Autor Thema: Jack the Ripper - Pure Fiktion?  (Gelesen 31293 mal)

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Offline panopticon

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #15 am: 14.07.2010 11:32 Uhr »
Hallo KvN!

Da habe ich auch eine Zeit lang nicht ganz durchgeblickt – korrekt ist wohl, wie auch in den meisten Zeitungsartikeln und hier zu finden: http://www.jacktheripper.de/ermittler/warren/ : Warren trat am Donnerstag, dem 8. November 1888 zurück, blieb aber noch einige Wochen im Amt, bis Monro schließlich komplett übernahm – den Korrespondenzen in den Akten zu folge spätestens ab Jänner 1889. Der schlussendliche Grund, warum Warren zurücktrat, dürfte ein vom Innenministerium nicht zuvor genehmigter Zeitungsartikel gewesen sein, den Warren verfasste, um sich für seine generelle Amtsführung vor seinen Kritikern zu rechtfertigen. Mit dem Fall JtR selbst hatte sein Rücktritt jedenfalls im Grunde nicht so viel zu tun, wie man meinen möchte. Es hatte vielmehr politische Hintergründe, zudem dürfte Warren wohl generell ohnedies wieder eine Stellung beim Militär präferiert haben. Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Warren


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panopticon

Offline Lestrade

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #16 am: 14.07.2010 11:42 Uhr »
Nur für dich Kurt :icon_mrgreen:

... ob 8. oder 9. November Kurt, ist fast wurscht, denke ich. Vermute es war der 8. November 1888. Den Rücktrittsersuch hatte er schon vor dem Mord an Kelly erbeten und somit war dieses Ereigniss kein Mitgrund seiner Aufgabe.
Er hatte Ärger mit Matthews vom Innenministerium, beide hatten unterschiedliche politische Gesinnungen. Diese vertraten beide natürlich vehement. Schon im August 1888 hatte er Ärger mit Kollege Munro. Es ging um die Unabhängigkeit der CID und einen Posten für Macnaughten. Munro ersetzte Warren auch nach dessen Rücktritt.
Alles in allem denke ich, war Warren ein sehr fähiger Mann. Dies hatte er in seinem Leben bewiesen. Aber auch er machte Fehler und diese Fehler wiegen bei fähigen Menschen schwerer, aus Sicht der Neider, als ihre eigentlichen herrausragenden Leistungen. Er dürfte also als eine Art "Opfer" zu betrachten gewesen sein. Kurzum, er hatte damals den Kopf nicht frei, bekam keine Unterstützung und konnte nicht so agieren, wie es vielleicht nötig und richtig gewesen wäre. Um es kurz zumachen, möglicherweise beraubte sich die Polizei mit Warren selber und damit um jemanden, den es vielleicht möglich gewesen wäre, den Ripper zu fassen. Dumm gelaufen, denke ich...

Lestrade.
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Offline Lestrade

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #17 am: 14.07.2010 12:11 Uhr »
Auch hier ein Zusatz:

Warren unterstützte auch die Bürgerwehren, was ich für sinnvoll halte, nicht alle waren so eingestellt wie er.

Mit Beginn der Mordserie (und mit Sicherheit schon einige Zeit vorher), verhielten sich einige Verantwortliche, wie die Kinder im Sandkasten, "wer darf mit welchen Schippchen und welchen Förmchen und Eimerchen spielen?" Das war fatal für die Ermittlungen. Und es kreutzte sich mit dem Fall Jack the Ripper. Die haben meiner Meinung garnicht raffen können, was um sie herum passierte. Es gab erste Alarmsignale, Leather Apron, Millwood, Wilson, Smith, Tabram... diese hatte die Öffentlichkeit wohl eher erkannt als die Polizei selber. Und auch während des Beginns der K5 mit Nichols dürften sie immer noch nicht erkannt haben, das Housten ein Problem hat. Erst mit Chapman haben sie meiner Meinung nach, erst den Ernst der Lage begonnen zu begreifen. Die letzten erst durch den Double Event. Kelly hat dann das wahre Ausmaß der Geschehnisse, für alle offengelegt. Und dann war auch "schon" Schluss. Zum Ende der K5 bestand die Möglichkeit, versäumtes wiedergutzumachen. Aber was einmal holprig beginnt, ist schwerlich zu beruhigen. Sie haben das Graffiti entfernt, die Bluthunde nicht eingesetzt und sich nicht mehr mit den Zeitungen, sprich Öffentlichkeitsarbeit gewidmet. Die Briefe zu veröffentlichen war ein Fehler. Sie haben der Bevölkerung niemals signalisiert " Wir sind dran, wir tun alles", dies wäre gut über die Presse gegangen. Sie hätten hier Fähigkeit, Einfluss und Größe suggerieren können. Vielleicht hätten sie auf diese Art entscheidene Informationen erhalten können. Und offenbar ist zumindest bei einem Verdächtigen, die Zusammenarbeit der MET mit der City Police, genauso verquer gelaufen, wie es innerhalb der MET sowieso an der Tagesordnung war. Das macht den katastrophale Zustand damals noch erbärmlicher. Zum Glück dürfte es aber auch einige konzentrierte Beamte ala Swanson gegeben haben...
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KvN

