Autor Thema: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur  (Gelesen 72283 mal)

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JohnEvans

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #30 am: 09.03.2008 19:21 Uhr »
Hi, Isdrasil,

Nein, das meine ich nicht, John. Wie so oft kannst Du mich nicht verstehen oder willst mich nicht verstehen.

Kein Grund zur Panik, darum frage ich ja nach. Um dich besser zu verstehen.

Was ist, wenn die Tatortumgebung ein maßgeblicher Teil der Fantasien sind?
In dem Fall sucht ein Täter eben genau so einen Tatort auf. Oder eben genau so ein Tatort läßt ihn dann seine Tat ausführen.
Wenn der Tatort ein maßgeblicher Teil seiner Phantasie ist, dann muß der genau der richtige sein.
Wenn der Tatort ein maßgeblicher Teil seiner Phantasie ist, dann löst ein anderer Tatort dieses Gefühl eben nicht aus.

Ein anderer Tatort liefert nicht innerhalb von Sekunden ein Ersatzgefühl mit Ersatzphanstasien, gerade, weil Phantasien eben ihre Zeit brauchen.

Der Falsche Tatort löst gar nichts aus.

Auch unbewusst spielt es sich nicht so ab. Wie ich andrerorts sagte, Phantasien reifen, bevor sie in die Tat umgesetzt werden.

Beispiel: der Täter möchte sein Opfer im Wald töten. Also, sucht er einen Wald
Oder "überredet" ein Opfer, mit ihm in den Wald zu kommen.
Oder ein Waldspaziergang löst seine Hemmschwelle und ermöglicht den ersten Mord - im Wald.
So ein Täter geht nicht in die Kirche, sieht ein potentielles Opfer, denkt sich: „Hhmm, mir fehlt der Wald, macht nichts, ändere ich eben meine Signatur und ertränke die Dame im Taufbecken.“
Oder: „Was? Kein Wald? Jetzt bin ich sauer, Messer raus, erstechen.“

DerTatort "Kirche" läßt den Täter, dessen Phantasie der Tatort "Wald" ist, einfach kalt.

Natürlich, falls der Tatort in seiner Phantasie eine Rolle spielt. Und wen ich dich richtig verstehe, geht es dir ja um den Tatort als Auslöser.

Und ich sage es noch einmal: Das erste Opfer eines Serientäters muss seine Signatur nicht aufweisen.
Du meinst, nicht die endgültige Fassung? Denn jede Tat weist eine Signatur auf.
Abgesehen davon ist "muss nicht" nicht dasselbe wie "weisen nie auf". Es kann und ist also durchaus möglich. Auch dies ist belegt und entspricht dem Stand der Kriminalistik.

Wenn Du also ankommst mit "Tabram passt nicht ins Bild, weil der Ripper ausweiden wollte", dann ist dies ein ziemlich wackeliges Argument.
Hiermit gebe ich dir deinen Vorwurf zurück: du kannst oder willst mich nicht verstehen, auf alle Fälle stimmt deine Behauptung nicht. Ich habe mehrmals gesagt, was alles nicht ins Bild paßt, und das ist ielmehr als nur das Nicht-Ausweiden.

Aber weil du es bist, wiederhole ich es gerne. :icon_wink:

Ich gehe davon aus, daß des Rippers Phantasien sehr wohl mit dem Ausweiden zu tun haben. Ich glaube, ich muß jetzt nicht erklären, wie ich darauf komme.

