirft.


MfG, Arthur Dent
« Letzte Änderung: 05.11.2016 13:18 Uhr von Arthur Dent 2 »

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Re: Aberconway Version
« Antwort #23 am: 05.11.2016 13:41 Uhr »
Hallo Arthur!

Das diese Liste nicht vollständig sein kann, dürfte eigentlich keine Frage sein. Ich erwähnte bereits Tumblety, den Mann oder die Männer von Cox, falls nicht Kosminski, man könnte jetzt noch Klosowski nennen, Bury, Deeming oder Vassily, von mir aus noch Sanders. Wie du ja selber bemerkt hattest, nannte Macnaghten drei, die schon einmal mehr in Frage kamen als Cutbush. Das es 7 oder 8 weitere gab, die mehr in Frage kamen als Cutbush, glaube ich ungesehen. Wie lang sollte die Liste von Macnaghten denn werden? Wir wissen nicht, was angefordert wurde.

Und noch einmal, wir können nicht genau sagen, warum Druitt und Ostrog verdächtigt wurden. Ostrog lief gewöhnlich mit einer Tasche, die chirurgische Instrumente und Messer enthielt, durch die Gegend. So etwas war im Ripper Fall ein Thema (Black Bag). Wohlmöglich passten Beschreibungen zum Aussehen von Ostrog. Er war aber nicht aufzufinden.   

Durch Swanson Bemerkungen, ist davon auszugehen, dass Kosminski ein Verdächtiger der City Police war oder es mit der Zeit alleinig wurde. Die MET könnte daran durchaus beteiligt gewesen sein. Allein schon durch einen möglichen City PC, wäre er vermutlich in den Bereich dieser Force gefallen. Macnaghten´s Verdächtigen Liste wird daher ein Mix zwischen MET und City Police gewesen sein.

Beachte auch, dass Beobachtungen auch wegen der Torsofunde hätte stattgefunden haben können. Diese Berichte können auch schnell mit dem eigentlichen Ripper Fall in Verbindung gebracht worden sein.

Du weißt selbst, dass ich Jacob Levy, genau wie du, für einen würdigen Kandidaten halte. Es würde mich nicht wundern, wenn er auf den Zetteln der Beamten stand. War dem so, entschied sich Macnaghten aber nicht dafür, ihn auf die Liste zu setzen. Vielleicht hatte er für einen der Morde ein Alibi, was ihn als Verdächtigen etwas entlastete. Die Bemerkungen von Lady Anderson als auch der Butcher von Sagar, vielleicht auch der Mann von Cox, lassen uns Raum zur Spekulation, dass tatsächlich ein Jacob Levy verdächtigt worden sein könnte. Aber wenn so, dann hätte trotzdem etwas ermittelt worden sein können, was ihn entlastete. Das hätte Macnaghten gewusst oder angenommen haben können.

Ich kann jedoch nichts im Memorandum erkennen, was auf eine bewusste Irreführung hindeutet. Falsche Altersangaben, falsche Berufsbezeichnungen,  einige Juden in einer Kutsche, falsche Todeszeitpunkte oder falsche Opferangaben implizieren kein Verheimlichung eines “echten Verdächtigen“. Und wie falsch das in jeder dieser Angaben ist, können wir nicht in jedem Falle gegenprüfen, weil uns die Originalakten fehlen.

Das Memorandum ist eine erste und erstklassige Quelle, die ganz klar nicht akkurat ist. Die Ursache darin sehe ich, dass sie verfasst wurde, ohne die Akten zur Hand zu haben.

Das diese drei Verdächtigen aus dem Memorandum, Hauptverdächtige waren, das erkennt man auch an Griffiths und Sims, die in Verbindung mit Macnaghten und Anderson standen.

Griffiths:

The outside public may think that the identity of that later miscreant, "Jack the Ripper," was never revealed. So far as actual knowledge goes, this is undoubtedly true. But the police, after the last murder, had brought their investigations to the point of strongly suspecting several persons, all of them known to be homicidal lunatics, and against three of these they held very plausible and reasonable grounds of suspicion. Concerning two of them the case was weak, although it was based on certain colourable facts. One was a Polish Jew, a known lunatic, who was at large in the district of Whitechapel at the time of the murder, and who, having afterwards developed homicidal tendencies, was confined in an asylum. This man was said to resemble the murderer by the one person who got a glimpse of him-the police-constable in Mitre Court. The second possible criminal was a Russian doctor, also insane, who had been a convict both in England and Siberia. This man was in the habit of carrying about surgical knives and instruments in his pockets ; his antecedents were of the very worst, and at the time of the Whitechapel murders he was in hiding, or, at least, his whereabouts were never exactly known. The third person was of the same type, but the suspicion in his case was stronger, and there was every reason to believe that his own friends entertained grave doubts about him. He also was a doctor in the prime of life, was believed to be insane or on the borderland of insanity, and he disappeared immediately after the last murder, that in Miller's Court, on the 9th of November, 1888. On the last day of that year, seven weeks later, his body was found floating in the Thames, and was said to have been in the water a month. The theory in this case was that after his last exploit, which was the most fiendish of all, his brain entirely gave way, and he became furiously insane and committed suicide. It is at least a strong presumption that "Jack the Ripper" died or was put under restraint after the Miller's Court affair, which ended this series of crimes. It would be interesting to know whether in this third case the man was left-handed or ambidextrous, both suggestions having" been advanced by medical experts after viewing the victims. Certainly other doctors disagreed on this point, which may be said to add another to the many instances in which medical evidence has been conflicting, not to say confusing.

