Autor Thema: Jack the Ripper - Pure Fiktion?  (Gelesen 31499 mal)

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KvN

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Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« am: 09.07.2010 22:02 Uhr »
Hallo zusammen!

Möchte hier die Diskussion fortführen, die ich mit panopticon im Faden "Ein Polizist als Tatzeuge" begonnen habe...
Es passt nix zusammen in der Causa JtR. Abweichende Zeugenaussagen, unmögliche Timelines (wie meiner Meinung nach im Fall Eddowes), divergierende Ansichten der ermittelnden Behörden. Panopticon stellt zur Diskussion dass wir eventuell einem generellen Denkfehler bei der Beurteilung des Falles unterliegen, auch ich ziehe diese Möglichkeit ja seit geraumer Zeit in Erwägung. Hätte es JtR nicht gegeben, man hätte ihn erfunden. Die Tendenz dazu ist den zeitgenössischen Druckmedien zweifelsfrei zu entnehmen. Aber vielleicht ging - wer auch immer - noch einen Schritt weiter...Kann es sein dass jämmerlich zu Grunde gegangene (es herrschte kein Mangel daran im East End) als Opfer eines Serienmörders drapiert wurden? Einfach weil man einen Fokus für den "Volkszorn" brauchte?
Die Menschen in Whitechapel starben wie die Fliegen, Gewaltverbrechen aller Art waren - wie bereits nachgewiesen - keine Seltenheit. Der Fall JtR fand aber kaum erklärbares Interesse, national, international, bis hinauf in die höchsten Kreise...In Erwartung heftigster Widersprüche verbleibe ich mit den üblichen

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Floh82

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #1 am: 10.07.2010 00:20 Uhr »
Interessanter, ja sogar sehr interessanter Gedanke!

Aber die Frage ist dann doch: Die ähnlichen Muster....wie kam das zustande? Trittbrettfahrer? Kann das sein, dass in diesen Abständen 5 oder mehr Täter Morde begehen die sich in einigen Dingen so sehr ähneln? Oder betrachten wir die Dinge wirklich falsch...extrem falsch.

Wie gesagt:
Sehr interessanter Gedanke!

Offline Lestrade

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #2 am: 10.07.2010 12:09 Uhr »
Ich weiß nicht Kurt!

Außerhalb 5-6 Opfern, von August 1888 bis November 1888, gab es sicherlich weiterere Taten, in einem bestimmten Zeitraum, die man dem Ripper gerne zuordnen möchte. Der Mann der aber Nichols, Chapman, Stride, Eddowes und Kelly sowie möglicherweise Tabram tötete, sollte ein und der selbe Mann gewesen sein. Ein Serienkiller, dem man dem Namen Jack the Ripper gab. Ich stimme mit dir nicht überein was unterschiedliche Zeugenaussagen angeht, einige Beamten waren sich wohl einig, was den möglichen Täter anbelangte, die Timeline ist annähernd korrekt und eine Menge passt dennoch. Wo ist dort eine Fiktion? 5-6 Prostituierte wurden ermordet und verstümmelt. An gewissen Tagen, auf eine gewisse Art und Weise, an gewissen Orten. Das sind Tatsachen, die ein Mann zu verantworten hatte. Jenen, den wir Jack the Ripper nennen.

Wo betrachten wir es falsch?

Ich denke, in den ganz "normalen" Verhaltensweisen der Menschen, die um diesen Verbrecher herum lebten, agierten, mit ihm zu tun hatten, ihn fangen sollten.

Wer fängt diesen Mann? Die MET oder die City Police? Selbst in jeder Einrichtung gab es genug Eifersüchteleien, Probleme und dann gesellte sich die Konkurrenzsituation dazu. Nicht das sie die Szenerei komplett beherrschte, nein, aber sie war enorm hinderlich. Es entstandt kein Fluss zwischen den Einheiten.

