Autor Thema: Charles Cross  (Gelesen 52211 mal)

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Larkin

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Charles Cross
« am: 22.05.2009 20:20 Uhr »
Hallo ihr Lieben!  :)

Beim durchlesen des Casebooks bin ich jetzt schon mehrmals über die Tatsache gestolpert, dass manche Casebookler felsenfest davon überzeugt sind, dass der Zeuge Charles Cross in Wirklichkeit Jack the Ripper war. Als "Indizien" werden genannt
1. Cross Wohnort in Buck´s Row, also unmittelbar am Tatort des 1. Mordes und in der Nähe der anderen "Schauplätze"
2. Er soll seine Opfer angeblich alle gekannt haben, da sie, vom Alter her, in seiner Generation gewesen sind
3. Die Tatsache, dass Charles Cross der Whitechapelmörder war, würde erklären warum es der Polizei nie gelang den Ripper zu schnappen,da sie, nach Casebook-Meinung, ja nur nach Ärzten, Ausländern, Geisterkranken und Schwerverbrechern Ausschau gehalten hatte

Was meint ihr zu dem ganzen Thema und zu Charles Cross als möglichen Ripper-Kandidaten? ???





Stordfield

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Re: Charles Cross
« Antwort #1 am: 22.05.2009 21:39 Uhr »
Hallo Larkin !

Für mich klingt das sehr hohl, an den Haaren herbeigezogen und völlig indizienfrei.
Natürlich kann jeder glauben, was er will, ich tue es in diesem Fall nicht.
Dennoch danke für diesen Beitrag, denn ich denke, daß sich an ihm eine kontroverse Diskussion entzünden kann.

Gruß Stordfield

Jan_Schattling

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Re: Charles Cross
« Antwort #2 am: 23.05.2009 11:51 Uhr »
Nachdem ich den Artikel zu Cross gelesen habe stimme ich zu, das zumindest eine Chance besteht, das er Ms. Nichols ermordet hat.
Bei den anderen fand ich die Beweisführung nicht wirklich überzeugend.
Tatsächlich könnte aber genausogut der andere Zeuge der Täter gewesen sein.
Nichts was mich wirklich überzeugen könnte, aber eine nette Theorie.

Floh82

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Re: Charles Cross
« Antwort #3 am: 23.05.2009 11:51 Uhr »
Nunja....er war Zeuge...einer der ersten überhaupt. Er wurde auch als Verdächtiger der Polizei befragt und warum auch nicht? Wir wissen recht wenig über ihn....das macht ihn nicht verdächtig...aber es beweist auch nicht seine Unschuld.

Möglich ist in diesem Fall erstmal alles....über Cross wissen wir aber wahrscheinlich viel zu wenig um uns ein aussagekräftiges Bild machen zu können.

Tresschen

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Re: Charles Cross
« Antwort #4 am: 23.05.2009 12:26 Uhr »
Er wurde auch als Verdächtiger der Polizei befragt und warum auch nicht? Wir wissen recht wenig über ihn....das macht ihn nicht verdächtig...aber es beweist auch nicht seine Unschuld.
Das Problem ist nur, wenn wir so argumentieren, gibt es plötzlich nur noch Verdächtige. Möglich ist alles, aber ich habe persönlich bisher bei noch keinem Verdächtigen irgendetwas herausgefunden, wo ich sagen würde, dass ihn dies dann zu einem sehr wahrscheinlichen Verdächtigen macht, bei vielen gibt es Pro und Kontra, doch meist überwiegt mir das Kontra zu stark, um wirklich daran zu glauben, dass betreffender Verdächtiger der Mörder war. Und so geht es mir hier auch wieder.

Offline Isdrasil

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Re: Charles Cross
« Antwort #5 am: 23.05.2009 15:41 Uhr »
Hi Ihr

Danke Larkin für das "Bekanntmachen" von Cross als Täter.