Sims:

Let us take them separately.
The first man was a Polish Jew of curious habits and strange disposition, who was the sole occupant of certain premises in Whitechapel after night-fall. This man was in the district during the whole period covered by the Whitechapel murders, and soon after they ceased certain facts came to light which showed that it was quite possible that he might have been the Ripper. He had at one time been employed in a hospital in Poland. He was known to be a lunatic at the time of the murders, and some-time afterwards he betrayed such undoubted signs of homicidal mania that he was sent to a lunatic asylum.
The policeman who got a glimpse of Jack in Mitre Court said, when some time afterwards he saw the Pole, that he was the height and build of the man he had seen on the night of the murder.
The second man was a Russian doctor, a man of vile character, who had been in various prisons in his own country and ours. The Russian doctor who at the time of the murders was in Whitechapel, but in hiding as it afterwards transpired, was in the habit of carrying surgical knives about with him. He suffered from a dangerous form of insanity, and when inquiries were afterwards set on foot he was found to be in a criminal lunatic asylum abroad. He was a vile and terrible person, capable of any atrocity.
Both these men were capable of the Ripper crimes, but there is one thing that makes the case against each of them weak.
They were both alive long after the horrors had ceased, and though both were in an asylum, there had been a considerable time after the cessation of the Ripper crimes during which they were at liberty and passing about among their fellow men.
The third man was a doctor who lived in a suburb about six miles from Whitechapel, and who suffered from a horrible form of homicidal mania, a mania which leads the victim of it to look upon women of a certain class with frenzied hatred.
The doctor had been an inmate of a lunatic asylum for some time, and had been liberated and regained his complete freedom.
After the maniacal murder in Miller's-court the doctor disappeared from the place in which he had been living, and his disappearance caused inquiries to be made concerning him by his friends who had, there is reason to believe, their own suspicions about him, and these inquiries were made through the proper authorities.
A month after the last murder the body of the doctor was found in the Thames. There was everything about it to suggest that it had been in the river for nearly a month.
The horrible nature of the atrocity committed in Miller's-court pointed to the last stage of frenzied mania. Each murder had shown a marked increase in maniacal ferocity. The last was the culminating point. The probability is that immediately after committing this murderous deed the author of it committed suicide. There was nothing else left for him to do except to be found wandering, a shrieking, raving, fiend, fit only for the padded cell.
What is probable is that after the murder he made his way to the river, and in the dark hours of a November night or in the misty dawn he leapt in and was drowned.
From this time the Ripper murders ceased. There have been no more. Women have been barbarously and mysteriously murdered since, but never with the unmistakeable "handwriting" of the Ripper upon the deed.


Im Falle von Sims erkennt man auch, dass der Polish Jew (Kosminski) noch lange am Leben war und zwischendurch immer wieder auf freiem Fuß. Swanson schien andere Ansichten zu haben. Wie das zustande kam, da gäbe es wohl einige Möglichkeiten.

Swanson sagte bereits in 1895, dass er glaube, der Verdächtige sei bereits verstorben. Einen recht zeitigen Tod dieses Mannes erkennen wir auch in den Bemerkungen von Swanson in der Bio von Anderson. 1894 war sich Macnaghten nicht ganz sicher, ob Kosminski noch in Verwahrung ist oder nicht. Ob Swanson seinen Irrtum aus der Verlegung von Kosminski nach Leavesden bezog oder aus anderen Gründen, kann ich nicht sagen.

Ich bevorzuge eigentlich eine Verwechslung mit David Cohen. Er wurde ursprünglich als Aaron Davies Cohen erfasst, dann aber in David Cohen geändert. Kosminski sagte im Dezember 1889 aus, dass er eigentlich Abrahams hieße, weil Kosminski schwer zu buchstabieren sei. Nehmen wir aber an, dass er im Herbst unter Lubnowski- Cohen lief, den Namen seiner Schwester, dann hätte er, weil Lubnowski auch schwer zu buchstabieren ist, bei der ersten Erfassung Davies- Cohen angegeben haben können. Kosminski ändert sich bei seinen Brüdern ja auch in Abrahams, vielleicht änderte sich das Lubnowski in Davies. Nehmen wir an, dass sich Swanson, vielleicht sogar auf Grund des Memorandums, in Colney Hatch erkundigte, dann könnte sich folgendes ereignet haben:

Wenn er nach einem nun 29jährigen polnischen Juden Davies Cohen (Kosminski) gefragt hätte, dann hätte ihm die Anstalt dort eine Auskunft über den bereits verstorbenen David Cohen gegeben haben können. Dieser wäre, wenn er nicht zwischenzeitlich verstorben wäre, nun ebenfalls ein 29jähriger polnischer Jude gewesen. Aaron Kosminski (der Davies- Cohen von Swanson) wäre dann selber auch gar nicht mehr in Colney Hatch gewesen sondern in Leavesden. Macnaghten und Anderson wussten es vielleicht besser aber Swanson hätte, genau wie Macnaghten in seinem Memorandum, schlicht und einfach einem Irrtum unterlegen gewesen sein können. So etwas passiert uns allen. Das ist menschlich und macht uns nicht zu unfähigen Menschen, zu Lügnern oder vorsätzlichen Irreführern.

