Autor Thema: Luxemburger Wort  (Gelesen 34625 mal)

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Luxemburger Wort
« am: 29.07.2011 21:17 Uhr »
Ich war mal wieder etwas für unser Zeitungsarchiv aktiv. Diesmal die Zeitung 'Luxemburger Wort'.
Digitalisierung: Luxemburger Nationalbibliothek, www.eluxemburgensia.lu

Viel Vergnügen,
Shadow Ghost

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Re: Luxemburger Wort
« Antwort #1 am: 29.07.2011 21:18 Uhr »
Luxemburger Wort
10 September 1888
London, 8.Sept. In Whitechapel wurde heute früh die vierte Frauenleiche mit durchschnittenem Halse und aufgeschltztem Körper gefunden. Der Thäter ist noch unentdeckt. Die Aufregung ist groß und allgemein.

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Re: Luxemburger Wort
« Antwort #2 am: 29.07.2011 21:18 Uhr »
Luxemburger Wort
17 September 1888
Londoner Verbrechen.
Man schreibt aus London: „Der Osten London's, in welchem bekanntlich die ärmern Leute der Riesenstadt ihre Wohnungen haben, befindet sich seit einigen Wochen in einer zählenden Aufregung, welche durch die grausige Ermordung von vier Frauen veranlaßt wurde. In dem bewußten Stadttheile befinden sich viele Häuser, welche, von den Besitzern zu Schlafstellen eingerichtet, von der untersten Klasse, darunter vielen Dirnen, gegen eine Zahlung von 30 Pfg. für die Nacht gemiethet werden. Vier dieser bedauernswerthen Frauen sind nacheinander in wahrhaft schauderhafter Weise ermordet morden. Die Thaten erscheinen um so schrecklicher, als es bis jetzt der Polizei noch nicht gelungen ist, des Verbrechers habhaft zu werden und dem Galgen zu überliefern. Der erste Mord geschah bereits vor einem Jahre, der zweite in den ersten Tagen des August, der dritte vor ungefähr 14 Tagen und der vierte am vergangenen Samstag-Morgen. Die Morde sind fast immer unter denselben grauenhaften Umständen geschehen. Der letzte Mord geschah 29 Hamburg Street [sic], Whitechapel. Dort wohnt ein Kistenmacher, Namens Davis, der am Samstag Morgen um 6 Uhr auf seinem Hofe den schrecklich verstümmelten Leichnam entdeckte. Der Mörder hatte seinem Opfer, einer Frau von ungefähr 45 Jahren, die Kehle durchschnitten und das Herz aus dem Leibe gerissen. Da die Anfangs August begangene Mordthat genau in derselben Weise begangen wurde, so unterliegt es keinem Zweifel, daß die Mordthat von einer Hand gethan wurde. Davis benachrichtigte sofort die Polizei, welche alsbald erschien. Eine Freundin der Ermordeten erkannte diese als eine Annie Chapman. Glaubwürdige Zeugen bestätigten, daß um 5 Uhr der Leichnam der Frau nicht im Hofe gewesen sei, so daß die Person zwischen 5 und 6 Uhr ermordet worden sein müsse. Aus den bis jetzt bekannten Aussagen ergibt sich, daß die Frau um 2 Uhr Morgens in einem der vorerwähnten Schlafhäuser gewesen ist und dort einige Kartoffeln verzehrt hat. Da sie jedoch nicht genug Geld hatte, um die Kosten der Schlafstelle und des Essens zu bestreiten, versprach sie dem Besitzer, sie wolle ausgehen, um sich das Geld zu verschaffen. Man hörte dann nichts weiter von ihr, bis Davis sie wenige Stunden danach auf feinem Hofe todt vorfand. Wie es scheint, ist der Verbrecher eine Person, welche es sich zum Geschäft macht, im Osten von Dirnen Geld unter Drohungen zu er pressen. Da die vier ermordeten Frauen seinem Verlangen nicht nachgekommen sind, wahrscheinlich auch nicht konnten, hat er sie ermordet. Bei der augenblicklichen Aufregung des Districts lassen sich zuverlässige Aussagen kaum erlangen; man glaubt jedoch, daß ein Mensch, der unter dem Spitznamen „Leather apron" (Lederschürze) bekannt ist, die That begangen habe."