·   und Tabram weist noch nicht einmal den Versuch auf, ein Ausweiden zu unternehmen
·   und ja, ich denke, auch die Ersttat hätte diese Besonderheit gezeigt
·   und selbst, falls ihm dieses Detail erst später eingefallen wäre, so sollte doch die Art des Tötens gleich sein – ist sie auch nicht
·   alle anderen Opfer: ruhig getötet - Tabram: Overkill (gerade ein nervöser Anfangstäter wäre zaghafter vorgegangen)
·   oder der Ort – auf der Straße, nein, Tabram liegt im Stiegenhaus
·   oder die Annäherung an ein waches Opfer
·   und ein einschneidendes Argument ist für mich, wie das Messer eingesetzt wird – Stechen oder Schneiden

Wären es nur eine, oder zwei, Abweichungen, ließe ich mit mir handeln. Aber es sind zu viele. Genau genommen, ist so ziemlich ALLES an dieser Signatur anders.
Und das innerhalb weniger Wochen. Hätte der Ripper mal Pause gemacht, für Jahre, oder wären zwischen Erst- und Letztmord etliche Jahre vergangen, dann wäre eine Änderung der Signatur, also des unmittelbares Ausdruckes seiner Phantasien, schon verständlicher.

Aber nicht in dieser kurzen Zeitspanne.

JE

Offline Isdrasil

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #31 am: 10.03.2008 07:28 Uhr »
Hi John

Es geht mir nicht um den Tatort als Auslöser. Es geht mir um die Überlegung, ob der Tatort eine Auswirkung auf die Signatur eines Täters hat oder eine veränderte Vorstellung des Täters zu einem Wechsel des Tatortes führen kann. Und so abwegig sind diese Gedanken gar nicht.
Täter sind keine Roboter mit einer vorgestanzten Schablone, nach dem Motto: Ich bin ein Mörder und habe meinen bevorzugten Tatort - daher werde ich nur töten, wenn ich auch an so einen Tatort gelange und nur dann!

Täter sind manchmal experimentell, ändern ein paar Aspekte ihrer Tat und mögen auch mal den Tatort wechseln.

Ein Beispiel? Ok: Ein Täter tötet sein erstes Opfer im Graben neben einer nicht allzu viel befahrenen Straße. Trotzdem hat er diese Angst, ein Wagen könnte vorbeifahren und ihn stören, immer im Hinterkopf. Er merkt erst jetzt, dass ihn dieser Tatort nicht gerade der Liebste ist. Daher lässt er irgendwann von dem Opfer ab und verzichtet meinetwegen auf dessen Enthauptung (zum Beispiel). Sein nächstes Opfer wird er daher in den Wald locken. Neben der Enthauptung lässt er sich auch sonst wesentlich mehr Zeit für die übrigen Verletzungen. Möglicherweise führt er sie aufgrund des anderen Umfeldes und seiner wesentlich ruhigeren Gesamtstimmung ein wenig anders aus, fügt Dinge hinzu, lässt etwas weg. Die Verletzungen des Opfers jedenfalls werden eine andere Qualität haben, eine andere Schwere.

Diese Dinge sind bei vielen Serientätern vorhanden, und nicht selten behindert ein Wechseln des bevorzugten Tatortes und ein damit verbundenes abweichendes Verletzungsmuster die Ermittlungsarbeiten oder lässt Zusammenhänge erst gar nicht erkennen.

Im Grunde vertreten wir doch gar nicht so unähnliche Meinungen...finde ich.

Grüße, Isdrasil

Ich bitte Dich, dieses Beispiel nicht zu sehr zu "zerrupfen" und den Kern der Aussage zu sehen und zu verstehen. Denn darum geht es. :icon_wink:

Offline Isdrasil

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #32 am: 10.03.2008 09:25 Uhr »
Hi

In dem Fall sucht ein Täter eben genau so einen Tatort auf. Oder eben genau so ein Tatort läßt ihn dann seine Tat ausführen.
Wenn der Tatort ein maßgeblicher Teil seiner Phantasie ist, dann muß der genau der richtige sein.
Wenn der Tatort ein maßgeblicher Teil seiner Phantasie ist, dann löst ein anderer Tatort dieses Gefühl eben nicht aus.