Ich schätze deinen Einsatz und dein enormes Interesse sowie deine Überlegungen sehr, gerade im Falle Jacob Levy. Aber ich würde an deiner Stelle, das Memorandum von Macnaghten nicht abwerten, nur weil Jacob Levy dort nicht auftaucht. Theoretisch könnte er unter den ersten 10 gestanden haben und der Ripper gewesen sein können. Macnaghten hätte das aber anders eingeschätzt und gesehen haben können, das wäre dann eben nur seine Einschätzung gewesen. Das müsste man ihm einfach zugestehen.

Beste Grüße,

Lestrade.
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Re: Aberconway Version
« Antwort #24 am: 05.11.2016 15:46 Uhr »
Noch eine kurze Bemerkung zu Wesen des Memorandum:

Es fällt auf, ohne dem gleich eine riesige Bedeutung beizumessen, dass Griffiths als auch Sims zuerst den Polish Jew beschreiben. In zwei Fassungen des Memorandums steht jedoch immer Druitt an erster Stelle.

Griffiths:

Concerning two of them the case was weak, although it was based on certain colourable facts

Der Verdacht beruhte auf bestimmte, angebliche Fakten.

Sims erklärt das “weak“ genauer:

Both these men were capable of the Ripper crimes, but there is one thing that makes the case against each of them weak.
They were both alive long after the horrors had ceased, and though both were in an asylum, there had been a considerable time after the cessation of the Ripper crimes during which they were at liberty and passing about among their fellow men.


Der Grund, warum sie trotz des dringenden Verdachtes als schwächer als Druitt angesehen wurden, war, dass beide nach der Mordserie, als sie auf freiem Fuß waren, nicht weitermordeten.

Es scheint, dass Macnaghten der Meinung war, dass der wahre Ripper weitergemacht hätte und erwischt worden wäre. Bei Druitt war das nicht mehr möglich. Deshalb könnte er, letztendlich, Kosminski an die zweite Stelle gesetzt haben.

Wir wissen, dass Kosminski von der Polizei bewacht wurde und kein Mord stattfand. Wir wissen, dass der Cox Verdächtige keinen Mord verübte, als er unter Überwachung stand. Wir wissen von einem Mann, der nach dem Double Event observiert wurde und es in der Zeit keinen Mord gab. Cox selber bemerkte, dass, wenn der Mann unter Beobachtung stand, kein Mord stattfand. Er bemerkte auch, dass der Mann wohl mitbekam, dass er beobachtet wurde. Das gleiche berichtet man auch von jenem Mann im Oktober 1888. Cox berichtet uns auch über ein Ereignis, bei dem er fast damit rechnete, dass sich ein Mordversuch ereignen könnte.

Das nicht stattfinden weiterer Morde, war für Cox fast wie ein Beweis, wie er anmerkte, für Macnaghten dagegen eher eine Entlastung bestimmter Verdächtiger. Es scheint, dass Macnaghten gerade auch im Falle von Kosminski davon ausging, dass dieser Irre, auf jeden Fall wieder zugeschlagen hätte. Vielleicht ist ihm einfach die Beobachtung und Bemerkung eines Beamten, Cox, untergegangen oder er hat es falsch interpretiert oder das ganz für sich alleine entschieden.   

Wenn Aaron Kozminski dieser Kosminski war, dann war er auf jeden Fall vor Colney Hatch in Anstalten. Und zwischendurch immer wieder auf freiem Fuß und wurde während eines Anstaltsaufenthaltes sogar “identifiziert“. Aaron Kozminski fühlte sich vom russischen Konsul verfolgt. Wohlmöglich war seine Paranoia sogar teilweise echt, wenn er während seiner Zeit in Freiheit, von Beamten der City Police überwacht wurde.

Kosminski war ein “strong suspect“, er gehörte zu den “strongly suspecting several persons“, belastet durch “colourable facts“ und “many circs“. Ohne Druitt und ohne Macnaghten´s Einschätzung, wäre Kosminski die Nummer 1 gewesen, der Hauptverdächtige der Londoner Polizei. Ostrog seine Bewegungen kannte man nicht genau. Bei allen anderen, sollten die Verdachtsmomente eindeutig schwächer gewesen sein.

Lestrade.
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Re: Aberconway Version
« Antwort #25 am: 08.11.2016 17:59 Uhr »
Natürlich kann man noch weitere Überlegungen anstellen, warum Macnaghten nichts über die Seaside Home ID verlauten ließ!

Ich gehe nochmals auf die bekannten Quellen und Zitate ein.

Anderson:

“I will only add that when the individual whom we suspected was caged in an asylum, the only person who had ever had a good view of the murderer at once identified him; but when he learned that the suspect was a fellow-Jew he declined to swear to him.” (Blackwoods)

“I will merely add that the only person who had ever had a good view of the murderer unhesitatingly identified the suspect the instant he was confronted with him ; but he refused to give evidence against him.” (The Lighter Side of My Official Life)

Swanson bemerkte zum zweiten Zitat:

"...because the suspect was also a Jew and also because his evidence would convict the suspect, and witness would be the means of murderer being hanged which he did not wish to be left on his mind…”

und:

“And after this identification which suspect knew, no other murder of this kind took place in London…”

Auf der letzten Seite des Buches schrieb Swanson bezüglich der Seaside Home ID folgendes:

“...after the suspect had been identified at the Seaside Home where he had been sent by us with difficulty in order to subject him to identification, and he knew he was identified. On suspect's return to his brother's house in Whitechapel he was watched by police (City CID) by day & night. In a very short time the suspect with his hands tied behind his back, he was sent to Stepney Workhouse and then to Colney Hatch and died shortly afterwards - Kosminski was the suspect - DSS"

Mary Berkin, Enkelin von Swanson, erinnerte sich an ein Familiengespräch aus Mitte der dreißiger Jahre:

“From what I heard I gathered that Grandfather had been in charge of the case, knew who was the perpetrator but couldn't bring him to justice without the co- operation of one who might have had knowledge of the suspect's movements. That someone was a fellow Jew who declined on religious grounds. The 'proof ' was that the crimes ceased when the suspect was sent away from London.”