Also ich sehe das genauso wie Stordfield. Ich habe ja schon bei Verdächtigen Probleme, die eine größere Indizienlast vorweisen, und bei Cross liegt nun wirklich absolut kein Anhaltspunkt vor. Besonders Punkt Zwei hinkt doch sehr stark.
Leider habe ich keine Zeit, mich näher damit zu beschäftigen (ich habe am Mittwoch ne wichtige Prüfung) - mich würde aber mal interessieren, wo Cross und Paul wohnten. Sie waren ja auf dem gemeinsamen Weg zur Arbeit, als sie Nicholls Leiche entdeckten. Es muss also möglich sein, durch die Wohnorte einen Treffpunkt für die Beiden anzunehmen und dadurch Rückschlüsse auf das Zeitfenster zu ziehen...mal sehen.  :icon_wink:

Grüße, Isdrasil

Floh82

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Re: Charles Cross
« Antwort #6 am: 23.05.2009 17:11 Uhr »
Das Problem ist nur, wenn wir so argumentieren, gibt es plötzlich nur noch Verdächtige.

Das ist meiner Meinung eins der größten Probleme in diesem Fall ;)

Larkin

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Re: Charles Cross
« Antwort #7 am: 23.05.2009 22:54 Uhr »
Hallo ihr Lieben!
Um Isdrasils Frage zu beantworten: Im A-Z wird Cross´s Adresse mit Doveton Street, Cambridge Heath Road, Bethnal Green angegeben. Er entdeckte Mary Anns Leiche um 3.45 am als er auf den Weg zu seiner Arbeit in der Broad Street gewesen ist.
Robert Paul wohnte in der 30 Forster Street, Whitechapel. Er war auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle Ecke Hanbury Street und Baker´s Row.
Ich seh schon, ihr teilt meine Meinung, dass die Charles-Cross-ist-der-Ripper-Theorie ziemlich an den Haaren herbeigezogen ist. Aber haltet ihr es für möglich, dass Cross der Mörder von Mary Ann Nichols war? Jaja ich weiß, das ist das richtige Leben usw. aber in Filmen ist der vergeblich gesuchte Mörder am Ende entweder der Gärtner oder der vertrauenserweckende Zeuge ;)


JohnEvans

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Re: Charles Cross
« Antwort #8 am: 27.05.2009 16:54 Uhr »
Hi,

Also, „keine Anhaltspunkte“ oder „völlig indizienfrei“ möchte ich nicht behaupten. Gerade Cross wohnte erstaunlich nahe. Nur ca 15 Gehminuten vom Tatort emtfernt.

Er wurde auch als Verdächtiger der Polizei befragt und warum auch nicht?
Verhört wurden Paul und Cross nur als Zeugen, nicht als Verdächtige, weshalb auch keiner der anwesenden PCs auf die durchaus naheliegende Idee verfiel, sie nach Waffen oder Blutsspuren zu untersuchen. Was schon sehr erstaunlich, um nicht zu sagen unglaublich dumm und nachläßig, aber auf alle Fälle unverzeihlich ist.

Bedenkt man dann auch noch, daß Cross aussagte, ausgerechnet, rein zufällig, an diesem Morgen 10 Minuten früher als üblich seine Wohnung verlaßen zu haben, ohne diesen Umstand näher zu erklären, so ergeben sich sehr wohl ein paar sehr schöne Indizien.

1.   er wohnte sehr nahe
2.   er passierte auf seinem Weg zur Arbeit die Buck´s Row
3.   laut FBI Täterprofil wohnte der Täter in der Nähe des ersten Tatorts
4.   und kannte die Gegend – auf Cross (auch auf Paul) trifft das zu
5.   er war ganz offenbar der „Erste am Tatort“
6.   im Gegensatz zu Paul schien er sich nicht im Geringsten zu fürchten
7.   normalerweise verließ er seine Wohnung um halb vier, und wäre dann um ca 3:45 am Tatort vorbei gekommen
8.   diesmal ging er angeblich 10 Minuten früher los – und erschien dennoch erstaunlicherweise zur üblichen Zeit am Tatort – wo, bitte, war er inzwischen?
9.   rechnet man nun die ca 15 Minuten Zeit, die er normalerweise für diesen Streckenabschnitt benötigte, zu seiner eigenen Angabe des Hausverlaßens hinzu, dann wäre er zwischen 3:30 – 3:35 am Tatort vorbeigekommen – er hätte den Mord sehen oder begangen haben können

Eigentlich ist Cross ein sehr guter Verdächtiger: er war zur fraglichen Zeit am Tatort, hatte somit Zeit und Gelegenheit, wohnte in der Nähe, kannte die Gegend.