Das zweite ist die Verbindung der jüdischen Völkergruppe mit den Ereignissen. Sie hätten einen möglichen Täter nie ausgeliefert. Das weiß hier jeder von uns. Und schon garnicht unter den damaligen Bedingungen im East End. Ein Lawende war nicht dumm, er sah einen Mann, mehr nicht, dafür wird niemand gehangen. Schwartz zog seine Aussage zurück. Sollte die Anekdote von Nathan Shine stimmen, war er der zweite Mann in der Berner Street, nicht aus dem Pub kommend, sondern in der Straße einbiegend, kurz verharrend vorm dortigen Eingang, um seine Pfeife zu entzünden. Er hatte Angst vor Repressalien. Warum? Weil der Mann, den er sah, Jude war. Er ging deshalb nicht zur Polizei, meiner Meinung nach. Alle 3 Männer in dieser Situation waren Juden. Lipski... Joseph Hyam Levy sah auch mehr als er zugab...

Der Ripper wurde meiner Meinung nach bereits geschützt von seinen Leuten, bevor er der Ripper wurde. Und er wußte, er wird geschützt. Ein unter seinen Leuten kranker Typ, der diese Neigungen schon länger gezeigt haben muss. Irgendwann war er nicht mehr zu kontrollieren. Und solange er nur "englische" Prostituierte tötete... Ein sexuell Wahnsinniger auf freien Fuss, nicht immer aber im Herbst 1888 schon...

Eine fatale Situation für alle Beteiligten. Am Ende ist man vielleicht einer äußerst dramatischen Situation aus dem Weg gegangen. Und vielleicht lief genau deshalb alles so, wie es gelaufen ist und der Ripper verschwand ganz heimlich von der Bühne Whitechapel...

Gott sei Dank.

Liebe Grüße,

Lestrade.
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KvN

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #3 am: 10.07.2010 14:18 Uhr »
Hallo zusammen!

Die ähnlichen Muster...hhhmmm...gute Frage! Ohne mich da in Verschwörungstheorien ergehen zu wollen: Könnten die Ähnlichkeiten bei der Tatbegehung eventuell Absicht gewesen sein? Einer Gruppe die größtes Interesse am Entstehen des Mythos JtR hatte? Immerhin - und davon gehe ich nicht ab - der Fall JtR entstand in den Medien, zahlreiche Leute leisteten ihren Beitrag durch fingierte Bekennerbriefe und auch durch Geständnisse. Vielleicht auch durch ein kleines Arrangement am Tatort? Was sollte das Affentheater im Miller´s Court für einen anderen Sinn haben, als maximale Aufmerksamkeit zu erregen?

Nun, Lestrade, vielleicht hast du ja recht, die Taten wurden von einem Mann begangen, eben "unserem" Ripper. Die scheinbaren Unmöglichkeiten sind auf Zufälle zurückzuführen, ich halte das keineswegs für unmöglich. Dass die jüdische Gemeinde sich derart mit dem Täter solidarisierte kann ich mir zwar nicht vorstellen, aber das sagt nix. Immerhin, Mord ist auch im jüdischen Glauben eine Todsünde und muss adäquat bestraft werden, auf der anderen Seite war da sicher die Angst vor einem Pogrom.

Schwierig das alles, vor allem bei 37 Grad im Schatten den es ned gibt...

Grüße

Offline panopticon

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #4 am: 10.07.2010 20:32 Uhr »
Hallo.