Exakt. Du hast es erfasst. Nun nimm noch die Tatsache hinzu, dass das Erstopfer auch aus dem Affekt heraus getötet werden kann. Affekt bedeutet nicht geplant. Affekt bedeutet aus einer Kurzschlusshandlung heraus. Affekt bedeutet meistens eine schnelle Ausführung. Für einen Serientäter bedeutet diese erste Tat das Überwinden der Tötungsschwelle (ja, auch ein Serientäter muss diese erst einmal überwinden).
Im Falle Tabram könnte dies bedeuten, dass die affektiv entstandene Tat dem Täter erst ermöglichte, seine Fantasien bei dem zweiten Opfer gemäß seinen Vorstellungen auszuleben. Es ist eine Überlegung. Wie gesagt - hinderlich ist der sehr knappe Zeitabstand. Der Rest (Tatwaffe, Treppenhaus, Stechen) sind alles keine Hindernisse, dieses Opfer dem gleichen Täter von Nicholls, Chapman und Eddowes zuzurechnen. Begründet wäre dies aus dem Verhältnis affektiv - geplant, Erstopfer - weitere Opfer. Es ist der Zeitabstand, der kritisch ist. Und der wurmt mich auch.
Aber das ist nur meine Meinung, eine Überlegung, mehr nicht.

Es gibt Leute die behaupten, der Ripper wäre ein freimaurerischer 70 Jähriger Arzt gewesen, der die Prostituierten umbrachte, um eine Schwangerschaft des letzten Opfers zu verheimlichen - also, wenn das in Hinblick auf die Psychologie eines Täters nicht noch größerer Stuss ist als meine laienhaften Überlegungen, dann weiß ich auch nicht mehr... :icon_wink: :icon_aetsch:

...schön, sich ganz einfach am Untersten zu messen - das verschafft eine ganz neue Qualität und Glaubhaftigkeit  :icon_wink:

Grüße, Isdrasil

Stordfield

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #33 am: 10.03.2008 11:08 Uhr »
Hallo !

Ehrlich gesagt , habe ich noch nie gelesen oder gehört ( vielleicht einfach nicht mitbekommen ) , daß die Phantasien eines Serienmörders sich am Tatort entzünden . Ich glaubte immer , der Tatort muß nur ein Höchstmaß an Sicherheit und Ungestörtheit bieten . Denkt ihr wirklich , daß der Täter den Ort seiner Verbrechen noch nach anderen Kriterien aussucht und wenn ja , welche wären das ?

Gruß Stordfield

Offline Isdrasil

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #34 am: 10.03.2008 11:22 Uhr »
Hi

Ehrlich gesagt , habe ich noch nie gelesen oder gehört ( vielleicht einfach nicht mitbekommen ) , daß die Phantasien eines Serienmörders sich am Tatort entzünden .

Das habe ich aber nicht gesagt...oder doch?  :icon_verwirrt:

Ich fasse meine Überlegung lieber nochmal kurz zusammen (und so schwer ist sie doch nun auch wieder nicht):

- Täter hat Fantasie
- Seine Mordserie beginnt womöglich mit einer ungeplanten Affekttat, die nicht seiner Fantasie entsprechen muss
- Der Tatort kann Teil seiner Fantasie sein (aber aufgrund des zweiten Punktes besonders am Anfang von seiner eigentlich bevorzugten Örtlichkeit abweichen)
- Mit zunehmender Erfahrung lebt der Täter seine Fantasien konkreter aus, erweitert sie, ergänzt sie, verfeinert sie
- Die Fantasie ist nicht konstant und unveränderlich

Das war eigentlich alles.

In Bezug auf Sicherheit weiß ich gerade nicht so recht - waren die Tatorte des Rippers etwa auf Sicherheit und Ungestörtheit bedacht? Könnte man nun auch wieder diskutieren...ich denke, in diesem Fall oblag die Tatortwahl den Opfern. Dennoch halte ich es für wahrscheinlich, dass auch der Gedanke an das Auffinden der Opfer und die Tatsache, dass diese auf offener Strasse lagen, dem Ripper durchaus gefielen und ein Teil seiner Fantasie waren.