Sagar:

"a man, who, without doubt, was the murderer Identification being impossible, he could not be charged. He was, however, placed in a lunatic asylum, and the series of atrocities came to an end."
   
“There was no doubt that this man was insane, and after a time his friends thought it advisable to have him removed to a private asylum. After he was removed there were no more Ripper atrocities."

Cox:

"…but from time to time he became insane, and was forced to spend a portion of his time in an asylum in Surrey… It is indeed very strange that as soon as this madman was put under observation, the mysterious crimes ceased, and that very soon he removed from his usual haunts and gave up his nightly prowls…"

Macnaghten:

“…he was removed to a lunatic asylum about March 1889.”

Man könnte annehmen, dass der Dienst von Cox 3 oder 4 Wochen bevor Kosminski um den März 1889 in eine Anstalt kam endete. Er erfuhr aber im Nachhinein, dass sein Verdächtiger bestimmte Zeiten in einer Anstalt in Surrey verbrachte. Sein Kollege Sagar selber wäre dann an der ganzen Geschichte dichter dran gewesen als Kosminski in eine private Anstalt kam. Beide, Cox und Sagar, sprachen von einem Ende der Serie aufgrund von Observationen bzw. dass die Gräueltaten ein Ende nahmen, als der Verdächtige weggesperrt wurde, offenbar außerhalb von London. Diesen Hinweis sehen wir auch bei Mary Berkin, “The 'proof ' was that the crimes ceased when the suspect was sent away from London”. Auch ihr Opa sah darin einen Beweis in der Schuld des Mannes mit Namen Kosminski. Kosminski befand sich nicht mehr in London und die Serie mit dieser Art von Verbrechen fand ihr Ende. Das Cox aber sagte, dass er gewisse Zeiten dort verbrachte plus dem Sims Zitat, in welchem jener darauf auch hinwies, dass Kosminski sich doch noch zu bestimmten Zeiten in Freiheit befand, lässt darauf schließen, dass auch Cox über Kosminski sprach. Sagar sprach von einer Entfernung des Mannes in eine private Anstalt. In der Aussage via Mary Berkin steht, dass die Morde endeten, als der Verdächtige aus London weggeschickt wurde. Das klingt zunächst nicht nach einer staatlichen Anstalt sondern nach etwas privaten, wohlmöglich einer privaten Anstalt in Surrey. Auch das könnte bedeuten, dass Sagar über Kosminski sprach, der eine ordentliche Portion seiner Zeit nach den Rippermorden in einer priavten Anstalt in Surrey verbrachte und er auch, als er dort war, siehe Anderson, identifiziert wurde. Diese ID schildert uns Swanson etwas genauer. Alles was wir über Sagar, Cox und via Mary Berkin auch über Swanson erfahren, lässt den Schluss zu, dass sie alle glaubten, dass dieser Verdächtige durch Überwachung und Einweisung nicht mehr in der Lage war, seine Verbrechen fortzuführen. Macnaghten hielt das wohl eher für einen Zufall. Nun sehen wir, außer bei Swanson und Anderson, keinen Hinweis auf eine Seaside Home ID bei Macnaghten, Sagar und Cox. Auch könnte man annehmen, dass Swanson nicht über eine solche ID sprach, als der Verdächtige überwiegend sein Dasein außerhalb von London frissten musste. Auch wäre das Seaside Home in Brighton erst aber März 1890 verfügbar gewesen und diese Seaside Home ID lässt im Falle von Aaron Kozminski darauf schließen, dass sie nicht allzu lange vor seiner Einweisung im Februar 1891 nach Colney Hatch stattgefunden haben muss. Swanson sprach davon, dass alles sehr schnell ging, als der Verdächtige wieder bei seinem Bruder in Whitechapel war. Da er aber eigentlich in einer Anstalt war, als man ihn zur ID in das Seaside Home brachte, könnte Kosminski noch Monate in jener Anstalt verbracht haben. In Falle von privaten Anstalten weiß ich, dass man damals für ca. 4 Monate im Voraus bezahlen musste. Wenn das alles nicht mehr so lange dauerte, bei der Rückkehr zum Bruder, dann rechne ich vom Dezember 1890 zurück und nehme an, dass er, Kosminski, im September, Oktober, November und Dezember 1890 in einer privaten Anstalt saß. Wir wissen ja, dass Aaron Kozminski in Mitte Juli 1890 das erste Mal für 4 Tage im Arbeitshaus war, wohl aber ohne untersucht zu werden. Möglicherweise eine der Zeiten, in denen er auf freiem Fuß war. Wenn sich sein Zustand wieder verschlechterte und der Familie große Probleme bereitete, könnte sie nach dieser recht lange Zeit schon sehr verzweifelt gewesen sein und brachten ihn eigentlich dahin, wo sie ihn nicht hinhaben wollte, aus bestimmter Sorge, wie man dann verstehen könnte. Vielleicht gab es eine Art Wartezeit zwischen den einzelnen Einweisungen und man musste warten, bis August/ September 1890. Da hätte auch schon das Seaside Home der Polizei in Brighton für ein knappes halbes Jahr offen gehabt und Aaron Kozminski musss dann nach Mitte Juli 1890 frühestens wieder in seiner privaten Anstalt gesessen haben. Die ID im Seaside Home dürfte somit erst ab der zweiten Jahreshälfte von 1890, alles in allem, stattgefunden haben.