Wo mögliche generelle Denkfehler nun genau liegen könnten, ist klarerweise fraglich, aber ich denke, dass es doch so einige geben könnte. Prinzipiell gehe ich natürlich schon von einer Mordserie aus, und auch davon, dass stets nur ein und dieselbe Person die Verstümmelungen an den Opfern vornahm (nicht jedoch automatisch auch, dass sie allein unterwegs war), aber die Überlegung, dass gerade zweiteres nicht so gewesen sein könnte, ist schon sehr interessant! Die in Anbetracht der räumlichen und zeitlichen Tatumstände übertriebene Aufmerksamkeit, welche die Theorie eines ´primär sexuell gestörten Einzeltäters´ bis heute genießt, halte ich, wie ja schon im anderen Faden erwähnt, zum Beispiel definitiv für die Basis eines möglichen (!) generellen Denkfehlers. Das wurde letztlich von den Medien propagiert, wie KvN schon erwähnte. Es entstammt ursprünglich wohl neben diversen ohnedies nicht authentischen Bekennerschreiben u.a. auch der Meinung der damaligen Ärzte über die mögliche Art der psychischen Störung des Täters, vor allem aber auch über die Tatwaffe - und die Aufgabe der Ärzte war es ja gerade nach dem Mord an Tabram, fortan stets genau zu untersuchen, wie viele Tatwaffen bei weiteren Morden jeweils zum Einsatz kamen. Bis zum Mord an Nichols vermutete man ja eigentlich ohnedies unterschiedliche Personengruppen hinter den Morden an Smith und Tabram, was in diesen nicht wirklich vergleichbaren Fällen ja auch alles andere als unschlüssig ist. 


@ Lestrade:
Sorry, aber dass die jüdische Gemeinde einen eindeutig identifizierten Täter nicht ausgeliefert hätte, halte ich für ein beliebtes, weit verbreitetes Volksmärchen. Da halte ich es für wahrscheinlicher, dass die Polizei selbst zumindest gezögert hätte, einen sogar tatsächlich überführten Juden offiziell als Täter zu nennen. Dass sich Einzelpersonen generell weigerten, lediglich aufgrund einer womöglich letztlich nur fehlinterpretierten Beobachtung, offiziell als einzige Belastungszeugen aufzutreten, ist für mich in Anbetracht des zu erwartenden Strafmaßes absolut nachvollziehbar – und zwar unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis. Zudem sprechen die Schauplätze und Umstände in der Nacht des ´Double Event´ eigentlich doch eher für ein antisemitisches Motiv, als für einen verrückten Juden...


@ KvN: Die Plausibilität von ´Verschwörungstheorien´ kann ja recht variieren, insofern sollten wir der Frage nach möglichen ´Nutznießern´ schon mal durchaus nachgehen - Bestimmten Personengruppen kam das Erscheinen  des ´mysteriösen Mörders´ und das damit verbundene mediale Interesse wohl zumindest nicht ´ungelegen´. Mal abgesehen von generell gewaltbereiten, radikalen, politischen Gruppen und diversen allgemeinen Gang- und Zuhältertheorien - Was wissen wir eigentlich zum Beispiel über den Criminal Law Amendment Act von 1885, der unter anderem der ´suppression of brothels´ dienen sollte? (http://en.wikipedia.org/wiki/Criminal_Law_Amendment_Act_1885) Wie weit  wurden die Bordelle damals dadurch tatsächlich ´unterdrückt´ / ´verdrängt´? Was wissen wir über die ´Society for the Suppression of Vice´? (´Gesellschaft zur Unterdrückung von Laster´: http://en.wikipedia.org/wiki/Society_for_Suppression_of_Vice) – vielleicht doch auch irgendwelche Radikale dort?


Grüße,
panopticon
« Letzte Änderung: 10.07.2010 20:48 Uhr von panopticon »

Offline Anirahtak

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #5 am: 11.07.2010 01:07 Uhr »
Hallo zusammen!

Möchte hier die Diskussion fortführen, die ich mit panopticon im Faden "Ein Polizist als Tatzeuge" begonnen habe...
Es passt nix zusammen in der Causa JtR. Abweichende Zeugenaussagen, unmögliche Timelines (wie meiner Meinung nach im Fall Eddowes), divergierende Ansichten der ermittelnden Behörden. Panopticon stellt zur Diskussion dass wir eventuell einem generellen Denkfehler bei der Beurteilung des Falles unterliegen, auch ich ziehe diese Möglichkeit ja seit geraumer Zeit in Erwägung. Hätte es JtR nicht gegeben, man hätte ihn erfunden. Die Tendenz dazu ist den zeitgenössischen Druckmedien zweifelsfrei zu entnehmen. Aber vielleicht ging - wer auch immer - noch einen Schritt weiter...Kann es sein dass jämmerlich zu Grunde gegangene (es herrschte kein Mangel daran im East End) als Opfer eines Serienmörders drapiert wurden? Einfach weil man einen Fokus für den "Volkszorn" brauchte?
Die Menschen in Whitechapel starben wie die Fliegen, Gewaltverbrechen aller Art waren - wie bereits nachgewiesen - keine Seltenheit. Der Fall JtR fand aber kaum erklärbares Interesse, national, international, bis hinauf in die höchsten Kreise...In Erwartung heftigster Widersprüche verbleibe ich mit den üblichen