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Re: Luxemburger Wort
« Antwort #3 am: 29.07.2011 21:19 Uhr »
Luxemburger Wort
20 September 1888
London
Ueber den bisherigen gänzlichen Mißerfolg der Londoner Polizei, den oder die Mörder in Whitechapel ausfindig zu machen, äußert sich die Saturday Review: „Weder die Polizei, noch ihre Feinde in der Presse können sich beglückwünschen zu den nähern Umständen, unter denen der letzte Mord verübt wurde. Es ist unsinnig, zu erwarten, daß ein Verbrechen, welches mit einer so seltsamen Mischung von Brutalität und Ueberlegung begangen wurde, sofort entdeckt werden sollte. Anderseits ist es scandalös, daß ein so volkreicher District, wie das Oftend, so geringen polizeilichen Schutz erhalten hat. Die Qualität der englischen Détectives hat sehr abgenommen. Die Londoner Polizisten haben viele ausgezeichnete Eigenschaften. Sie sind tapfer, gut disciplinirt und nachsichtig. Bei der Abfassung bewaffneter Einbrecher zeigen sie, trotzdem sie selbst unbewaffnet sind, einen kühlen, entschlossenen Muth. Nichts ist besser, als die Art, wie sie einen Pöbelhaufen behandeln. In der Aufspürung von Verbrechen aber haben sie sich nicht auf ihrer alten Höhe gehalten und stehen in ihren Leistungen unter ihren Collegen in andern Ländern, besonders in Frankreich und America, ja,selbst unter denen der großen englischen Provincialstädte. Die meisterhafte Art, in welcher die Detectives von Birmingham vor vier Jahren eine Dynamitardenbande zur Haft brachten, contrastirt in sehr unangenehmer Weise mit der schnell anwachsenden Liste unentdeckter Verbrechen in der Hauptstadt. Verbrechen erzeugt Verbrechen. Es gibt Mord - Epidemieen gerade so gut wie Masern-Epidemieen, und eine genaue Unterfuchung darüber, wessen Interesse es war, die unglücklichen Opfer aus dem Wege zu schaffen, ist weit mehr werth, als Scheffel von moralischen Gemeinplatzen."

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Re: Luxemburger Wort
« Antwort #4 am: 29.07.2011 21:19 Uhr »
Luxemburger Wort
11 Oktober 1888
Verschiedene Nachrichten
London, 6. Oct. Ein Telegramm aus New-York meldet, ein englischer Matrose Namens Dodge habe daselbst wichtige Angaben über die im Londoner Stadtbezirk Whitechapel verübten Mordthaten gemacht. Es sei, so erzählt er, am 13. August von China in London angekommen und habe in der Queens Music Hall, Poplar, die Bekanntschaft eines malayischen Koches Namens Alaska gemacht. Der Malaye erzählte ihm, er sei von Frauen schlachten Rufes in Whitechapel seiner zweijährigen Ersparnisse beraubt worden, und habe nun geschworen, daß, falls er die Frauensperson nicht wiederfinde und sein Geld zurückbekomme, er jedes Frauenzimmer in Whitechapel, welchem er begegne, ermorden und verstümmeln würde. Er zeigte Dodge ein doppelschneidiges Messer, das er stets bei sich trug.

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Re: Luxemburger Wort
« Antwort #5 am: 29.07.2011 21:20 Uhr »
Luxemburger Wort
29 Oktober 1888
Bluthunde.
Die Londoner Polizei hat wegen der Frauenmorde neuerdings „Bluthunde", b. h. auf die Menschenspur abgerichtete Hunde, in ihren Dienst gestellt, die vorher in „Regent Park" eine Prüfung abzulegen hatten. Ueber die Abrichtung solcher Thiere gibt der Züchter Mr. Vrough folgende Mittheilungen. Zuerst lehrt er die Hunde eine Strecke von etwa hundert Ellen auf Gras und gegen den Wind laufen. Um die Hunde zu ermuthigen, wird ihnen alles recht leicht gemacht. Der Mann, den sie zu verfolgen haben, ist zunächst immer einer von denen, die sie bereits kennen, und bevor er läuft und sich verbirgt, liebkost er sie und spielt mit ihnen. Die Hunde dürfen auch sehen, wie er läuft; dann aber muß er ihnen rasch aus dem Gesicht kommen und sich verstecken. Der „Trainer", der die Richtung und den Weg des zu Suchenden genau kennt, führt nun die Hunde an der Leine, und durch Ruf und Miene eifert er sie an, die Spur zu suchen und ihr zu folgen. Es ist natürlich, daß anfangs einige, selbst alle von der Meute die Nasen nicht zu Boden senken und auch nicht verstehen, was man von ihnen verlangt; aber der Trainer führt sie alsdann längs der Spur, bis sie zu dem Gesuchten kommen. Dann erhalten sie irgend einen Leckerbissen als Belohnung; das wird so oft wiederholt, bis die Hunde wissen, was man von ihnen haben will, und, auf die Spur gebracht, selbstständig vorgehen. Stufenweise werben ihnen immer mehr Schwierigkeiten in den Weg gelegt ; doch erst, wenn sie zwölf Monate alt sind, läßt man sie „über Land" gehen. Dann lehrt man sie auch gelegentlich Straßen und Bäche kreuzen, und wenn sie einen Fehler begehen, etwa 0die Spur überlaufen, selbst zurückkehren und die Spur wieder auffinden. Der elfte Versuch mit den beiden Hunden "Barnaby" und „Burgho" würde Morgens im Regent Park auf mit Reif bedeckten Pfaden gemacht; aber sie verfolgten dennoch etwa eine Meile mit Erfolg die Spur eines jungen Mannes, der 15 Minuten Vorsprung hatte. Nachts würde im Hyde Park ein zweiter Versuch angestellt, wobei die Hunde an der Leine geführt würden, als ob sie in Whitechapel verwendet würden. Am nächsten Morgen fand bei gutem Wetter die Probe vor dem Oberhaupte der Staatspolizei, Sir Charles Warren, statt, der sich selbst zwei Mal dazu hergab, sich von den Hunden suchen und stellen zu lassen. Die Hunde mußten sechs „Gänge" machen und jedes Mal solche Personen auffinden, die ihnen ganz fremd waren. In einigen Fällen wurde auch absichtlich die Spur verwischt. Dabei zeigte es sich, daß in einem solchen Falle die Hunde überrascht schienen; aber einer oder der andere fand doch die Spur wieder auf. Die beiden Thiere suchten gemeinschaftlich. Da es jedoch sehr kalt war, arbeiteten sie nur langsam; aber sie lieferten den Beweis, daß es für sie möglich ist, die Spur eines ihnen ganz fremden Menschen zu verfolgen, wenn sie auf dieselbe gebracht werben.