Er könnte durchaus das Opfer oder einige oder alle gekannt haben. Schließlich führte ihn sein Weg zur Arbeit genau in diese Gegend, sowie in alle anderen, in denen der Ripper seine Opfer fand, und ebenso genau während der Zeiten, in denen Prostituierte noch unterwegs waren.

Ähnliches gilt auch für Paul, aber Cross´ forsches, unbekümmertes und gar nicht mißtrauisches Verhalten (in einer verrufenen Gegend, in dunkler Nacht und mit einem unbekannten Objekt auf der Straße) steht in einem auffallenden Gegensatz zu Paul´s beinahe ängstlichem, aber verständlichem und nachvollziehbarem Benehmen beim Auffinden von Nichols.

Cross ist auf alle Fälle ein weitaus passenderer Verdächtiger als sämtliche aus Liverpool heranreisende Geschäftsmänner oder Cricketspiele unterbrechende Möchtegern-Anwälte oder pinselschwingende, zur Tatzeit im Ausland weilende Malermeister. :icon_mrgreen:


@ Larkin,

Aber haltet ihr es für möglich, dass Cross der Mörder von Mary Ann Nichols war?
Durchaus – siehe Rest dieses Beitrages. Und wer immer Nichols ermordete, war auch der Ripper.


Stordfield

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Re: Charles Cross
« Antwort #9 am: 29.05.2009 08:54 Uhr »
Hallo John !

Du hast da ein paar sehr nachdenkenswerte Punkte genannt. So intensiv habe ich die Sache ja noch gar nicht betrachtet. Also muß ich meine Meinung, die ich mit "völlig indizienfrei" kundtat, relativieren und eingestehen, dass es tatsächlich einige Ansätze zu einer möglichen Täterschaft von Cross gibt.

Gruß Stordfield

Offline Isdrasil

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Re: Charles Cross
« Antwort #10 am: 29.05.2009 09:14 Uhr »
Hi John

Wie immer lieferst Du eine im ersten Moment bemerkenswerte Auflistung ab. Erst mal Danke hierfür.
Bei näherem Betrachten jedoch verlieren einige Argumente ein wenig an Stärke:

2.   er passierte auf seinem Weg zur Arbeit die Buck´s Row
5.   er war ganz offenbar der „Erste am Tatort“

Ja - doch das sind keine Indizien für einen dringenden Tatverdacht. Diese beiden Punkte haben Zeugen, die eine Leiche auffinden, nun mal so an sich. Irgendjemand muss die Leiche finden, und auf diesen Jemand treffen diese Punkte zwingend zu. Diese Argumente scheiden also in meinen Augen aus, da sie nicht die notwendige Schwere vorweisen, um als echtes Indiz zu gelten.

1.   er wohnte sehr nahe
3.   laut FBI Täterprofil wohnte der Täter in der Nähe des ersten Tatorts
4.   und kannte die Gegend – auf Cross (auch auf Paul) trifft das zu

Diese Punkte beinhalten reichlich Diskussionbedarf - sowohl die Thesen des FBI sind umstritten als auch die Ortskenntnis des Rippers.