Grüßen 
Wenn du "man" schreibst, denkst du an den Personenkreis, der nicht das geringste Interesse an Armenaufständen hatte und diese Energien lieber in eine andere Richtung kanalisieren wollte, richtig?

Dass Tote drapiert werden, nun ja, sowas kommt vor, man denke an den "Überfall auf den Sender Gleiwitz". Was hältst du von der Variante, dass es den Ripper tatsächlich gab und oben erwähnter Personenkreis diesen Fall nutzte, um das Volk abzulenken? Dazu müsste man auch wissen, wie das Verhältnis zwischen den Medien und den Mächtigen war. Ich weiß es leider nicht.

Ich glaube, wir hatten das schon einmal. Ich meine immer noch, dass die Erklärbarkeit des starken Interesses darin liegt, dass es kein "gewöhnliches" Verbrechen wie zB Raubmord war und man sich damals noch weniger als heute das Phänomen Serienmord erklären konnte.

"Es passt nix zusammen..." Es fehlen auch viele Akten, von daher wäre es verwunderlich, wenn mit dem vorhandenen Material alles stimmig wäre. Zeugen irren sich oder machen bewusst falsche Angaben, aus Gründen, die nur mit ihnen selbst zu tun haben, nicht mit dem Geschehen an sich.

Der Ripper als eine Person, deren Name nie in einer Akte aufgetaucht ist (auch nicht in den verlorenen); Zeugenaussagen, die nicht alle korrekt sein müssen - unter solchen Voraussetzungen will ich "Denkfehler" auch nicht ausschließen.

Offline Lestrade

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #6 am: 11.07.2010 12:40 Uhr »
Lieber panopticon!

Volksmärchen

...unterliegen u.a. dem Versuch, Rätsel zu lösen. Und damit beschäftigen wir uns ja hier bzw. versuchen es.

Das die Polizei selber gezögert haben könnte, da stimme ich mit dir überein. Sie hatten nicht gerade alles fest im Griff und hätten im Fall der Fälle, sicherlich einer weiteren Überforderung gegenübergestanden.

dass stets nur ein und dieselbe Person die Verstümmelungen an den Opfern vornahm (nicht jedoch automatisch auch, dass sie allein unterwegs war), aber die Überlegung, dass gerade zweiteres nicht so gewesen sein könnte, ist schon sehr interessant!

 
In der Tat.

@Kurt:

Dass die jüdische Gemeinde sich derart mit dem Täter solidarisierte kann ich mir zwar nicht vorstellen

... dafür aber einige andere, schwer vorzustellende Möglichkeiten?

Sicherlich hätten das nicht alle getan, damals nicht und heute auch nicht aber solange wir nicht wissen, wie sein Umfeld strukturiert gewesen sein könnte, bleibt das eine Möglichkeit. Ich rede auch nicht von 1000 Leuten, sondern vielleicht von 10-20. Und genug Hosenscheißer in jeder Bevölkerungs- oder Glaubensrichtung gab es immer, gibt es und wird es immer geben ohne das in unserem Falle, diese Personen mit dem Mann zu tun hatten und nur Zeugen waren. Jener Verdächtige soll ein "bekannter Irrer" gewesen sein. So bekannt, das wir nicht wirklich wissen wie er hieß. Sei er der Ripper gewesen oder nicht. Entweder waren die Behaupter dieser Aussage absolute Spinner oder eine Reihe von Menschen hielten dicht, wie einst die Abwehr von Inter Mailand und Juventus Turin. Du kannst es dir ja aussuchen...