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Re: Luxemburger Wort
« Antwort #6 am: 29.07.2011 21:20 Uhr »
Luxemburger Wort
12 November 1888
London, 10. Nov. In der Dorsetstreet im Stadtviertel Whitechapel wurde wiederum ein Frauenzimmer mit durchschnittenem Halse gefunden. Die Polizei verwendet Bluthunde zur Aufspürung des Mörders. Der neueste Frauenmord, welcher in Spitalfields heute Morgen zwischen 10 und 11 Uhr begangen worden, ist noch viel scheußlicher, als die jüngst in Whitechapel verübten Gräuelthaten. Das Opfer, ein 21jähriges unglückliche« Frauenzimmer Namens Mary Anne Kelly, würde in einem Logirhause in Dorset-court, nahe Commercial-road, aufgefunden. Ihr Kopf war fast vom Rumpfe getrennt, das Fleisch vom Gesicht gerissen, die Brüste. Nasen und Ohren waren abgeschnitten und der Unterleib, ähnlich wie in früheren Fällen verstümmelt. Die Polizei hat den Mörder bis jetzt noch nicht ausfindig gemacht.

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Re: Luxemburger Wort
« Antwort #7 am: 29.07.2011 21:21 Uhr »
Luxemburger Wort
13 November 1888
Wo das Laster weilt.
Spaziergänge mit einem englischen Detektive im Osten London's *)
Das Loos eines Journalisten ist mitunter kein beneidenswerthes, besonders wenn er plötzlich, um seiner Pflicht zu genügen, Kreise und Personen aufzusuchen hat, welche den untern lichtscheuen Schichten der Gesellschaft angehören und ihm nur unwillig und ungern Mittheilungen machen, die nachher ein neugieriges Publikum mit fieberhafter Begierde verschlingen dürfte. Argwohn und der Trieb der Selbsterhaltung machen es ungemein schwierig, von den Mitgliedern der dunkeln Zunft, dem Verbrecherthum London's, genaue Angaben und Einführungen in die Plätze zu erhalten, in denen das Laster und das Verbrechen seine Schlupfwinkel so lange findet, bis die eiserne Hand des Gesetzes es packt und in den Zuchthäusern des Inselkönigthums zum Schütze der ehrlichen Unterthanen Ihrer Majestät festhält.
Ein Zufall machte mich auf einer Ferienreise in Schottland mit einem der bekanntesten englischen Detectives bekannt. In einer längern Unterhaltung ließ er die vielsagende Bemerkung fallen, daß es kaum glaublich wäre, wie weit die englische Gesellschaft an dem Wachsen des hiesigen Verbrecherthum« schuldig sei; daß in 9 Fällen aus 15 Fällen Kinder in den untern Schichten den Pfad des Verbrechens einschlagen, weil der Engländer vielfach nur große sittliche Entrüstung vor dem Laster, großen Abscheu vor dem Elende, aber wenig Mitleid mit dem Verkommenen spürt, und von thätiger Liebesarbeit und praktischer Nächstenliebe wenig weiß. „Errichtet gute und reine Gebäude mit lichten Fenstern. Haltet sie unter strenger Aufsicht und zwingt die Kinder zum regelmäßigen Schulbesuche. Das wird die Verbrecherzahl unter der Jugend vermindern und bald die Gefängnisse leeren." Wie wahr dieser Mann gesprochen, dessen Namen ich vorläufig auf seinen ausdrücklichen Wunsch geheim halte, werden die hier geschilderten Spaziergänge, die ich in seiner Gesellschaft nach meiner Zurückkunft im Osten Londons unternahm, zur Genüge beweisen.
An einem Samstag-Abend traf ich den Detective an der Ecke des Piccadllly Circus zufällig wieder an. Einem feingekleideten Herrn, der in einer Restauration des Guten viel zu viel genossen halte, so daß er sich damals weder seines Namens noch seiner Adresse erinnern konnte, war die Uhr, angeblich von einem Frauenzimmer, aus der Tasche gerissen morden. Er verursachte einen Auflauf, indem er eine Anrede an die sich um ihn drängenden Personen lichtete, welche von Beleidigungen gegen die Obrigkeit wahrhaft strotzte, von welcher er verlangte, daß sie auf seine Uhr hätte aufpassen müssen. Der Detective arbeitete sich durch die Menschenmasse, betrachtete mit einem raschen Blick die Westentasche, welche in eigenthümlicher Weise zerrissen war und murmelte: „Es ist der rothe Johnson, der es gethan," übergab den Angetrunkenen einem Polizisten zur Erforschung weiterer Einzelheiten über den Diebstahl und verschwand in dem Auflauf. Einige Minuten später war er auf seiner alten Stelle, woselbst ich ihn nun begrüßte. „Wenn Sie mich hier um 12 Uhr aussuchen wollen", bemerkte er mit einem kräftigen Händedruck, „so will ich Ihnen Ihren seiner Zeit in Schottland geäußerten Wunsch erfüllen und Sie in einige Diebesküchen (Thieveskitchens) mitnehmen; ich bin au der Fährte eines gewiegten Taschendiebe», dem sich erst vor drei Wochen nach siebenjährigem Aufenthalte im Zuchthause die Thore des Pentonville Prison geöffnet haben und bei jetzt bereits wieder seinem alten Gewerbe, Betrunkenen Uhr und Börse zu entwenden, nachgeht." Das war nun eine Gelegenheit, einen tiefen Blick in menschliches Elend und Verbrechen zu thun, welche ich mir nicht entgehen lassen wollte, und sobald die Glocke der Kirche in Piccadilly die zwölfte Stunde verkündete, war ich zur Stelle und wanderte langsam mit meinem Detectiv nach der Richtung von Long Aere zu.