Das beißt sich aber mit Swanson´s Bemerkung:

“And after this identification which suspect knew, no other murder of this kind took place in London…”

Das trifft ja nicht auf die zweite Jahreshälfte von 1890 zu!

Oder beißt es sich doch nicht?

“couldn't bring him to justice without the co- operation of one who might have had knowledge of the suspect's movements”

Das klingt ja nicht nach einem Zeugen, der einen Mord sah, dass erkennt man ja auch an Anderson:

“the only person who had ever had a good view of the murderer at once identified him”
 
“I will merely add that the only person who had ever had a good view of the murderer unhesitatingly identified the suspect the instant he was confronted with him”

“Good view” und “suspect´s movements”, für mich steht das für einen Zeugen, der den Verdächtigen beim Verlassen eines Tatortes ins Gesicht gesehen hatte oder mit ihm sogar zusammengerannt war oder ihn angesprochen hatte usw.

Dieser Zeuge hatte also ein bestimmtes Wissen, er sah keinen Mord und für mich klingt das auch im Zitat (“one who might have had knowledge of the suspect's movements”), wie etwas, dass nicht gleich abrufbar für die Polizei war sondern sich später ergab.

Und hier gibt es für mich nur einen Fall und das ist der Mord an Kelly im Miller´s Court. Im Gegensatz zu anderen Opfern, wurde sie erst recht spät entdeckt. Ein Zeuge, der jemanden in diesem Court begegnete, dem Kosminski, für den Stunden zwischen dieser Begegnung und dem Auffinden der Leiche lagen, der konnte vielleicht nicht gleich in das Visier der Ermittler gelangt sein.

Swanson bemerkt in der Seaside Home Passage, dass der Verdächtige wusste, dass er identifiziert wurde. Er konnte sich also selber gut erinnern. Diese erste Begegnung blieb beiden wohl in guter Erinnerung.

Vielleicht bezieht sich Swanson mit:

“And after this identification which suspect knew, no other murder of this kind took place in London…”

auf diese erste Begegnung zwischen Zeugen und Verdächtigen und erzählt uns mit dem Seaside Home über deren zweite Begegnung. Der Verdächtige, Kosminski, hätte in just diesem Moment der ersten Begegnung wissen können, dass er nun identifiziert werden kann. Ganz sicher, wäre er dann zu diesem Zeitpunkt bereits ein Verdächtiger der Polizei gewesen. Das würde dann auch gut zu den “many circs“ von Macnaghten passen. Falls er bereits für kurze Zeit auch der observierte Mann in der Batty Street Geschichte war und auch der Mann den möglicherweise der PC vom Mitre Square gesehen hatte plus auch der Besitzer der blutigen Wäsche in jener Angelegenheit, dann wäre sein Schicksal besiegelt gewesen, wenn der jüdische Zeuge bestätigt hätte, ihn aus dem Millers Court kommend gesehen zu haben. Ich bin kein Rechtsexperte aber wahrscheinlich hätten sie ihn mit dieser Beweiskette an den Galgen geliefert, doch das letzte Puzzlestück dazu, erledigte sich mit dem Rückzug des Zeugen aus religiösen Gründen.

Der Deal könnte am Ende gelautet haben, dass seine Familie ihn einer staatlichen Anstalt übergibt.

Macnaghten war ab Mitte 1890 bereits über ein Jahr in seinem Amt. Er kannte sicherlich alle Akten in diesem Falle und auch die über Kosminski. Wusste er aber über die (eventuell zu diesem Zeitpunkt stattgefundene) Seaside Home ID genauso Bescheid wie Swanson und Anderson? Wussten darüber auch Cox und Sagar etwas? Letztere müssen darüber nichts gewusst haben, Macnaghten schon. Die Frage ist jedoch, wusste er das, was Swanson und Anderson darüber wussten? Auch darüber können wir nur spekulieren. Falls Macnaghten gerade bezüglich keiner weiteren Morde annahm, dass Kosminski unschuldig sein muss, dann könnte er auch das Szenario der Seaside Home ID anders bewerten haben. Oder er wollte nur sehen, was er sehen wollte, weil er eigentlich eher an Druitt glaubte. Auch bei Abberline, sicherlich einer der fähigsten Beamten, ist ein Unterschied zu Swanson und Co. festzustellen. Ob allerdings Abberline jemals von jener ID erfahren hatte…?

Es kommt eben darauf an, was ein jeder Beamte für ein Bild über den Täter vor Augen hatte. Für mich stellt sich die Frage, welche Beamten ein gemeinsames Bild hatten und hier hätten Swanson, Anderson, Munro, Cox und Sagar, vielleicht auch Reid und/oder White einen gemeinsamen Nenner gehabt haben können, der bei Macnaghten aber immerhin an zweiter Stelle agierte. Abberline hatte möglicherweise nicht wirklich eine abschließende Meinung.