 @Anirahtak:

"Es passt nix zusammen..." Es fehlen auch viele Akten, von daher wäre es verwunderlich, wenn mit dem vorhandenen Material alles stimmig wäre. Zeugen irren sich oder machen bewusst falsche Angaben, aus Gründen, die nur mit ihnen selbst zu tun haben, nicht mit dem Geschehen an sich.

Der Ripper als eine Person, deren Name nie in einer Akte aufgetaucht ist (auch nicht in den verlorenen); Zeugenaussagen, die nicht alle korrekt sein müssen - unter solchen Voraussetzungen will ich "Denkfehler" auch nicht ausschließen.


Bemerkenswert formuliert.

Liebe Grüße,

Lestrade.
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KvN

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #7 am: 11.07.2010 18:11 Uhr »
Hi, Kölner Kumpel!

Nur um es klarzustellen: Ich halte die Idee de jüdischen Verdächtigen, der von seinem seinem "Clan" beschützt wurde, für mindestens genauso interessant und verfolgenswert wie meine Spinnereien! Die Connection Joseph Levy - Jacob Levy ist für mich nach wie vor total heiss...

Mah, es macht total Spaß mit euch zu diskutieren!

Grüße

Offline Lestrade

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #8 am: 12.07.2010 14:33 Uhr »
Ja Kurt, das tut es  :icon_biggrin: ...

Katharina´s Worte beschäftigen mich gerade. Der Teil, von dem wir wissen und der Teil, der uns verborgen bleibt, jenen leeren Raum, den wir mit Theorien auszufüllen versuchen, immer mit der Ungewissheit, wie weit diese Logik eigentlich reicht oder vertretbar oder wahrscheinlich ist. Und vorallem, wie weit sie uns von der Wahrheit entfernt halten und ob nicht 1-2 neue "Entdeckungen" (Unterlagenmäßig), alles auf den Kopf stellen würden oder einfach nur Denkweisen bestätigen könnten. Wir entwickeln Theorien, auf der Basis vorhandenen Materials und obwohl diese Theorien bemerkenswert sind, so könnten sie am Ende nichts bedeuten. "Denkfehler" die im leeren Raum entstehen. Diese einfachen Sachen, wie das Datum der Seaside- Gegenüberstellung, der Zeuge in dieser Angelegenheit, der oder die Namen der Observierten von Sagar und Cox, dazu das Geschäft in der Butcher´s Row, die "wahre" Verdächtigenliste der Polizei, die Untersuchung der Schlächter und ihren Angestellten und Anverwandten, die Gegenüberstellung der Matrosen, die aufgenommenen Taten des Leather Apron, weitere Zeugen, Macnaughten "many circs", der PC und und und...

Leider müssen wir verharren und können nur hoffen, das uns eines Tages ein neues Stück "Beweis", weiterhelfen kann...

Lestrade.
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KvN

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #9 am: 12.07.2010 21:39 Uhr »
Auch mir geht der Eddowes Fall nicht wirklich aus dem Kopf...
Bewerten wir die Sichtung von Joseph Levy und Co. als seriös - und momentan sehe ich nichts das dagegen spricht - so hätte JtR 10 Minuten Zeit gehabt um:

Von der Church Passage zum Ripper´s Corner zu gelangen
Eddowes zu töten
Ihr die Vestümmelungen zuzufügen, inkl. der sauberen Entnahme einer Niere
Ihre Schürze zu zerteilen
Sein Handwerkszeug wieder wegzupacken
Sich so rechtzeitig vom Acker zu machen, dass er nicht von Watkins überrascht wird

Das geht ganz einfach nicht, das ist vollkommen unmöglich! Selbst wenn wir Faktoren wie Ungenauigkeiten bei den Zeitangaben in Betracht ziehen, ja selbst wenn wir die Zeit verdoppeln, das geht sich nicht aus.