London bietet in diesem Theile der Stadt einem Fremden nach 12 Uhr Nachts genügendes Material für fortwährendes Erstaunen. Die Publikhäuser und Restaurants senden ihre Kunden in die Straße, Equipagen und Droschken jeder Beschreibung rasseln auf dem Pflaster. Die Omnibusse sammeln ihre letzten Fahrgäste, um sie nach den fernern Stadttheilen zu entführen. Jungen rufen die letzten Nachrichten aus, um ihre Zeitungen zu verkaufen. Horrible murder in Whitechapel (Schrecklicher Mord in Whitechapel) tönt es hier. Dreadful Railway Accident (Furchtbares Eisenbahnunglück) schallt es dort. Die Damen der Demimonde wandeln auf und ab in den geschmackvollsten und geschmacklosesten Toiletten. Ab und zu öffnet sich die Thüre einer Schenke und ein Angetrunkener wird von starken Armen unfreiwillig in die Luft befördert. Aus den Portalen der nahe gelegenen Alhambra und des Empire-Theaters, zwei in großartigem Stile angelegten Tingeltangeln, strömen Menschenmassen, von denen einige so eben gehörte Gassenhauer pfeifen oder singen. Der Polizisten stereotyper Ruf: «More on, Gentlemen" — Vorwärts, meme Herren — hallt in allen Richtungen. Auf dem Damme weilen noch immer Obstverkäufer, während an vielen Ecken Kaffeeverkäufer und „heiße Kartoffelhändler" ein gutes Geschäft machen. Kinder in dem zartesten Alter betteln die Vorübergehenden um Almosen an.
„Wen suchen Sie?" fragte ich meinen freundlichen Führer, der alle Augenblicke von Polizisten militärisch begrüßt wurde. „Einen Mann, der den Namen: "der rothe Johnson" führt, den wir aber noch unter einigen dreißig andern Namen kennen. Sahen Sie den alten Herrn, dem die Uhr entwendet wurde?" „Ich meinte ja ein Frauenzimmer hätte die That begangen," warf ich ein. „Unsinn," erwiderte der Detektive, «Sie können sich darauf verlassen, daß das Frauenzimmer nur die Deckung war, deren der Hallunke sich bediente. Die Uhr hat er selber abgeschnitten; er hat eine besondere Methode, die Vordermand der Westentasche mit einem spitzen Instrumente zu zerschneiden und dann die Uhr von dem Bügel mit einer Zange abzukneifen, eine Methode, welcher sich kein anderer Taschendieb bedient. Wenn Sie die zerschnittene Tasche gesehen hätten, so würden Sie bemerkt haben, daß ein Dreieck Tuch aus derselben fehlte. So arbeitet nur der rothe Johnson." — „Glaub» Sie, ihn jetzt in einer der Spelunken zu finden?" fragte ich wieder. „Das nicht," meinte mein Mann lächelnd; „er ist nicht so dumm, sich dort früher sehen zu lassen, bis ihm seine Cumpane mitgetheilt haben, daß wir bereits da waren. So dürfte es leicht möglich sein, daß wir drei oder vier Mal in ein und derselben Küche erscheinen werden. Vielleicht ist er auch nach Walworth gegangen. Die Uhr wird wohl übrigens nicht wieder gefunden werden. Aber kommen Sie, was auch vorkommt, halten Sie sich auch kühl und besonnen; Sie haben bei mir nichts zu befürchten."
Wir gingen in ruhigem Gespräche in dieser Weise ungefähr zehn Minuten unseres Weges weiter, da bemerkte ich eine Passage, welche von der Hauptstraße durch ein eisernes Gitter abgeschnitten war. Wir betraten dieselbe; sie führte in eine schmutzig: Sackgasse. Zu beiden Seiten waren schmutzige, einstöckige Häuser, denen man ihr Gewerbe von außen ansah. Dort, wo früher Fensterglas gewesen, war in den meisten Fällen braunes Packpapier zum Schutze gegen die Witterung angebracht. Die Rinnen enthielten allerhand Speisereste, welche, im Zustande der Verwesung befindlich, schauderhafte Dünste von sich gaben, was die in der Gasse ohnehin schon unreine Atmosphäre noch mehr vergiftete. Am Ende derselben war ein Moderhaufen, welcher aus allerhand Unrath bestand. Die» schien eine Art Müllgrübe zum Gebrauche der ganzen Gasse zu sein. Die einzige Beleuchtung bestand aus den Strahlen der in den verschiedenen Zimmern befindlichen Petroleumlampen, welche, da die Fenster weder Vorhänge noch Klappen hatten, erleuchtend in die Gasse fielen, und das trübe Bild noch trüber beschienen.
(Fortsetzung folgt.)
*) Angesichts der wiederholten geheimnißvollen Morde in Whitechapel gewinnen die nachstehenden Schilderungen eines Londoner Mitarbeiters der "K. Ztg" ein aktuelles Interesse.
(D. Red.)