7.   normalerweise verließ er seine Wohnung um halb vier, und wäre dann um ca 3:45 am Tatort vorbei gekommen
8.   diesmal ging er angeblich 10 Minuten früher los – und erschien dennoch erstaunlicherweise zur üblichen Zeit am Tatort – wo, bitte, war er inzwischen?
9.   rechnet man nun die ca 15 Minuten Zeit, die er normalerweise für diesen Streckenabschnitt benötigte, zu seiner eigenen Angabe des Hausverlaßens hinzu, dann wäre er zwischen 3:30 – 3:35 am Tatort vorbeigekommen – er hätte den Mord sehen oder begangen haben können

Das finde ich jedoch äußerst interessant...könnest Du das noch ein wenig genauer ausführen, wie Du dir das vorstellst? Mit Quellen bitte - ich habe im Sourcebook schonmal nichts von den außerplanmäßigen "10 Minuten eher los gehen" finden können. Dank Dir schonmal dafür!  :icon_wink:

Cross ist auf alle Fälle ein weitaus passenderer Verdächtiger als sämtliche aus Liverpool heranreisende Geschäftsmänner oder Cricketspiele unterbrechende Möchtegern-Anwälte oder pinselschwingende, zur Tatzeit im Ausland weilende Malermeister. :icon_mrgreen:

Naja - er ist nicht wirklich ein passender Verdächtiger. Seine Aussage ist und bleibt eine Aussage, und die ist mit den gleichen Widersprüchen behaftet wie die der Zeugen aller Mordfälle. Für mich bleibt Cross nach wie vor sehr indizienarm, da hier seine bloßen Eigenarten als Zeuge (war am Tatort etc.) schon als Indiz gewertet werden. Wirkliche relevante und signifikante Indizien im Lebenslauf etc. bleiben noch aus. Wenn irgendwann mal jemand rausfindet, dass Cross schon vorher gewalttätig auffällig war und einen eindeutigeren Bezug zu wirklich aussagekräftigen Tatsachen herstellen kann, denke ich gerne noch mal drüber nach. Bis dahin bleibt er für mich ein Zeuge, mit all seinen Eigenarten als Solcher.

Grüße, Isdrasil

PS: Muss aber zugeben, dass ich mich in meinem ersten Post hier auch böse vertan habe...hatte das völlig falsch im Kopf und dachte, dass Cross und Paul sich trafen und Nicholls zusammen entdeckten...nach dem Motto: "Cross geht eher, tötet Nicholls, trifft sich mit Paul". Naja, kommt vor...die Birne war eben mit ganz anderen Dingen beschäftigt...  
:icon_aetsch:
« Letzte Änderung: 29.05.2009 09:30 Uhr von Isdrasil »

Offline Isdrasil

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Re: Charles Cross
« Antwort #11 am: 29.05.2009 20:07 Uhr »
Ach, und eine Sache ist mir noch so in den Sinn gekommen...

John sprach von einem ziemlich abgeklärten Verhaltens Cross`. Abgesehen von der Tatsache, dass uns Cross` Verhalten nur durch Aussagen überliefert ist, die rein subjektiv zu bewerten sind - solch ein "abgeklärtes" und ruhiges Verhalten ist ein evolutionärer Instinkt, der vielen Menschen zum Glück mitgegeben wurde. Es gibt Situationen, die eigentlich gar nicht mit rationellem und beinahe gefühlslosem Denken vereinbar sind, aber trotzdem gerade dies bewirken. Mir fällt das ein, weil ich erst vor Kurzem auf Arte eine Doku darüber gesehen habe...gerade diesem Instinkt ist es zu verdanken, dass Menschen in Notsituationen gerettet werden und nicht jeder Anwesende in wilde Panik verfällt oder sich gar fürchtet. Nicht jeder hat diesen Mechanismus, aber Viele. Man kann dies auf hormoneller Ebene mit den Vorgängen eines Schocks vergleichen.
Mit anderen Worten kann ich für mich dieses Verhalten nicht wirklich als verdächtig, sondern fast schon als natürlich einstufen.
Zudem dachte Cross zunächst an nichts wirklich Böses, die beiden Männer waren sich sogar noch über den Zustand Nicholls uneinig. Wenn Cross bei den Inquests die Wahrheit sagte, so dachte er zunächst an eine Betrunkene. Sie war nicht so bestialisch zugerichtet wie Eddowes, es war sehr dunkel, die Rippermanie hatte das East End noch nicht befallen. All das muss berücksichtigt werden.