Es existiert noch eine ganze Reihe von Unterlagen aus Anstalten aus Surrey. Ich werde mich wohl alleine auf dem Weg machen müssen, zu dem Experten, den Jeff Leahy empfiehlt. Eigentlich kann ich mir kaum vorstellen, dass  keiner der bekannten Ripperologen, das bisher nicht getan hat. Aber wer weiß… finden wir den passenden Kandidaten, dann gäbe es auch mehr Licht am Ende des Kosminski Tunnels…

Möchte vielleicht jemand mitkommen?

Beste Grüße,

Lestrade.


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Frank Ruffell!
« Antwort #26 am: 21.11.2016 17:39 Uhr »
Hallo!

An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf meine Idee mit meinem mutmaßlichen Zeugen aus der Dorset Street zurückkommen, welcher eben auch jener im Seaside Home gewesen sein könnte. Diese  ist selbstverständlich nur eine Hypothese, eine Theorie. Wie wahrscheinlich sie ist, kann ich nicht beziffern, wohlmöglich ist es gar eine bedeutungslose Überlegung aber wer weiß.

Mit den Jahren überzeugte mich die Idee mit Lawende oder Schwartz für die Seaside Home ID nicht mehr vollständig. Das heißt nicht, dass sie nicht wirklich wichtige Zeugen waren, im Gegenteil, ich gehe davon aus, dass sie jenen Kosminski auch zu Gesicht bekamen. Es gäbe natürlich noch weitere Alternativen, wie Joseph Hyam Levy oder Harry Harris, vielleicht sogar Pipeman. George Hutchinson war aber offensichtlich nicht jüdisch. Wir wissen es nicht genau aber es scheint mir, falls jener Kosminski Aaron Kozminski war, dann sollte die Seaside Home ID ab der zweiten Jahreshälfte 1890 stattgefunden haben. Lawende und Schwartz waren aber sofort während der Mordserie verfügbar, warum sollten sie dann im Falle Kosminski erst so spät zum Zuge kommen? Dafür gäbe es aber sicherlich auch Erklärungen.

Wenn wir bei den K5 bleiben, dann müssen wir davon ausgehen, oder könnten es, dass der Ripper mehrmals gezwungen war, vom Tatort zu flüchten. Dies würde für die Tatorte bei Nichols, Stride und Eddowes gelten. Wohlmöglich hörte er in der Bucks Row sich nähernde Schritte, Störungen bei Stride in der Berner Street/ Dutfields Yard scheinen offensichtlich, Schritte könnten auch im Mitre Square eine Rolle gespielt haben. Im Falle Chapman, Hanbury Street, muss man nicht zwangsläufig davon ausgehen. Aber was ist mit dem Millers Court in der Dorset Street? Hätten Aktivitäten im Millers Court, dem Ripper zur Flucht veranlasst?

Anhand eines Beispiels, möchte ich euch schildern, wie ein möglicher Zeuge im Millers Court/ Dorset Street in meiner Vorstellung ausgesehen haben könnte. Für dieses Beispiel nehme ich Frank Ruffell.

Frank Ruffell ist als Zeuge der Attacke auf Annie Farmer bekannt. Er lieferte wohl Koks (Kohlen) zu Lodging Houses in der George Street an und konnte einen Blick auf den Farmer Angreifer erhaschen.

Hier einmal als Beispiele zwei Links über Frank Ruffell:

http://www.casebook.org/press_reports/trenton_times/890723.html

http://www.casebook.org/forum/messages/4926/8279.html

Offenbar war Frank Ruffell bereits Jahre vorher einmal polizeilich aufgefallen (falls identisch, Ruffell war 1889 ca. 25 Jahre alt, hier offenbar ein Mann Anfang 20):

Seine Mutter, die für ihn aussagte gab folgendes an:

https://www.oldbaileyonline.org/browse.jsp?id=t18851019-996&div=t18851019-996&terms=Dorset|Street#highlight

“AMELIA RUFFELL . I am a Dutch Jewess and Ruffell's mother—I am a widow—I live at 10, Wine Court, Whitechapel—on 24th September Ruffell had been selling grapes at the corner of Baker's Row—I brought him his dinner at 4 o'clock.”

Obwohl Frank Ruffel nicht jüdisch klingt, war seine Mutter eine holländische, jüdische Witwe (wie lange danach, kann ich nicht sagen). Ihr Geburtsname hätte einer der gewöhnlichen jüdischen Namen gewesen sein können: Annie Abrahams, Cohen, Levy, Lewis, Solomon, Goldstein usw. Wir sind nicht gezwungen, permanent nach einem jüdischen Namen zu suchen, wenn wir nach dem Zeugen im Seaside Home fahnden. Desweiteren sehe ich auch ein gutes Motiv für jemanden, aus religiösen Gründen nicht auszusagen, wenn die eigene Mutter Jüdin ist und verwitwet mitten in Whitechapel lebt. Es bleibt natürlich offen, wie jüdisch Frank Ruffell lebte. Der Vine Court lag hinter der südlichen Whitechapel Road, quasi zwischen der Bucks Row und der Greenfield Street, um sich einmal geographisch an zwei bekannte Straßen zu orientieren. Interessant ist auch, dass die Lieferadresse bzw. der Tatort George Street nur wenige Meter vom Millers Court/ Dorset Street entfernt lag. Ruffell belieferte in der George Street das Lodging Houses mit Kohle und das gleiche könnte er hin- und wieder nur wenige Meter entfernt in der Dorset Street getan haben. Der Kelly Tatort lag gegenüber eines der Lodging Houses dort. In der Dorset Street gab es auch einen Kohlenhändler und ich weiß nicht, für wen Frank Ruffell gearbeitet hatte. Doch dazu später mehr. Ruffell könnte auch am Morgen der Kelly Ermordung, vor dem Lodging House gegenüber des Miller Courts  gearbeitet haben. Das ist aber auch nur eine Spekulation. Den Berichten zur Folge, blieb Frank Ruffell ein wichtiger Zeuge für die Polizei. Der Farmer Angreifer konnte nicht gestellt und somit auch nicht ihm oder Annie Farmer gegenübergestellt werden. Aber hätten beide Personen nicht auch Kosminski zu Gesicht bekommen?