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Re: Luxemburger Wort
« Antwort #8 am: 29.07.2011 21:22 Uhr »
Luxemburger Wort
13 November 1888
London, 9. Nov. Ganz London steht heute unter dem Zeichen des Schreckens. Im Ostende, in Dorset Street, einer kurzen Zwischenstraße zwischen Commercial- Road und Spitalfields-Market, wurde gestern wieder eine Frau ermordet — die siebente seit ein paar Monaten! Man fand ihre Leiche entsetzlich zugerichtet (die Feder sträubt sich, die Mittheilungen der englischen Blätter über diese grausamen Verstümmelungen wiederzugeben) in dem von ihr bewohnten Zimmer im Erdgeschoß eines ärmlichen, an Frauen von schlechtem Wandel vermietheten Hauses. Der Mörder war unerkannt und unverfolgt entkommen; Niemand hat ihn gesehen. Niemand einen Schrei gehört. Die Polizei sucht seine Spur jetzt mit Bluthunden zu verfolgen: ein zweifelhafte« Unternehmen. Bemerkenswerth ist, daß der Mörder der Leiche beide Ohren und die Nase abgeschnitten hat, wie er vor kurzem der Polizei ankündigte. Die Ermordete war 24 Jahre alt und hieß Jane Kelly; sie wird als ein großes, auffallend schönes Frauenzimmer geschildert. Die Aufregung in Whitechapel ist mit Worten nicht zu schildern.
Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß der grausige Mord in Whitechapel auf dasselbe Ungeheuer zurückzuführen ist, welches nun schon seit Wochen das Ostende Londons mit Schrecken erfüllt. Der Schauplatz des neuesten Verbrechens ist keine 200 Yards von Hanbury Street entfernt, wo die Nicholls umgebracht wurde. Die Ermordete war eine Irländerin, 23 oder 24 Jahre alt, und lebte mit einem Kohlenträger Namens Kelly zusammen, der sie für seine Frau ausgab. Wie die meisten Frauenzimmer ihres Schlages, war sie der Trunksucht stark ergeben und führte den Spottnamen „Ginger". Sie bewohnte ein möblirtes Zimmer in einem Hause in Dorset Street, zu dem der Eingang von Miller's Court aus führte. Ein pensionirter Soldat, Namens Bomyer, welcher in den Diensten McCarthy's steht, war der Erste, welcher die Mordthat entdeckte. Da die Kelly mit ihrer Miethe im Rückstände war, begab er sich gestern früh in die Wohnung der Prostituirten, um die schuldige Summe einzukassiren. Nachdem er vergeblich an die Thür geklopft und keine Antwort erhalten hatte, schob er von Außen die Fensterladen zurück, worauf steh der grausam verstümmelte, blutige Leichnam der Unglücklichen seinen Augen darbot. Sofort wurde die Polizei benachrichtigt.
In dem ärmlich ausgestatteten Zimmer fand sie das ermordete Frauenzimmer auf dem Bette unter dem Bettzeug liegen. Nichts ließ auf einen stattgehabten Kampf schließen und ebenso wurde kein Messer oder sonstiges Instrument gefunden. Wie berichtet, waren Hals, Nasen. Ohren und Brüste abgeschnitten und der Leib aufgetrennt. Die Stücke lagen an verschiedenen Stellen. Der verstümmelte Leichnam wurde in eine Kiste gepackt und nach der Morgue in Shoreditch gebracht, wo die Leichenbeschauersuntersuchung abgehalten wird. Bemerkenswerth ist, daß von den anwesenden Aerzten konstatirt wurde, daß, entgegengesetzt den früheren Mordthaten, kein Stück des Körpers fehlte. Der Liebhaber der Ermordeten, Kelly, hat jedenfalls nichts mit dem Verbrechen zu thun. Am Dienstag Abend um 8 Uhr hatte er die Kelly, mit der er Streit gehabt, freilich noch besucht, wohnte jedoch schon seit 10—12 Tagen in New Street, wo ihn die Polizei gestern sinnlos betrunken im Bette vorfand.
Ueber die Zeit der Verübung des Mordes herrscht noch immer Ungewißheit und die Erzählungen ihrer unglücklichen erschreckten Genossinnen weichen sehr von einander ab. Wann wurde die Kelly zuletzt gesehen und mit wem? Eine Frau Kennedy, welche ihr gegenüber wohnt, sagte aus, daß sie die Ermordete am Freitag Morgen um 3 Uhr mit drei jungen Männern, von denen sie einen beschrieb, bei der nahen Britannia-Schänke habe stehen sehen. Zwischen halb 4 und 4 Uhr habe sie den Ruf .Mord" gehört, da er steh aber nicht wiederholte, demselben keine weitere Beachtung geschenkt. Wieder Andere sagen, daß sie die Kelly noch um 8 Uhr hätten Lebensmittel einlaufen sehen und sie noch um 10 Uhr mit ihr in der Britannia-Schänke zusammen getrunken hätten.
Dem Detektive« ist es aufgefallen, daß die Mordthaten stets am Ende der Woche verübt werden, und sie halten es daher für möglich, daß einer der Fleischer der am Donnerstag und Freitag in London eintreffenden und am Sonntag oder Montag wieder fortsegelnden Dampfer mit Vieh der Mörder fein könnte. Bestimmt» Anhaltspunkte liegen für diese Theorie nicht vor. In dem Zimmer der Ermordeten wurde ein Lootsenrock aufgefunden, ob er aber von einem der Liebhaber der Kelly zurückgelassen ist, oder wem er sonst gehört, ist noch nicht aufgeklärt. Die Polizei hat zwei Verhaftungen vorgenommen, allein beide Verdächtige mußten bald als unschuldig entlassen werden.
Auch Jack der Auffchlitzer hat wieder etwas von sich hören lassen. Er hat nämlich in einem an die Polizei gerichteten Briefe angekündigt, daß er heute Abend seine Thätigkeit in dem Stadtthell Marylebone wieder aufnehmen werde, wo er zwei Frauenzimmer bereits für seine Zwecke notirt habe. Dem Briefe wird natürlich wenig Beachtung geschenkt, wenn auch die Polizei daraufhin einige Vorsichtsmaßregeln trifft.
Die Aufregung in Whitechapel ist ungeheuer. Der Wachsamkeits-Ausschuß, welcher in der letzten Zelt ermüdete, wird seine Thätigkeit verdoppeln und der Minister des Innern, Matthews, hat sich veranlaßt gesehen, etwaigen Complicen de« Mörder» Begnadigung zuzusichern, falls sie den Behörden Mittheilungen machen, die zur Ergreifung des Unholdes führen.
London, 12. Nov. Polizeipräsident Warren hat seine Enlassung nachgesucht, weil ihm der Minister des Innern Mathews wegen Veröffentlichung eines Artikels in 'Murrays Magazin' über die Londoner Polizei eine Rüge ertheilt hat.