Grüße, Isdrasil

JohnEvans

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Re: Charles Cross
« Antwort #12 am: 30.05.2009 10:35 Uhr »
Hi, Isdrasil,

Einmal vorne weg: alle meine angeführten Aufzählungen sind tatsächlich das, was man Indizien nennt. Ein Indiz ist zwar kein Beweis, aber dennoch eine Tatsache.
„Unter einem Indiz (von lat.: indicare = anzeigen) versteht man einen Hinweis, der für sich allein oder in einer Gesamtheit mit anderen Indizien den Rückschluss auf das Vorliegen einer Tatsache zulässt. Im Allgemeinen ist ein Indiz mehr als eine Behauptung, aber weniger als ein Beweis.
Im Recht gilt als Indiz eine erwiesene Tatsache, aus der in Schlussfolgerung der Beweis für eine andere, nicht unmittelbar beweisbare Tatsache abgeleitet wird. Ein Indizienbeweis im Strafprozess ist ein Beweis der strafbaren Handlung aufgrund von Tatsachen, die nicht unmittelbar den zu beweisenden Vorgang ergeben, aber einen Schluss auf diesen zulassen.“
--> http://de.wikipedia.org/wiki/Indiz

Allerdings muß ich zugeben, daß ich mich bezüglich der Zeitangaben geirrt hatte. Ich hätte meinen eigenen Ratschlägen folgen und erst mal die Quelle nachschlagen sollen, bevor ich schrieb. :icon_wink:
Dies hole ich hiermit nach. Laut meiner Quelle (--> http://www.casebook.org/dissertations/rip-charles-cross.html#highlight) behauptete Cross, an jenem Tag 10 Minuten später als üblich zur Arbeit gegangen zu sein. Dieses Indiz gefällt mir sogar noch besser. Sollte er gelogen haben, so hätte er mehr als genug Zeit gehabt, Polly zu töten. Fassen wir mal zusammen:

Variante Eins:
Aufbruch (in Wirklichkeit): 3:20
Ankunft Buck´s Row: 3:26 (die Zeitangabe von 6 Minuten entstammt dem oben angeführten Artikel, meine eigene Schätzung aufgrund des Stadtplanes von 10 – 15 Minuten war zu lang)
Ankunft Paul: 3:45
--> Damit verblieben Cross fast 20 Minuten!!!

Variante Zei:
Aufbruch (laut Cross): 3:30
Ankunft Buck´s Row: wäre dann 3:36 gewesen – also zur Zeit des Mordes
Ankunft Paul: 3:45
--> Damit verblieben Cross immerhin noch 9 Minuten!!! Er hatte also noch 9 Minuten Zeit, Polly zu töten, was absolut ausreichend ist.

....ein evolutionärer Instinkt, der vielen Menschen zum Glück mitgegeben wurde.
Zunächst einmal: Instinkte sind nicht nur „vielen“, sondern allen  Menschen mitgegeben. Ein absolut instinktives Verhalten in so einer Situation wäre das Davonlaufen. Ob man davon läuft oder nicht, hängt stark davon ab, ob diese Reaktion Aussicht auf Erfolg hat. Einfacher ausgedrückt: wenn genügend Fluchtweg vorhanden ist. Wobei Fluchtweg nicht nur den geografischen Raum, sondern auch die individuell physischen (kann ich überhaupt laufen? oder gehe ich auf Krücken?), sozialen (sollte ich bei einer Auseinandersetzung mit Nachbarn, etc „davon laufen? oder doch die „Stirn bieten“?) und die eigenen psychischen Gegebenheiten meint.