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #18 am: 14.07.2010 12:26 Uhr »
Vielen Dank, die Herren!

Ich muss zugeben dass ich die Auswirkungen der internen Querelen auf die Ermittlungsarbeit wohl unterschätzt habe. Monro und Warren müssen ja mit dem Messer zwischen den Zähnen herumgelaufen sein, vor allem nach Warrens Veto gegen Mcnaghtens Bestellung...Mag sein dass der JtR Fall nicht wirklich der unmittelbare Auslöser für den Rücktritt war, den Eindruck dass er benutzt wurde um Warren zusätzlich unter Druck zu setzen hab ich allemal...

Nochmals THX und Grüße

KvN

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #19 am: 14.07.2010 12:34 Uhr »
Auch von mir ein Zusatz, ein wenig off topic...

Ist es nicht auffällig dass sich nicht nur das Ausmaß der Verstümmelungen steigerte, sondern auch die Radikalität der fotografischen Darstellung? Opfer 1 und 2 wurden hübsch aufgebahrt abgelichtet, friedlich, die Wunden verdeckt. Stride sieht schon eher nach einem Mordopfer aus, und bei Eddowes und Kelly haben wir schon Splatter - Qualität. Mag ja Zufall sein, aber normalerweise macht ein Fotograf nichts ohne Grund...

Grüße

Offline Anirahtak

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #20 am: 14.07.2010 23:34 Uhr »

@ Anirahtak:
´Armenaufstände´ waren aufgrund der Heterogenität der Bevölkerung im East End gar nicht so einfach zu organisieren/initiieren. Eher Streiks, wie der letztendlich zumindest partiell erfolgreiche ´Matchgirls Strike´ im Juli 1888 (http://en.wikipedia.org/wiki/London_matchgirls_strike_of_1888), der wohl u.a. auch von der Hanbury Street aus organisiert wurde. (Womöglich sogar auch mit Hilfe einiger Personen, die auch im International Working Men´s Educational Club in der Berner Street zu finden waren). Eine Menge gewaltbereiter Anarchisten und andere politische Gruppen (wie auch jene, denen Streiks generell ein Dorn im Auge waren) hingegen propagierten da eher die Methodik der Zwietrachtsäung unter den Bevölkerungsgruppen, um bestimmte politische Ziele zu verfolgen – für sie waren die, an gewaltlosen, politischen Mitteln interessierten, sozialistischen Bewegungen, denen auch sehr viele Juden angehörten, klarerweise ein politischer Gegner, den es mit allen Mitteln zu diskreditieren oder zu ´spalten´ galt.


Grüße,
panopticon

Verstehe, nicht nur Reich gegen Arm, sondern auch verschiedene Nicht-Establishment-Gruppen gegeneinander. Gab es denn unter den Anarchisten keine oder deutlich weniger Juden als unter Sozialisten? Und bestand bei ersteren tatsächlich die Bereitschaft, Juden zu diskreditieren, um auf diesem Wege andere politische Ziele zu erreichen? Auf sowas muss man ja auch erstmal kommen, eine Bevölkerungsgruppe aus politischen Gründen mit Serienmord zu diskreditieren.


@ KvN

So gesehen ist mir keine Steigerung bei den Fotos aufgefallen, vielleicht habe ich das dem Steigerungsgrad der Verstümmelungen zugeordnet, der so schon vorhanden ist. Aber bei einem Foto wie bspw. Chapman hatte ich den Eindruck, als hätte man sie eher wie schlafend abgelichtet als wie ein Mordopfer. Ich habe angenommen, das sei irgendwie "viktorianisch guter Ton".