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Re: Luxemburger Wort
« Antwort #9 am: 29.07.2011 21:22 Uhr »
Luxemburger Wort
19 November 1888
London, 14. Nov. Mit Bezug auf den jüngsten Frauenmord in Whitechapel sind der Polizei von einem Arbeiter Namens George Hutchinson anscheinend wichtige Mittheilungen gemacht morden, welche möglicherweise zur Entdeckung des Mörders führen dürften. Hutchinson, der in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, gegen 2 Uhr Morgens vom Lande zurückkehrend, Commercial-Street, Whitechapel entlang ging, begegnete dort der ihm persönlich bekannten Frauensperson Kelly, welche ihn um eine kleine Goldmünze ansprach. Da er ihr die gewünschte Unterstützung nicht bewilligen konnte, entfernte sie sich mit den Worten: „Ich muß sehen, wo anders etwas Geld aufzutreiben." Wenige Minuten später sah er sie in Begleitung eines gut gekleideten Mannes, mit dem sie sich nach ihrer Behausung begab. Hutchinson folgte dem Paare bis zur Wohnung der Kelly, entfernte sich aber bald, da er nichts Verdächtiges wahrnahm. Nach der Personalbeschreibung Hutchinson's ist der Fremde etwa 5 Fuß 6 Zoll hoch und etwa 34 bis 35 Jahre alt, von dunkler Gesichtsfarbe, mit einem dunklen stallen Schnurrbart, dessen Enden gedreht waren. Er trug einen langen Ueberzieher, einen tief in die Stirn gedrückten Calabreser, an den Händen braune Glacehandschuhe und hatte „ganz das Aussehen eines Ausländers". In der linken Hand trug er ein kleines in Wachstuch gehülltes, acht Zoll langes Paket, welches mit einem Riemen zusammengehalten wurde.