Ich würde nicht behaupten, dass Frank Ruffell der Seaside Home Zeuge war aber ich kann mir jemanden vorstellen, der genau wie er, eine wichtige Beobachtung gemacht hatte und das vielleicht unter ähnlichen persönlichen und beruflichen Umständen. Vielleicht sogar einen Kollegen von ihm. Allerdings lasse ich mir offen, wie wahrscheinlich die Polizei Annie Farmer als Ripper Attacke ansah und ob ihre Beschreibungen als auch die von Ruffell, der Beschreibung Kosminskis entsprachen und zwar zu jener Zeit der Mordserie. Irgendetwas hätten Frank Ruffell darauf hingewiesen haben können, dass ihm eine etwas frühere Beobachtung plötzlich bedeutungsvoller erschien. Vorab ist es wichtig zu bemerken, dass wohl nicht jeder in der Gegend, sich vollends bewusst war, wie die Morde eigentlich abliefen. Im Millers Court wurde die Leiche recht spät gefunden und eine Beobachtung zu frühere Stunde, hätte nicht jeden Zeugen zunächst aufgeschreckt. Jemand wie Ruffell hätte davon ausgehen können, dass Kelly kurz vor ihrem Auffinden ermordet worden sein könnte und nicht um 5.30 Uhr morgens. Die Frage ist, besteht die Möglichkeit, dass Frank Ruffell jemanden nach langer Zeit wiedertraf und ihm plötzlich seine frühere Beobachtung bedeutsamer erschien oder aber, sah er denjenigen am Tatort Millers Court später erneut wieder und erinnertes sich dann an eine einstige Begegnung dort? Wir wissen, dass Täter oft an frühere Tatorte zurückkehren und dies wird der Ripper auch getan haben. Es ist zunächst reine Fantasie aber könnten sich beide Männer, Ruffell als auch Kosminski, im Sommer 1890 erneut am Kelly Tatort begegnet sein, so wie das unmittelbar schon nach dem Kelly Mord der Fall war? Ich gehe stark davon aus, dass Aaron Kozminski kurz nach seinem Aufenthalt auf der Krankenhausstation des Arbeitshauses Mitte Juli 1890 erneut in eine Anstalt kam. Wenn nun Frank Ruffell mit seinen Beobachtungen zu jener Zeit zur Polizei ging und vielleicht anhand eines Fotos Kosminski erkannte, könnte seine Beobachtung am Morgen des Kelly Mordes enorm Gewicht erlangt haben. Kosminski wurde, wenn er auf freiem Fuß war, überwacht und zwar von der City Police, die dann mit Sicherheit die gleiche Beobachtung gemacht hätte wie Ruffell, dessen aktuelle Geschichte man ohne Zweifel auch bestätigt hätte. Diese erneute Begegnung, hätte Kosminski stark beunruhigt haben können, was sich auf seine Psyche drastisch ausgewirkt haben könnte und eben auch zur Einweisung in das Krankenhaus führte. Entsprechend wäre dann auch die Reaktion im Seaside Home ausgefallen. Es mag ungewöhnlich sein, dass jemand zweimal an einem vermeintlichen Tatort (Kelly und Farmer), innerhalb einer recht kurzen Zeitspanne, Beobachtungen gemacht hätte aber beide Tatorte lagen nur 100 Meter voneinander entfernt und Ruffell war Lieferant von Kohle und ähnlichem und belieferte auch eben bestimmte Unterkünfte. Wenn er mitbekam, dass Kosminski Jude war, dann hätte er aus religiösen Gründen zurückgezogen haben können, weil er selbst Jude war, was vielleicht auch für die Beamten auch nicht gleich zu erkennen war. Gerade die Sache mit seiner Mutter, die möglicherweise eine “echte“ Jüdin war, könnte zu seiner Motivation nicht auszusagen, eine erhebliche Rolle gespielt haben.

Mary Berkin:

“…but couldn't bring him to justice without the co- operation of one who might have had knowledge of the suspect's movements”

Ich finde die Konstellation mit Frank Ruffel spannend und sie könnte sich mit großer Ähnlichkeit auch mit jemand anderen so abgespielt haben. 

Sicherlich kennt ihr alle die wenigen Bilder und Zeichnungen von der Dorset Street. Was dabei auffällt, ist, dass dort immer wieder eine Kutsche zu sehen ist. Stets auf der Seite des Miller Courts, mal weiter vorne mal etwas weiter hinten, einmal direkt vor dem Millers Court (Seite 401-403):

http://forum.casebook.org/showthread.php?t=61&page=401

Ich habe keine Ahnung, wem die Kutsche gehörte aber ich glaube es war die Zeugin Elizabeth Prater, die aussagte, dass Kutschenfahrer in der Dorset Street ihre Pferde sattelten. Miss Jane Brooks war eine Kohlenhändlerin aus der Dorset Street Nummer 39 (gemietet von McCarthy), die lag am nordwestlichen Ende der Dorset Street. Um den Bereich des Millers Court lagen Stallungen. Vielleicht stand die Kutsche von Mrs. Brooks an den Stallungen unweit des Millers Court, da auch da die Pferde untergebracht waren. Frank Ruffell könnte für Mrs. Brooks gearbeitet haben und belieferte eben jene Lodging Houses in der George Street als auch der Dorset Street. Es gab eine Wasserstelle im Millers Court und vielleicht nutze diese eben auch Frank Ruffell um die Pferde zu versorgen. Beim Gang in oder aus dem Court, hätte er Kosminski getroffen haben können, nachdem dieser mit Kelly fertig war. Vielleicht eilte Kosminski aber auch noch einmal zum Tatort zurück, aus welchen Gründen auch immer und wurde von Ruffell (oder jemanden wie ihn) dabei beobachtet.