Offline panopticon

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #21 am: 18.07.2010 14:31 Uhr »
Hallo, Anirahtak!

Auf sowas muss man ja auch erstmal kommen, eine Bevölkerungsgruppe aus politischen Gründen mit Serienmord zu diskreditieren.

Wieso das denn? Wenn man sich die Sachlage und das Territorium, auf dem die Morde begangen wurden ansieht, liegt es eigentlich recht nahe, dass der oder die Killer die Anschläge primär verübte/n, um Juden zu diskreditieren. Auf diese Idee kamen auch Warren und andere damals, und sie kannten das Gebiet und die politische Lage wohl besser als viele heutige Ripperologen. Aus meiner Zeit an der Politologie kann ich Dir jedenfalls sagen, dass es gerade in der Zeit, in der die Morde stattfanden (1870er/80er Jahre) so einige ziemlich radikale Ideen bezüglich ´Diskreditierungskampagnen´ gab, zum Teil auch direkt zur Diskreditierung und Destabilisierung des jeweiligen Polizeiapparates selbst. Dass die Mordserie eine Art ´Anschlagscharakter´ aufweist, ist wohl zumindest nicht bestreitbar.

Das mit den ehemals anarchistischen oder sozialistischen Terroristen bzw Abtrünnigen (beide Gruppierungen trennten sich damals gerade ganz bewusst von gewaltbereiten Mitgliedern) ist übrigens nur eine abgewandelte, wesentlich weniger wahrscheinliche Möglichkeit, zu deren näherer Erläuterung mir aber gerade die Zeit fehlt - viel wahrscheinlicher ist als politisches Motiv zu betrachten, dass der oder die Täter in erster Linie judenfeindlich war/en, siehe dazu auch hier: http://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,953.msg19820/topicseen.html#msg19820


Ein drittes, nicht unbedingt von der Hand zu weisendes, politisches Motiv hätten wohl auch radikale Fenians gehabt, und die Iren waren immerhin eine der größten Bevölkerungsgruppen im East End, dazu aber auch vielleicht ein andermal mehr.


Grüße,
panopticon
« Letzte Änderung: 18.07.2010 14:51 Uhr von panopticon »

Offline Lestrade

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #22 am: 18.07.2010 15:05 Uhr »
Das sind enorm wichtige Statements panopticon aber warum sollte ein jüdischer Täter unbedingt von sich und seinen Leuten ablenken?

Inwieweit muss der Glauben an die eigene Religion, einen Menschen nach außen und innen hin, einer totalen Identifizierung mit diesem Glaubensbekenntnis unterliegen lassen? Egal was er glaubte oder woher er kam, er war schwer gestört. Er verstieß sowieso gegen die Regeln jeden Glaubens. So wie er aufgewachsen sein muss, war da nicht viel Platz für einen gesunden Glauben. Mit dem konnte er garnicht konform gehen. Wie denn? Er sollte alles gehaßt haben durch das er geprägt wurde. Wenn er Jude war, dann haßte er auch seine jüdischen Mitmenschen. Tat er wahrscheinlich mit allen Menschen. Er hätte sich nirgendswo wohlgefühlt. Und Serienkiller töten nicht ihre Freundin oder Freunde. Das heißt noch lange nicht, das sie diese auch abgöttisch lieben. Oder denkst du, es hätte einen jüdischen Ripper interessiert, ob ein anderer Jude für seine Verbrechen gehangen worden wäre? Mögen die Gedanken zur Politik oder Glauben in diesem Falle mal immer wieder zur Sprache kommen, eine Rolle spielten sie bei den Verbrechen nicht. Der Ripper war nicht wirklich gläubig, nicht politisch sondern schlicht und einfach sehr krank.
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KvN

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #23 am: 18.07.2010 22:04 Uhr »
Hey, Kölner Kumpel, jetzt sind wir mal ganz klar verschiedener Ansicht! Die politischen, ökonomischen und religiösen Aspekte derart auszuklammern halte ich für grundfalsch! Und nicht zu vergessen, die kulturellen Zeitaspekte...Freue mich auf eine interessante Diskussion!

Grüße

Offline Anirahtak

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #24 am: 18.07.2010 23:46 Uhr »
Hallo panopticon!