Grüße, Isdrasil

Stordfield

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #35 am: 10.03.2008 12:20 Uhr »
Hallo Isdrasil !

Ich verstehe Dich schon ( glaub ich zumindest  :icon_wink: ).
Was ich wissen wollte ist , was Du damit meinst , wenn Du sagst , daß der Tatort Teil der Phantasie ist . Stellt er sich eine bestimmte Umgebung vor ? Müssen etwa immer ganz bestimmte Dinge in der Nähe sein ? Irgendwie kann ich mir das nicht so recht vorstellen , denn wenn er nur an Orten tötet , die er in seiner Phantasie sieht , dann kann es ihm ja passieren , daß er zwar einen ( für sich ) idealen Platz findet , aber dort vergeblich auf ein Opfer wartet .
Ich bin der Meinung , daß ein Mörder wie der Ripper , sich keinen Tatort vorphantasiert , sondern nimmt , was sich ihm bietet . Dabei paßt er seine Handlungen den Umständen an , ändert also gegebenenfalls auch seine Handschrift .

Gruß Stordfield

Offline Isdrasil

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #36 am: 10.03.2008 12:35 Uhr »
Hi Stordfield

Ja, ich denke eben, der Ort kann ein Teil seiner Fantasie sein. Die Betonung liegt auf "kann", muss also nicht.
Es gibt gewiss Täter, die ein bestimmtes Terrain bevorzugen - zum Beispiel Wald wegen der Ungestörtheit; öffentliche Plätze wegen des Aufsehens; bestimmte Orte, da sie mit diesen Orten etwas Persönliches verbinden...

...dann kann es ihm ja passieren , daß er zwar einen ( für sich ) idealen Platz findet , aber dort vergeblich auf ein Opfer wartet .

Ja. Irgendwo muss ein Täter ja seinem Opfer auflauern. Und wieso lauern (manche) Täter ihren Opfern an bestimmten Stellen auf? Sie müssen ja einen gewissen Stellenwert für die Täter darstellen, und werden oftmals bei der Phase des Vorlebens der Tat in Gedanken in diese mit eingebunden. Kann natürlich auch sein, weil sich dort ihre Opfer bevorzugt aufhalten und ihre Erfolgsquote dort eben am Größten ist.
Oder er hätte ein geeignetes Opfer seiner Zielgruppe, befindet sich aber nicht am idealen Tatort. Ich denke, die Entscheidung, dann den Mord zu begehen, hängt individuell vom einzelnen Täter und dem verspürten Zwang zu töten ab. Die meisten Tatsituationen konfrontieren den Täter doch mit verschiedensten Varianzen, der Täter wägt vor Ort ab, ob sich eine Tat in seinen Augen "lohnt" oder nicht oder ob er mit dem Weglassen eines Mordes noch länger klarkommen würde.

Ich glaube, es gibt Täter, die sich einen bestimmten Tatort vorstellen - die aber trotzdem morden würden, wenn sich die Gelegenheit ergäbe, aber der Ort nicht der perfekte wäre. Und ich glaube, dies hätte Auswirkungen auf die Ausführung der Verletzungen und den Gemütszustand des Täters. Da stimmen wir ja überein - auf eine gewisse Art :icon_thumb:

Ich denke, der Ripper war auch ein "Öffentlichkeitskiller". Es mag ihn angemacht haben, die Angst auf der Strasse zu spüren, sich vorzustellen, wie sein nächstes Opfer entdeckt wird. All dies hätte er nicht in diesem Maße (und vor Allem die Angst auf der Strasse) gehabt, hätte er nur in Räumen getötet. Irgendwie so...ich seh schon, das gibt wieder Diskussionen :icon_wink:

Grüße, Isdrasil

Stordfield

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #37 am: 10.03.2008 18:02 Uhr »
Hallo !

Kann man vereinfacht sagen : gleiche Tatorte = gleiche Handschrift ? Wechselnder Tatort = verschiedene Handschriften ? Geht diese Formel auf ?