Ich gehe noch einen Schritt weiter: Levy und Co. haben sich geirrt, die Person verwechselt. Schliesslich hat sie Lawende ja nur an der Kleidung identifiziert, und die war typischer Whitechapel - Underdog Style. Eddowes verließ die Polizeiwache um 1Uhr, konnte also gegen 1Uhr 10 am Mitre Square sein. Nehmen wir an dass sie sofort auf JtR traf, rechnen wir nur ein paar kurze Minuten für ein Eröffnungsgeplänkel und für den gemeinsamen Weg. Würde bedeuten: Eintreffen am Tatort zwischen 1, 15 und 1,20. D.h.: Auch bei straffstem Zeitablauf blieben JtR keinesfalls mehr als 25 Minuten, eher weniger. Aber die facialen Verstümmelungen und die Aktion Schürze deuten auf einen Täter hin, der Zeit hatte oder zumindest glaubte Zeit zu haben... Es passt ganz einfach nicht zusammen...

Grüße

Offline panopticon

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #10 am: 13.07.2010 01:36 Uhr »
Hallo KvN!

Weiß nicht, ob Du es schon gelesen hast, aber ich habe etwas über die Zeitverhältnisse am Mitre Square in einem anderen Faden gepostet, zumal es dort meiner Meinung nach besser aufgehoben ist, nämlich hier: http://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,149.msg19739/topicseen.html#msg19739


Zur ´Fiktion´: Wie hoch ist eigentlich die Chance, dass es gerade diverse populäre Konstruktionen vom Täter waren, die zum Ende der Mordserie führten? Wenn ein Täter zum Beispiel eigentlich eine bestimmte Personengruppe (sagen wir beispielsweise mal Juden) diskreditieren wollte – kann es nicht sein, dass er mit diversen zum teil stark divergierenden, öffentlich publizierten Tätervorstellungen bzw auch Bekennerschreiben ein Problem bekam, weil sie letztlich sein eigentliches Ziel unterwanderten und den Fokus auf die Personengruppe, die er eigentlich belasten wollte, ´verwässerten´? Kann es nicht sein, dass Warren vielleicht doch genau das Richtige tat, als er das Graffito entfernen ließ? Mal nur als weitere Diskussionsbasis.
 
@ Anirahtak:
´Armenaufstände´ waren aufgrund der Heterogenität der Bevölkerung im East End gar nicht so einfach zu organisieren/initiieren. Eher Streiks, wie der letztendlich zumindest partiell erfolgreiche ´Matchgirls Strike´ im Juli 1888 (http://en.wikipedia.org/wiki/London_matchgirls_strike_of_1888), der wohl u.a. auch von der Hanbury Street aus organisiert wurde. (Womöglich sogar auch mit Hilfe einiger Personen, die auch im International Working Men´s Educational Club in der Berner Street zu finden waren). Eine Menge gewaltbereiter Anarchisten und andere politische Gruppen (wie auch jene, denen Streiks generell ein Dorn im Auge waren) hingegen propagierten da eher die Methodik der Zwietrachtsäung unter den Bevölkerungsgruppen, um bestimmte politische Ziele zu verfolgen – für sie waren die, an gewaltlosen, politischen Mitteln interessierten, sozialistischen Bewegungen, denen auch sehr viele Juden angehörten, klarerweise ein politischer Gegner, den es mit allen Mitteln zu diskreditieren oder zu ´spalten´ galt.