Diese Aussage von mir, die du zitiert hast, bezog sich gerade speziell auf Anarchisten vs. Sozialisten. Du hattest ja auch erwähnt bei den Sozialisten seien viele Juden gewesen. Mir erschien es eher abwegig, dass Anarchisten auf diese Weise -über den antisemitischen/rassistischen Weg- den Sozialisten ans Leder wollten, auch wenn sie mit ihnen verfeindet und gewaltbereit waren.

Ansonsten aber kann man natürlich auf den Gedanken kommen, dass jemand Juden schaden wollte. Jemand oder eine Gruppe, bei der Antisemitismus zu den wichtigen politischen Tagesordnungspunkten zählt.



Offline panopticon

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #25 am: 19.07.2010 01:58 Uhr »
Hallo Anirahtak!

Da hast Du auch recht, es ist prinzipiell schon ziemlich abwegig, aber es gibt in diesem Fall schon ein bis zwei (aber natürlich eben extrem unwahrscheinliche!) Möglichkeiten dafür, dass auch ehemalige (!) Sozialisten oder Anarchisten (dann also wohl letztlich vielmehr ´Terroristen´) hinter den Taten gesteckt haben könnten (Ich meinte nicht ´Anarchisten vs. Sozialisten´, das wäre in der Tat absurd, sondern eben so eine Variante.):

Das eine ist ein ähnliches Szenario, wie jenes, das dieser Informant namens Jonas aus Wien nannte, bei dem der Mörder ein irischer Fleischer namens John Kelly (mit einem Komplizen) gewesen sein soll, wie Jonas Charles Warren kurz vor dem Mord an Mary Jane Kelly mitteilte (Die ganze Geschichte befindet sich übrigens im Sourcebook, Kapitel 16): Dieser Mann, der auch ursprünglich wohl dem gewaltbereiten Flügel einer  angeblichen geheimen internationalen Sozialistenbewegung (solche gab es damals nachweislich ja tatsächlich) angehört haben soll, wurde aus der Vereinigung ausgeschlossen, weil er Mitglieder in Diskredit gebracht hatte – das Motiv dieses Kelly, der schon zuvor seine Freundin und ihr Kind in Amerika getötet haben soll (also scheinbar ohnedies eine mehr kriminell als politisch motivierte Figur), wäre demnach also Rache an ehemaligen Mitstreitern gewesen. So ein Szenario klingt natürlich unglaublich, ist aber tatsächlich auch nicht ganz auszuschließen, und Warren meinte dazu auch: : ´Wie Mr. Matthews weiß, habe ich vor einiger Zeit zu der Idee, die Morde könnten möglicherweise von einer geheimen Gesellschaft verübt worden sein, als einzige logische Lösung der Frage tendiert, aber ich würde es nicht als Werk eines Sozialisten verstehen, da die letzten Morde offensichtlich von jemandem begangen wurden, der es ersehnte, Juden und Sozialisten oder jüdische Sozialisten in Diskredit zu bringen. Aber durch den  Wink des Informanten haben wir eine Lösung, bei der sie von einem abtrünnigen Sozialisten begangen wurden, um seine früheren Kameraden in Diskredit zu bringen.´


Bezüglich der zweiten aber natürlich ebenfalls recht unwahrscheinlichen Möglichkeit habe ich neulich erst etwas ziemlich merkwürdiges entdeckt:

The Star vom 14. September 1888 enthält eine eigenartige Ankündigung, die ´beispiellos in der jüdischen Geschichte sei´, und wohl dem ´Arbeter Fraint´ entnommen war: Im ´International Working Men´s Club´ in der Berner Street (ja, genau der Club mit dem Dutfield´s Yard!) luden ´jüdische Sozialisten und Freidenker´ für den nächsten Tag (also dann 15 Tage vor dem Mord im Hof des Clubs) zu einem internationalen Bankett als ´Protest gegen die jüdische Religion und den Versöhnungstag´ ein. Die Ankündigung habe unter den orthodoxen Juden für Aufregung gesorgt, schreibt das Blatt, und es würde Gerüchte über eine Störaktion geben. Die Mitglieder des Clubs seien darauf vorbereitet und würden nicht die Hilfe der Polizei in Anspruch nehmen, um eine solche Aktion zu unterbinden. (Du findest den Artikel hier unter ´Freethinking Jews and the Black Fast´ : http://www.casebook.org/press_reports/star/s880914.html)