Gruß Stordfield

JohnEvans

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #38 am: 10.03.2008 20:28 Uhr »
Hallo, Isdrasil,

Es geht mir um die Überlegung, ob der Tatort eine Auswirkung auf die Signatur eines Täters hat ...
Ich denke, diese Auswirkung betrifft Details, oder verhindert eventuell die komplette Ausführung der Phantasie (Nichols: Tatort: offene Straße, Störung – Täter läßt vom Ausweiden ab). Das heißt aber nicht, daß er nicht Ausweiden wollte, nur, daß er nicht dazu kam
Insofern hat der Tatort den Täter eingeschränkt, ihn aber nicht veranlaßt, seine Phantasie zu ändern.
Es ist auch möglich, daß der Tatort dem Täter Möglichkeiten bietet, die im Detail nicht geplant waren, aber dennoch zur Phantasie passen.

Zum Beispiel Täter, die in Häuser eindringen und sich erst einmal umsehen, ob sie nicht eine passende Mordwaffe finden. Dann verwenden sie, was da ist – Messer, Scheren, Brieföffner, um ihr Opfer zu erstechen. Die Tatwaffe wird hier eindeutig von den Möglichkeiten des Tatortes bestimmt.
Nicht aber die grundlegende Phantasie, die in dem Fall einfach heißt: ich töte mein Ofper mit einem Werkzeug, daß ich vorort finde / daß dem Opfer gehört. Somit gehört der Einfluß, den der Tatort haben kann, zur Phantasie, zum Nervenkitzel.

In dieser Hinsicht stimmt die Überlegung, daß der Tatort die Signatur des Täters „beeinflußt“, allerdings niemals gegen seine Phantasie.

…oder eine veränderte Vorstellung des Täters zu einem Wechsel des Tatortes führen kann. Und so abwegig sind diese Gedanken gar nicht.
Durchaus nicht. Aber, wie du selbst einräumst, brauchen veränderte Vorstellungen ihre Zeit.

Täter sind manchmal experimentell, ändern ein paar Aspekte ihrer Tat und mögen auch mal den Tatort wechseln.
Durchaus, besonders, wenn die Variation zur Phantasie gehört. Oder ein Wechsel aus Sicherheitsgründen angesagt ist.

Dennoch bleibt die eigentliche Phantasie, daher die Signatur, gleich. Der Täter wird immer versuchen, so viel wie möglich von seiner Phantasie auszuleben.

Aber bei Tabram sind einfach zu viele Dinge völlig anders, vor allem: Tabram sieht nicht wie eine Ersttat einer lang gehegten Phantasie aus. Hier fällt nur eines sofort auf: der Affekt, die Wut.

Eine Phantasie hingegen ist das genaue Gegenteil eines spontanen Wutausbruches.

Ich fasse meine Überlegung lieber nochmal kurz zusammen
Und ich werde mich bemühen, ebenso kurz darauf zu antworten. :icon_mrgreen:

- Täter hat Fantasie
:icon_thumb:

Seine Mordserie beginnt womöglich mit einer ungeplanten Affekttat, die nicht seiner Fantasie entsprechen muss
NEIN. Warum auch? Es IST seine Phantasie, die ihn zum Mord treibt, auch zum ersten. Daher wird er alles dran setzen, sei es auch noch so stümperhaft oder unvollendet, genau diese seine Phantasie, die ja der Auslöser für die Tat ist, durch zu führen.

Eine Anpassung von Phantasien an Sachzwänge oder Gegebenheiten findet nicht statt, sonst wären es ja keine Phantasien mehr. Es gibt kein "Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.".

Ich hoffe, ich drücke mich klar aus – die Phantasie  eines Serienmörders ist die Triebfeder für seine Tat(en), nicht ein plötzlich auftauchender Affekt.