Ich bin mal durch mir bekannte Angaben zur Dorset Street gegangen und möchte sie kurz darlegen.

Zunächst erst einmal die Fire Map von 1890 (zum Vergrößern anklicken):

http://www.bl.uk/onlinegallery/onlineex/firemaps/england/london/xi/zoomify150907.html

Da gab es:

“…in Dorset Street, Mr. A. Bull, who has a paper warehouse in Dorset Street, and employes a good many hands…”

http://www.casebook.org/victorian_london/the-worst-street-in-london.html

“…there are three stables (at 25, 29 & 31), so perhaps that's where they stopped to change horses?”

http://forum.casebook.org/showthread.php?t=61&page=403

Weitere Angaben:

http://www.casebook.org/dissertations/dst-viperdossier.html

Im Folgenden Link ist nicht zu erkennen, ob die Kohlenhändlerin Brooks Stallungen direkt nutzte:

http://www.casebook.org/forum/messages/4920/9211.html

Fakt scheint zu sein, dass in der Dorset Street Kutschen mit Pferden arbeitsmäßig gestellt wurden. Es ist ein Fakt, dass Frank Ruffell eine Kutsche fuhr, mit der er auch Kohlen auslieferte, eben auch an Lodging Houses wie in der George Street um die Ecke. Es gab einen Kohlehändler in der Dorset Street und jemand nutzte dort die Straße, um eine Kutsche abzustellen und wahrscheinlich die Pferde dort in einen der Ställe unterzubringen (ähnlich wie Diemschütz in der Berner Street/ Dutfields Yard). Keine Ahnung, ob da ein Zusammenhang zwischen Frank Ruffell und dem Kohlenhändler oder der Kutsche bzw. den Stallungen bestand. Fakt scheint zu sein, dass Frank Ruffell (logischerweise im Zusammenhang mit Annie Farmer) für die Polizei ein wichtiger Zeuge war, dessen jüdische Abstammung nicht gleich per Namen zu erkennen war, seine Mutter war jedoch eine Jüdin. Theoretisch kann man annehmen, dass Frank Ruffell nicht nur am Morgen des 21. November 1888 in der George Street seinen Dienst tat, sondern auch einige Tage zuvor am Morgen des 9. November 1888 in der Dorset Street, sei es nur, um Pferde vor den Karren zu spannen. Im Falle von Farmer, war er sich unmittelbar bewusst, Zeuge eines Vorfalls zu sein, im Falle von Kelly, hätte ihm das nicht so und gleich bewusst gewesen sein können.

Ich habe bereits öfters einen möglichen Zeugen aus der Dorset Street/Millers Court hier und auch woanders angesprochen und wollte euch das heute einmal etwas näherbringen. Ich sehe in ihm einen Mann wie Frank Ruffell, jüdische Abstammung und nicht gleich namentlich diesbezüglich zu erkennen aber mit einem guten Grund, nicht vor Gericht gegen Kosminski auszusagen (Mutter Jüdin und verwitwet er selbst mit diesem Glauben lebend). Dazu war er in gewisser Weise schon ein wichtiger Zeuge, wenn auch in einem anderen Fall.

Bitte beachtet, dass die wahrlich nur eine Überlegung ist.

Beste Grüße,

Lestrade.

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Offline Stordfield

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Re: Aberconway Version
« Antwort #27 am: 09.02.2019 01:55 Uhr »
Hallo!


“AMELIA RUFFELL . I am a Dutch Jewess and Ruffell's mother—I am a widow—I live at 10, Wine Court, Whitechapel—on 24th September Ruffell had been selling grapes at the corner of Baker's Row—I brought him his dinner at 4 o'clock.”

Dass Ruffell Kohlen verkaufte war mir bekannt, aber auch Weintrauben? Hhm... :scratch_one-s_head: da war doch was mit einer Kutsche und eben dieser Frucht... ;)

Gruß Stordfield
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Offline Lestrade

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Re: Aberconway Version
« Antwort #28 am: 09.02.2019 14:04 Uhr »
Da lägen dann ja ein paar Jahre dazwischen, mein Lieber... vermute, Obst- und Gemüseverkäufer waren nicht allzu selten...
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Offline Stordfield

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Re: Aberconway Version
« Antwort #29 am: 10.02.2019 01:57 Uhr »
Hallo Lestrade!

Wohl wahr.
Allerdings scheint mir der Verkauf von Kohlen und Trauben eine doch recht merkwürdige Kombination zu sein., selbst wenn das eine meinetwegen morgens und das andere abends geschehen sein sollte. Andererseits hat man damals aber wohl auch alles angenommen, was irgendwie ein bischen Geld einbrachte.

Gruß Stordfield
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