Was hier beabsichtigt wurde, ist mir nicht ganz klar, dazu fehlt mir aber wohl auch das Wissen über Jom Kippur, der hier gemeint zu sein scheint, oder bezieht sich das auf ´black fast´ (???). Dass die orthodoxen Juden generell nicht für revolutionäre Ideen zu gewinnen waren, und dadurch auch nicht unbedingt für einen tatsächlichen Klassenkampf zu gewinnen waren, ist eigentlich anzunehmen, und diese Veranstaltung scheint eine Art Protest dagegen gewesen zu sein, wenn ich das richtig sehe(???). Dass man sie aber mittels einer ´Diskreditierungskampagne´ und die dadurch entstehenden judenfeindlichen Reaktionen zum politischen Handeln zwingen wollte, kann ich mir – genauso wie Du - nicht vorstellen, daher halte ich diese Möglichkeit eben auch für sehr, sehr gering bis eben komplett unvorstellbar.

Generell wären also, wie Du ja geschrieben hast, Antisemiten wesentlich wahrscheinlicher – ich wollte nur auf alle Möglichkeiten hinweisen, egal wie unwahrscheinlich sie sind. ;)



@Lestrade:
Auch die psychische Störung, die Du schon mehrfach in Spiel gebracht hast, hat politische Hintergründe. (Zitat: ´Er sollte alles gehaßt haben durch das er geprägt wurde.´) Genau solche Fälle haben wir deshalb an der PoWi auch im Bereich Sozialpsychologie u.a. analysiert. Also dass der Täter nicht ´politisch´ war, stimmt auch bei Deiner Konstruktion (!) einfach nicht – Auch Prostituiertenhasser z. Bsp. sind letztlich politisch motiviert... Es gibt natürlich einige wenige Möglichkeiten, dass wir es hier nicht mit einem letztlich zumindest irgendwie politisch motivierten Täter zu tun haben, allerdings wäre eine solche Person in Anbetracht diverser Umstände in diesem Fall wohl ziemlich sicher ´red handed´ gefasst worden...

Eines ist ja, und ich denke, Du pflichtest mir da bei, auf jeden Fall klar: Keine einzige Beschreibung, die Zeugen lieferten, deuten eindeutig auf einen Juden hin: keine Peyes, kein Vollbart, keine Kippah, kein Stramel, gar nichts der gleichen! (Die meisten jüdischen Zeugen in diesem Fall wiesen zum Beispiel den bekannten Bildern zufolge den durch die Halacha an sich (mit Bezug auf das alttestamentarische Gebot, dass man das Haar am Haupt nicht rundherum abschneiden solle) vorgeschrieben Vollbart auf: Piser, Schwartz, und auch zumindest einer der drei Herren aus der Duke Street.) Gerade wenn der Täter auch irgendwie extrem verwahrlost war, wie das von Aaron Kosminski behauptet wurde, hätte er doch wohl gesamt einen längeren Bartwuchs gehabt, als da in den Zeugenbeschreibungen geschildert wurde. Stattdessen wirken die Personen hinter einigen Beschreibungen wie etwas heruntergekommene Einheimische, andere wiederum aus subjektiver Sicht der jeweiligen Zeugen zwar irgendwie ´ausländisch´, aber niemand hat eindeutig etwas beschrieben, das auf einen Juden hinweist! Zu alledem soll einer der möglichen Mörder im Affekt (!) und vermutlich auf Schwartz gerichtet, auch noch irgendetwas Ähnliches wie ´Lipski´ gebrüllt haben... Apropos Lipski: Der ´East London Observer´ vom 15. September 1888 wies mit Bezug auf die Ausschreitungen nach dem Mord an Chapman darauf hin, dass seit der Rückkehr der Juden im 17. Jahrhundert nach England gerade einmal zwei Juden wegen Mordes gehängt  wurden, nämlich Marks und Israel Lipski – Ich bin dem nachgegangen und habe bisher auch noch keinen weiteren gefunden, den man als Mörder bezeichnen könnte -  um ehrlich zu sein nicht einmal diesen Herrn ´Marks´, was durchaus am nicht erwähnten  Vornamen liegen könnte. In Anbetracht dessen muss man festhalten, dass die judenfeindlichen  Aktionen, die schon der Lipski-Prozess im Jahr vor den ´Rippermorden´ mit sich zog, ja noch ekelhafter und unglaublicher sind, als ohnedies schon angenommen!  Unbegründbarer, auf Vorurteilen basierender Zündstoff war also auf jeden Fall vorhanden, aber dass der Täter ein Jude war, ist wohl nicht sonderlich wahrscheinlich.