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Re: Luxemburger Wort
« Antwort #10 am: 29.07.2011 21:23 Uhr »
Luxemburger Wort
23 November 1888
London, 21. Nov. Die allgemeine Aufregung über die Morde in Whitechapel dauert fort. Die Polizei ist rathlos und der Rücktritt des Polizeichefs Warrens hat eine gewisse Verwirrung hervorgerufen. Der Besitzer zweier prächtiger dänischer Schweißhunde, welche auf die Spur künftiger Mörder gehetzt werden sollten, hat, wie die Zeitungen melden, seine Thiere zurückverlangt, aus Furcht, daß sie durch Pillen, welche Räuber und Diebe in den Straßen von Whitechapel ausstreuten, vergiftet würden. Der düstere Spaßmacher, der „Jack der Aufschlitzer" unterzeichnet, hat neuerdings an die Polizei geschrieben: „Ich werde in ganz kurzer Zeit wieder zwei Frauen, Mutter und Tochter, den Leib aufschlitzen.“
Diese düsteren Prahlereien sind leider stets von neuen Verbrechen begleitet und der Urheber der Ankündigungen könnte sehr wohl auch der Urheber der Morde sein. Die allgemeine Aufregung verursacht auch zahlreiche Geistesstörungen; fast täglich melden sich Verrückte auf der Polizei und behaupten, sie seien der Frauenmörder. Die Spiritisten bombardiren den Minister des Innern mit Eingaben, der Leichnam der ermordeten Kelly solle von einem Magnétiseur in Gegenwart zweier bekannten Medien untersucht meiden. Kurz, halb London ist auf dem besten Wege, verrückt zu werden.
Täglich nimmt die Polizei eine Menge Verhaftungen vor, von denen die allerwenigsten von den Zeitungen gemeldet werden. Am Samstag wurde ein geachteter Birminghamer Arzt bei seiner Ankunft in London von Geheimpolizisten in Empfang genommen, und auch mehrere von Deutschland gekommene Kaufleute mußten ein strenges Verhör bestehen, weil sie angeblich mit dem Mörder eine auffallande Ähnlichkeit hatten.
Schon wieber, heute Morgen, ist in Whitechapel eine Frauensperson aufgefunden worden, die in ganz gleicher Weise angefallen worden war, wie die Opfer der früheren Whitechapel. Morde. Der Mörder hat sein Werk indessen diesmal nicht vollenden können. Das Opfer schrie und der Mörder entfloh. Die Frau lebt noch.

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Re: Luxemburger Wort
« Antwort #11 am: 29.07.2011 21:23 Uhr »
Luxemburger Wort
24 November 1888
London, 20. Nov. Die Polizei verhaftete gestern Morgen in einem der Seitengäßchen der Dorset-Straße, dem Schauplatz des jüngsten Frauenmordes, einen Verdächtigen und ist geneigt, anzunehmen, daß es ihr jetzt endlich gelungen ist, den Verüber der grausigen Mordthaten erwischt zu haben. Der Verhaftete erschreckte durch sein scheues, wildes Aussehen einige in dem Gäßchen stehende Kinder, die sofort den Ruf "Jack der Aufschlitzer" erschallen liehen. Der Mann wollte fortlaufen, wurde aber durch die sich alsbald ansammelnde Menschenmenge festgehalten, bis hinzueilende Geheimpolizisten ihn nach der Polizeistation brachten. Der Verhaftete ist 35—40 Jahre alt und entspricht der von einer der Zeuginnen bei der Leichenbeschauer-Untersuchung der ermordeten Kelly gegebenen Beschreibung. — Eine Panik entstand heute Morgen in Whitechapel durch das Gerücht, es sei daselbst ein neunter Frauenmord begangen worden. Nähere Nachforschungen ergaben jedoch, daß nur ein betrunkenes Frauenzimmer in einem Logirhause der George-Straße von einem Manne einen Messerstich in den Hals erhalten hätte. Die Wunde ist nicht gefährlich und wurde auf der Polizeistation verbunden. Die früheren Mittheilungen erweisen sich also als unbegründet.
London, 22. Nov. Der gestern in einem Logirhause in Whitechapel stattgehabte Mordversuch verursachte eine Zeit lang große Aufregung, aber gehört nicht in die Kategorie der grauenerregenden Verbrechen, welche London seit einiger Zeit beunruhigen. „Jack der Aufschlitzer" (Jack the Ripper), wie der Verüber der jüngsten Frauenmorde im Volksmunde genannt wird. Hat mit dem Attentat sicherlich nichts zu thun, und wenn man einer neuen Epistel aus feiner Feder, welche er an den Richter des Polizeigerichts in Thames Street (Whitechapel) gerichtet hat, Glauben beimessen darf, so weilt er überhaupt nicht in London. Die „Jack the Ripper" unterzeichnete Postkarte trägt den Poststempel „Portsmouth"; Jack sagt darin, er werde in kurzem nach London zurückkehren und feine Blutarbeit wieder aufnehmen. Das nächste Mal würde er feinem Opfer den Kopf und die Arme abschneiden. Es ist sehr möglich, daß der Frauenmörder nach verübter That London auf der Stelle verläßt, und zu feinem blutigen Werke erst wieder zurückkehrt, nachdem sich die Aufregung, über ein solches Verbrechen gelegt und damit die Wachsamkeit der Behörden etwas nachgelassen hat.