Was nicht heißt, daß so ein Täter nicht auch mal einen anderen Mord im Affekt begehen könnte, im Rausch. Auch an einem Vertreter einer anderen „Opfergruppe“. Aber so ein Mord ist dann eben nicht der Auftakt für seine Phantasie-Serie.

Ein Indiz für diese Überlegung ist die Tatsache, daß viele Serienmörder, deren Opfer Frauen waren, im Gefängnis die Friedfertigkeit in Person sind. Denn, so eigenartig es klingen mag, viele Serienkiller wirken deshalb auf ihre Umgebung so „normal“, weil sie es eben in den überwiegenden Belangen des sozialen Lebens auch sind. Sie haben oft eben nur diesse eine, aber feine „Störung“ Und gerade, weil sie ansosnten ebenfalls soziale Hemmungen besitzen, brauchen sie auch Jahre, bis sie sich überwinden, ihre Phantasien aus zu toben.

Ihre männlichen Mithäftlinge lösen diese aber nicht im geringsten aus – weshalb denen dann auch von solchen Tätern keine Gefahr droht.

Hingegen andere Gewalttäter scheuen sich auch im Gefängnis nicht, ihre gewalttätige Natur auszuleben.

- Der Tatort kann Teil seiner Fantasie sein (aber aufgrund des zweiten Punktes besonders am Anfang von seiner eigentlich bevorzugten Örtlichkeit abweichen)
-   Mit zunehmender Erfahrung lebt der Täter seine Fantasien konkreter aus, erweitert sie, ergänzt sie, verfeinert sie
Betonung auf "kann“, mußt nämlich nicht sein.

Die Fantasie ist nicht konstant und unveränderlich
Warum? Warum jahrelang eine bestimmte Phantasie hegen und pflegen und sie dann aufgeben? Elaborieren – JA, ändern – kaum. Ausnahmen möglich, aber eher nicht die Regel.

Sämtliche Profiler wären brotlos, wenn sich die Serienkiller an diesen letzten Punkt deiner Überlegungen halten würden. :icon_razz:

Grüße, JE

JohnEvans

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #39 am: 10.03.2008 20:31 Uhr »
Hallo,

Kann man vereinfacht sagen : gleiche Tatorte = gleiche Handschrift ? Wechselnder Tatort = verschiedene Handschriften ? Geht diese Formel auf ?
Nein, nicht nach meiner Rechnung. Da sieht die Formel so aus ---> gleiche Phantasien =>  gleiche Signatur / Handschrift.

JE

Offline Isdrasil

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #40 am: 11.03.2008 07:15 Uhr »
Hi

Das ist so ein Endlosthema, meine lieben Leute....

Es ist auch möglich, daß der Tatort dem Täter Möglichkeiten bietet, die im Detail nicht geplant waren, aber dennoch zur Phantasie passen.
...
In dieser Hinsicht stimmt die Überlegung, daß der Tatort die Signatur des Täters „beeinflußt“, allerdings niemals gegen seine Phantasie.

Sehr schön - insofern ein Punkt für Kelly  :icon_thumb: :icon_wink:

Seine Mordserie beginnt womöglich mit einer ungeplanten Affekttat, die nicht seiner Fantasie entsprechen muss
NEIN. Warum auch? Es IST seine Phantasie, die ihn zum Mord treibt, auch zum ersten. Daher wird er alles dran setzen, sei es auch noch so stümperhaft oder unvollendet, genau diese seine Phantasie, die ja der Auslöser für die Tat ist, durch zu führen.

Das ist so nicht richtig. Es ist eben eine belegte Tatsache - da kann ich doch auch nix für. Nehm Dir doch mal das Kroll-Beispiel (verzeihe mir, wenn ich nun doch vergleiche  :icon_wink:). Er besaß diese eine Fantasie, die er jedoch erst nach 20 Jahren auslebte. Die Fantasie ist also nicht zwangsweise von der ersten Tat an ablesbar. Und ja, es gibt auch Beispiele, bei denen die erste Tat eine Affekttat darstellt, die relativ wenig mit der eigentlichen Intention des Täters zu schaffen hat. Und ich gebe Dir ja recht: Tabram ist ein äußerst schwieriger Fall...