Grüße,
panopticon
« Letzte Änderung: 19.07.2010 02:42 Uhr von panopticon »

Offline Lestrade

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #26 am: 19.07.2010 11:05 Uhr »
Guten Morgen panopticon!

Vielen Dank für deine Ausführungen und Informationen. Hochinteressant das ganze und bin nun endlich froh deine ganz spezifische Meinung dazu zu hören. Leider musste ich den "radikaleren Weg" suchen, alle anderen Aspekte "ausschließen", um die erhoffte Reaktion von dir zu bekommen. Dein Wissen, deine Vorgehensweise und deine Meinung sind hier in unserer "Ermittlergruppe" sehr wichtig und gefragt, ich denke viele pflichten mir bei.

Mein Zitat:

"Er sollte alles gehaßt haben durch das er geprägt wurde", wird sich im Falle eines jüdischen Täters eben auf sein eigenes, jüdisches Umfeld bezogen haben. Bleibst du bei der Mutter, seiner möglichen Schwestern oder einer Oma, dann wird er diese jüdischen Frauen gehaßt haben können. Getötet hätte er dann Frauen englischer, irischer oder schwedischer Herkunft, vielleicht auch walisischer. Lag vielleicht daran, das er solche "gefallenen" Frauen in seiner Religionsgruppe nicht wieder fand oder dies ihm sein Glauben verbot, "eigene" Frauen zu töten. Dennoch, da muss ich dir beipflichten, ein "jüdischer" Serienkiller wäre unglaublich... selten...bis garnicht möglich...dachte ich auch schon oft drüber nach...

Aber es gab eben den "jüdischen Verdächtigen" eines Anderson, Macnaughten und Swanson. Dies ist eine Tatsache. Für Anderson war es glasklar, für Macnaughten gab es "many circs" und ein "strong suspect", für Swanson wurde dieser Mann identifiziert, von eben einem jüdischen Zeugen und genau das "Jude sein", zerschoss die Überführung dieses Mannes. Und es gab einen extrem, gewaltbereiten Juden, der nicht zu händeln war in Colney Hatch, der genau jenem Mann glich, wie von den drei Ermittlern beschrieben. Und die Serie endete nach seiner Feststellung... zumindest ersteinmal und wiederholte sich so auch nicht wieder...

Dieser Mann soll "deutsch" gesprochen haben (das wenige Zeug, das er von sich gab). Und er war nicht allein Jude, er soll auch Pole gewesen sein. Pole war er vor allen Dingen, denke ich. Aber vielleicht kam er auch aus dem deutschen Bereich oder dem holländischen. Selber gesagt hat er garnichts. Nicht jeder geflohene Pole war Jude, man musste nicht zwangsläufig deswegen in London landen. Es gab sicherlich auch normale Wege oder es reichte aus, wenn man mit den Juden sympathisierte, um sich vom Acker machen zu müssen. Deswegen muss man nicht als Bilderbuchjude durch London laufen. Ich bin mit ´ner Menge Moslems befreundet panopticon, nahe der polnischen Grenze aufgewachsen (und die Polen waren da gläubig, glaube mir) aber was du beschreibst ist Klischee, das ich in meinen Erfahrungen (und andere mögen mir beipflichten) nicht oder nur ganz selten antreffe. Wenn dieser Täter ein Jude war, war er so oder so kein Vorzeigejude, denke ich.

Ich grüße dich herzlichst,

Lestrade.
« Letzte Änderung: 19.07.2010 15:00 Uhr von Lestrade »
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Offline panopticon

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #27 am: 19.07.2010 17:49 Uhr »
Danke, Lestrade!