Wenn der Instinkt mich daher nicht sofort innerhalb weniger Sekunden davonlaufen läßt, dann liefert uns unser Instinkt ein weiteres, lebensrettendes Instrumentarium: die Agression, die sogenannte „Flucht nach vorne“ – wir greifen die vermeintliche Gefahr an, oder einen Ersatz, in welchem Fall wir irgend jemanden in der Nähe attackieren (dieses Verhalten ist übrigens auch durchaus der Grund dafür, warum so viele sozial und psychisch gestörte Täter sich „Ersatzopfer“ suchen, aber das gehört in eine andere Diskussion).
Sollte uns diese Möglichkeit auch genommen sein, kommt es zur Auto-Agression und / oder Angst.
(Alle Weisheiten und Erkenntnisse entnehme ich dem Buch: Frederick Vester: Phänomen Stress)

Was auffällt, ist, daß diese Instinktreaktion des Erstarrens beim Anblick des Feindes  erfolgt .... nur ... diesen "Feind" sah Cross ja nicht. Weshalb ich mich natürlich frage, was bewegte ihn, sich so lange neben einer Leiche nicht zu bewegen?

Zudem dachte Cross zunächst an nichts wirklich Böses, ..
Tz, tz, tz,  :nono:  hier gilt für dich dasselbe Argument, mit dem du meine Überlegung abschwächen möchtest: dieses Indiz ist reinstes Hörensagen – ich darf dich noch mal zitieren:
... dass uns Cross` Verhalten nur durch Aussagen überliefert ist, die rein subjektiv zu bewerten sind
Stimmt natürlich in beiden Fällen, aber so ist´s nun mal mit Zeugenaussagen. Dennoch darf man sich darüber Gedanken machen.

Wenn Cross bei den Inquests die Wahrheit sagte, so dachte er zunächst an eine Betrunkene.
Ja, aber sagte er die Wahrheit????

All das muss berücksichtigt werden.
Und genau das tue ich jetzt.

Wie schon erwähnt, (Indiz # 10 in meiner Liste) ist für mich auch, wie sich Cross nach dem Auffinden der der Leiche verhält. Cross war angeblich der Erste am Tatort, weit und breit kein anderer zu sehen, weit und breit also kein Behinderungs-Grund für ihn, nicht die primäre Instinktreaktion der Flucht zu ergreifen und davon zu laufen. Der nachkommende Paul folgt in seinem Verhalten einem „natürlichem“ Ablauf – der auf ihn zukommende Cross verkürzt seine Fluchtdistanz, worauf hin bei ihm eine andere Instinktreaktion erfolgt und Paul Anfgst verspürt, aber stehen bleibt
Eine Ausgangssituation, die hingegen ür Cross nicht vorlag - er hatte ja genug Zeit und Raum um die Flucht zu ergreifen. Auch „Flucht“ im weitesten Sinne – er hätte einen Polizisten suchen können. Eine Handlung, die übrigens alle anderen uns bekannten Zeugen in allen anderen Fällen der Leichenfunde ja auch ausführten.nicht so Cross.

Er handelt erst dann „natürlich“, als Paul hinz zu kommt.

Nun, könnte es sein, daß es ihm an Zeit gefehlt hat??? Vergleichen wir daher einmal die Zeitangaben in den Aussagen:

laut seiner eigenen Angabe verließ Cross sein Heim um ca halb vier, und wie in dem Artikel (siehe Link) bemerkt, brauchte er höchstens 6 Minuten zum Tatort, also, er müßte so um 3:36 angekommen sein.
Und wann erscheint Paul auf der Bildfläche? Um 3: 45.
Frage: was tat Cross ganze 9 Minuten lang? 9 Minuten sind lang! Wer´s nicht glaubt, höre jetzt zu lesen auf, hole sich eine Uhr und warte 9 Minuten ab!!!

Daher Indiz # 11 Cross hatte jede Menge Zeit, nach zu sehen, ob Polly betrunken, bewußtlos, verletzt oder tot war, dennoch tat er Paul gegenüber so, als hätte er keine Ahnung, was mit ihr los sei.
Er hatte ebenfalls genug Zeit, einen Polizisten zu suchen, was er aber auch nicht tat. Er ging ja erst gemeinsam mit Paul los. Ferner gab er an, bzw gaben beide an, sie konnten nichts für Nichols tun, weil sie sich wegen ihrer Arbeit beeilen mußten.