Und noch dazu: Er hat diese Fantasie erst, weil er zum Morden veranlagt ist. Was treibt ihn also zum Mord? Die Fantasie? Oder hat er diese, weil er ein geborener Mörder ist? Was war zuerst? Huhn oder Ei?  :icon_wink:

Sämtliche Profiler wären brotlos, wenn sich die Serienkiller an diesen letzten Punkt deiner Überlegungen halten würden. :icon_razz:

Soll ich dazu noch was sagen?  :icon_wink:
Ich würde von Dir zum ersten Mal hören, dass unter den Profilern große Einigkeit über solche Punkte herrscht...wie bei uns Hobby-"Ripperologen" wird auch bei den Profilern gekloppt, korrigiert, ergänzt...selbst Größen wie Douglas und Harbort sind nun dazu übergegangen, die Signatur als nicht konstant zu betrachten. Wenn Du Zitate möchtest, muss ich erst suchen, dazu bin ich jetzt zu faul...

Und noch einmal ergänzend zum Tatort und Signatur: Nehmen wir an, ein Täter tötet immer auf offener Fläche. Er lockt sie in sein Auto (Anhalterinnen) und fährt unter Vorwand auf einen Feldweg ("Ich nehme eine Abkürzung"). Immer und immer wieder. Eines Tages, eher rein zufällig, entdeckt er zum ersten Mal in der Nähe eines seiner Tatorte einen Baum. Vorher waren nie welche da gewesen. Doch jetzt sticht er ihm förmlich in`s Auge. Er grinst, denkt an das Seil, welches er auch zufällig im Kofferraum hat, und kommt auf die Idee, mal etwas Neues zu probieren...

Grüße, Isdrasil

PS: Es wäre schön, wenn wir in diesem Zusammenhang auch mal etwas mehr über Kelly reden.
« Letzte Änderung: 11.03.2008 09:10 Uhr von Isdrasil »

Offline Isdrasil

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #41 am: 11.03.2008 07:31 Uhr »
Und noch was:

Ich glaube bestimmt nicht, dass die Signatur beliebig veränderbar oder austauschbar ist. Mit Sicherheit ist sie das nämlich nicht. Einmal angewandt, wird der Täter in seinem Rahmen bleiben. Sonst hätte Profiling wahrhaft keinen Sinn, und das wollen wir ja nicht...

Tabram hat eben diese Ausnahmestellung als Erstopfer. Würde Kelly die Verletzungen von Tabram aufweisen, also als Opfer nach Nicholls, Chapman, Eddowes – dann könnte man getrost sagen: Das war nie der Ripper.
Aber es besteht eben ein Unterschied, ob der Täter seine Fantasie bereits „performed“ hat oder noch nicht.

Zumindest bei den deutschen Serienmördern, die Harbort untersuchte, konnte die erste Tat manchmal (nicht immer oder generell) nur durch ein Geständnis dem jeweiligen Serientäter zugeordnet werden. Es gibt Ausnahmen. Ich weiß nicht, was uns sagt, dass der Ripper nicht so eine Ausnahme darstellt, was sein Erstopfer angeht...

@Stordfield

Kann man vereinfacht sagen : gleiche Tatorte = gleiche Handschrift ? Wechselnder Tatort = verschiedene Handschriften ? Geht diese Formel auf ?