Ich weiß schon, was Du sagen wolltest, und ich schließe das von Dir genannte Szenario ja auch nicht aus – wie auch? Bin dem ja selbst auch sehr lange nachgegangen und einiges unterstützt diese Theorie ja auch, und sie ist nach wie vor wahrscheinlicher als viele andere. (Ich wiege mögliche Motive / Szenarien auch nur gegeneinander ab - sich auf eines festzulegen, ist ohnedies nicht möglich.) Es war mir nur mal wichtig, als gemeinsamen Nenner explizit festzuhalten, dass es zumindest keine Beschreibung gab, die definitiv auf einen religiösen Juden als solchen hindeuten würde. Damit wollte ich keine Klischees aufwerfen, sondern das nur mal ganz eindeutig feststellen. Ich habe gute Freunde in allen großen Religionsgemeinschaften, und niemand von ihnen würde diverse jeweils damit in Verbindung stehende Klischees erfüllen, zumindest außerhalb ihrer eigentlichen Religionsausübung.
Was ich eben auch noch feststellen wollte: Eine Person, die überschnappt, muss sich deshalb aber zum Beispiel auch noch lange nicht plötzlich rasieren...


Mal unabhängig von der Wahrscheinlichkeitsfrage -  Ich habe neulich wieder was gesehen, was gerade Dich interessieren wird, zumal es Dir ja doch generell wichtig erscheint,  Dein ´Favoritesuspect ´ zumindest eventuell zu ´tracken´, auch wenn wir bezüglich der ´Täterwahrscheinlichkeit´ dieser Person wohl anderer Meinung sind. ;)  Wenn Du das Sourcebook hast, schau doch mal auf Seite 310, (beziehungsweise - falls andere Ausgabe - in die Petition der Geschäftsleute, die u.a. aufgrund der Morde bei der Exekutive um mehr Schutz angesucht haben, Kapitel 12) – 14. Name von unten (wenn ich mich nicht verzählt habe, bei einer anderen Ausgabe müsstest Du wohl leider die ganze Liste durchgehen und nach bekannten Namen suchen) – auch die dazugehörige Adresse ist nicht uninteressant, was diverse Berichte über den Double Event betrifft. Keine Ahnung, ob es Dir irgendwie nützlich sein kann - ich wollte nur darauf hingewiesen haben. Solltest Du das Sourcebook  nicht haben, sag Bescheid. Wenn Du was damit anfangen kannst, postiere es halt für alle im betreffenden Faden dazu, wenn nicht, denke ich, wird es wohl nicht wichtig sein.



Liebe Grüße,
panopticon

Offline Lestrade

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #28 am: 19.07.2010 18:21 Uhr »
Lieber verehrter panopticon!

DU bist mein Sourcebook. Ich hab kaum was zum nachlesen. Ich bin ein purer Theoretiker und das meiste hier, was ich schreibe, entspringt meiner puren Fantasie, ich saug es mir aus den Fingern, ich leiere es mir aus den Rippen, kurzum ich spinne es mir aus. Ich muss mir das meiste selbst erfinden um überhaupt mitreden zu können. Das ist echt anstrengend also bitte poste diese Geschichte da, wobei ich mir fast denken kann was nun kommen wird...

Mein wirkliches Jack the Ripper Wissen, baut sich auf Thomas Schachner´s Buch auf und was ich so im Casebook fand. Mittlerweile reihst du dich bei denen mit ein. Den Rest denk ich mir zusammen. Muss ich ja, bis du mit irgendwas herausrückst...

Bewundernde Grüße,

Lestrade.
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Offline panopticon

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #29 am: 19.07.2010 21:18 Uhr »
Nanana, jetzt übertreib mal nicht! 
Erstens findest Du auch ständig Dinge, die ich davor überhaupt noch nie gesehen habe, und zweitens sind Deine Recherchen und Gedanken wirklich wahnsinnig interessant, umfassend und inspirierend! Generell denke ich, im Moment sind wirklich spannende Debatten im Gange und alle ergänzen sich mit ihren Gedanken, Recherchen und ihrem Wissen wirklich gut – Macht echt Spaß! :icon_thumb:

Wollte die Info nicht zurückhalten, habe mir nur gedacht, falls Du das Buch hast (wovon ich ausging, weil Du doch oft die Originalquellen zitierst) und dem nachrecherchierst, kannst Du aufgrund Deiner Cohen-Spezialisierung vielleicht insgesamt gleich mehr herausholen als ich, und die Ergebnisse dann gesamt posten. Zudem ist es womöglich eben auch gar nicht allzu wichtig.

Nun aber wieder zurück zum Thema.


Best regards,
panopticon