Also, Cross hatte es angeblich eilig, in die Arbeit zu kommen. Verständlich, zumal er ja an diesem Tage (laut eigener Aussage) auch noch 10 Minuten Verspätung hatte.
Indiz # 12: Unter diesen Umständen ist es umso verwunderlicher, daß er ganz offensichtlich fast ganze weitere 10 (!!!!) Minuten im stand-by modus neben der Leiche zugebracht haben will, Schock hin, Instinkt her. Denn gerade Cross wäre die erste, einfache Instinktreaktion („bloß weg von hier“) sehr gut möglich gewesen!

Und das ist noch nicht alles:
Indiz #13:  auch alle anderen Tatorte ließen sich von Cross auf seinem Weg zur Arbeit erreichen
# 14:  3 der 5  Opfer wurden vor 4 Uhr morgens getötet, vor allem, wenn man Dr Philips Zeitangabe bei Chapman als richtig annimmt
#15:  Eddowes (eventuell Stride) TZP passen zeitlich in Cross´ Nachhauseweg

Somit lassen sich alle TZP mit Cross Arbeitszeiten sehr gut vereinbaren! Was wäre das nur für ein schöner Indizienprozeß geworden! :icon_mrgreen:

Zugegeben, und hiermit zitiere ich aus der Dissertation (Did the Ripper work for Pickfords? by MICHAEL CONNOR): „No other suspect is so strongly linked to these three murders. Every day other men walked these streets at similar times, but only Charles Cross was discovered beside a body.”
(Kein anderer Verdächtiger ist so stark mit diesen 3 Morden verbunden. Jeden Tag benutzten auch andere Männer diese Straßen zu ähnlichen Zeiten, aber nur Charles Cross wurde neben einer Leiche entdeckt.“)

..... und das 9 (falls nicht 20) Minuten, nachdem er sie eigentlich gefunden haben müßte.

JE


Tresschen

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Re: Charles Cross
« Antwort #13 am: 30.05.2009 16:51 Uhr »
Ich weiß nicht so genau, irgendwie überzeugt mich diese Theorie nicht. Ich finde, wenn man Cross verdächtigt, muss man Paul auch verdächtigen. Jeder von beiden hätte früher am Tatort sein können. Und ich habe jetzt mal geschaut bei Google Maps, da zeigt es mir zehn Minuten Fußweg an. Das sind nur fünf Minuten für den Mord. Woher will man übrigens genau wissen, dass sie die Zeiten genau hatten? Die Uhr braucht ja nur fünf Minuten vor oder nach gegangen sein bei einem von ihnen und es ergibt sich ein ganz anderes Bild. Und interessant ist, dass er angibt, "behind time" gewesen zu sein. Also ganz ehrlich, vielleicht war es ja fünf nach halb und nicht halb und schon sieht die Sache noch einmal anders aus.
Zudem ganz ehrlich, mich wundert Cross' Coolness nicht so. Das war das Eastend, da schliefen mal Leute ihren Rausch auf der Straße aus und bisher war nur ein Mord geschehen, man sollte nicht glauben, dass bei dem ersten Mord da die Leute schon gleich hysterisch wurden. Mich wundert es da eher, dass Paul, obwohl keiner von ihnen das Blut am Hals sah, so nervös war. Würde für mich eher für ihn als Mörder sprechen. Und tja, der erste Mord war nicht soo blutig, aber ein bisschen beschmutzt wurde der Mörder sicher dabei und da würde es mich wundern, wenn jemand den Mord direkt vor der Arbeit begeht. Ganz ehrlich, auch wenn man im Dunkeln nichts sah, später bei der Arbeit hätte ja jemand was bemerken können, allein einen Fleck an Cross' Kragen und mit seiner Zeugenaussage dann auch hätte dea sicher wer Verdacht geschöpft. Zudem wenn er der Ripper war, wieso sollte er sich bei der Polizei melden. Anscheinend kannten die beiden Männer sich ja nicht, mit dem Polizisten haben sie auch nur kurz gesprochen. Ich kann mir schwer vorstellen, dass er sozusagen freiwillig als Zeuge aussagen würde, wenn er der Ripper wäre und das gleich schon nach dem eventuell ersten Mord. Wäre für mich eher ein Grund nicht weiterzumorden. Tut er aber, der Ripper.
Desweiteren wissen wir nichts über Cross' Alter. Wenn er schon zwanzig Jahre als Carman gearbeitet hat und er vom Alter her in das passen würde, was man von Beschreibungen des möglichen Rippers hat, müsste er wohl seit Leben lang dort gearbeitet haben. Seine zwanzig Jahre Arbeitserfahrung könnten aber auch nahelegen, dass er schon weit über 40 war.