Diese Formel wird nicht immer aufgehen - ich pauschalisiere auch nicht gerne (daher muss Tabram ja drin bleiben - hehe)...aber würde zu wenigstens einem Drittel der Aussage zustimmen, ja  :icon_thumb:

Es ging ja auch nur drum, ob es dazu kommen kann - und nicht, ob der Tatort immer Einfluss auf die Signatur hat. Ich komme mir vor, als ob meine Überlegung als pauschal betrachtet wird. Dem ist natürlich nicht so.  :icon_wink:

Grüße, Isdrasil
« Letzte Änderung: 11.03.2008 07:49 Uhr von Isdrasil »

Floh82

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #42 am: 11.03.2008 09:20 Uhr »
Ich glaube bestimmt nicht, dass die Signatur beliebig veränderbar oder austauschbar ist. Mit Sicherheit ist sie das nämlich nicht. Einmal angewandt, wird der Täter in seinem Rahmen bleiben. Sonst hätte Profiling wahrhaft keinen Sinn, und das wollen wir ja nicht...

Einspruch euer Ehren.

Mit Sicherheit ist hier gar nichts sicher. Ein Täter wird VERMUTLICH in seinem bisherigen Rahmen bleiben. ABER die Signatur ist austauschbar bzw. veränderbar. Beliebig sicher nicht, aber durch äußere oder auch innere Einflüsse KANN ein Täter seine Signatur verändern. Tut er das ist Profiling nicht sinnlos, aber fehlbar und das ist es nunmal.

Und übrigens:
Kann es sein dass das hier diskutierte wenig Sinn macht, wenn Tabram gar kein Ripper-Opfer ist? :D Wovon ich nämlich immer mehr ausgehe...

Offline Isdrasil

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #43 am: 11.03.2008 09:28 Uhr »
Hi Floh

was ist daran so falsch, zu behaupten, die Signatur sei mit Sicherheit nicht beliebig austauschbar und veränderbar? Die Betonung lag auf beliebig, vielleicht hätte meiner einer das noch kenntlich machen sollen....
Wollen wir aus einem Giftmörder einen Schlitzer machen wollen und aus diesem dann wieder einen Torso-Mörder?
Du sagst doch dasselbe wie ich - oder täusch ich mich da jetzt? Es gibt einen Rahmen, aber die Signatur kann sich durch innere und äußere Einflüsse verändern. Das trifft sich doch mit meinen Aussagen, wozu also der Einspruch?  :icon_verwirrt:

Langsam wird es verwirrend.... :icon_mrgreen:

Und Profiling ist allemal fehlbar. Das denke ich auch. Es ist eben von Menschen gemacht. Aber egal, um was wir diskutieren - vertritt nicht jeder eine Art persönliches Profiling? Macht das nicht jeder für sich auf eine gewisse Art und Weise? Es gibt eben Menschen, die haben sich dies zum Beruf gemacht und veröffentlichen ihre Gedanken, mehr nicht...aber ein wenig mehr Ahnung von der Materie haben diese Menschen schon, deswegen kann man sich ruhig mal auf sie beziehen...fehlbar ist nicht gleich sinnlos...meine Meinung :icon_wink:

Grüße, Isdrasil
« Letzte Änderung: 11.03.2008 12:38 Uhr von Isdrasil »

Alexander-JJ

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Re: Die Theorie der ortsgebundenen Signatur
« Antwort #44 am: 11.03.2008 13:33 Uhr »
Ein Mörder kann schon vielseitig "begabt" sein.

Aber die damaligen Giftmörder passen vom Lebenswandel, von der Gesinnung her, doch gar nicht zu JTR. Sie haben Personen des direkten Umfeldes umgebracht, entweder um sich bestimmte Vorteile zu verschaffen und/oder um diese Personen ganz einfach loszuwerden. Der Torsomörder mordete relativ selten und gab sich sehr große Mühe seine Spuren zu verwischen. Gut möglich das er seine noch lebenden Opfer vorher vergewaltigt/gefoltert hat. Passt auch nicht zu JTR.


Und Tabram sieht wie ein x-beliebiges Opfer aus einem Kriegsgebiet aus. Eine anfangs "harmlose" Messerstecherei artete aus und führte zum Tod des Opfers. London war zwar kein Kriegsgebiet, aber ich denke das einer der Soldaten (oder auch mehrere) den Krieg sozusagen "mitgebracht" haben.



 :)