Grüße,
panopticon

KvN

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #11 am: 13.07.2010 12:57 Uhr »
Zum Ende der Mordserie habe ich - meiner "Fakeripper" These folgend - eine sehr ähnliche Theorie: Die aufgeblasene Berichterstattung könnte zu einem Bumerang geworden sein...Menschen begannen sich zu solidarisieren, das "divide and rule" war arg gefährdet. Aber ich hab da noch zu wenig recherchiert. Ein Teil des Ripper Hypes dürfte ja auch eine anti Warren Kampagne gewesen sein...Alles sehr kompliziert, wie schon ein Ex-Bundeskanzler sagte. :icon_verwirrt:

Grüße

P.S. Und vielleicht war´s ja doch Cohen oder Levy

Floh82

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #12 am: 13.07.2010 14:10 Uhr »
Die Stimmung gegen die Polizei und insbesondere gegen einige höhere Beamte ist tatsächlich kein zu vernachlässigender Fakt!

Man beachte hier insbesondere, die meiner Meinung nach, gut recherchierte und nacherzählte Stimmung nach mehr oder weniger bekannten Polizeieinsätzen gegen kommunistische Kundgebungen. Und auch der Zwist zwischen einzelnen Beamten ist nicht zu vernachlässigen.

Das die Presse und ganz besonders die Bürger Londons auch die Stimmung nutzten, um noch mehr Stimmung gegen die Polizei zu machen ist eigentlich nicht wegzudiskutieren.

Offline panopticon

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #13 am: 13.07.2010 16:09 Uhr »

In der Tat! Gerade diverse interne Querelen bereits vor den Morden, Warrens Rolle beim ´Bloody Sunday´ 1887, etc. etc.... Was ich ja diesbezüglich bemerkenswert finde: Auch wenn Warren und Monro starke persönliche Antagonisten waren – Es besteht dennoch durchaus die Möglichkeit, dass sie die Mordserie subjektiv eigentlich recht ähnlich eingestuft haben könnten: Warren mit seinen Äußerungen, dass er die Mordserie als etwas betrachte, das ´einzigartig in der Geschichte des Landes´ gewesen sei, und (im Rahmen der so genannten ´Jonas´-Affäre), dass auch er schon einmal eine politische ´Diskreditierungskampagne´ (gegen Juden und Sozialisten) dahinter vermutete, und Monro mit seiner angeblichen privaten Theorie, die wohl nie ans Tageslicht kam, von der allerdings behauptet wurde, der Täter darin sei ein ´hot potato´ gewesen, was natürlich auch durchaus zum Beispiel für einen Juden oder Iren (natürlich aber auch Engländer) sprechen könnte, der mit radikaler Methodik radikale Ziele verfolgte, oder dessen wie auch immer eigentlich motivierte Taten aufgrund seiner Herkunft, Zugehörigkeit oder Tatortwahl zumindest politische Sprengkraft hätten besitzen können, wenn man ihn (zumindest offiziell) überführt hätte... Auch die Überführung eines Täters wie Cutbush wäre für die Polizei wohl letztlich eine politische Katastrophe gewesen.

Die Morde dürften jedenfalls, sogar was London im Gesamten betrifft, tatsächlich eine stärkere generelle Solidarisierung der Bevölkerungsgruppen mit sich gebracht haben, auch wenn es auf der anderen Seite dennoch zu einigen Eskalationen und gegenseitigem Misstrauen führte, die sich allerdings relativ in Grenzen hielten. Wenn ein Täter(kreis) also vielleicht tatsächlich vorgehabt hätte, mit einer ´bestialischen´ Anschlagsserie die Gruppen komplett gegeneinander auszuspielen, hätte er die Bevölkerung wohl letztlich unterschätzt und wäre folglich gescheitert...


Grüße 

KvN

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #14 am: 14.07.2010 10:38 Uhr »
Hi zusammen!

Leider habe ich Lestrades Hinweisen auf die polizeiinternen Divergenzen zu wenig Beachtung geschenkt und bin jetzt infomäßig im Rückstand. Ersuche daher um Unterstützung...
Wann genau hat Warren seinen Dienst quittiert? Habe unterschiedliche Angaben gefunden, 8.11. versus 9.11. Wer unterstützte Warren? Ich gewinne den Eindruck dass ihm jemand recht Mächtiger den Rücken freigehalten hat, schließlich hatten viele Officials Interesse daran ihn abzuservieren...

Danke und Grüße