Es liegt vielleicht daran, dass ich etwas anders herangehe an diese Morde, weniger nach dem "Wer könnte Gelegenheit gehabt haben", sondern mehr nach dem "Was sagen uns die Morde über den Mörder" frage. Mir sagen sie, dass es jemand gewesen sein musste, der wusste, wo sich was im menschlichen Körper befand (wissen wir nicht über Cross), der vermutlich ein gewisses Risiko mochte (könnte man über Cross vielleicht behaupten, weil er keine Angst wegen der Frau auf der Straße hatte), der es schaffte, die Polizei immer wieder an der Nase herumzuführen (Cross ist wieder ein eventuell-Faktor). Ich könnte das jetzt ewig fortführen, muss nur einfach auch sagen, dass mir Hutchinson und manch anderer Verdächtiger (allen voran der bekannte Arzt, den man irgendwann nachts mit einer Tasche, die er sich weigerte zu öffnen, im East End antraf), mich mehr überzeugen können. Natürlich kann es Cross gewesen sein, nur mir fehlt da neben der Gelegenheit Polly zu töten, so ein kleiner Hinweis, dass es für ihn irgendeinen Grund, irgendeinen Antrieb gegeben hat. Er fiel durch nichts auf, woher kam seine Gewalttätigkeit dann?
Wenn er nun eine Geschichte hätte, dass er seine Frau misbraucht hätte, etc. ich könnte das alles glauben, nur diese Geschichte gibt es nicht.
Und ganz ehrlich, ich glaub nicht, dass die Polizei so dumm war, ihn als einen der wichtigsten Zeugen nicht auch genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich denke, die haben Paul und Cross recht genau dann befragt, also wieso überhaupt erst aussagen, wenn man der Mörder ist? Wieso mit der Polizei sprechen?

Offline Isdrasil

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Re: Charles Cross
« Antwort #14 am: 30.05.2009 17:25 Uhr »
Hi

Mensch, klasse Diskussion...habe nur wenig Zeit.  :icon_frown:

Aber Tresschen hat da einen wichtigen Punkt genannt: Wieso rennt Cross dann zu einem Polizisten und unterrichtet ihn von dem Mord, bleibt sogar als Zeuge zur Verfügung? Alles nur als Tarnung und um keinen Verdacht aufkommen zu lassen? Nein, dass passt in meinen Augen nicht.

Zum zeitlichen Aspekt: Wie hier auch schon Tresschen ausführte, reicht eine kleine Unstimmigkeit, um diese Logik ins Wanken zu bringen. Eine falsch gehende Uhr ist ein Beispiel...es gibt aber noch so zahlreiche andere Dinge. Vielleicht pflegte Cross, an einer bestimmten Stelle jeden Morgen eine Zigarette zu rauchen? Die Erwähnung dieser möglichen Tatsache vor dem Inquest wäre nicht zwingend gewesen - somit bleiben uns noch diese oder ganz andere Optionen offen, die den Weg von Cross bestimmen können. Alles in allem bleibt dies alles nur eine Gedankenspielerei, und weitere harte Indizien bleiben nunmal de facto aus.

Bis denne, Isdrasil
« Letzte Änderung: 30.05.2009 17:48 Uhr von Isdrasil »