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Re: Luxemburger Wort
« Antwort #12 am: 29.07.2011 21:24 Uhr »
Luxemburger Wort
29 November 1888
Aus Havant, unweit Portsmouth, wird ein Verbrechen gemeldet, welches zu dem Argwohn Anlaß gab, daß „Jack, der Auffchlitzer" dort sein Wesen treibt. Ein dort auf einer Wiese spielender 8jähriger Knabe, Namens Seile, wurde plötzlich von einem fremden Manne ergriffen, der ihm die Kehle durchschnitt. Später wurde unweit der Eisenbahnstation ein der That verdächtiger Kerl verhaftet. Der Mord ist indeß zu „stümperhaft" ausgeführt, als daß der Frauenmörder von Whitechapel dafür verantwortlich gemacht werden könnte.
London, 28. Nov. Die Königin hat die Ernennung James Monros zum Leiter der Londoner Polizei bestätigt.

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« Antwort #13 am: 29.07.2011 21:24 Uhr »
Luxemburger Wort
30 November 1888
London, 27. Nov. Der vorgestern in Havant bei Portsmouth an einem achtjährigen Knaben verübte ruchlose Mord ist noch in geheimnißvolles Dunkel gehüllt. Das der That als verdächtig verhaftete Individuum wurde wegen mangelnder Beweise auf freien Fuß gesetzt. Nach der Petersburger Zeitung ,Novosti' ist der Frauenmörder in Whitechapel ein Russe, Namens Nicolai Wasstlyew. Genannter wurde in Tlraspol im Jahre 1847 geboren, studirte an der Universität in Odessa, wurde dann ein fanatischer Anarchist und wanderte nach Paris aus, wo er wahnsinnig wurde. Seine Monomanie scheint die gewesen zu fein, daß gefallene Frauen ihre Sünden nur mit dem Tobe büßen könnten. Er ermordete folglich mehrere prostituirte Frauenzimmer in Paris in ähnlicher Weise wie die in Whitechapel getödteten Opfer. Er wurde verhaftet und in ein Irrenhaus für Verbrecher gesteckt. Das geschah vor 16 Jahren. Kurze Zeit vor dem ersten Frauenmorde in Whitechapel wurde er als geheilt entlassen. Wasstlyew soll sich alsdann nach London begeben und mit verschiedenen russischen Flüchtlingen zusammengewohnt haben bis zu dem ersten Frauenmorde in Whitechapel. Seitdem ist er verschwunden und seine Freunde glauben, kein anderer als ihr wahnsinniger Landsmann sei der Mörder.

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Re: Luxemburger Wort
« Antwort #14 am: 29.07.2011 21:24 Uhr »
Luxemburger Wort
30 April 1889
Die Juden in London. Die Gesammtzahl der Juden in London und Umgebung beträgt 55.000, von denen 30.000 in Whitechapel, 10.000 in anderen Theilen des Ostendes und 10,000 im nördlichen und westlichen London leben. Unter den letzteren befinden sich die reichsten Juden Londons, viele mit 100,000 Lstrl. und mehr Vermögen. Außerhalb Londons leben in England 20,000 Juden. Eine große Veränderung ist seit 50 Jahren eingetreten, insofern die reichen Juden aus dem Osten nach dem Westen und Norden der Stadt verzogen sind und so einen Theil ihres persönlichen Einflusses auf ihre Stammesgenossen im Ostende verloren haben. In Folge dessen haben Letztere das Bedürfniß empfunden, eine eigene Föderation zu bilden. Die Kinder der mittleren und höheren Klaffen besuchen die allgemeinen Schulen. Es gibt in London im Ganzen 40 Synagogen, nämlich: 11 bereinigte Synagogen, 2 spanische und portugiesische Kongregationen. 1 Reformsynagoge britischer Juden, 4 unabhängige orthodoxe ober isolirte und 22 föderirte Synagogen, deren Ehrenpräsident Lord Rothschild und deren leitender Präsident der Abgeordnete Montagu ist.